Lange nichts mehr über Musik geschrieben.
Im Internet begegnete mir der Hinweis, dass Faust – eine von mir hochgeschätzte deutsche „Krautrock“-Band, die es vorübergehend zweimal gab, jedoch scheint Hans Joachim Irmler seine Aktivitäten unter diesem Namen mittlerweile eingestellt zu haben – kurz nach dem Jahresbeginn ein neues Album namens „Daumenbruch“ – derzeit nur auf Bandcamp – rausgebracht haben. Das ist durchaus bemerkenswert, denn das letzte Studioalbum „fresh air“ (hier rezensiert) ist auch schon wieder fünf Jahre alt.
Noch bemerkenswerter ist, dass Jean-Hervé Péron – neben Werner „Zappi“ Diermaier einer der beiden letzten in der Band verbliebenen Gründer von Faust und auf fast allen ihrer Alben zu hören – auf „Daumenbruch“ nicht mitspielt, stattdessen ist mit Gunther Wüsthoff, der hier die Spieluhr (Spieluhr!) bedient, ein anderer Mitgründer zurück, der Faust nach den Aufnahmen zu „Faust IV“ 1973 verlassen hatte. Zu den weiteren Mitspielern zählen Jochen Arbeit und N. U. Unruh (Einstürzende Neubauten), Uwe Bastiansen (stadtfisch), Elke Drapatz (monobeat original), Dirk Dresselhaus (Schneider TM) und Sonja Kosche, letztendlich sind Faust somit für jedenfalls dieses Album zu einer Art supergroup geworden. Folgerichtig heißen Faust auf „Daumenbruch“ nicht Faust, sondern faust.
Nach dem Röntgenbild einer Faust auf dem Debütalbum (1971) und dem Röntgenbild einer geöffneten Hand auf Hans Joachim Irmlers letztem „Faust“-Album „Faust is Last“ (2010) ziert das Album „Daumenbruch“ das Röntgenbild einer Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger. Humor ham’se ja.
Zur Musik: Mit meinem derzeitigen Lieblingsalbum von Faust, „Ravvivando“, hat „Daumenbruch“ wenig gemein. Mich freut die Struktur des Albums (es enthält drei Stücke zwischen 14:55 und 22:54 Minuten Laufzeit) aus musiktheoretischen Gründen. Sie hält Radiomacher fern. Den bandtypischen Krach hingegen gibt es auf „Daumenbruch“ nur wenig zu hören, stattdessen dominieren die Perkussion und „Zappis“ unverkennbares Schlagzeugspiel. Gesang gibt es nicht. Das ist in Ordnung, den Gesang hielt ich immer für das schwächste Glied (hihi: Glied) in der Kette Faust. Das Album sei quasi improvisiert entstanden, indem „Zappi“, Elke Drapatz und Dirk Dresselhaus die jeweilige Grundlage aufgenommen und alle übrigen Beteiligten dann unabhängig voneinander ihren Teil eingespielt haben, heißt es im Internet. Gefällt mir.
Das Stück „Border River (Full Version)“ suggeriert die Existenz einer anderen Version, aber die kenne ich nicht. Gibt es die überhaupt? „Default Mood“, die übliche Stimmung, indes plätschert im Mittelteil ein wenig lustlos aus dem Kopfhörer. Ist lustloses Plätschern jetzt der default bei Faust faust, als wär’s Pink Floyd? Schade wär’s. Dem gegenüber stehen im selben Stück schneidende Gitarren und fordernder Industrial. Gestern Nacht hörte ich nach langer Zeit wieder etwas von CoiL und Throbbing Gristle. In deren Tradition möchte ich „Daumenbruch“ zumindest teilweise verorten.
„Daumenbruch“ ist in der ohnehin schon heterogenen Faust-Diskografie ein Kuriosum; meditativen Industrial hatten sie bisher nicht regulär im Programm. Schön, dass es sie noch gibt. Schön, dass sie sich darin treu bleiben, sich nicht treu zu bleiben.
Mal gucken, was noch kommt.
Senfecke:
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