MusikkritikKaufbefehle
Musik 12/2019 – Favo­ri­ten und Analyse

Die­ser Arti­kel ist Teil 23 von 26 der Serie Jah­res­rück­blick

Kuckuck, näch­stes hal­bes Jahr! Schüss, letz­tes hal­bes Jahr! Und damit auch: Will­kom­men zum zwei­ten Teil der Liste der fein­sten Musikal­ben 2019, so weit sie mein Geschmack eben her­gab. Teil 1 wur­de im Juli hier und anders­wo publi­ziert, seit­dem war ich mal wie­der unge­dul­dig und gab den neu­en Stu­dio­al­ben von Cra­ni­al, bensn­b­ur­ner und You Gui­tar­pray­er Gele­gen­heit zur Entfaltung.

Ehren­hal­ber erwähnt sei das sehr hörens­wer­te, aber kei­nes­falls durch­weg neue und dar­um dis­qua­li­fi­zier­te Gemein­schafts­al­bum von Mike Pat­ton und Jean-Clau­de Van­nier. Was die son­sti­gen Regeln angeht: Beim Ver­fas­sen die­ser Zei­le wur­de ich gefragt, war­um ich nicht ein ein­zi­ges Album zum Sie­ger küre. Die Erklä­rung ist ein­fach: Was mir heu­te gefällt, kann mor­gen schon stö­ren – und anders­her­um. Es gibt (abge­se­hen von Phil Coll­ins) nicht die fal­sche Musik. Es gibt nur die fal­sche Stimmung.

Ich hof­fe, ich bil­de auch dies­mal wie­der ein brei­tes Spek­trum der­sel­ben ab.

1. Die Liste

  1. Злурад – Во благо злу

    Um mei­nem sorg­sam gepfleg­ten Ruf als Putin­ver­ste­her gebüh­rend Respekt zu zol­len, begin­ne ich die­se Liste mit „Во благо злу“ von Злурад, was Rus­sisch ist und „Zlu­rad“ heißt, wobei es sich ver­mut­lich um einen Eigen­na­men han­delt, den zu über­set­zen wenig Sinn ergä­be. Kor­rek­ter­wei­se han­delt es sich bei der Band um eine russische.

    Der Mit­glie­der hat sie fünf, wovon vier auch mal sin­gen, wovon eines, Vio­let­ta Post­no­va, über­haupt kei­ne ande­re Auf­ga­be hat. Wor­um es in den Tex­ten geht, weiß ich nicht, denn sie wer­den nicht nur sehr unsanft vor­ge­tra­gen, son­dern ich ver­ste­he auch die Spra­che nicht. Musi­ka­lisch ist das Album völ­lig irre. Der Rekla­me­text zum Album (von mir über­setzt) fasst es so zusammen:

    Alle wil­den Tie­re in einem Mosh­pit – man kann Schreie und Flü­stern hören, Stim­men von Mann und Frau, pun­ki­ge Melo­dien und Explo­sio­nen. Hals­bre­che­ri­scher Fast­co­re trifft auf Sludge, ritu­el­le Per­kus­si­on und Mantragesänge.

    Ich höre Bra­chi­al­punk­rock mit Horn und Trom­pe­te. Hui!

    Rein­hö­ren: Amazon.de, Band­camp, TIDAL.

  2. Ston­e­field – BENT

    Da bereits jetzt die weni­ger Hart­ge­sot­te­nen unter mei­nen Lesern die Flucht ergrif­fen haben dürf­ten, kön­nen wir weni­gen Ver­blie­be­nen das, was noch vor uns liegt, wenig­stens unter uns genie­ßen. Dafür grei­fen wir umge­hend in eine ganz ande­re Schub­la­de. Kon­stant bleibt aller­dings, wel­chem Geschlecht der Gesang zufällt: Alle Mit­glie­der von Ston­e­field sind Frauen.

    Um noch etwas prä­zi­ser zu wer­den und weil’s das Inter­net bewegt: Es han­delt sich um vier Schwe­stern aus Austra­li­en. Dem Ver­neh­men nach ist das Band zwi­schen Schwe­stern ein Leben lang gefe­stigt, was die Aus­dau­er erklärt. „BENT“ ist immer­hin bereits ihr vier­tes Album. Auf­ge­wach­sen sei­en die vier Musi­ke­rin­nen mit Led Zep­pe­lin, deren Stück „Who­le Lot­ta Love“ ihnen, Ston­e­field, in einer Neu­auf­nah­me, glaubt man dem Hören­sa­gen, erste grö­ße­re Bekannt­schaft ein­ge­bracht habe, und ver­gleich­ba­ren Künst­lern. Es ist daher kaum erstaun­lich, dass auch auf „BENT“ vor allem der Musik aus älte­rer Zeit gehul­digt wird.

    „Wie eine Mischung aus 80er-Pop und okkul­tem Doom“ lau­te­te eine Beschrei­bung eines Rezen­sen­ten im Inter­net. Ich habe kei­ne Ahnung, was okkul­ter Doom ist, aber 80er-Pop klingt hier zum Glück nur in Erin­ne­run­gen durch. Ston­e­field, sich selbst unter ande­rem mit „Hea­vy Metal“ eti­ket­tie­rend, spie­len in mei­nen Ohren, die selbst­re­dend die ein­zig maß­geb­li­chen sind, vor allem Stoner Rock, aller­dings in der melo­diö­sen Retrorock‑, nicht in der Bret­ter­spiel­art. Nicht, dass sie das nicht könn­ten, wie schon die Erup­ti­on in „Dead Ali­ve“ deut­lich belegt; aber sie müs­sen nicht. Sel­ten war heu­ri­ger 70er-Orgel­rock bes­ser ein­ge­bun­den, sel­ten emp­fahl ich ein Album die­ser Kate­go­rie lieber.

    Rein­hö­ren: Erneut gibt es einen Kom­plett­stream auf Amazon.de, Band­camp und TIDAL.

  3. black midi – Schlagenheim
    „They find dif­fe­rent ways to suck them­sel­ves off.“ (bmbmbm)

    Darf man Din­ge gut fin­den, die die mei­sten ande­ren Hörer auch gut fin­den? Ich fin­de: In die­sem Fall soll­te man das sogar, denn es ärgert die Rich­ti­gen. Ich mag es, wenn die Rich­ti­gen geär­gert werden.

    black midi, eine Grup­pe von vier Lon­do­nern, die jeweils unge­fähr 19 Jah­re alt sind, haben mit „Schla­gen­heim“ „im Jahr 2019 nach Chri­stus“ („ZEIT ONLINE“) ein Album ver­öf­fent­licht, das auch lang­wei­li­gen Kri­ti­kern („ZEIT ONLINE“) gefällt. Der ein­zi­ge Ver­riss, den ich wäh­rend mei­ner (wenn auch: kur­zen) Pres­se­schau fin­den konn­te, wur­de von Danie­la Wein­mann, Lied­au­to­rin der mir unbe­kann­ten Grup­pe Odd Behol­der, in die Schwei­zer „WOZ“ rein­ge­schrie­ben:

    So wie Ramm­stein kei­ne Nazis sein mögen, sind Black Midi wahr­schein­lich kei­ne Incels, also kei­ne miso­gy­nen Nerds, die sich das Patri­ar­chat zurück­wün­schen. Den­noch könn­ten sie von den pro­ble­ma­ti­schen Frau­en­bil­dern in ihren Lyrics finan­zi­ell profitieren.

    Ich für mei­nen Teil pro­fi­tie­re von pro­ble­ma­ti­schen Rezen­sio­nen, denn sie legen mir mit­un­ter gute Musik nahe. „Schla­gen­heim“ ist ein gutes Bei­spiel dafür.

    Das auf­fal­lend­ste Ele­ment der Musik von black midi schei­nen Stim­me und Akzent des Sän­gers Geor­die Greep zu sein. Musi­ka­lisch ist die Band­brei­te eine ver­gleichs­wei­se gro­ße: so ist etwa „953“ ein Stück aus explo­si­vem Noi­se­r­ock, durch­sät von klang­li­chem Wider­ha­ken; das fun­kig-ruhi­ge „Speed­way“ folgt einem crims­o­nes­quen Gitar­ren­grund­mu­ster (man zie­he sich zum Ver­gleich etwa letzt­ge­nann­ter Grup­pe 80er-Werk rein); das Titel­stück „Of Schla­gen­heim“ wie­der­um lässt den Indu­stri­al wie­der auf­le­ben. Selbst „bmbmbm“, das um Audio­auf­nah­men der hyste­ri­schen Nik­ki Gra­ha­me („Big Brot­her“) her­um gespon­nen wur­de, ist mit dem expres­si­ven, sich ins eben­so Irre stei­gern­den Gesang und den gut abge­stimm­ten Instru­men­tal­aus­brü­chen mehr als eine blo­ße Provokation.

    Mit „Duc­ter“ endet „Schla­gen­heim“ mit ner­vö­ser 80er-Elek­tro­nik und damit genau so, wie man es nicht erwar­tet hät­te. Grandios!

    Rein­hö­ren: Bandcamp.com hier, TIDAL dort.

  4. MindSpeak – Eclip­se Chaser

    Erneut wech­seln wir Land und Stil.

    MindSpeak haben eine blö­de Bin­nen­ma­jus­kel, kom­men aus Wien und ihr aktu­el­les Album „Eclip­se Cha­ser“ lügt mich an. Die drei Stücke hei­ßen „When Giants Cry“, „Tetrach­ro­me“ und „The Human Ele­ment“ (wobei letz­te­res Stück sechs Tei­le zu haben vor­gibt) und auch das Album hat einen eher astro­no­mi­schen Titel, aber es ist gar kein Spa­ce­rock. Tz, Österreicher!

    Statt­des­sen höre ich Stoner Rock und Retro­prog, zum Teil sogar gleich­zei­tig, wobei von zwei­te­rem Stil ins­be­son­de­re der prä­gen­de Bass adap­tiert wur­de. Moment: Drei Stücke? Ja, und lang sind sie auch noch! Wie­der so ein Album also, das eher nicht im Radio gespielt wer­den wird. Wor­an man das erken­ne, wur­de ich gefragt – und die Län­ge mag ein Argu­ment sein. Da passt ja gar kei­ne Wer­bung rein. Fast zwan­zig Minu­ten lang pas­siert aller­dings auf „Eclip­se Cha­ser“ nicht viel, in der zwei­ten Hälf­te des zwei­ten Stücks „Tetrach­ro­me“ geht es erst­mals, jeden­falls instru­men­tal, zur Sache.

    Sän­ge­rin Vik­to­ria Simon-Lukic – wie man in Wien halt so heißt – macht ihre Sache ins­ge­samt gut; sie ist mit per­sön­lich stel­len­wei­se etwas zu glatt und wenig kraft­voll, über­zeugt aber auch mal mit über­ra­schen­den Melo­dien, was sich also ins­ge­samt die Waa­ge hält.

    Man merkt: Ich bin nicht über­mä­ßig begei­stert – aber ich hal­te „Eclip­se Cha­ser“ noch immer für eines der hörens­wer­te­ren Alben des zwei­ten Halb­jahrs. (Es erschien bereits im Juni, aber wir wol­len ja nicht immer nur klein­lich sein.) Es möge auch unter mei­nen Lesern Men­schen errei­chen, die es nicht für weg­wer­fens­wert halten.

    Rein­hö­ren: Amazon.de (Schnip­sel), Band­camp (Kom­plett­stream), TIDAL (auch).

  5. Brigh­teye Bri­son – V

    Schon wie­der so ein For­mat! Das Wich­tig­ste zuerst: Auf „V“ von Brigh­teye Bri­son aus Stock­holm, was man auch hört, sind schon wie­der nur drei Stücke drauf, deren Län­ge jeweils zwi­schen zwölf­ein­halb und fast 37 (sie­ben­und­drei­ßig!) Minu­ten liegt. So muss das sein!

    Die ersten zwei­ein­halb Minu­ten des Albums wei­sen wabern­de Elek­tro­nik auf, wie sie spä­ter an ande­ren Stel­len, etwa in der Mit­te des Titel­stücks „V“, immer mal wie­der zu hören sein wird. Der Teil danach aber hat es in sich: Zunächst zurück­hal­tend, dann druck­vol­ler ertönt eine deut­li­che Erin­ne­rung an Star­cast­le (bezie­hungs­wei­se, weil die­se selbst eine Art US-ame­ri­ka­ni­sche Yes waren, Yes). Die bes­se­ren Sieb­zi­ger sind bei Brigh­teye Bri­son stän­dig zugegen.

    Dar­um wird ab dem zwei­ten Stück „V“ per aku­sti­scher Sänf­te auch ein Mello­tron in die mello­tron­ent­wöhn­ten Ohren getra­gen. Mehr noch: Das­sel­be Stück lässt bei anstei­gen­der Abspiel­dau­er auch den Gesang, par­al­lel lau­fend, mehr­stim­mig erklin­gen, was neben­bei Gent­le Giant anklin­gen lässt, weil wir Men­schen ein­fach gestrick­te Wesen sind und mit nicht chor­ar­ti­ger Mehr­stim­mig­keit immer Gent­le Giant ver­bin­den. Es passt eben auch ganz gut ins bis dahin Gehörte.

    Das abschlie­ßen­de Stück, „The Magi­ci­an Chro­nic­les – Part II“, scheint schon auf­grund sei­ner Län­ge ein struk­tu­rell wich­ti­ges zu sein, zumal es der Unter­ti­tel des Albums ist. Lei­der ken­ne ich Teil 1 von 2011, das wohl ein gan­zes Album war, bis­her nicht, es soll aber ganz gut gewe­sen sein. Es befin­det sich man­cher AOR in ihm, aller­dings wenig­stens der bes­se­re AOR (ich den­ke an Cir­ca:), auch scheint hier und da der Can­ter­bu­ry Sound durch.

    Im Inter­net wird dem Album eine eher durch­schnitt­li­che Bewer­tung zuteil: Es sei „mit­un­ter zu aus­tausch­bar und belie­big“, was sicher­lich auch dar­an liegt, dass man in der gege­be­nen Stil­rich­tung nur bedingt neue Wege beschrei­ten kann, ohne am Ende am völ­lig fal­schen Ort zu lan­den. Zum Glück bin ich nicht das Inter­net und ver­ge­be auch kei­ne Punk­te. Mir gefällt’s. So.

    Rein­hö­ren: Stream und Kauf (lei­der nur als Down­load und/oder CD) gibt es per Band­camp und Amazon.de, das übli­che Nur-Strea­ming-Gedöns natür­lich wie üblich auch auf TIDAL.

  6. Oise­aux-Tempête – From Some­whe­re Invisible

    Auf­merk­sa­me wie­der­keh­ren­de Leser ver­mis­sen an die­ser Stel­le womög­lich bereits eine die­ser skur­ri­len fran­zö­si­schen Musik­grup­pen, die ich sonst rela­tiv wort­ge­wal­tig wür­di­ge. Haben sie etwa seit der letz­ten Rück­schau kaum etwas ver­öf­fent­licht, was der Rede wert wäre? Doch, natür­lich haben sie das – und hier kommt auch schon eine solche!

    Oise­aux-Tempête näm­lich, man kann es am Namen erken­nen, ist ein Quin­tett (das nicht) aus Frank­reich (das schon). Das näch­ste Album ist bereits ange­kün­digt wor­den, es soll im Febru­ar 2020 erschei­nen. Heu­te ist aber erst mal „From Some­whe­re Invi­si­ble“ von Okto­ber 2019 dran. Einer der bei­den Gitar­ri­sten von Oise­aux-Tempête nennt sich Mond­kopf. Ich mag das.

    Zu den fünf Mit­glie­dern gesel­len sich eine Vio­li­ni­stin und ein Bedie­ner von Syn­the­si­zer sowie elek­tro­ni­schem Buzuk als Gäste. Da ich kei­ne Ahnung habe, wie ein elek­tro­ni­scher Buzuk zu klin­gen hat, fin­de ich das Album bereits beim Lesen der Beset­zungs­li­ste inter­es­sant. Und höre da: Ich ward nicht ent­täuscht. Ich höre irgend­was zwi­schen Kam­mer­mu­sik und Post­rock. Nick Cave trifft broken.heart.collector trifft die wil­den Gitar­ren­aus­brü­che der neue­ren King Crims­on. „The Naming of a Crow“ ist gespro­che­ner Text zu Streich­mu­sik, ab etwa sie­ben Minu­ten kommt ein ori­en­ta­li­sches flair hinzu.

    Für Freun­de des Wider­klangs ist „From Some­whe­re Invi­si­ble“ eines der besten Alben des Jah­res – und für die­je­ni­gen, die mei­nen Geschmack tei­len, sowieso.

    Rein­hö­ren und/oder kau­fen: Natür­lich geht das auf Band­camp, aber auch auf Amazon.de und TIDAL.

  7. Glut­ton – Eating Music
    „So I watch you from afar, but I don’t mind a second time.“ (Pin­ho­le)

    „Eating Music“ ist ein hek­ti­sches Album und das fin­de ich gut. Sei­ne Inter­pre­ten von Glut­ton nebst sie­ben bis acht Gast­mu­si­kern (je nach­dem, ob man den abge­tre­te­nen Key­boar­der Åsmund R. Sæbøe nun noch als Mit­glied zählt oder nicht), von denen wenig­stens einer, der Strei­cher Kari Røn­ne­kleiv, als Orche­ster­mu­si­ker auch bereits mit Sunn O))), Ulver und Motor­psy­cho gemein­sam musi­ziert hat, sind in Nor­we­gen hei­misch, wo man sich erfah­rungs­ge­mäß aus­kennt mit der Kunst, Gutes hervorzubringen.

    „Eating Music“, „eine kla­re Emp­feh­lung für Lieb­ha­ber eines Alter­na­ti­ve-ori­en­tier­ten Prog mit Ecken und Kan­ten“ (Jochen Rind­frey), sor­tie­re ich musi­ka­lisch zwi­schen Umphrey’s McGee, Ulver und (schon wie­der) King Crims­on ein, aber ich habe auch weder Geschmack noch Ahnung, wie mir gele­gent­lich mit­ge­teilt wird, wes­halb das erst mal als Richt­schnur untaug­lich ist. Man erlau­be mir zwei der neun Stücke bei­spiel­haft herauszugreifen:

    „The Tomb of the Unknown Ontonaut“ ist eines der drei Stücke, in denen die vier Gast­blä­ser an Wald­horn, Posau­ne, Eupho­ni­um und Trom­pe­te eben­so auf­tre­ten wie Trond Gjel­lum an Per­kus­si­on und Syn­the­si­zer. Die­se für Rock­mu­sik eher unge­wöhn­li­che Beset­zung sorgt nicht nur für schö­ne Melo­dien, son­dern auch dafür, dass man noch genau­er hin­hört als ohne­hin schon. So kann man das pri­ma Zusam­men­spiel von mehr­stim­mi­gem Gesang, Pro­gres­si­ve Rock und Blä­sern noch auf­merk­sa­mer genie­ßen. Dem ent­ge­gen steht das abschlie­ßen­de „Space & Our Hearts“: Zum wie­der­hol­ten, aber letz­ten Mal wird die musi­ka­li­sche Atmo­sphä­re mit immer mehr Schich­ten ver­dich­tet, frei­for­ma­tig wuseln aller­lei Instru­men­te, wohl über­wie­gend aus Syn­the­si­zern und/oder Key­boards gewon­nen, unter einer Rock­kli­max. Das Album klingt sanft aus wie eine Wel­le bei Ebbe und man wür­de es gern sofort noch mal hören, aber es gibt noch so vie­le ande­re Alben. Mache ich also später.

    So lan­ge könnt ihr das ja für mich übernehmen.

    Rein­hö­ren: Ich hät­te Amazon.de, Band­camp und TIDAL im Ange­bot. Greift zu!

  8. Slea­ter-Kin­ney – The Cen­ter Won’t Hold

    Bei Slea­ter-Kin­ney han­delt es sich um eine die­ser Grup­pen, die mir zum ersten Mal medi­al auf­ge­fal­len sind, als die Schlag­zeu­ge­rin ihren Aus­stieg bekannt­gab, was von einem hier nicht wei­ter erwäh­nens­wer­ten Musik­ma­ga­zin unnö­tig umständ­lich wei­ter­ge­tra­gen wur­de. Auf „The Cen­ter Won’t Hold“ ist sie aber noch dabei, so dass es sich hier um ein Damen­trio mit zwei Gitar­ren und einem Schlag­zeug handelt.

    Das hier Gehör­te klingt bri­tisch, kommt aber zusam­men mit der Band aus Olym­pia, Washing­ton. Man kennt ja die­se Musik, bei der man zunächst denkt: Ah, bri­ti­scher Punk! Ist das hier aber nicht. Wobei: Eigent­lich ist es nicht mal wirk­lich Punk, son­dern nur etwas ähn­li­ches. Etwas bes­se­res, wie ich meine.

    Es dau­ert etwas über zwei Minu­ten, bevor Slea­ter-Kin­ney im eröff­nen­den Titel­stück die inter­es­sant schlep­pen­de Elek­tro­nik, mit der sie das Album ein­lei­ten, durch kra­chen­den, elek­tro­nisch ver­zier­ten Indie­rock mit deut­li­cher Punk­schlag­sei­te erset­zen, den sie erfreu­lich kon­se­quent durch­hal­ten, was nicht mal das bal­la­des­que „Rest­less“ zunich­te machen kann. Dass das stil­be­dingt einen etwas ein­falls­lo­sen Schlag­zeug­rhyth­mus mit sich bringt, fällt nur auf, wenn man dar­auf ach­tet, und selbst dann nur in weni­gen Momen­ten. Über­wie­gend ist aber nichts zu hören außer nach vorn pre­schen­der Spaß machen­der Musik von über­zeugt Spiel­freu­de ver­mit­teln­den Musi­ke­rin­nen. Ich hei­ße das gut.

    Mit dem ruhi­gen Kla­vier­stück „Bro­ken“, des­sen zer­brech­li­cher Gesang selbst einem abge­här­te­ten alten Sack wie mir eine ange­neh­me Gän­se­haut ver­passt, klingt „The Cen­ter Won’t Hold“ schließ­lich aus. Ein Narr, wen das kalt lässt.

    Rein­hö­ren: TIDAL, (zur­zeit aus­zugs­wei­se, Stand: 29. Dezem­ber 2019) Band­camp, häpp­chen­haft auch Amazon.de.

  9. Yel­low Eyes – Rare Field Ceiling

    Noch mehr auf die Pau­ke hau­en Yel­low Eyes aus New York, deren fünf­tes Album „Rare Field Cei­ling“, erschie­nen im Juni 2019, gemäß dem Pres­se­text ihr bis­lang käl­te­stes sei. Ich hat­te Black Metal bis­her nicht mit emo­tio­na­ler Hit­ze in Ver­bin­dung gebracht, inso­fern kann das durch­aus sein.

    Das Album klingt nun auch genau so, wie wir Banau­sen uns Black Metal eben so vor­stel­len: Rohe Her­ren wir­beln, klop­pen und schep­pern sich durch die Musik, dazu brüllt jemand hei­ser eigent­lich völ­lig beklopp­te, aber kaum ver­ständ­li­che und dar­um nicht so schlim­me Tex­te; „The glint abo­ve the swol­len tree / The shrimp insi­de the pil­low­ca­se“ („No Dust“) – na dann!

    Und das Ärger­lich­ste an die­sem Album: Es gefällt mir. Es tut genau das, was die­se Musik­rich­tung tun soll: Es geht gut ab. Dass das Inter­net behaup­tet, Yel­low Eyes sei­en auch hand­werk­lich über­durch­schnitt­lich gut, sei dem Inter­net ver­gönnt. Sicher: Ein paar Fines­sen neh­me ich in der Klang­wucht selbst wahr, etwa den durch­aus gelun­ge­nen Über­gang zwi­schen „Warmth Trance Rever­sal“ und „No Dust“ und den Span­nungs­auf­bau in den Momen­ten, in denen man die gar nicht immer belang­lo­sen Gitar­ren­me­lo­dien selbst wahr­neh­men darf. Fünf der sechs Stücke, das den Stil bre­chen­de, weil zäh dahin­flie­ßen­de out­ro „Mari­ti­me Fla­re“ aus­ge­nom­men, sind über sie­ben Minu­ten lang, es bleibt somit hin­rei­chend viel Zeit zum Genuss.

    Aber muss man Musik denn immer mit einem Mon­okel im Gesicht und einem Cognac im Glas genie­ßen? „Rare Field Cei­ling“ schreit nach Sitz­tanz mit Dosen­bier. Mal sehen, was sich machen lässt.

    Rein­hö­ren: Band­camp, TIDAL, Amazon.de.

  10. We Lost The Sea – Tri­umph & Disaster

    Was die­ser Liste noch drin­gend fehlt, ist eine ordent­li­che Dosis instru­men­ta­len Post­rocks. Da kom­men We Lost The Sea gera­de recht, die in mei­nen Aus­füh­run­gen bis­her, sofern ich das rich­tig archi­viert habe, nur als Mon­tags­mu­sik eine auf­fal­len­de Rol­le spielten.

    Es han­delt sich um ein austra­li­sches Sex­tett mit drei Gitar­ren, das ich 2017 auch schon mal – damals gemein­sam mit sei­nen Lands­leu­ten von Dumb­saint und Menis­cus – live gese­hen habe, das aber von der bra­chia­len Wucht letz­te­rer Grup­pe schlicht weg­ge­bla­sen wur­de. Da ich Menis­cus aber mal wie­der aus den Augen ver­lo­ren habe, kom­men We Lost The Sea mir die­ses Jahr durch­aus gelegen.

    Prä­sen­tiert wer­den weit­ge­hend kan­ten­ar­me Gitar­ren­land­schaf­ten, wobei die auf­ge­türm­ten walls of sound im stil­üb­li­chen Spiel von Laut und Lei­se hier kaum eine Rol­le spie­len. We Lost The Sea ver­su­chen es statt­des­sen mit aus­ge­dehn­ten Melo­die­ver­schran­kun­gen – das läng­ste Stück „Towers“ ist eine Vier­tel­stun­de lang – und nur sel­ten („Dust“) elek­tro­ni­scher Effekt­wür­ze. Etwas aus dem Rah­men fällt das abschlie­ßen­de „Mother’s Hymn“, getex­tet und gesun­gen von Loui­se Nut­ting (War­ti­me Sweethe­arts), des­sen Emo­tio­na­li­tät mit der dich­ten Instru­men­tie­rung, Trom­pe­te ein­ge­schlos­sen, vor­züg­lich har­mo­niert. „Are we real­ly too late?“ Nein, seid ihr nicht – ihr seid im per­fek­ten Moment genau am rich­ti­gen Ort.

    Dan­ke dafür.

    Rein­hö­ren: Noch mal Band­camp, noch mal TIDAL, noch mal Amazon.de.

  11. koko­mo – Totem Youth

    Ich wei­ge­re mich, die­ser Art von Musik ein schlich­tes Eti­kett zu ver­pas­sen. Am Ende käme da wie­der nur so ein lang­wei­li­ges Wort wie „Post­rock“ her­aus und das hat­ten wir ja gera­de erst.

    Nein, dem Duis­bur­ger Quin­tett koko­mo – auf gar kei­nen Fall zu ver­wech­seln mit der bri­ti­schen Soul­grup­pe glei­chen Namens – wohnt eine Ener­gie inne, die zu beschrei­ben mir schwer fällt. Im Schat­ten gigan­ti­scher Gitar­ren­wän­de bau­en sie bereits im eröff­nen­den „Ster­ben am Fluss“ ein pol­tern­des Bela­ge­rungs­in­stru­men­ta­ri­um auf, das jedes Bau­werk mit Wän­den belie­bi­ger Dicke erschau­ern lie­ße, wenn Bau­wer­ke erschau­ern könn­ten. Tex­te gibt es abseits von „Melo­dic Rock Night“ nicht, aber Tex­te schrei­be ich selbst schon genug. Obwohl: Sind das Schreie, die in „Nar­co­sis“ in der Fer­ne zu hören sind, oder haben sie einen Text? Ich weiß es nicht und es küm­mert mich auch nicht. Scha­de, dass aus­ge­rech­net das Stück „Der Vogel­mann“ auch kei­nen Text hat. Wie auch immer: Ich las­se mich vom Gitar­renar­peg­gio tra­gen und weiß noch nicht, wo ich lan­den wer­de. Gän­se­haut bis nach Paris. Soll schön sein dort.

    Dass die fünf Her­ren es trotz man­cher Erfah­rung mit Ver­gleich­ba­rem immer wie­der schaf­fen, dem Rezen­sen­ten eine kur­ze Ent­span­nung zu gön­nen, indem sie sich an sanf­ten Melo­dien ver­su­chen, bevor die per­fek­te Wel­le kra­chend die noch jun­ge Land­schaft unter sich begräbt, über­rascht posi­tiv. „Totem Youth“ ist bereits das fünf­te eige­ne Stu­dio­al­bum der Grup­pe und es hat trotz­dem immer noch Feu­er. Ein Jam­mer, so spät erst auf sie auf­merk­sam gewor­den zu sein!

    Ein Auge bleibt dar­um auf sie gewor­fen. Bis dahin sind sie auch hier etwas fürs Ohr.

    Rein­hö­ren: Na? Rich­tig: Band­camp, TIDAL, Amazon.de!

  12. NAP – Ausgeklingt
    „Was kommt nun?“ (Aus­ge­klingt)

    Machen wir noch was lusti­ges, hören wir Musik aus Oldenburg!

    Dort haust das Trio NAP, des­sen zwei­tes Album „Aus­ge­klingt“ ein Wort­spiel im Namen trägt und mir schon dar­um gefällt. Es klingt aber nicht aus, son­dern an, und zwar stil­voll. Das eröff­nen­de „Astro­jel­ly“ etwa, mit nicht mal vier Minu­ten Län­ge nach mei­nem Dafür­hal­ten etwas zu kurz gera­ten, ist ein schö­nes Stück Welt­raum­psy­che­de­lic (instru­men­tal). Wer den Feh­ler macht, das für den vor­herr­schen­den Stil auf die­sem Album zu hal­ten, der ist selbst schuld.

    Das fol­gen­de „Voi­go“ ent­hält lan­des­üb­lich belang­los vor­ge­tra­ge­nen Gesang, dazu ertönt ein immer noch recht psy­che­de­lisch dar­ge­bo­te­ner Hard­rock der alten Schu­le, bret­tern­de Riffs inklu­si­ve. Bei die­sem Stil wie­der­um bleibt die Band mal mit, mal ohne Gesang noch für eini­ge Stücke. Beim Sit­zen wird unter­des­sen eines der bei­den Tanz­bei­ne geschwun­gen, so ver­langt es der Rhythmus.

    „Amyg­da­la“, das vor­letz­te Stück, bringt etwas Blues­rock (der mich, zuge­ge­ben, gegen Ende an die Titel­mu­sik von „ALF“ erin­nert) in das inzwi­schen deut­lich stonern­de Album, bevor die­ses mit „Treib­sand“ ange­mes­sen riff­end, nun ja, aus­klingt. Inter­es­san­te Schei­be also.

    Rein­hö­ren: War­um nicht mal Band­camp, TIDAL oder Amazon.de?

  13. 65daysofstatic – replicr, 2019

    Es gab zuvor kein Album namens „replicr“ von 65daysofstatic und viel­leicht wird es auch spä­ter kein Album namens „replicr“ von 65daysofstatic geben. Tat­säch­lich heißt die­ses Album – ihr sieb­tes Stu­dio­al­bum – von 65daysofstatic trotz­dem „replicr, 2019“. Viel­leicht beschreibt das das eng­li­sche Quar­tett bereits ganz gut.

    Für den Rest mei­ner Leser ver­lie­re ich noch ein paar wei­te­re Wor­te: „replicr, 2019“ ent­hält Stücke namens „still­stel­lung“, „interference_1“, aber auch „[]lid“ und „gr[]v‑_s“. Wer jetzt auf­grund der merk­wür­di­gen Titel­schrei­bung an die neu­lich vor­über­ge­gan­ge­ne, aber mei­ner Mei­nung nach auch künf­tig schwer zu über­tref­fen­de Serie „Mr. Robot“ denkt, irrt, denn das ist Zufall.

    Ein wenig Inter­es­se an Elek­tro­nik set­zen 65daysofstatic bei ihren Hörern aber trotz­dem vor­aus, denn auf „replicr, 2019“ ser­vie­ren sie fast eine Drei­vier­tel­stun­de lang mal stamp­fen­des („Bad Age“), mal sanft malen­des („sister“), mal den Klän­gen einer Fabrik hul­di­gen­des („gr[]v‑_s“), aber immer die Gren­ze zum Post­rock berüh­ren­des oder auch über­schrei­ten­des Instru­men­tal­spiel, womit sie sich seit 2009 genau rich­tig geän­dert haben, näm­lich: kaum. Post­rock ist immer auch ein Spiel des­sen, was bleibt. 65daysofstatic blei­ben, ihr Stil bleibt, dar­um blei­be auch ich.

    Man beglei­te mich.

    Rein­hö­ren: Kein Band­camp, dafür TIDAL und Amazon.de.

    Huch, so spät schon? Jetzt aber schnell!

  14. Rus­si­an Cir­cles – Blood Year

    Wie immer brin­gen Rus­si­an Cir­cles ihre ganz eige­ne Melan­ge aus Post­rock und Indu­stri­al her­vor – und immer ist das Ergeb­nis groß­ar­tig. Amazon.de.

  15. Earth Moves – Human Intricacy

    Noch ein biss­chen Schrei­mu­sik gefäl­lig? Hier, bit­te­schön! Amazon.de.

  16. Enablers – Zones

    Mit Aus­nah­me des gut abge­hen­den „Squint“ haben Enablers hier etwas auf­ge­nom­men, was eine Art Slint-Post­rock mit Nick-Cave-esquen vocals ist und mich rest­los über­zeugt. Band­camp.

  17. Ride – This Is Not A Safe Place

    New Wave trifft auf Post­punk trifft voll auf mei­nen Geschmack – herr­lich. Amazon.de.

  18. Cos­mic Ground – cos­mic ground 5

    „cos­mic ground 5“ klingt, als spiel­ten die mitt­le­ren Pink Floyd in einer futu­ri­sti­schen Wüsten­land­schaft einen von Kraft­werk beein­fluss­ten, instru­men­ta­len Nach­fol­ger von „Medd­le“ ein; einen sehr guten, ohne Zwei­fel. Band­camp.

  19. Soul­split­ter – Salutogenesis

    Nach einer an Jazz ange­lehn­ten Ein­füh­rung („The Pro­phe­cy“) erfreut das deut­sche Quar­tett mit vie­len Gast­mu­si­kern mei­ne sonst gele­gent­lich gequäl­ten Ohren mit sin­fo­ni­schem Retro-Pro­g/-Metal, der das wei­te Feld zwi­schen echo­lyn und Dream Thea­ter nicht unbe­stellt lässt, wobei Sän­ge­rin Ophe­lia T. Sul­li­van mich in ihrem kon­trast­bil­den­den Vor­trag mal wie­der Toc.Sin ver­mis­sen lässt – aber der Lauf der Din­ge ist bekannt­lich ein zyni­scher. Band­camp.

  20. CHORD – CHORD II

    Die bei­den Gitar­ri­sten Nick Did­kov­sky (unter ande­rem Doc­tor Ner­ve) und Tom Mar­san brin­gen auf dem zwei­ten gemein­sa­men Album live, also ohne Nach­be­ar­bei­tun­gen, auf­ge­nom­me­ne Instru­men­tal­ge­wit­ter her­vor, die jeder erkenn­ba­ren Struk­tur – von wegen Tak­te! – stolz trot­zen und fast eine Drei­vier­tel­stun­de lang mit ordent­lich Feed­back ein aura­les Feu­er­werk nach dem näch­sten zün­den. Band­camp.

  21. Lin­gua Nada – Djinn

    „Djinn“ klingt, als wür­den Pri­mus ver­su­chen, ein Jazz­rock­al­bum auf­zu­neh­men – herr­lich durch­ein­an­der, groß­ar­tig ver­spielt, erschreckend tanz­bar, ein­fach gut. Band­camp.

  22. Bad Bree­ding – Exiled

    Vie­ler­orts sind die Sieb­zi­ger mit­samt ihrem Schram­mel­punk­rock längst vor­über, nicht so aber in ihrem Ursprungs­land Groß­bri­tan­ni­en, von wo aus die Anar­cho­punk­band Bad Bree­ding 2019 mit „Exi­led“ eine beru­hi­gen­de Note in die Sor­ge setz­te, es feh­le der Musik heut­zu­ta­ge an Rebel­li­on und Wut. Band­camp.

2. Was war

  • Vor vier­zig Jah­ren lief in Deutsch­land neben Punk und Dis­co auch noch die elek­tro­ni­sche („kos­mi­sche“) Musik, wenn auch: lang­sam aus. Es war daher viel Platz in Stu­di­os und vor allem Ter­min­ka­len­dern, um auch aus­län­di­sche Künst­ler ein­zu­la­den. Die US-ame­ri­ka­ni­sche Grup­pe Earth­star nutz­te die­se Gele­gen­heit und ließ sich von Klaus Schul­ze mit French Sky­line das erste von drei Alben im hie­si­gen Inland pro­du­zie­ren, das gar nicht klingt, als hät­te man mit dem Kraut­rock schon ört­lich bedingt gar nichts zu tun. Weni­ge Jah­re spä­ter und wie­der zurück in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten löste sich die Band wie­der auf. Einen Zusam­men­hang könn­te man her­bei­den­ken, aber das las­se ich aus­nahms­wei­se blei­ben. Zurück blei­ben eines der unge­wöhn­li­che­ren Alben aus der Welt der krau­ti­gen Klang­land­schaf­ten und eine viel zu spä­te Emp­feh­lung meinerseits.
  • Vor drei­ßig Jah­ren wid­me­te Lou Reed sei­nen Alben über lang­wei­li­ge Städ­te (Ber­lin), lang­wei­li­ge Frau­en (Sal­ly Can’t Dance) und lang­wei­li­ge Geräusch­ver­ur­sa­cher (The Bells) mit New York end­lich der einen Stadt ein Album, mit der man ihn so eng ver­band wie Die Ärz­te mit Ber­lin oder graue Beton­klöt­ze mit Han­no­ver. Es wur­de spä­ter als „eines der besten Alben der 80er“ bewer­tet, was für sich genom­men noch kei­ne unge­fäh­re Qua­li­täts­an­ga­be dar­stellt, ent­hält aber mit „Dir­ty Blvd.“ und „Romeo Had Juli­et­te“ zwei der­je­ni­gen Lie­der im Solo­werk des Künst­lers, deren unge­fäh­ren Klang man nicht gleich wie­der ver­gisst. Müss­te ich nur ein Album von Lou Reed emp­feh­len, so schlös­se ich nicht aus, dass ich die­ses hier als eine Emp­feh­lung in Erwä­gung zöge. Moe Tucker ist in zwei Stücken als Per­kus­sio­ni­stin zu hören. Aus dem Erfolg die­ses Albums spei­ste sich dem Ver­neh­men nach die Reuni­on der Vel­vet Under­ground in den Neun­zi­gern, und min­de­stens dafür gebührt ihm mei­ne Würdigung.
  • Vor zwan­zig Jah­ren ende­te eine Ära: Das letz­te Album von Popol Vuh, Mes­sa di Orfeo, erschien. Zwei Jah­re spä­ter starb ihr Grün­der Flo­ri­an Fricke und die Band löste sich auf. Bis dahin, so auch auf die­sem letz­ten Album, war unter ihrem Namen oft eso­te­ri­sche, mit­un­ter reli­giö­se, immer ent­spann­te Musik erschie­nen, die den LSD-Kon­sum ihrer frü­hen musi­ka­li­schen Weg­be­glei­ter noch jahr­zehn­te­lang erah­nen ließ. Dass es trotz­dem immer den rich­ti­gen Moment geben wird, um die­se Art von Musik zu genie­ßen, möge bit­te nie­mals ein Zustand sein, der zu hin­ter­fra­gen ist.
  • Vor zehn Jah­ren – und hier möch­te ich den Kreis schlie­ßen – hat­te ich gera­de seit einem Jahr ange­fan­gen, Listen die­ser Art zu füh­ren – und mei­ne Aus­füh­run­gen von Juni und Dezem­ber 2009 sind, wie ich an die­ser Stel­le schrei­ben zu dür­fen mei­ne, im Jahr 2019 noch immer aktu­ell. Von Olli Schulz ken­ne ich übri­gens noch immer nichts. Wahr­schein­lich ist das auch gut so.

3. Schluss­wor­te

Ich schlie­ße nicht aus, dass dies das letz­te Mal gewe­sen sein wird, dass ich der Jah­res­rück­schau einen Ritt durch die Geschich­te ange­fügt habe. Mir ist auf­ge­fal­len, dass man über musi­ka­li­sche Jahr­zehn­te nur bedingt vie­le ver­schie­de­ne Aus­sa­gen tref­fen kann. Die Quel­le der Ideen, aus der ich schöp­fen kann, ver­siegt dies­be­züg­lich in merk­li­cher Geschwin­dig­keit. Inso­fern wer­de ich künf­tig immer­hin noch mehr Zeit fin­den, um viel zu spät mit dem Schrei­ben die­ser Listen zu beginnen.

Wie meist hof­fe ich, mei­ne Aus­füh­run­gen waren auch dies­mal wie­der wenig­stens für eini­ge der hier Ein­ge­trof­fe­nen erhel­lend. Ergän­zun­gen bit­te ich wie üblich per Kom­men­tar­funk­ti­on zu hin­ter­las­sen. Ich bedan­ke mich für die Auf­merk­sam­keit und grü­ße energisch.

In etwa einem hal­ben Jahr geht es an gewohn­ter Stel­le wei­ter. Es möge ein beacht­li­ches Musik­jahr 2020 werden!

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