Im zweiten Jahrhundert vor Beginn der hierzulande zurzeit gültigen Zeitrechnung lebten und wirkten Gaius und Tiberius Gracchus, Söhne römischen Adels, die vergeblich versuchten, das einfachere Volk - die damalige Arbeiterklasse - an den öffentlichen Gütern teilhaben zu lassen. An dem üblichen setting des mildtätigen Reichen, der die Armen beglückt, hat sich seitdem eigentlich nur geändert, dass dieser Reiche nicht nur nicht irgendwann erschlagen wird, sondern auch nach seinem Tod noch als moralische Instanz gelten darf.
Der heute bekannteste Vertreter dieser Gruppe scheint der Anwaltssohn Karl Marx zu sein, über dessen (in linken Kreisen ohnehin nicht ungewöhnlichen) Antisemitismus mancher gern hinwegsieht, denn er führte nicht den Krieg, sondern die Verteilung von Finanzen im Mund. Wer hat schon etwas dagegen, nicht mehr zu den Armen zu gehören? Krieg war den Seinen andererseits in der Realpolitik auch selten gänzlich zuwider, stimmte doch sogar die sich noch vierzig Jahre später vorgeblich weitgehend an den Lehren Karl Marx‘ orientierende SPD aus heimatverbundenen Gründen mehrfach mit großer Mehrheit für eine Finanzierung der deutschen Teilnahme am Ersten Weltkrieg, was sie trotz der Beliebtheit der sich abspaltenden USPD (später: KPD) um Hugo Haase nicht grundlegend überdenken wollte.
Welche Arbeiterklasse davon profitieren sollte, scheint unklar, aber für mögliche soziale Reformen nahm man schon damals notfalls auch Tod und Elend in Kauf, was sich bis zur Wahl der sozialen Reformer um Gerhard Schröder kaum negativ auf die Wahlergebnisse der SPD ausgewirkt hat. Ob die Installation von Hartz IV unter Führung der ehemaligen Marxisten ihren Angriff auf den Kosovo wieder gutmachen konnte, ist indes fast ebenso umstritten wie die Frage, ob der letzten Endes verlorene Erste Weltkrieg es wirklich wert war, anschließend in einer zerrissenen Gesellschaft auf dem Weg in den Zweiten zu leben.
Dass auf Marx und Haase in der Politik gerade mal 102 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs die Neogracchisten der Grünen Jugend folgen sollten, die mit hohen BAföG-Schulden - muss man ja erst später zurückzahlen und zählt deswegen nicht - ironisch teure Hardware kaufen, um sich unter Zuhilfenahme derselben über den verdammten Kapitalismus aufzuregen, belegt, dass die Warnung vor der sich wiederholenden Geschichte keine politische Richtung kennt. Leider spiegelt die Kombination aus niedrigem Alter, finanziellen Reserven unklaren Ursprungs und teurem Besitz die gewünschte und/oder tatsächliche Lebenswirklichkeit vieler Jungwähler aus der Mittelschicht wider, so dass man von ihnen dafür nicht ausgebuht, sondern gewählt wird. Ich ahne, warum man das Wahlalter senken möchte.
Entsprechend wird mit Luisa Neubauer (zwei Stipendien, kaum Geldsorgen), die die bekannteste deutsche Sprecherin von „Fridays for Future“ ist, auch in umweltpolitischen Themen ein Mitglied der Grünen für eine geeignete Vertreterin der Jugend gehalten, als bestünde die größte Sorge der Jugend darin, ihren künftigen Wohlstand auf der Erde genießen zu können. Arbeits- oder gar Obdachlose kommen in dieser Welt offiziell gar nicht mehr vor. Sie leiden mit den Armen, leihen ihnen aber nicht ihre Brieftasche, sondern ihren geölten Sprachapparat; was sie moralisch im Übrigen mit der Kirche vergleichbar macht, die sich seit 1933 ihre gedroschenen Phrasen endlich auch steuerlich vergüten lassen kann. Die Heimatliebe war es den Herrschenden allemal wert, ihren Untergebenen eine finanzstarke Religion aufzudrücken. Daran, zugegeben, war die SPD ausnahmsweise mal unschuldig.
In derselben Lebenswirklichkeit der vermeintlichen typischen Jugend treibt sich schließlich auch der Westdeutsche Rundfunk herum, der heute dumm twitterte:
Wächst eine „Generation Corona“ heran? Das befürchten Experten. Sie sehen langfristige Folgen für eine Generation mit verpassten Gelegenheiten: Keine ausgiebigen Reisen, kein Auslandsjahr, kein Nachtleben und ein schwieriger Studien- oder Berufseinstieg.
Zu meiner Zeit und in der Lebenswirklichkeit meiner Generation, womöglich auch bedingt durch die Herkunft (reiche Eltern waren damals noch nicht üblich), war nichts davon bemerkenswert: Für Reisen abseits von Ost- und Nordsee oder gar Auslandsjahre haben die Geldreserven kaum gereicht, ein Nachtleben fand im weiteren Umkreis des Wohnorts schlicht nicht statt und der Studien- oder Berufseinstieg bedeutete Opfer, denn Arbeiterfamilien zählten auch damals noch nicht zur Gruppe derer, denen dank guter Vernetzung und hohen Kontostandes alle Türen offenstanden. Anscheinend blühen ähnliche Schwierigkeiten jetzt wegen Corona auch der Zeit- und Geldelite.
Ganz schön unfair von Corona.