Lange nichts mehr über Musik geschrieben.
Es hat endlich ein neues Jahr begonnen. Der früheste Zeitpunkt für Jahresrückblicke ist jetzt. Wer schon im Oktober seinen Jahresrückblick fertiggestellt hatte, dem fehlt in diesem ein Sechsteljahr. Noch bis Silvester hätten theoretisch wunderbare Musikalben rauskommen können und die haben die anderen Rückschauer euch allen unterschlagen. Ich nicht! Daher bekommt ihr den ersten zuverlässigen musikalischen Jahresrückblick 2022 derjenigen Alben, die hörenswert sind, exklusiv hier auf dieser bezaubernden Webpräsenz (und später vielleicht auch woanders). Ist das nicht nett von mir?
Wie fast immer hatte ich mehrmals eine musiktheoretische eiaculatio praecox (hehe, cocks) und konnte hinsichtlich der jeweils aktuellen Alben von Faust, Empath, JIRM, Ufomammut, Hiroe, Motor!k und NǽnøĉÿbbŒrğ VbëřřĦōlökäävsŦ („Nanocyborg Uberholokaust“) nicht an mich halten. Der Rest folgt unten. Das vielgerühmte Rückkehralbum von Porcupine Tree – ihr „In Absentia“ ist immerhin seit weit über zehn Jahren mein bevorzugtes Avatarbild in manchen sozialen Medien – wusste mich dabei nicht zu begeistern, weshalb es hier nicht vorkommt. Das Leben ist zu kurz für (gleichwie gut gemachten) Kuschelrock.
Earthless – Night Parade of One Hundred Demons
Mit schweren Gitarrenklängen beginnt es: Auf dem aktuellen Studioalbum des US-amerikanischen Psychedelic-Rock-Trios Earthless klingt fünf Minuten lang leichter Doom an, bevor sich das eröffnende Stück „Night Parade of One Hundred Demons (Part 1)“ in dunklen Blues auflöst, schließlich ganz verstummt und nach fast sieben Minuten plötzlich explodiert. Der Rest des Stücks wird von einer Art heavy psychedelic bestimmt, die man sich wahrscheinlich ungefähr so vorstellen kann, als hätten sich Pink Floyd und Led Zeppelin zusammengeschlossen und beschlossen, künftig Spacerock zu spielen. Der wesentliche Faktor scheint die Gitarre zu sein: Mal darf sie ein ausgiebiges Solo singen, mal ergänzt sie (mit viel Hall) das Treiben der anderen Instrumente. Sind ja nicht so viele, sind nur Schlagzeug und Bass.
„Part 2“ des gleichen Stücks wird mit groovendem Rhythmus aus Schlagzeug und Bass eingeleitet, dazu ein elektronisches Blubbern, über dem bald wieder eine bluesige Gitarre soliert. So ähnlich würde ich einen Wüstenthriller vertonen, glaube ich. Aber ich kenne mich nicht aus mit dem Vertonen von Wüstenthrillern. Es gab 2017 ein Album des fast gleichen Titels von einer Hardcorepunkband. Damit haben Earthless zum Glück nichts zu tun.
Auf „Night Parade of One Hundred Demons“ gibt es keinen Gesang, aber dafür auch nur drei Stücke. Keines davon ist unter 19 Minuten lang. Wieder eine Band ohne Radiotauglichkeit. Glück gehabt. Es groovt über die gesamte Dauer von etwas über einer Stunde, ohne auch nur kurz das Gefühl auszulösen, das habe man doch gerade erst gehört. Ein Album wie eine einzige lange Improvisation dreier gut eingespielter Musiker. Nicht übel.
Reinhören: Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort sonst nichts).
Author & Punisher – Krüller
Kein Knüller, aber zumindest ein Krüller: Unter diesem interessanten Titel veröffentlichte der US-amerikanische Solokünstler und Erfinder Tristan Shone im Februar 2022 ein weithin als überdurchschnittlich wahrgenommenes Album. Weil ich den Namen interessant fand, habe ich es mir angehört und ich mag es.
Bereits das erste Stück „Drone Carrying Dread“ – mit 8:16 Minuten Laufzeit das längste auf dem Album – präsentiert die stilistische Bandbreite nahezu in Gänze. Tief tönende Drones (haha, daher der Name; nein, daran dürft’s nicht liegen), Industrialrhythmen und meist cleaner Gesang – der im Verlauf des Albums aber nicht immer so sanft bleibt – sagen mir zu. Ich hab‘ so meine Momente. Im Internet las ich, „Krüller“ sei stilistisch im Wesentlichen Alternative Rock, und das könnte stimmen. Ich höre eine härtere Version von Linkin Park, eine andere Version der Nine Inch Nails. Dem Widerklangfreund, der bei meinem Musikgenuss gelegentlich das dominante Ohr führt, gefällt auch das eigenartige elektronische Fiepsen, das manche Stücke (etwa das herrlich zerrissene „Blacksmith“) begleitet; aber fade-out („Glorybox“) ist doch immer ein bedauerlicher Abgang.
Für die Gesamtwertung sind solche fehlenden Enden aber letztlich nicht schmälernd genug: „Krüller“ gefällt. Schön, es entdeckt zu haben, und schön, es weiterempfehlen zu können.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), Amazon.de (dort auch CD), TIDAL (dort als explizite Lyrik gekennzeichnet).
Animals as Leaders – Parrhesia
Ich mag ja keinen Metal, aber.
Animals as Leaders, ein US-amerikanisches Trio mit zwei Gitarren und einem Schlagzeug (wenngleich auf „Parrhesia“ Misha Mansoor, derzeit bei Periphery, als Bassist gastiert) und keinem Gesang. „Parrhesia“, der Name ihres diesjährigen Studioalbums, ist Englisch und heißt Parrhesie. Das ist witzig, weil Redefreiheit ohne Text gar nicht so einfach funktioniert wie mit Text.
Lassen wir also die Musik für sich sprechen. Das erste Stück „Conflict Cartography“ lässt mich während der gesamten fünf Minuten seiner Dauer in wechselnden Rhythmen neben dem Takt mit dem Kopf nicken, weshalb ich bereits sein intro zum Anlass nehme, dieses Album in diese Liste aufzunehmen. Die ineinander verzwirbelten Instrumente verdrehen dem geneigten Hörer (mir) indes bereits im zweiten Stück „Monomyth“ gehörig den Kopf. Die 80er-Alben von King Crimson sind gelegentlich – etwa hier – nicht fern und die mag ich bei fortschreitendem Alter auch immer lieber.
Dass die US-Amerikaner am Deutschen so viel Gefallen finden wie ich an ihrer Musik, erkenne ich zumindest am Titel des Stückes „Gestaltzerfall“. Ein schönes Wort. Das klaue ich mal für meine Autobiografie. Das abschließende „Gordian Naught“, das als dritte Single veröffentlicht worden ist (das musste ich nachlesen, Singles interessieren mich seit über zwanzig Jahren nur noch, wenn ich die B‑Seite mag), überwindet quasi im Vorbeigehen die Genregrenzen zwischen Progressive Metal, Math Rock und – tatsächlich – Funk. Interessant. Hörbar. Seltsam.
Reinhören: Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort nur Hören).
Green Asphalt
„I know that we will meet again some day.“ (She’s a Cow)
Abseits dessen, dass die meisten früheren Mitglieder von Gentle Giant während der Pandemie tatsächlich mal wieder gemeinsam einen ihrer hits intonierten, war in den letzten Jahren in ihrer musikalischen Nische – ich würd’s Barock-Prog nennen – eher wenig los, und auch der Canterbury Style, eine Zeitlang von (unter anderem) Argos verwaltet, schien sich ein wenig auszuruhen. Umso mehr freut mich, dass Green Asphalt auf ihrem Debütalbum beides miteinander verbinden.Dan Bornemark, befreundet mit Kerry Minnear und auch sonst im Gentle-Giant-Kosmos kein völlig Fremder, habe, erzählt das Internet, mit sechs weiteren Musikern (davon drei Sängerinnen) insgesamt siebzehn Jahre lang an diesem Album gearbeitet. Das Ergebnis klingt tatsächlich beeindruckend reif: Mehrstimmige Arrangements mit offensichtlichen („Suit Yourself“) und weniger offensichtlichen („ ‚Xcuse Me“) Verneigungen vor dem großen Vorbild, zwar weniger Instrumentendurcheinander als das Original, dafür mehr jazzige Canterburypassagen mit Flöte (beachtlich in „She’s a Cow“, in dem übrigens tatsächlich gemuht wird), gelegentliche Anleihen an David Bowie und dazu eine dem Jahr 2022 angemessene Produktion hinterlassen ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht derer, die diesen alten Kram mögen, gegen ein wenig moderne Rockmusik mit Streichern („200 Girls“) aber auch nichts einzuwenden haben.
Auf meinem zum Beispiel.
Das über zehnminütige „Time in Your Face“ rundet das Album schließlich wie eine Zusammenfassung des bis dahin Gehörten – vielleicht mit einem zusätzlichen Löffel Emerson, Lake & Palmer in der Mischung – ab und macht dabei nichts falsch. Das ist auch mal charmant. Dieses Album macht Spaß. Spaß ist wichtig.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl).
Eunoia – Psyop of the Year
Eunoia – eigentlich: εὔνοιᾰ – ist Altgriechisch und heißt so viel wie „schön denken“. Der Name ist nicht unbedingt Programm, denn wie Schöndenken klingt das Album „Psyop of the Year“, das im April erschienen ist, eher nicht, sondern vielmehr nach einer seltsamen Mischung aus Grunge, Mathcore und beizeiten („Leather Lollipop“) Postpunk – auch gesprochene/gerufene Spracheinschübe kommen vor – beziehungsweise, wie’s wir Genreagnostiker zu formulieren pflegen, nach Krach.
Mitunter instrumental, oft aber mit meist extrovertiertem Gesang (insbesondere in der zweiten Hälfte des Albums wird auch gegrowlt, passt aber trotzdem) gehen die drei Herren hier zu Werke. Ich denke an eine weniger verspielte, dafür ziemlich wütende Version der jetzt auch schon seit fünf Jahren verschwundenen The Dillinger Escape Plan. Der Name und das Titelbild des Albums folgen dem Konzept des Vorgängeralbums „YOU’RE NOT PARANOID ENOUGH“ (2019), das insgesamt das Bandkonzept zu sein scheint. Das abschließende Stück – keines überschreitet übrigens fünf Minuten Spieldauer – trägt den Titel „ ‚Saddam Never Worked for the CIA‘ and Other Lies Your Father Told You“.
Das Album klinge von Anfang an nach Gefahr und Unruhe, las ich im Internet und vermag nicht argumentativ zu widersprechen. Ich empfinde während des Hörvorgangs eine Stimmung wie auf einer politischen Demonstration in irgendeiner Großstadt, ein energisches wir gegen die in Musikform; vertrackte Rhythmen inklusive, weil so ein Straßenkampf ja auch selten abläuft wie ein Ballettstück.
„Psyop“ ist ein fremdsprachiges Kurzwort für psychologische Kriegsführung. Passt.
Reinhören: Amazon.de, Bandcamp.com (dort auch CD), TIDAL (dort sonst nichts).
Shadow Universe – Subtle Realms, Subtle Worlds
Shadow Universe ist der Projektname vierer slowenischer Musiker. Auf ihrem dritten Album „Subtle Realms, Subtle Worlds“ ist interessant groovender Instrumentalpostrock mit wirklich viel Klavier, gespielt von Peter Dimnik (auch: Gitarre und Synthesizer), und hin und wieder auch Geige zu hören, zwei der sechs Stücke haben Gastmusiker. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, das die Annahme vertonen soll, dass jeder Mensch in seiner eigenen Welt lebt, weil er sie auf eine einmalige Art wahrnimmt oder so.
Das ist eine ziemlich esoterische Prämisse, der ich nur auszugsweise folgen kann, aber der Stimmungswechsel zwischen analogmusikalischer Beschaulichkeit, Bedrohlichkeit („Losing Home“) und Post-Metal-Eruptionen – „Frieden und Chaos“, wie’s der Pressetext nennt – ist tatsächlich erstaunlich fesselnd (aber auf die gute Art) und lässt mich eigentlich nur schade finden, dass das Album mit nur 38:10 Minuten Laufzeit viel zu kurz scheint, ohne dabei wirklich kurz zu sein.
Ich freue mich trotzdem und genieße sichtlich still.
Reinhören: Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort weder CD noch Vinyl).
Bruecken – Innere Unruhen
„Innere Unruhen liegen dann vor, wenn zahlenmäßig nicht unerhebliche Teile des Volkes in einer die öffentliche Ruhe und Ordnung störenden Weise in Bewegung geraten und Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verüben“ (Internet). Da freut man sich gleich noch ein wenig mehr, dass man den Genuss von „Innere Unruhen“ der Oldenburger Postrockband Bruecken halbwegs ohne Prügelei überstehen kann, wenn man will.
Dass dem Rezensenten (d.h.: mir) im zweiten Stück „Abgrundtief“, das insofern immerhin einen passenden Namen trägt, immer wieder der Refrain von „Ein Kompliment“ der Sportfreunde Stiller ins Gedächtnis gerufen wird, spricht nicht für meinen damals konsequent durchgehaltenen hervorragenden Musikgeschmack, ist aber auch einer der seltenen Momente auf „Innere Unruhen“, in denen mir irgendwas bekannt vorkommt. Von wegen, Postrock klinge immer gleich.
Schwaches gibt es ebenfalls so gut wie nicht; vielleicht: Dem Sechseinhalbminüter „Ataxie“ haftet streckenweise ein gewisser Demo-EP-Charme an. Aber ich mag Demo-EPs von Postrockgruppen eigentlich fast immer. Natürlich lassen auch Bruecken das altbekannte Laut-Leise-Spiel nicht ungespielt, aber sie versuchen nicht eine Spalte in der Rezensionsrubrik „klingt wie …“ auszufüllen. Das finde ich sehr nett von ihnen. Zu ihren Vorbildern, behauptet irgendein Pressetext indirekt, zählen unter anderem Red Sparowes, diejenige Postrockband also, von der ich annehme, sie habe irgendeine Wette mit irgendwem laufen, wie lang die Titel ihrer Stücke sein dürfen, bevor jemand einschreitet.
Eine direkte Relation zwischen Namen und Stimmungen der auf „Innere Unruhen“ enthaltenen Musik kann ich auch schemenhaft erkennen; „Lichterloh“ klingt so, wie es heißt, und „Immersion“ wirkt tatsächlich immersiv. Das Album sei inspiriert von den „Gefühlen des Unbehagens“, behaupten die Musiker, reden aber von „Songs“, obwohl gar keiner singt. Unbehaglich ist „Innere Unruhen“ jedenfalls nicht geworden, aber ihnen das vorzuwerfen liegt mir fern. Stattdessen danke ich ihnen für ein gelungenes Stück inneres Gleichgewicht spendender Musik. Ätsch.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort Stream).
dälek – Precipice
„Tick, tock, motherfucker!“ (A Heretic’s Inheritance)Ohne deren Zusammenarbeit mit Faust („Derbe Respect, Alder“, 2004) hätte ich die Existenz von dälek, einer US-amerikanischen Hip-Hop-Gruppe um den Frontmann MC dälek, benannt nach (aber falsch abgeschrieben von) Mutanten aus einer britischen Science-Fiction-Serie, wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen. Wer mag schon Hip-Hop?
„Precipice“, ihr 2022er Album, beginnt aber auch gar nicht mit Hip-Hop, sondern mit der „Lo-Fi-Soundwand“ (Dominik Steiner) „Lest We Forget“, die nicht im Geringsten auf das vorbereitet, was kommen mag: Im folgenden „Boycott“ wird druckvoll und sehr US-amerikanisch gerappt, wobei die Geräuschcollage im Hintergrund mich eher an Jambinais „Abyss“ als an typische Vertreter zeitgenössischen Sprechgesangs erinnert. dälek vermengen Industrial- ebenso wie krautige Elektronikklänge mit handelsüblichem Hip-Hop, als hätten sie eigentlich Berliner Elektronik aufnehmen wollen, dann aber beats und Bässe drübergeschüttet und plötzlich war’s eine andere Art von Musik. Nicht schlecht.
Diese Art klanglicher Hervorbringungen ohne Längen zu produzieren erscheint schwierig, und obwohl nur „A Heretic’s Inheritance“ sechs Minuten Laufzeit überschreitet, bemerke ich beim Hören des Albums, dass es manchmal ein paar Takte weniger auch tun würden, etwa in „Good“; andererseits lässt sich so die melodische Struktur noch etwas länger genießen, was ich insbesondere in den Industrial-näheren Stücken (etwa „The Harbingers“) gern annehme.
Auf der Vorabsingle „A Heretic’s Inheritance“ gastiere Adam Jones (unter anderem Gitarrist von Tool), vermeldet der Pressetext mit erkennbarem Stolz, und obwohl ich Tool gar nicht mal besonders gern mag, möchte ich diese fast sieben Minuten vorsichtig als den musikalischen Höhepunkt auf „Precipice“ bezeichnen: Kopfnickrhythmus, ein seltsam schräges Elektronikfundament, vier Minuten Instrumentalintro und erst dann von anschwellendem Krautrock (Krautrock!) begleiteter Sprechgesang, danach ein sanftes, aber schnelles Ausklingen. Ich bin angetan.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort sonst nichts).
Sc’ööf – CDR003SA
Ich weiß noch ungefähr, was eine CD‑R ist, und ahne daher auch, warum das Album „CDR003SA“ (das es indes nur auf Kassette und als Download gibt, nicht jedoch auf CD) so heißt, wie es heißt. Da endet mein Wissen aber auch schon.
Ich weiß nicht, was Sc’ööf – vier Herren aus der Schweiz und der Name der Band – heißen soll (zumindest die Aussprache ist klar: in „B“ und anderen Interludien klingt es ungefähr wie „Scurf“), und ich weiß auch nicht, was das hier genau ist. Musik, vermutlich, „brutal jazz“, also „brutaler Jazz“, kolportiert die Gruppe selbst bzw. lässt die Gruppe ihre Plattenfirma kolportieren, das weiß man ja heute nie so genau. Strukturen gibt es auf „CDR003SA“ jedenfalls nicht zu hören und Rhythmen auch nicht. Kein Stück überschreitet 3:16 Minuten Laufzeit, die meisten schaffen nicht mal 2 Minuten, bis auf das 13. Stück „10“, das fast 22 Minuten lang ist.
Das ist alles ein fabelhafter Krach auf „CDR003SA“, unterbrochen von Pseudo-Spotify-Werbung für die Bandcampseite von Sc’ööf. Ich finde das lustig. Alles klingt, als würde man leiernde Kassetten auf zerkratzte CDs überspielen, und zwar mit einem Bagger. Viele Stücke hören abrupt auf. Das passt alles ins Konzept.
In der Rubrik „klingt wie“ kriegt „CDR003SA“ bei mir zehn Punkte auf der Kopfschmerz- und immerhin acht auf der „asia“-Skala. Langjährige Leser wissen: „asia“ von boris ist bis heute ein von mir gern zitiertes Album, wenn es um fabelhaften Krach geht. Mal was anderes als Gitarre.
Reinhören: Bandcamp.com wurde ja bereits verlinkt, mehr gibt es anscheinend nicht. Qualität muss man halt manchmal auf ungewohnten Pfaden suchen. Verdammter Kapitalismus.
Julie Tippetts & Martin Archer – Illusion
Im Jahr 1969 nahm die junge Sängerin Julie Driscoll ihr erstes Soloalbum auf, das den Titel „1969“ trug. Bereits auf diesem gastierten unter anderem Mitglieder von Soft Machine sowie der mittlerweile verstorbene Jazzpianist Keith Tippett, der eigentlich Tippetts hieß und später ihr Ehemann wurde. In der Folge tauchte Julie Driscoll als Julie Tippetts in zahlreichen Besetzungslisten von Projekten von und mit letzterem auf, darunter auf dem empfehlenswerten Album „Septober Energy“ des 55-köpfigen Ensembles Centipede.
Seit einigen Jahren arbeitet sie vor allem mit Martin Archer zusammen, seines Zeichens Jazzsaxophonist und Keyboarder. Beide veröffentlichten im Jahr 2022 gemeinsam „Illusion“, was ein fast zweieinhalbstündiges Doppelalbum ist, das aus zwei eigentlich separaten Alben besteht, namentlich aus der avantgardistischen „Illusion Suite“, die aus sieben Teilen besteht, die aber wiederkehrende Themen aufweisen und insofern als einzelnes Stück begriffen werden sollten, sowie dem „Circle of Whispers“, der 13 einzelne, überwiegend in Jazz und Jazzrock anzusiedelnde Stücke umfasst. „Circle of Whispers“ beginnt dabei mit einem kraftvoll vorgetragenen Lied namens „Illusion“, schließt somit zumindest thematisch an die „Illusion Suite“ an.
Der kraftvolle Vortrag ist tatsächlich einer der stärksten Aspekte dieses ohnehin starken Albums. Julie Tippetts ist im Juni 2022 75 Jahre alt geworden, aber ihre Stimme – Alt, behauptet das Internet zugunsten von Holzohren wie mir – scheint das noch nicht gemerkt zu haben; da ist ordentlich Feuer drin. Überhaupt ist ihr wesentliches Instrument seit Jahrzehnten ihre Stimme und sie weiß sie einzusetzen (hierzu beachtliches Stück: „Never As They Seem“). Finde ich gut. James Archer, der vermutlich irgendwie mit Martin Archer verwandt ist oder auch nicht, streute über das Album eine Portion beats und loops, manchmal lugt also etwas Discomusik (mit Stampfbeat) vorsichtig um die Ecke, wird dabei aber niemals aufdringlich und bleibt nie lange. Die Aufmerksamkeit des Hörers hat auch genug anderes zu tun; der vermeintlich leichtfüßige Jazz weicht an interessanten Stellen (sehr, sehr gutes Teilstück: „Pandemonium“) einer RIO-Detonation mit eskalierenden Blasinstrumenten, findet aber stets zurück in die Spur.
Das letzte Stück der „Illusion Suite“ heißt „Turn It Around“, also „dreh es um“. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Rezension – 18. Juni 2022 – gibt es „Illusion“ (noch?) nicht auf Vinyl, sonst wäre das ein guter Abschluss meiner Ausführungen. Schade.
Reinhören: Amazon.de (dort auch CD), Bandcamp.com (dort auch Download und CD), TIDAL (dort sonst nix).
J. Peter Schwalm & Stephan Thelen – Transneptunian Planets
Stephan Thelen ist ein in Zürich lebender Komponist, Musiker und Mathematiker, den wiederholte Leser meiner Rezensionen vielleicht bereits als Mitglied der Gruppe Sonar kennen, J. Peter Schwalm wiederum ist ein deutscher Komponist und Musikproduzent, der um das Jahr 2000 herum erstmals in hinreichend populärem Umfeld, nämlich in mehreren Gemeinschaftsarbeiten mit Brian Eno, von sich hören ließ. Gemeinsam mit drei weiteren, an der Komposition jedoch nur wenig beteiligten Musikern, darunter dem Schlagzeuger Manuel Pasquinelli (ebenfalls für Sonar tätig), haben die beiden in elektronischer Avantgarde bewanderten Herren unter dem Titel „Transneptunian Planets“ acht transneptunischen Objekten – unter ihnen natürlich Pluto und sein Herausforderer Quaoar – jeweils ein weitgehend instrumentales Stück mit wenigen Spracheinwürfen gewidmet.
Gelegentlich zerreißt eine schneidende Gitarre das elegant gewobene Tuch, aber größtenteils wird mit „Transneptunian Planets“ eine vordergründig groovende, im Detail aber erfrischend verknotete Weltraumlandschaft gemalt, deren Vortrag zwischen Spacerock, Industrial und Postrock schwebt (überhaupt: Schweben), angereichert allerdings mit einer oft kaum auffällig polyrhythmischen Grundstruktur, die vermeintliches Ambient (schöner Kontrast: „Orcus“) in Spannung versetzt, ohne es zu verderben. Mitunter, etwa im Stück „GongGong“ (mit der Band Gong hat es trotz ähnlicher musikalischer Ziele nichts zu tun), atmet „Transneptunian Planets“ auch etwas vom Geist des frühen Krautrocks (ich meine die mittleren Can zu hören), der Fokus liegt aber klar auf der Reise durch das All. Längen gibt es kaum, erst das vorletzte Stück „Sedna“ hätte meiner Meinung nach etwas kürzer sein können, aber ich bin ja auch Konsument und nicht creator und habe darum kein Mitspracherecht. Musik ist keine Demokratie. Das ist wahrscheinlich auch besser so.
Die Musiker haben, behauptet der Pressetext, sich von den äußeren Grenzen des Kosmos inspirieren lassen. Da war ich noch nie, aber es scheint dort voller Wohlklang zu sein. Vielleicht gucke ich doch mal, wann die nächste Bahn dahin fährt.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort nur Stream).
Tassenschrank – Vom Erfolg verfolgt
„Kapitalismus, ich liebe dich / ich verehre dich ewiglich!“ (Ich habe Geld)„Die irrste Band Europas“, schreibt der Verantwortliche für die Website von Tassenschrank auf der Website von Tassenschrank, sei Tassenschrank. Lorem ipsum! Das Schweizer Quintett sei im Jahr 2020 gegründet worden, als auch in der Schweiz plötzlich jede Menge Freizeit da war. Die Plattenfirma pretty noice, bei der 2022 ihr Debütalbum „Vom Erfolg verfolgt“ veröffentlicht wurde, verlegt unter anderem auch Das Niveau und Die Streuner. Wer daraus abzuleiten versucht, wie „Vom Erfolg verfolgt“ wohl klingt, der wird voraussichtlich scheitern.
Folk spielen Tassenschrank, anders als die genannten Kollegen, in keiner Weise, hingegen einen humorvollen, oft gar albernen Poprock, der Genregrenzen allenfalls als grobe Empfehlung, nicht aber als festen Rahmen begreift. Mr. Bungle und Primus („Ich habe Geld“) kann ich ebenso wie die Neue Deutsche Welle („Der Wald“) als Inspirationen ausmachen, möglicherweise unbeabsichtigt, aber nicht ungefällig, hier und da auch mit Ohrwurmqualitäten: „Und plötzlich der Regen“ – so endet „Der Wald“ und damit auch das Album – bleibt noch eine Weile im Ohr.
Vom Erfolg verfolgt sind Tassenschrank tatsächlich, immerhin haben sie es hier auf diese noble Liste geschafft. Hoffentlich bleiben sie ihr auch mit dem nächsten Album gerecht – der Einstand war schon mal gut.
Reinhören: TIDAL hat einen Komplettstream, es gibt im Übrigen auch einen offiziell scheinenden YouTube-Kanal mit Auszügen aus dem Album.
Birth – Born
Da hat die Birth Control zum Glück versagt: „Born“, das Debütalbum von Birth, klingt tatsächlich eher britisch und ist nach meinem Empfinden das beste 70er-Progressive-Bluesrock-Album, das mir 2022 untergekommen ist. Birth ist trotzdem ein US-amerikanisches Quartett, das überwiegend aus Mitgliedern der derzeit anscheinend pausierenden Progressive-Rock-Band Astra besteht.
Ich höre Deep Purple („Descending Us“), die Beatles, frühe King Crimson (schön!), aber auch eine gitarrenorientierte Version von Yes („Born“), allgemein viel AOR mit wenig, dafür angenehm mit der Musik harmonierenden Gesang. Davon können sich andere zeitgenössische Musikgruppen, die versuchen, in den 1970er Jahren zu wildern, eine große Scheibe abschneiden und dann ist immer noch genug übrig. An Text soll’s auch genug sein.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD, Vinyl und Beutel), Amazon.de (dort auch CD und Vinyl), TIDAL (dort keine Tonträger).
ANA FOSCA – Poised at the Edge of Structure
Ein zumindest glücklicher Zufall – ihre Mitwirkung an einer Zusammenstellung von Stücken von mehreren Künstlern, die mir aus nicht mehr lückenlos rekonstruierbaren Gründen empfohlen wurde – stellte mir Ana Fosca („ANA FOSCA“, die Groß- und Kleinschreibung scheint so gewollt zu sein) vor, eine der dänischen Untergrundszene anscheinend entwachsenden Musikerin aus Kopenhagen, die eigentlich anders heißt und, wie man den Presseinformationen entnehmen kann, beeinflusst wurde von „Kierkegaard, Plath, Tarkowski, Hannah Arendt, Wiener Aktionismus, Éliane Radigues Ansatz des Zuhörens, den Filmen von Kurt Kren“ sowie den „Gedanken und Schriften von Simone de Beauvoir“. Ihr neues Album „Poised at the Edge of Structure“ ist ihr Debüt bei der bemerkenswerten, weil wohl aus Liebe zur Musik statt aus rein finanziellen Erwägungen seit 2003 von einer Privatperson betriebenen Plattenfirma „The Helen Scarsdale Agency“, die ich bislang auch gar nicht kannte. Diese sei, erfahre ich, spezialisiert auf Post-Industrial, Surrealismus, Minimalismus und so weiter. Das klingt unironisch einladend nach fürchterlichem Krach, aber ich bin ja auch komisch.
„Poised at the Edge of Structure“ ist tatsächlich kein geeignetes Album für eine spaßige Tanzveranstaltung oder auch nur für ein Rendezvous (es sei denn, der Rendezvouspartner ist ebenfalls komisch). Es brummt, es knattert, manchmal zirpt es, irgendwo spricht eine Frau zum Verstehen zu Verzerrtes. „Gegensätzliche Kräfte, sengendes Geräusch und bedrohliches Dröhnen“, teilt der Pressetext weiter mit, seien der Kern dieses Albums, in den von Stimme ergänzten Teilen gepaart mit einer „kathartischen Beschwörung“ mit dem Ziel, „in all der Qual und Verzweiflung“ einen Sinn zu finden. Nach Abschluss des ersten Hördurchgangs (grundsätzlich ist der optimale Zeitpunkt für eine Rezension, wie ich finde, derjenige, der die spontanen Eindrücke noch frisch abbilden lässt) verstehe ich das nicht: Es fühlt sich alles irgendwie sinnlos an.
Genau die richtige Dosis CoiL und Throbbing Gristle füllt die vermeintliche Lücke, die der oft scheinbar fehlende Rhythmus hinterlässt. Der fehlt aber gar nicht, auch wenn gerade keine Trommeln ertönen, sondern er findet im Kopf statt. Natürlich klingt „Poised at the Edge of Structure“ in den Stücken, in denen die Kante der Struktur zurückgelassen wird, wie eine einsame Fabrikhalle, in der irgendeine Maschine effizient auf Metall rumkloppt. Natürlich ist dieses Album von dem, was diejenigen, die Rammstein oder meinetwegen Laibach als typische Industrialband verstehen, als „Industrial“ bezeichnen würden, so weit entfernt wie Phil Collins von einem Herrn, der beruflich singen sollte. Ich weiß nicht, wie ich die hier enthaltene Musik zusammenfassen soll. Ambient des Todes vielleicht. Factory Noise. Sengendes Geräusch und bedrohliches Dröhnen. Es ist geil. Ich mag das Wort nicht, aber es stimmt. Es ist nur etwas bedauerlich, dass es anscheinend derzeit (Stand: 30. August 2022) keine Vinylauflage gibt; bei kleinen Künstlern indes nicht ungwöhnlich.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD), Amazon.de (dort tatsächlich mal nur Stream), TIDAL (dort auch).
The Slow Light – Liminal
„As the sands divide / you see your ending / of grains piling as memories.“ (The Hourglass)Das jährliche Soll an gutem Postrock wurde 2022 von Alteingesessenen wie Long Distance Calling eigentlich übererfüllt, das Debütalbum der australischen Gruppe The Slow Light – „Liminal“ betitelt – bedarf dennoch besonderer Erwähnung, denn Postrock ist nur eine ihrer Facetten. „Liminal“ bedeutet ungefähr „Schwellenwert“, was passt, denn auf der Schwelle zwischen Postrock, Spacerock und klassischem Progressive Rock (sehr schön: der Bass im Mittelteil des Titelstücks), nicht ganz unähnlich den älteren Soloalben Steven Wilsons, bewegen sich die fünf Musiker hier fast eine Dreiviertelstunde lang. Die Streicher sind leider nicht echt, klingen aber schön.
Bei „Liminal“ handelt es sich um ein Konzeptalbum, das „die Kämpfe der Trauer und des Existenzialismus beleuchtet“, erklärt der Informationstext zum Album nebulös. Dieses Konzept wird von den von Jack Bolingbroke – schöner Name auch – intonierten Texten abgebildet, es existiert also wirklich. Das muss man bei vermeintlichen Konzeptalben dieser Tage ja immer dranschreiben.
Reinhören: Bandcamp.com (nur Digitales), Amazon.de (nur Digitales), TIDAL (nur Digitales).
Archive – Call to Arms & Angels
„I’m constantly falling / I constantly rise“ (Shouting Within)Ab „Controlling Crowds“ von 2009 hatte ich die Londoner Artrockgruppe Archive zwar noch im Auge gehabt, aber kaum mehr wirklich zu schätzen gewusst – spätestens der Gastrapper auf dem genannten Album hatte mir jede Lust an der zuvor für eigentlich ganz gut befundenen Band weitgehend genommen.
Nun erschien 2022 mit „Call to Arms & Angels“ ein mit über anderthalb Stunden Laufzeit (das sind ungefähr drei Schallplatten, zumindest wird das Album als Dreifach-LP verkauft) nicht unbedingt kompaktes neues Album der wohl auf die Stammbesetzung aus den beiden letzten verbliebenen Gründungsmitglieder Darius Keeler, den eine Krebserkrankung 2022 erfreulicherweise nicht dahingerafft hat, und Danny Griffiths, die allerdings diesmal satte 14 Gastmusiker um sich geschart haben, darunter auch die langjährigen Sängerinnen Holly Martin und Maria Q. Rap gibt es diesmal gar nicht zu hören, stattdessen angenehm intensive Elektronik, die den Postrock früherer Alben immer mal wieder durchscheinen lässt und in längeren Teilen wie dem fast viertelstündigen Stück „Daytime Coma“ auch den Industrial mindestens streift. während die zweite Hälfte des Achteinhalbminüters „Enemy“ EBM und Postpunk gar nicht schlecht miteinander kombiniert. Die musikalischen Wurzeln der beiden faktischen Bandleader in der Londoner Tanzclubszene sind eben nie ganz verblasst.
„Call to Arms & Angels“ wirkt wie eine Werkschau von Archive, aber das war ja „25“ (2019) schon: Bereits in den ersten sechs Stücken gibt es – außer Rap natürlich – einen Querschnitt aus all ihren bisherigen musikalischen Phasen. Dominant ist erstaunlich gitarrenfreundlicher psychedelischer Shoegaze mit einem Quäntchen Elektronik, die sich wie ein Schleier über die wenigen Popanklänge („Every Single Day“) legt. Obwohl es auf „Call to Arms & Angels“ mehrere lange Stücke gibt, kann ich musikalisch keine einzige Länge ausmachen. Sehr erfreuliches Album, sehr erfreulicher Zufallsfund. Danke, Archive. Jetzt bitte so bleiben.
Reinhören: Amazon.de (auch Vinyl, CD ebenfalls dort irgendwo), TIDAL (weder Vinyl noch CD).
Huracán – We Are Very Happy
So fröhlich wie das Titelbild dieses Albums ist auch die Musik und so ähnlich fühle ich mich, wenn ich einen schlechten Tag habe; soll heißen: Wenn Huracán so klingen, wenn sie very happy sind, möchte ich sie lieber nicht schlecht gelaunt erleben.
Huracán kommen aus Belgien, aber das macht nichts. Gesungen wird trotzdem auf Englisch. Der Bandname – so heißt auch ein Auto, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund – wurde dem Mayagott des Windes, des Sturmes und des Feuers entliehen und beschmutzt seinen Namen keineswegs, denn dargeboten wird stürmischer, feuriger Sludge Metal. Die beiden Gastsängerinnen Nele De Gussem (sonst bei Maya’s Moving Castle und Future Old People Are Wizards beschäftigt) und Evelien Weymaere (sonst anscheinend nirgends) sind erfreulich, aber die Stücke ohne ihre Beteiligung liefern trotzdem, wie es in zeitgenössischer Formulierung heißt. Zum eröffnenden Titelstück, das die Essenz des Albums (d.h. zentral ins Antlitz zimmernden Stoner, Doom und Postmetal) bereits in sich vereint, gibt es ein merkwürdiges Musikvideo. Gefällt.
„Dem Gelegenheitshörer“, schrieb jemand anderswo, könnte dieses Album „etwas sperrig erscheinen“. Nun bin ich Gelegenheitshörer des Artverwandten, denn mein Leben ist selbst mir etwas zu kurz, um mich fortwährend anbrüllen zu lassen, aber ich teile diese Auffassung nicht. Im Gegenteil: Es könnte meinetwegen gern noch länger sein. Aber so viel Musik, so wenig Zeit. Mein altes Problem.
Reinhören: Bandcamp.com (nur Stream), Amazon.de (nur Stream), TIDAL (nur Stream).
Holz – Holz
„Die Hügel schieben sich an mir vorbei / mit äußerster Geduld.“ (50 Meilen geradeaus)Ich und mein – nein, dies ist einfach nur „Holz“, nicht „Holziholz“ und schon gar nicht „Holziholziholz“, das jüngste und womöglich erste Studioalbum des Kasseler Trios gleichen Namens. Holz gab es von 2011 bis ungefähr 2016 und seit ungefähr 2021 wieder, sofern ich die Informationen im Internet korrekt zusammengekratzt habe. Die zehn Lieder sind überwiegend zwischen vier und viereinhalb Minuten lang, manchmal kürzer, nur „Garten“ hebt mit 8:32 Minuten Laufzeit den Schnitt deutlich.
Die zusätzlichen Minuten in „Garten“ werden überwiegend mit Instrumentalem gefüllt, womit wir auch schon bei der Hauptsache wären, nämlich der Musik; und die ist gut gelungen. Holz spielen energiegeladenen, dabei aber staubtrockenen Stoner Rock mit unanstrengend, aber kraftvoll vorgetragenen deutschen Texten. Irgendwo begegnete ich dem Einwand, Sänger Leonard Riegel habe eine nicht überzeugende Stimme, aber mir gefällt sie – sie hat genau das richtige Maß an Dreckigkeit, ohne dabei (ein Fehler, den sonst viele artverwandte Gruppen machen) in Metalgegrunze zu verfallen. Die Band selbst nennt ihren Stil auf Bandcamp in den tags „Stonerpunk“, passen könnte es. Saufen und Politik kommen in den Texten aber nicht vor, es ist also die jenseits von Feiern und Massenveranstaltungen bessere Art von Punk. „Holz“ macht Spaß, „Holz“ hebt die Stimmung. Ich finde diese Wirkung empfehlenswert.
Das Coverbild finde ich übrigens seltsam, aber seltsam mag ich ja.
Reinhören: Bandcamp (dort auch CD und Vinyl), Amazon.de (dort auch CD und Vinyl).
Kamala – limbo666
Kamala, dieses Wort habe ich in einem Wiki namens „Yogawiki“ gefunden, ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet Lotosblüte. Überhaupt nicht indisch ist allerdings eine der mindestens zwei Musikgruppen gleichen Namens, von denen nämlich eine wiederum in Leipzig ansässig zu sein behauptet und auf ihrem jüngsten Album „limbo666“ erfreulicherweise trotzdem auf Englisch und nicht auf Sächsisch singt. Die Texte sind diesseitsbezogen und recht unmeditativ (der Titel „Freudian Autocorrect“ verrät es schon beim Drüberlesen). Alles Übrige würde mir auch missfallen.
Dass bereits das Titelstück („Limbo“, allerdings kommt „666“ im Text vor), das das Album anführt, nach etwas mehr als viereinhalb Minuten langweilig ausgeblendet wird, schmälert meine Freude ein wenig, aber grundsätzlich ist das hier zu Hörende nicht zu verachten: Ich höre recht geradlinigen, solide und mit coolem Gesang dargebotenen und nur selten („Freudian Autocorrect“ – zum Zeitpunkt der Niederschrift mein Favorit auf diesem Album) ins Harte gedrehten, manchmal („Narcissus“) hingegen balladesken Psychedelic Rock ohne Ecken und Kanten und ohne allzu abgedrehte Experimente. Ohne einen einzigen Ausfall. Wie unaufregend. Wie schön. Kann man mal machen.
Reinhören: Bandcamp.com (dort auch CD und Vinyl), Amazon.de (dort auch CD), TIDAL (dort weder CD noch Vinyl).
Mal sehen, was 2023 auf uns zukommt. Die ersten Alben hab‘ ich schon.
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