KaufbefehleMusikkritik
Musik 12/2009 – Favo­ri­ten und Analyse

Die­ser Arti­kel ist Teil 4 von 26 der Serie Jah­res­rück­blick

Fast hät­te ich es ver­ges­sen: Ein wei­te­res Kalen­der­jahr ist bald vor­bei, und das bedeu­tet außer arsch­kal­tem Wet­ter und auf­ge­wärm­tem Bil­lig­fu­sel auf so genann­ten „Weih­nachts­märk­ten“ auch, dass ich wie üblich die for­mi­da­bel­sten Ton­trä­ger des Jah­res – jeden­falls die unter ihnen, die nicht zum Halb­jahr schon Erwäh­nung fan­den – in Kür­ze vorstelle.

Und es waren so vie­le! – So sehr man eine sol­che Liste auch kür­zen möch­te, man wird immer das Gefühl nicht los, dass ein Album, das man raus­wer­fen möch­te, eigent­lich doch ganz wun­der­bar gewor­den ist. Also muss­ten ande­re Kri­te­ri­en her. So fiel der Kür­zung zum Bei­spiel das Album The Inci­dent von Por­cupi­ne Tree zum Opfer, weil ich mich nur ungern wie­der­ho­len wollte.

Auch dies­mal möch­te ich neben aktu­el­len Alben anhand zeit­lo­ser Klas­si­ker auch ein wenig Musik­ge­schich­te der letz­ten 40 Jah­re betrei­ben und eini­ge Ton­trä­ger auf­füh­ren, die trotz zahl­rei­cher guter Kri­ti­ken mei­ne per­sön­li­chen Qua­li­täts­kri­te­ri­en lei­der nicht erfül­len konnten.

Ich hof­fe, dass dies nicht zu all­ge­mei­ner Ver­ach­tung führt, und wün­sche fro­hes Stöbern:

Teil 1: Fut­ter für die Plattensammlung.

  1. Astra – The Weirding
    „All the blind sight kills the white light“ (The Weirding)
     
    Das Cover­bild deu­tet es schon an: Astra erschaf­fen Traum­wel­ten. Psy­che­de­li­scher Pro­gres­si­ve Rock mit Hard­rock-Ein­spreng­seln steht auf dem Spei­se­plan. Sobald der Gesang – zum Bei­spiel in dem über 15-minü­ti­gen Titel­stück – ein­setzt, wird die Nähe zu Yes offen­sicht­lich, aber auch The Beat­les und Rush las­sen grü­ßen, wil­de Impro­vi­sa­tio­nen (etwa in Ourob­oros) fügen eine Dosis King Crims­on hin­zu. Hin und wie­der ist auch ein Mello­tron zu hören.

    Ein­zel­ne Stücke auf „The Weir­ding“ stam­men wie­der­um aus völ­lig ande­ren Rich­tun­gen (so etwa das an eine Melan­ge aus Euro­pe und instru­men­ta­len Van der Graaf Gene­ra­tor erin­nern­de Bey­ond To Slight The Maze). „The Weir­ding“ ist viel­sei­tig, viel­leicht gar eins der abwechs­lungs­reich­sten Alben des Jahres.

    „The Weir­ding“ ist ein ver­ton­ter Dro­gen­trip. Nicht nur LSD, nicht nur Haschisch und nicht nur Koka­in, ein biss­chen von allem. Alles, was die spä­ten 60-er und frü­hen 70-er Jah­re musi­ka­lisch aus­ge­macht hat, wird hier kom­pri­miert, ohne nur bereits viel­fach Gehör­tes zu wiederholen.
    Die beste Umge­bung, um die­ses Album zu hören: Licht gedämmt, Augen geschlos­sen und Kopf­hö­rer aufgesetzt.

    Hör­pro­ben sind immer zu kurz, um einen aus­sa­ge­kräf­ti­gen Ein­blick in ein Album wie die­ses gewin­nen zu kön­nen. Wer jedoch den Blind­kauf scheut, der fin­det die übli­chen 30-sekün­di­gen Aus­schnit­te auf Amazon.de. Gegen­wär­tig (3. Dezem­ber 2009) ist das voll­stän­di­ge Album außer­dem auf You­Tube zu finden.

  2. Gar­ga­mel – Descending
    „Sud­den­ly the silence covers the sea, dis­ap­pears with the wind, it seems like a dream“ (Pre­vail)
     
    Lan­ge Zeit hielt man Van der Graaf Gene­ra­tor für nur schwer zu imi­tie­ren, auch wegen des ein­ma­li­gen Gesangs von Peter Ham­mill. Gar­ga­mel kom­men dem aber schon recht nahe.

    Zwar ver­zich­ten sie auf ihrem Zweit­ling neben eini­gen King-Crims­on-Ein­flüs­sen (zum Bei­spiel in Trap) weit­ge­hend auf die Modi­fi­ka­ti­on des­sen, was Van der Graaf Gene­ra­tor mit Alben wie „H To He Who Am The Only One“ vor­ge­legt haben, aber das muss ja auch nicht sein. Statt­des­sen gibt es hier all das zu hören, was das Ori­gi­nal ohne David Jack­son schmerz­lich ver­mis­sen lässt: Über 47 Minu­ten, ver­teilt auf gera­de ein­mal vier Titel, ertö­nen Gitar­re, Flö­te, Saxo­fon und Gesang von Tom Ugle­bak­ken, den sei­ne vier Mit­mu­si­ker nach Kräf­ten unter­stüt­zen. Dazu gesel­len sich meh­re­re Gastmusiker.

    Und wem der Band­na­me bekannt vor­kommt: Gar­ga­mel, in der Fern­seh­se­rie auch Gur­gel­hals, ist der böse Zau­be­rer aus den Die-Schlümp­fe-Comics. Ich gra­tu­lie­re dem­je­ni­gen (also nicht dem Zau­be­rer) zu sei­ner jugend­kul­tu­rel­len Bildung.

    Eine schlech­te Nach­richt aller­dings noch: Hör­pro­ben konn­te ich nicht fin­den. Wer Van der Graaf Gene­ra­tor schätzt, liegt mit Gar­ga­mel jeden­falls sicher nicht falsch. Allen ande­ren sei ein Pro­be­hö­ren im Plat­ten­ge­schäft emp­foh­len; der expres­si­ve Gesang ist sicher nicht jeder­manns Sache. Irgend­wie dann aber auch gut so.

  3. The Dead Wea­ther – Horehound
    „Play dumb, play dead, try­ing to mani­pu­la­te“ (Tre­at Me Like Your Mother)
     
    Jack White, sei­nes Zei­chens Musi­ker bei The White Stripes und The Racon­teurs, ist mit sei­nen bis­he­ri­gen Pro­jek­ten offen­bar noch nicht aus­ge­la­stet, und so rief er sei­ne drit­te „The“-Band ins Leben. The Dead Wea­ther ist eine Alter­na­ti­ve-Rock-Super­group, also eine Band, die aus Mit­glie­dern meh­re­rer bereits bekann­ter Bands besteht. Neben Jack White, der hier aus­nahms­wei­se das Schlag­zeug und nur sel­ten das Mikro­fon bedient, sind Ali­son Moss­hart, Sän­ge­rin des mei­ner­seits bereits im vori­gen Jahr aus­rei­chend gewür­dig­ten Duos The Kills, Gitar­rist Dean Fer­ti­ta von den Queens of the Stone Age und der Racon­teurs-Bas­sist Jack Law­rence mit von der Partie.

    „Hore­hound“ – Andorn also – ist der Titel des bis­lang ein­zi­gen Albums die­ser For­ma­ti­on. Nicht, dass das ein schlech­tes Zei­chen wäre: Das Album klingt nach Jack White, aber ist hör­bar ener­gie­ge­la­de­ner als alles, was er vor­her gemacht hat. Rhyth­mus­ge­trie­be­ner Blues- und Funk­rock gibt die Rich­tung vor, ein soli­des Fun­da­ment aus Bass und Schlag­zeug treibt die Stücke vor­an, und der selbst in den ruhi­ge­ren Pas­sa­gen hek­tisch wir­ken­de Gesang tut ein übriges.

    (Kur­ze Zwi­schen­be­mer­kung zum Gesang: Ali­son Moss­hart ver­stellt sich nicht. Ihre Stim­me ist sicher nicht die einer Rock­röh­re, und die ver­sucht sie hier auch nicht dar­zu­stel­len. Um so inter­es­san­ter ist es, ihrem sonst in ganz ande­rem Umfeld zu hören­den Gesang mal in einem sol­chen Kon­text zu lau­schen. Das Ergeb­nis klingt bes­ser als vie­le ande­re, gezwun­gen wir­ken­de Ver­su­che, einer Rock­band weib­li­chen Gesang beizufügen.)

    Zwi­schen krau­ti­gem Mini­ma­lis­mus (3 Birds) und Bad-Seeds-arti­gen Gitar­ren­es­ka­pa­den (Bone Hou­se) ist viel Platz, und er wird genutzt. Kei­ne Sekun­de wird mit Belang­lo­sem ver­schwen­det, es darf gehüpft wer­den. Musik zum Auf­dre­hen und Durchdrehen.

    Hör- und Durchdrehproben:
    Amazon.de hat Aus­schnit­te aus dem Album zu bie­ten, auf You­Tube kann man unter ande­ren das Video zu Tre­at Me Like Your Mother in vol­ler Län­ge betrachten.

  4. Argos – Argos
    „ ‚Cara­van‘ and ‚Soft Machi­ne‘ and ‚Hat­field and the North‘ “ (Young Per­sons Gui­de To Argos)
     
    Kurzfassung:
    Die­se Schei­be ist ein Witz. Und zwar ein guter.

    Lang­fas­sung:
    Argos wur­de 2005 von Tho­mas Klar­mann gegrün­det, der den Can­ter­bu­ry Sound der 70-er Jah­re ver­ehr­te und zu Beginn sämt­li­che Instru­men­te allein spiel­te. Bis 2008 erwei­ter­te sich die Beset­zung zum mul­ti­in­stru­men­ta­len Trio, das neben Gitar­ren, Bass und Schlag­zeug auch Flö­te und Key­boards verwendet.

    Musi­ka­lisch bewegt man sich auf alt­be­kann­ten Pfa­den: Eine abwechs­lungs­rei­che Melan­ge aus Retro-Prog und Can­ter­bu­ry, wobei mir beson­ders Cara­van sowie Hat­field and the North als Ein­flüs­se auf­ge­fal­len sind, ist zu hören. Wäh­rend über wei­te Strecken des Albums die Inspi­ra­ti­on durch Can­ter­bu­ry über­wiegt, gibt es auch Titel wie Black Cat, die sich bei Retro-Prog-Bands wie The Flower Kings und The Tan­gent, die ja ihrer­seits deut­lich vom Can­ter­bu­ry Sound beein­flusst sind, bedie­nen. Sel­ten (bei­spiels­wei­se in Time For Love und Kil­ler) ist auch eine Pri­se Gene­sis (als sie noch gut waren), Van der Graaf Gene­ra­tor (als sie noch jung waren) und The Beat­les (als sie noch stän­dig unter Dro­gen stan­den) auszumachen.

    Und über­haupt, die Titel: „Argos“ ist Pro­gres­si­ve-Rock-typisch in drei Stücke („parts“) auf­ge­teilt, die wie­der­um aus jeweils vier bis fünf „Kapi­teln“ bestehen. Die Namen die­ser drei Stücke (etwa Part 3: From Liver­pool To Outer Space) geben bereits vor dem Hören Auf­schluss dar­über, wem hier Tri­but gezollt wer­den soll.

    „Argos“ ist eine Ver­beu­gung vor gemein­sa­men musi­ka­li­schen Vor­bil­dern, qua­si eine Hom­mage, und will auch gar nichts ande­res sein. Die Tex­te (wer, wie ich, auch dar­auf ach­tet, muss sich bis­wei­len arg zusam­men­rei­ßen, um nicht vor Lachen vom Sofa zu rol­len) bekräf­ti­gen die­sen Eindruck.

    Wer immer nur nach Inno­va­ti­on und neu­en Ideen sucht, wird hier sicher nicht glück­lich. Wer aber den Can­ter­bu­ry Sound und den ihm eige­nen Gesangs­stil mag, dem wird hier über fast 53 Minu­ten Län­ge viel gebo­ten. Argos machen kon­se­quent da wei­ter, wo The Tan­gent auf­hö­ren. Zu hof­fen ist, dass dies nicht das letz­te Album sei­ner Art blei­ben wird.

    Hör­pro­ben:
    Zwar wird man bei Amazon.de nicht fün­dig, jedoch hat die Band ein infor­ma­ti­ves MySpace-Pro­fil, wo sie auch Demo­stücke zum Anhö­ren bereit­stellt. Wärm­stens empfohlen!

  5. Ahk­med – Distance
     
    „Schon wie­der fast instru­men­ta­ler Post­rock?!“, höre ich Leser schon stöh­nen, bevor ich die­sen Abschnitt über­haupt been­det habe.
    Ja, genau das ist es. Fast instru­men­ta­ler Post­rock, auf dem ordent­lich gebret­tert wird. Fol­ge­rich­tig nahm sich das Online-Maga­zin metal.de des Albums „Distance“ der austra­li­schen Band Ahk­med an, und man liest dort folgendes:

    Gebo­ten wird mit „Distance“ ein lan­ges Album für eben­so­lan­ge Win­ter­aben­de mit größ­ten­teils instru­men­ta­len Klang­land­schaf­ten vol­ler wir­ren Riffs, selt­sa­men Rhyth­men und jeder Men­ge spa­ci­ger Atmosphäre.

    Und so braucht man sich auch nicht zu wun­dern, wenn selbst ein Lied, das knapp an der Zehn-Minu­ten-Gren­ze kratzt, letzt­end­lich doch nur aus höch­stens andert­halb Riffs besteht. Vie­le Varia­tio­nen, der Gebrauch von weit­räu­mi­gen Flang­er­ef­fek­ten und das fili­gra­ne Spiel von Dyna­mik und Span­nung sor­gen jedoch dafür, dass „Distance“ nicht lang­wei­lig wird.

    Nein, lang­wei­lig ist „Distance“ sicher nicht. Ein Album von Ahk­med klingt ent­fernt wie ein Album von Mog­wai, nur irgend­wie rau­er und psy­che­de­li­scher. Gitar­ren­wän­de und selt­sam flir­ren­de, elek­tro­ni­sche Klän­ge beglei­ten die Rhyth­mus­sek­ti­on, hin und wie­der ertönt auch mit viel Hall ver­se­he­ner, hyp­no­ti­scher Gesang (etwa in Cal­de­ra). Ein­schal­ten zum Abschal­ten. Gar nicht übel.

    Hör­pro­ben:
    Unter ande­rem Cal­de­ra, mei­nen der­zei­ti­gen Favo­ri­ten vom Album, gibt es auf MySpace zum Gratishören.

  6. The War­locks – The Mir­ror Explodes
     
    Die kali­for­ni­sche Band The War­locks („die Hexen­mei­ster“) hat ihren Namen sicher nicht nur zufäl­lig gewählt. Auch The Vel­vet Under­ground tra­ten in ihrer Anfangs­pha­se unter die­sem Namen auf, und mit die­sen ver­bin­det sie mehr als nur die US-ame­ri­ka­ni­sche Herkunft.

    Das, was The Raveo­net­tes (sie­he auch wei­ter unten) auf ihrem aktu­el­len Album schmerz­lich ver­mis­sen las­sen, machen The War­locks wie­der wett: 43 Minu­ten lang mur­melt Bob­by Hecks­her kaum ver­ständ­li­che Tex­te zu end­los wir­ken­dem Lo-Fi-Gitar­ren­feed­back. Ver­gleich­ba­res ist jeden­falls mir in den letz­ten Jah­ren nur von Dar­ker My Love und The Black Angels auf­ge­fal­len, Ergän­zun­gen sind jeder­zeit willkommen.

    Ideen holt sich das Quin­tett bevor­zugt aus den VU-Alben „The Vel­vet Under­ground & Nico“ und „White Light/White Heat“; sicher nicht die schlech­te­sten Quel­len für krea­ti­ve Musik. Die Inter­pre­ta­ti­on geht in punc­to Bass- und Schlag­zeug­ar­beit auch durch­aus über das blo­ße Kopie­ren hin­aus: Wäh­rend The Vel­vet Under­ground eher die Gitar­re beton­ten und das Schlag­zeug metro­nom­ar­tig ein­ge­setzt wur­de, ist letz­te­res bei The War­locks als eine trei­ben­de Kraft mehr im Vor­der­grund zu hören, was den immer­hin schon über 40 Jah­re alten (trotz­dem kaum geal­ter­ten) zugrun­de lie­gen­den Kon­zep­ten einen moder­nen Anstrich verleiht.

    Und, wie heu­te üblich, die Band stellt auch Hör­pro­ben zur Verfügung:
    In ihr bis­he­ri­ges Schaf­fen kann man auf ihrer MySpace-Sei­te hin­ein­hö­ren, außer­dem hat Amazon.de wie­der kur­ze Aus­schnit­te aus dem Album im Angebot.

  7. Tor­toi­se – Bea­cons Of Ancestorship
     
    Von den Vor­bil­dern von gestern zu den Inno­va­to­ren von heute:
    Auch die Chi­ca­go­er Instru­men­tal­band Tor­toi­se, die man zu Unrecht immer wie­der gern in die all­zu pau­scha­le Kate­go­rie „Post­rock“ steckt, leg­te 2009 nach fünf Jah­ren (wenn man das 2006 erschie­ne­ne Cover­al­bum „The Bra­ve and the Bold“ nicht mit­zählt) end­lich wie­der ein regu­lä­res Stu­dio­al­bum vor und spal­te­te die Rezen­sen­ten­welt erwar­tungs­ge­mäß in die, die es für ein Mei­ster­werk hal­ten, und die, die es aus den ver­schie­den­sten Grün­den nicht aus­ste­hen können.

    Das Cover deu­tet es schon an: Auch im 18. Jahr ihres Bestehens als Tor­toi­se wid­met sich das Quin­tett dem expe­ri­men­tel­len Mini­ma­lis­mus, ohne, wie zum Bei­spiel die Ein­stür­zen­den Neu­bau­ten es taten, voll­ends in das Avant­gar­di­sti­sche abzu­drif­ten. Und wie immer wer­den hier die Gen­res wild ver­mischt: Gigan­tes mit sei­nem merk­wür­dig ver­schlepp­ten Rhyth­mus etwa wird von latein­ame­ri­ka­ni­scher Per­kus­si­on beglei­tet, wäh­rend Prepa­re Your Coff­in von Muse-ähn­li­chen Key­boards lebt. Der etwas umständ­lich klin­gen­de Titel Yinxiang­he­cheng­qi lässt Gitar­ren und elek­tro­ni­sche Klang­ef­fek­te krachen.

    Immer wie­der – an den Stel­len, an denen man es nicht erwar­tet – endet ein Lied­teil abrupt, und ein ande­rer, meist kon­trä­rer setzt ein. Refrains oder wenig­stens wie­der­keh­ren­de Muster sucht man hier vergebens.

    Die Hör­pro­ben kann man daher auch tat­säch­lich nur als sol­che betrach­ten: Kennt man eins, kennt man noch lan­ge nicht alles andere.
    Bei Amazon.de gibt es nur die übli­chen Schnip­sel, dafür hat das MySpace-Pro­fil der Band zur­zeit unter ande­rem Prepa­re Your Coff­in im Repertoire.

  8. Gong – 2032
    „We come from an ali­en nati­on to the city of self fasci­na­ti­on“ (City of Self Fascination)
     
    Gong? Die gibt es immer noch?“
    Nein, genau genom­men gibt es sie wie­der. Seit Daevid Allen und sei­ne dama­li­ge Lebens­ge­fähr­tin Gil­li Smyth im Jahr 1969 die Psy­che­de­lic-/Spa­ce­rock-Band Gong ins Leben rie­fen, ist die Geschich­te der For­ma­ti­on durch Umbe­set­zun­gen und Kol­la­bo­ra­tio­nen sowie durch den Wech­sel der Stil­rich­tung von Spa­ce­rock zu Jazz­rock und wie­der zurück gekenn­zeich­net. Zwi­schen­durch hat­te sich der mitt­ler­wei­le ver­stor­be­ne Schlag­zeu­ger Pierre Moer­len mit eige­nen Inkar­na­tio­nen von Gong (Pierre Moerlen’s Gong und Gong­zil­la) selbst­stän­dig gemacht, und auch Daevid Allen war nicht untä­tig, so dass es bis heu­te neben der Haupt­band unge­fähr zehn ande­re Gongs gab und zum Teil auch noch gibt.

    Eben­die­se Haupt­band hat sich dazu ent­schlos­sen, zum 40. Jubi­lä­um des Jazz­fe­stes von Amou­gies, auf dem Gong erst­mals nen­nens­wer­te Auf­merk­sam­keit bekam, wie­der ein neu­es Album ein­zu­spie­len. Die Beset­zung sowohl des Albums als auch der beglei­ten­den Tour ent­spricht weit­ge­hend der von 1973; so ist erst­mals seit 1975 auch Ste­ve Hil­la­ge (sonst unter ande­rem bei Arz­a­chel und System 7 sowie solo aktiv) wie­der an Bord.

    Erfreu­li­cher­wei­se klingt „2032“ auch so. Nach eini­gen Jah­ren des durch die Zusam­men­ar­beit mit Acid Mothers Temp­le ent­stan­de­nen japa­nisch-aus­ge­flipp­ten psy­che­de­li­schen Kraut­rocks hat Daevid Allen wie­der Lust auf Spa­ce­rock bekom­men, und auch Gil­li Smyth ist wie­der Mit­glied des Ensem­bles. Letz­te­re ist erneut auf dem gesam­ten Album nur als „Space Whisper“, also als selt­sam ver­zerr­tes Flü­stern, zu hören, ein Stil­mit­tel, das auch die frü­hen Gong-Alben geprägt hat. Bis­wei­len, etwa in Por­tal, wird auch herr­lich gerockt; nicht schlecht, immer­hin ist Daevid Allen in die­sem Jahr schon 71 Jah­re alt geworden.

    Wenn schon Alt­her­ren­mu­sik, dann doch bit­te so!

    Nach all der Lob­hu­de­lei, so berech­tigt sie auch sein mag, noch ein paar Hör­pro­ben:
    Das MySpace-Pro­fil von Gong ist nur wenig hilf­reich, aus­nahms­wei­se emp­feh­le ich daher, die Aus­schnit­te auf Amazon.de vor­zu­zie­hen. Auf You­Tube ist außer­dem unter ande­rem City of Self Fasci­na­ti­on voll­stän­dig zu hören.

  9. Dream Thea­ter – Black Clouds & Sil­ver Linings
    „That whe­re the­re is des­pair, I may bring hope“ (The Shat­te­red Fortress)
     
    Hin­ter all den Anspruch hän­gen wir mal wie­der ein wenig Kopf­schüt­tel­mu­sik (beja­hen­des Schüt­teln, kein bemit­lei­den­des, ver­steht sich). Dream Thea­ter, die ver­mut­lich zu Recht bekann­te­ste Pro­gres­si­ve-Metal-Band min­de­stens des gan­zen Pla­ne­ten mit einem der umstrit­ten­sten Pro­gres­si­ve-Metal-Sän­ger min­de­stens des gan­zen Pla­ne­ten, lässt mit „Black Clouds & Sil­ver Linings“ mal wie­der von sich hören.

    Für die direk­ten Vor­gän­ger­al­ben fan­den Rezen­sen­ten meist nur wenig war­me Wor­te; zu unkrea­tiv schien der Ver­such, Dream Thea­ter durch Zita­te aus meh­re­ren Jahr­zehn­ten Pro­gres­si­ve-Rock-Geschich­te neu zu defi­nie­ren, und zu erfolg­los blieb er dann auch; Dream Thea­ter blei­ben eben Dream Thea­ter, und als Dream Thea­ter sind sie einzigartig.

    Das haben sie jetzt wohl auch ein­ge­se­hen, und so ist „Black Clouds & Sil­ver Linings“ eine Plat­te gewor­den, die wie­der so klingt, wie man es von Dream Thea­ter erwar­tet: Der Bass pol­tert, die Gitar­ren jau­len, die Key­boards unter­stüt­zen jedes Instru­ment, wo sie es kön­nen, und James LaB­rie into­niert von John Petruc­ci und Mike Port­noy geschrie­be­ne Tex­te, die nach wie vor sehr per­sön­lich gefärbt sind, was bis zu Kind­heits­er­in­ne­run­gen der Band­mit­glie­der reicht (das Ein­stiegs­stück A Night­ma­re To Remem­ber han­delt angeb­lich von einem Auto­un­fall, den Gitar­rist Petruc­ci als Kind mit­er­lebt hatte).

    Sicher sind die Tex­te oft auch nur belang­los, aber der Qua­li­tät des Albums scha­det das nicht auf­fal­lend. Ich gehe so weit, an die­ser Stel­le zu behaup­ten, dass „Black Clouds & Sil­ver Linings“ das beste Dream-Thea­ter-Album seit dem über­ra­gen­den Kon­zept­al­bum „Metro­po­lis Pt. II – Sce­nes From A Memo­ry“ (1999) gewor­den ist. Gut Ding will manch­mal eben doch Wei­le haben.

    Hör­pro­ben:
    Auf You­Tube gibt es unter ande­rem das fei­ne A Rite of Pas­sa­ge zu hören, auch das MySpace-Pro­fil der Band ist sehens- und hörens­wert. Das voll­stän­di­ge Album kann man im Schnell­durch­lauf, wie gewohnt, auch auf Amazon.de konsumieren.

  10. Fris­ka Vil­jor – For New Beginnings
    „A heart is much big­ger than a mind that’s upset“ (Daj Daj Die)
     
    Fris­ka Vil­jor ist angeb­lich eine schwe­di­sche Indie­folk­band. „Wie geht das, Indie und Folk?“, fra­gen sich nun viel­leicht eini­ge mei­ner Leser. Nun, ich weiß es auch nicht, aber ich möch­te es mir auch nicht her­aus­neh­men, selbst eine Kate­go­ri­sie­rung fin­den zu müs­sen. Dass Gen­re­schub­la­den nur sel­ten zutref­fen, zeigt sich am Bei­spiel die­ses Duos.

    Was sie so genau machen, ist tat­säch­lich mit Wor­ten nur schwer ein­zu­gren­zen. Bewegt man sich im eröff­nen­den Daj Daj Die bereits zwi­schen den Sti­len – eine Folk­me­lo­die mit einem Refrain, der eben­so­gut aus dem letz­ten Sigur-Rós-Albums stam­men könn­te, und einer zer­brech­li­chen Gesangs­stim­me, die man so sonst nur von Indie­rock-Bands kennt -, so gibt man den Ver­such des Schub­la­den­den­kens spä­te­stens beim Anhö­ren eines zwei­ten Stückes auf. Lied Num­mer 7, Peo­p­le Are Get­ting Old, ist zum Bei­spiel ein veri­ta­bler Indie­rock­song, der auch im Reper­toire der Kai­ser Chiefs Platz fände.

    Folk wäre aber wahr­schein­lich auch eine höchst unpas­sen­de Schub­la­de für Lie­der, die Titel wie Sun­ny Day tra­gen und von der Freu­de am Leben (oder doch am Tod?) han­deln. Nicht umsonst klingt so man­ches Lied auf dem Album wie ein Trink­lied, ohne dass man dafür den Text beach­ten müss­te. Eine Art Selbst­the­ra­pie, so liest man aller­orts, soll­te die Band Fris­ka Vil­jor dar­stel­len. Lie­bes­kum­mer in Alko­hol und Gedan­ken über das Leben zu erträn­ken ist immer­hin eine alt­be­währ­te Metho­de, mit ihm fer­tig zu werden.

    Die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung klingt, in Wor­ten beschrie­ben, dann unge­fähr so:

    Ja, alle ande­ren bau­en Häu­ser und grün­den Fami­li­en, und Fris­ka Vil­jor tou­ren im klapp­ri­gen Bus durch die Welt­ge­schich­te und schrei­ben im Wald trau­ri­ge Lie­der über das Leben. Lie­der, die Titel wie Daj Daj Die oder If I Die Now tra­gen und sich vor allem damit befas­sen, wer und wo man eigent­lich sein möchte.

    Das klingt rät­sel­haft und bedarf eini­ger Hör­pro­ben zur Erklä­rung. Die wie­der­um fin­det der inter­es­sier­te Leser die­ser Zei­len im MySpace-Pro­fil der Band sowie in aller Kür­ze auch auf Amazon.de.
    Ich wün­sche ent­spann­tes Sinnieren.

  11. Nihi­ling – M[e]iosis
    „Words I say won’t reach you“ (Cap­ti­ves)
     
    Nihi­ling darf natür­lich in die­ser Liste nicht feh­len, nach­dem ich mich vori­gen Monat von ihrem Kon­zert mit Her­me­lin, deren Debüt­al­bum ich letz­tes Jahr an die­ser Stel­le schon aus­führ­lich gelobt hat­te, herr­lich unter­hal­ten ließ. Die Ener­gie eines Kon­zerts kann natür­lich ein Ton­trä­ger nie­mals wie­der­ge­ben, zumal kein im Stu­dio auf­ge­nom­me­ner. Den­noch bleibt „M[e]iosis“ eine fei­ne Scheibe.

    Wer Nihi­ling noch nie gehört hat, für den möch­te ich hier ein wenig name-drop­ping betrei­ben: Oce­an­si­ze. Isis. Tool.

    Natür­lich könn­te ich jetzt auch hier eine lan­ge Lob­re­de for­mu­lie­ren, aber ich wür­de mich wahr­schein­lich nur wie­der­ho­len. Dafür ist mir inzwi­schen end­lich eine total schlag­fer­ti­ge Reak­ti­on ähn­li­chen Niveaus eingefallen:

    Was kommt her­aus, wenn man Nihi­ling einpflanzt?
    Eine Gor­ke. Bra­ha­ha.

    Genug davon; nicht, dass ich mir hier noch Fein­de fürs Leben mache. Musik soll­te Men­schen zusam­men­brin­gen und nicht dazu ein­la­den, gegen den Grund­satz der Wit­ze­ma­cher („kei­ne Wit­ze über Namen!“) zu ver­sto­ßen. Wird nicht wie­der vor­kom­men, versprochen.

    Zurück zur Musik also: Sol­che wie die von Nihi­ling ist nur unzu­rei­chend in blo­ßem Text zu beschrei­ben. Peter hat’s versucht:

    Nihi­ling ist eine Gitar­ren­band (der Trend geht ein­deu­tig zum Dritt­gi­tar­ri­sten), eine Rock­band, die es rich­tig kra­chen lässt, sich aber die Zeit zum Aus­ru­hen nimmt. Irgend­wo zwi­schen Oce­an­si­ze und Mog­wai. Irgend­wo zwi­schen Pro­gres­si­ve, Metal und Post-Rock ((ziem­lich unprä­zi­ser Begriff)). Die Prä­zi­son und Schär­fe in eini­gen Songs erin­nert den geneig­ten Hörer auch an Tool. Aus­fäl­le gibt es auf dem Album nicht zu ver­mel­den. Auf höch­sten Niveau voll­brin­gen Nihi­ling den Spa­gat zwi­schen all des­sem, was mir in der Rock­mu­sik gut und wich­tig ist. Das Spiel zwi­schen Pro­gres­si­ve und Post-Rock, mal Instru­men­tal („Dia­pha­nous Gate“ ), mal mit Gesang und nicht unfröh­lich („Cap­ti­ves“, „Nas­cent“ ), traum­haf­te Melo­dien („The World Ends With Me“), dann wie­der eher ambi­ent und ent­span­nend oder im wohl­be­kann­tem Lei­se- Laut­spiel („Not Even Clo­se To Your Under­stan­ding Of…“). All das wird von den Ham­bur­gern traum­haft umge­setzt und Nihi­ling errei­chen gleich mit ihrem ersten Album eine siche­re Umlauf­bahn um den Post-Rock-Pla­ne­ten, auf dem alle Men­schen glück­lich sind.

    Hör­pro­ben:
    Ein Live­vi­deo des von der Band selbst nicht son­der­lich geschätz­ten Stückes Moth Gate und eini­ge Lie­der aus bis­he­ri­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen (zwei EPs und ein Album) gibt es auf MySpace.com zum kosten­frei­en Gut­fin­den. Wer es eilig hat, kann auch auf Amazon.de kurz in das Album hin­ein­hö­ren; aber Eile ist hier nicht ange­bracht. Die­ses Album braucht, wie vie­les ande­re aus der gro­ßen Postrock­ki­ste, vor allem Zeit und Geduld. Wer bei­des auf­bringt, wird garan­tiert belohnt. Und wenn Nihi­ling irgend­wann in eurer Nähe auf­tre­ten: Geht hin! Ihr wer­det es nicht bereuen.

  12. The Void’s Last Stand – A Sun By Rising Set
    „Six bodies burst through the outer­most gate“ (Under The Ardent Sun)
     
    Noch ein wenig anstren­gen­de Musik zum Aus­klang. Die Aache­ner Band The Void’s Last Stand musi­ziert wirr. Das Album „A Sun By Rising Set“ besteht aus zwei Stücken von jeweils etwas über 25 Minu­ten Län­ge und gra­sen dabei so ziem­lich jeden Musik­stil ab, der ihnen beim Kom­po­nie­ren gera­de zwi­schen die Fin­ger gekom­men ist.

    Sän­ger Jonas Win­gens wur­de offen­bar von Mag­ma, Damo Suzu­ki und zahl­rei­chen wei­te­ren Musi­kern inspi­riert, sei­ne Mit­strei­ter wech­seln der­weil alle paar Minu­ten das Gen­re. Mother Sun And The Other Sun (Part I) könn­te eben­so­gut aus Demo­auf­nah­men einer Zusam­men­ar­beit von Can und Ruins stam­men, wären da nicht die Blues­rock­ele­men­te und der bei­na­he radio­taug­li­che, popin­spi­rier­te Schluss. Under The Ardent Sun klingt eigent­lich genau so.

    Nik Brück­ner nann­te die­ses Album „erfri­schend unblöd“ – ein völ­lig zutref­fen­des Adjek­tiv. Nie wird die Musik, die die­se Band spielt, ein­tö­nig oder artet in sinn­lo­sen Lärm aus. Wenn man sie unbe­dingt als „die neu­en Wer-auch-immer“ bezeich­nen möch­te, dann schla­ge ich „die neu­en (und bes­se­ren) The Mars Vol­ta“ vor. Und kau­fen kann man das Ding für vier Euro (plus Por­to) direkt bei der Band, also kann man hier durch­aus auch mal einen Blind­kauf wagen. Blind könn­te man lei­der auch vom Book­let wer­den, in dem die Tex­te abge­druckt sind; aber das ist ein, wie ich mei­ne, recht klei­nes Manko.

    Hör­pro­ben:
    Wer aus wel­chem Grund auch immer nicht die Kat­ze im Sack kau­fen möch­te, der fin­det im MySpace-Pro­fil von The Void’s Last Stand das gesam­te Album zum Pro­be­hö­ren. Bei­de Stücke wur­den hier­für (und eigent­lich auch, nur nicht sepa­rat auf­ge­teilt, auf dem Album) in durch­num­me­rier­te Kapi­tel auf­ge­teilt. Das hilft zwar auch nicht, die Zusam­men­set­zung des Albums zu ver­ste­hen, aber es ist inter­es­sant zu lesen.

Teil 2: Deut­sche Tex­te mit Verstand.

  1. Ramm­stein – Lie­be ist für alle da
    „Blitz­krieg mit dem Fleisch­ge­wehr“ (Pus­sy)

    Wie ich voll des Lobes schon zu erwäh­nen wuss­te: Ramm­stein ist zurück, und es wird wie­der auf die Pau­ke gehau­en. Seit Mit­te Novem­ber ist der Titel „Ich tu dir weh“ wegen einer all­seits bekann­ten, absur­den Ent­schei­dung der BPjM nur noch als indi­zier­te Ver­si­on auf dem Album zu fin­den, das tut der Freu­de aber kei­nen Abbruch.

    Ich zitie­re mich mal wieder:

    „Lie­be ist für alle da“ ist ein durch­aus mit Bedacht gewähl­ter Titel für das Album; mit Aus­nah­me des Ramm­lieds han­deln tat­säch­lich alle Titel von Lie­be in see­li­scher oder rein kör­per­li­cher Form – natür­lich, in Ramm­stein-Manier, mit sado­ma­so­chi­sti­schen Zügen inklu­si­ve einer Schil­de­rung des Inzest­falls von Amstet­ten, all dies unter­malt von Musik der här­te­ren Gang­art, wie sie zuletzt auf „Her­ze­leid“ und „Sehn­sucht“ so aus­ufernd zu hören war. Dazu schreit und singt Till Lin­de­mann, der sei­ne Stim­me um gleich meh­re­re Nuan­cen erwei­tert zu haben scheint, mit einer Kraft, dass es eine wah­re Freu­de ist. Schön, dass sie wie­der zu ihrer alten Form gefun­den haben. Jetzt bit­te so bleiben!

    Mir bleibt nun nur, dies mit Hör­pro­ben zu unter­mau­ern. Die gibt es als 30-Sekun­den-Schnip­sel auf Amazon.de, das so genann­te Skan­dal­vi­deo zur ersten Sin­gle Pus­sy indes ist inzwi­schen auf Redtube.com zu finden.

    Und apro­pos „so bleiben“:

  2. Die Gol­de­nen Zitro­nen – Die Ent­ste­hung der Nacht
    „Denk mal an die Mög­lich­kei­ten, komm mir nicht mit Arbeits­zei­ten“ (Lied der Medienpartner)

    Die ehe­ma­li­ge Punk­band Die Gol­de­nen Zitro­nen, die ich vor einem Jahr noch als ver­mu­te­te Inspi­ra­ti­on für 1000 Robo­ta erwähn­te, war noch nie dafür bekannt, Erwar­tun­gen zu erfül­len, und sie bleibt sich treu. „Die Ent­ste­hung der Nacht“ ist, so gese­hen, die logi­sche Fort­set­zung des Vor­gän­ger­al­bums „Lenin“ als Kri­tik an der Gesell­schaft des aus­ge­hen­den Jahr­zehnts. Musi­ka­lisch über­wiegt die Elek­tro­nik, aber hin und wie­der wird auch, wie noch auf „Scha­fott zum Fahr­stuhl“, dem Alter­na­ti­ve Rock gefrönt (Lied der Medi­en­part­ner) bis zum Tode Jörg Hai­ders (Der Lan­des­haupt­manns letz­ter Weg) alles, was die Gesell­schaft sonst hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand zu rau­nen pflegt, in sei­ne Bestand­tei­le zer­legt und über­dreht wie­der zusammengefügt.

    Die stän­dig wach­sen­de Viel­sei­tig­keit der Gol­de­nen Zitro­nen wird auch in ande­ren Titeln deut­lich; so ist Der Flö­tist an den Toren der Däm­me­rung nicht nur im Titel eine Ver­beu­gung vor Pink Floyd, das von Michae­la Méli­an gesun­ge­ne Beau­tiful Peo­p­le könn­te eben­so von Nico stammen.

    Ein Album der Gol­de­nen Zitro­nen ist immer auch ein Stück Avant­gar­de, des­sen soll­te man sich bewusst sein, bevor man sich auf sie ein­lässt. Sie kon­zen­trie­ren das, was pop­kul­tu­rell rele­van­te Medi­en als Pop­kul­tur bezeich­nen, und dabei haben sie mit Pop (also popu­lar music) noch nie etwas zu tun haben wol­len, geschwei­ge denn sol­chen gespielt. Die Gen­re­schub­la­den blei­ben versperrt.

    Und wer es mir nicht glaubt, der möge sich an den Hör­pro­ben erfreuen:
    Auf Amazon.de gibt es die übli­chen 30-Sekun­den-Schnip­sel aus dem Album zu hören, You­Tube hat mit Mila immer­hin eins mei­ner Favo­ri­ten von „Lenin“ in einer klang­lich fei­nen und bild­lich lei­der ungu­ten Live­ver­si­on im Angebot.

    Klang­lich fein ist auch das, was wie­der­um eine ganz ande­re Band vor­zu­wei­sen hat:

  3. Jen­ni­fer Rostock – Der Film
    „Die Welt um uns wird alt, aber wir blei­ben jung und schön“ (Jung und schön)

    Auch auf die Gefahr hin, mit schrä­gen Blicken gemu­stert zu wer­den und neue Leser aus skur­ri­len Ecken zu bekommen:
    Ich mag die­ses Album.

    Jen­ni­fer Rostock wirft man im All­ge­mei­nen mit der Lie­bes­lie­der­com­bo Sil­ber­mond in einen Topf, aber das passt nicht zusam­men. Die Musik von Jen­ni­fer Rostock ist grund­sätz­lich viel­mehr das Gegen­stück: Die Prot­ago­ni­stin (ich neh­me nicht an, dass die Tex­te immer all­zu auto­bio­gra­fisch sind) ist kei­ne Roman­ti­ke­rin und das Lied ist kei­ne Ballade.

    Natür­lich geht es in den Tex­ten auch um zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen, aber es geht här­ter zur Sache. Es geht um gemein­sa­me Näch­te, Betrü­gen und Ego­is­mus, vor­ge­bracht mit einer Inbrunst, von der sich ande­re Sän­ge­rin­nen noch eine Schei­be abschnei­den könn­ten, kom­bi­niert mit einer Por­ti­on Schram­mel­rock (in den bes­se­ren Momen­ten) oder Gitar­ren­pop (in den schlech­te­ren). Obwohl die Band ein Mas­sen­pu­bli­kum anspricht, hat ihre Front­frau eine Stim­me, die man auch als sol­che bezeich­nen kann.

    Und damit sich der geneig­te Leser so unge­fähr vor­stel­len kann, was ich mit Inbrunst mei­ne, ver­wei­se ich als Hör­pro­be auf ins­be­son­de­re die letz­te Minu­te des Lie­des Nenn mich nicht Jen­ny. Jau!

    Immer noch nicht über­zeugt? Ihr mögt kei­nen Frau­en­ge­sang oder hal­tet nicht viel von Pop­rock, selbst wenn er gut gemacht ist?
    Dann hät­te ich noch einen Vor­schlag zu machen:

  4. Bela B – Code B
    „Ihr habt Ver­ständ­nis, logo, wenn ich jetzt mal aufs Klo go“ (Bobo­tanz)

    Ich hat­te nach dem Kon­sum des Solo­de­büts „Bin­go!“ die Hoff­nung ver­wor­fen, von Bela B, der der­zeit offen­bar ohne Punkt geschrie­ben wird, noch mal Solo­ma­te­ri­al hören zu dür­fen, das sei­nen Bei­trä­gen zum Werk der Die Ärz­te gerecht wird; sicher, wäh­rend letz­te­re sich ins­ge­samt selbst nicht so ganz ernst neh­men, sind ihre drei Mit­glie­der den­noch ambi­tio­nier­te Musi­ker, und es wäre nicht kon­se­quent, wür­den sie in ihrem Solo­werk nicht ande­re Wege beschreiten.

    Nun, Herr B ist, wie er selbst mehr­fach ver­lau­ten ließ, Vater gewor­den. Das ist in der Regel ein Erleb­nis, das den Men­schen ver­än­dert, und es macht sich in „Code B“ bemerk­bar; nicht nur, weil er sei­nem Nach­wuchs eigens ein Schlaf­lied (Dein Schlaf­lied) wid­met, son­dern auch, weil das Album tat­säch­lich viel weni­ger ver­krampft als „Bin­go!“ wirkt und Spaß macht, selbst in den Lie­dern, die eigent­lich gar nicht so offen­sicht­lich wit­zig gemeint sind wie zum Bei­spiel der Bobo­tanz.

    Ach, ja, der Bobo­tanz: Angeb­lich als Sati­re auf irgend­ein Lied von Olli Schulz, von dem wie­der­um ich bis heu­te noch nichts ken­ne, geschrie­ben ist die­ses Stück Musik eins der spa­ßi­ge­ren Lie­der. Des Wei­te­ren hat „Code B“ auch zyni­sches (Hilf dir selbst) und Stücke über das für Bela nach wie vor typi­sche The­ma Lie­be (Altes Arsch­loch Lie­be) in allen For­men (Nin­ja­ba­by­po­w­pow) im Reper­toire, das obli­ga­to­ri­sche Vam­pir­lied (Rocku­la) muss schon gar nicht mehr erwähnt werden.

    Nicht, dass fal­sche Erwar­tun­gen kei­men: Bela B klingt auch auf „Code B“ wie Bela B, er ver­sucht nicht, sich anzu­bie­dern, und er defi­niert sich auch nicht neu. Er hat ein Album auf­ge­nom­men, mit dem er nie­man­dem mehr etwas bewei­sen muss, und das klingt so locker wie seit Jah­ren nicht mehr.

    Leu­te, die mit die­ser Art von Musik noch nie etwas anfan­gen konn­ten, wer­de ich trotz aller Wor­te nicht über­zeu­gen kön­nen, also las­se ich die Hör­pro­ben sprechen:
    Amazon.de hat die übli­chen kur­zen Aus­schnit­te im Angebot.

Von dem Man­gel an guter deutsch­spra­chi­ger Musik bekommt man fast schlech­te Lau­ne. Schon scha­de, dass das Ange­bot an sel­bi­ger offen­bar jähr­lich abnimmt.
Schnell also ein ande­res Thema:

Teil 3: Bil­lig will ich.

Das Inter­net setzt sich end­lich als Ver­triebs­weg durch: Moder­ne Lizen­zen wie die Crea­ti­ve-Com­mons-Lizenz by-nc-sa ermög­li­chen es den Künst­lern, ihre Wer­ke einem inter­es­sier­ten Publi­kum kosten­los bekannt zu machen, ohne Ver­lu­ste durch Pri­vat­ko­pien ein­zu­fah­ren. Hier­bei reicht die Band­brei­te von völ­lig kosten­lo­sem Ver­tei­len bis zur Zah­lung einer frei wähl­ba­ren Gebühr, sozu­sa­gen als Beloh­nung für eine frei­wil­li­ge Spende.

Drei die­ser Alben, alle­samt bei den Schall­gren­zen ent­deckt, folgen:

  1. Her Name is Cal­la – The Heritage

    Die Band Her Name is Cal­la kommt aus Groß­bri­tan­ni­en und macht tief­trau­ri­ge Musik mit Post­rock- und New-Wave-Ein­flüs­sen; das klingt also, anders aus­ge­drückt, unge­fähr so, als hät­ten sich die Tin­der­sticks mit durch Rausch­mit­tel in Trance gesetz­ten The Cure zusam­men­ge­tan, nur ganz anders. Im Hin­ter­grund pas­siert eine Men­ge, von dem man nichts mit­be­kommt, wenn man den Feh­ler macht und sich auf den Gesang kon­zen­triert, und das Gegen­teil führt natür­lich zu einem ähn­li­chen Ergeb­nis. „The Heri­ta­ge“ ist spit­ze, und man ent­deckt immer wie­der neue Nuan­cen. Es pas­siert nicht viel, und gera­de das ist das Reiz­vol­le an die­ser Art von Musik. Der Expres­sio­nis­mus hat ein Sprach­rohr gefun­den. Drin­gend emp­foh­len: Vor­her tief durchatmen.

    Kon­sum:
    Als Stream steht das voll­stän­di­ge Album auf Denovali.com zum kosten­lo­sen Anhö­ren und Mit­schnei­den bereit; wer Ton­trä­ger bevor­zugt, kann die CD bei Den­o­va­li Records für wenig Geld käuf­lich erstehen.

  2. atlan­tis – San Dia­blo EP

    Ich gebe es zu: Die­ser Ton­trä­ger hat mich digi­tal entjungfert.
    Will sagen: Ich bin, wie eini­ge von euch wis­sen, ein Freund von phy­si­schen Ton­trä­gern und habe an öden Bits ohne art­work nur sel­ten Freude.Nun aber ist der/die/das „San Dia­blo EP“ von atlan­tis aus­schließ­lich als „Digi­Buy“ erhält­lich, also für ein wenig Klein­geld erhält man einen Cou­pon, mit dem man die Musik her­un­ter­la­den kann, wahl­wei­se im MP3- oder in einem ver­lust­frei­en For­mat und, so weit ich das sehen kann, ohne stö­ren­de DRM- oder son­sti­ge Beschränkungen.

    Und die Musik geht gut ab: Ambi­ent-arti­ge Klang­struk­tu­ren (Mon­goo­se vs. Cobra) tref­fen auf Noi­se- und Postrock­wän­de, selbst die Nine Inch Nails (Wel­co­me home San Dia­blo) sind nicht fern. Lei­der dau­ert das Ver­gnü­gen nur wenig mehr als 24 Minu­ten, aber das ist für eine/einen/ein EP, wie ich mei­ne, durch­aus zu verschmerzen.

    Kon­sum:
    Zu einem frei wähl­ba­ren Preis ab 2 Euro ist der Cou­pon hier erhältlich.

  3. Mass­ke – The Earth That Breathed

    Drit­tens und schließ­lich dann noch etwas abge­dreh­te­re postrock­ar­ti­ge Musik von Mass­ke, wie­der­um aus Groß­bri­tan­ni­en. Der Eigen­be­schrei­bung („Den­se­ly laye­red gui­tar form rhyth­mic psy­che­de­lia that is at once fran­tic and pre­me­di­ta­ted.“) ist eigent­lich nichts hin­zu­zu­fü­gen, ich zitie­re trotz­dem mal:

    Die Ver­to­nung der Apo­ca­lyp­se mit Hil­fe von Gitar­re, Effek­ten und Syn­thies. (…) Fet­te Beats und eine Men­ge düste­re Effek­te frä­sen sich in das Ohr des Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers. Hört mal rein, lohnt sich für Freun­de von Mas­si­ve Attack , NIN und Konsorten.

    Neu­gie­rig geworden?

    Kon­sum:
    „The Earth That Brea­thed“ ist auf der Inter­net­prä­senz von Wise Owl Records und natür­lich auch via eMu­le zu beziehen.

Neben obi­gen gran­dio­sen Wer­ken gab es im Jahr 2009 auch schon eini­gen Murks, der von ver­schie­de­nen Musik­blogs und ihren Kom­men­ta­to­ren aus für mich per­sön­lich völ­lig unver­ständ­li­chen Grün­den in die Liste der besten Alben 2009 gewählt wur­de. Vier Ver­tre­ter die­ser Gat­tung, die mich trotz der all­ge­gen­wär­ti­gen Lobes­hym­nen besten­falls gelang­weilt haben, fol­gen zur Abschreckung:

Teil 4: Mit­bring­sel für unge­lieb­te Bekannte.

  1. Eels – Hombre Lobo
    Ein­tö­ni­ges Geschram­mel und ein­schlä­fern­der Gesang mit ner­vi­ger Stim­me. Ist das heu­te „in“? Na, danke.
  2. Por­tu­gal. The Man – The Sata­nic Satanist
    Ich höre Sta­gna­ti­on. War der Vor­gän­ger „Cen­so­red Colors“ noch lobens­wert, so ist „The Sata­nic Sata­nist“ deut­lich zu kurz und lässt dem Hörer viel zu wenig Zeit. Als EP zu „Cen­so­red Colors“ hät­te es mir viel­leicht sogar eine posi­ti­ve Wer­tung abrin­gen kön­nen, aber außer dem gleich­falls viel zu kur­zen Sit Back and Dream ist die­ses Album schlicht über­flüs­sig. (Viel­leicht das schlimm­ste Attri­but, das man einem Album anhef­ten kann.)
  3. Muse – The Resistance
    Aua! Weg­ma­chen, schnell! Fort mit der Schei­be! Aspi­rin! Hilfe!
  4. The Raveo­net­tes – In And Out Of Control
    Was ist das denn? The Raveo­net­tes haben mehr­fach erfreu­li­che Alben mit Anspruch ver­öf­fent­licht, und jetzt ärgern sie mich mit so einem radio­kom­pa­ti­blen Mist. Scha­de drum, gibt kei­ne Kaufempfehlung.

Zum Abschluss, bevor mir noch der Schaum vom Mund tropft, stei­gen wir lie­ber noch mal in unse­re Zeit­ma­schi­ne und schau­en, wie es in den letz­ten 40 Jah­ren in der Musik­welt aus­sah. Was hat­ten die Jahr­zehn­te zu bieten?

Teil 5: Neu­es von gestern.

  • Vor 40 Jahren:
    Van der Graaf Gene­ra­tor – The Aero­sol Grey Machine
    Im Jahr 1969 wag­te man noch Expe­ri­men­te. Die New Yor­ker Band The Koa­la, die, um skur­ri­ler zu wir­ken, ihren Namen bewusst austra­lisch klin­gen ließ, nahm ihr selbst­be­ti­tel­tes Album, das ihr ein­zi­ges blei­ben soll­te, auf und leg­te so einen Grund­stein für vie­le spä­te­re Stoner-Rock-Bands wie Colour Haze, in Mün­chen spiel­te die von Dro­gen befeu­er­te Künst­ler­kom­mu­ne Amon Düül hin und wie­der gemein­sam psy­che­de­li­sche Musik, die spä­ter „Kraut­rock“ genannt wer­den soll­te, und die neu gegrün­de­te Stu­den­ten­band Van der Graaf Gene­ra­tor war auf der Suche nach ihrer Iden­ti­tät. Schon das im Fol­ge­jahr erschei­nen­de „The Least We Can Do Is Wave to Each Other“ hat nichts mehr mit der blu­mi­gen Hip­pie-Atmo­sphä­re gemein, die „The Aero­sol Grey Machi­ne“ aus­macht und die­ses Album so aus dem übri­gen Werk der Band abhebt. Der jun­ge Peter Ham­mill sang über ver­flos­se­ne Lie­be und Hoff­nung. After­wards bleibt mit sei­ner Orgel­un­ter­ma­lung und sei­nem dezen­ten Schlag­zeug­ein­satz bis heu­te eins der schön­sten Stücke von Van der Graaf Gene­ra­tor.
  • Vor 35 Jahren:
    King Crims­on – Red
    Nach fünf Jah­ren andau­ern­der Beset­zungs­wech­sel und sechs Stu­dio­al­ben beschloss Robert Fripp, den kar­me­sin­ro­ten König erst ein­mal schla­fen zu legen. Zum Abschluss gab es mit „Red“ das wohl kraft­voll­ste Werk der nach ein­hel­li­ger Mei­nung besten King-Crims­on-Beset­zung, das einen unge­fäh­ren Ein­druck vom Poten­zi­al des Tri­os und sei­ner zahl­rei­chen Gast­mu­si­ker – dar­un­ter Mel Coll­ins, der spä­ter für Harald Schmidt ins Saxo­fon blies – ver­mit­tel­te. Das sah auch Ste­ven Wil­son (Por­cupi­ne Tree) so, der, wäh­rend ich die­se Zei­len schrei­be, gemein­sam mit Robert Fripp alle Alben bis „Three Of A Per­fect Pair“ (1984) digi­tal ent­staubt und nach und nach ver­öf­fent­licht. „Red“ ist eines der ersten drei, die schon erschie­nen sind. Nach „Red“ kam lan­ge nichts mehr, was den Namen King Crims­on ver­dient hät­te. Scha­de eigentlich.
  • Vor 25 Jahren:
    Uni­vers Zero – Uzed
    Sicher waren die 80-er Jah­re ein Jahr­zehnt, auf das die Musik­welt im Nach­hin­ein auch gut hät­te ver­zich­ten kön­nen; abseits vom Pla­stik-Main­stream stand fast nur noch die Avant­gar­de. Mit Uni­vers Zero schick­te sie aber durch­aus star­ke Ver­tre­ter ins Ren­nen, die sich nicht schlecht mach­ten. Beein­flusst von Zeuhl- und Free­jazz-Bands wie Mag­ma und Art Zoyd ver­öf­fent­lich­ten sie 1984 eine Plat­te, die den­noch eine gro­ße Eigen­stän­dig­keit besitzt. Instru­men­ta­ler, von Bass und Schlag­zeug getrie­be­ner Free­jazz frisst sich ins Ohr des Hörers und bleibt dort nicht lan­ge haf­ten, das wäre ein Zei­chen für Ein­tö­nig­keit; nein, hin­ter jedem Takt, den Uni­vers Zero spie­len, kann die näch­ste Über­ra­schung war­ten. Psy­che­de­lisch, ele­gisch, dann wie­der druck­voll und fröh­lich – so viel Abwechs­lung hat­te der Free­jazz seit King Crims­ons „Lizard“ nicht mehr zu bieten.
  • Vor 20 Jahren:
    Can – Rite Time
    Gegen Ende des Pla­stik­jahr­zehnts besann man sich in der Musik­welt wie­der auf alte Wer­te. Man hat­te end­lich auch selbst die Nase voll von den Syn­thie- und Key­board­klän­gen, die aus jedem Lied trief­ten, nur Robert Fripp, der King Crims­on gera­de wie­der ein­mal auf Eis gelegt hat­te, schwamm wie gewohnt gegen den Strom und ver­öf­fent­lich­te Neu­auf­la­gen sei­ner 1980 und 1981 gemein­sam mit The League of Gen­tle­men und Gast­mu­si­kern wie David Byr­ne (Tal­king Heads) ein­ge­spiel­ten Dis­co­plat­ten. Die Pixies lie­ßen die Mas­sen zu ihrem Über­werk Doo­litt­le die Köp­fe schüt­teln, und in Köln fand sich die Krautrock­band Can wie­der in der Urbe­set­zung zusam­men. Nach­dem man gegen Ende der 70-er Jah­re mit dem Aus­stieg von Damo Suzu­ki (1974) und Hol­ger Czu­kay (1978) der musi­ka­li­schen Avant­gar­de abge­schwo­ren hat­te und sich unter der Obhut der Plat­ten­fir­ma EMI ver­ge­bens den kom­mer­zi­el­len Erfolg zu errei­chen such­te, hat­te man es gegen Mit­te der 80-er Jah­re satt, Däum­chen zu dre­hen, und so fand sich erst­mals seit 1970 das Grün­der­quin­tett mit Sän­ger Mal­colm Moo­ney zu einer ein­ma­li­gen Reuni­on zusam­men. Her­aus kam das letz­te avant­gar­di­sti­sche Kraut­rock-Album des 20. Jahr­hun­derts, das anschlie­ßend uner­reicht blei­ben soll­te. Micha­el Karo­li ver­starb 2001.
  • Vor 10 Jahren:
    dEUS – The Ide­al Crash
    Die 90-er Jah­re waren – auch „dank“ Oasis und Blur – das Jahr­zehnt des Indie-Pop­rock. Aus der Mas­se der immer ähn­lich klin­gen­den Kopier­bands eine her­aus­zu­picken, die einer beson­de­ren Erwäh­nung bedürf­te, ist nicht leicht, also erwei­te­re ich den Such­kreis und wer­de fün­dig: Die bel­gi­sche Band dEUS ver­öf­fent­lich­te 1999 ihr drit­tes Album „The Ide­al Crash“, das schwer zu beschrei­ben ist. Anders als vie­le ande­re Indie­bands zur glei­chen Zeit bedien­ten sie sich nicht bei den Beat­les, son­dern ent­wickel­ten ihren eige­nen Stil, der sich aus Stil­ele­men­ten der spä­ten The Vel­vet Under­ground, Pla­ce­bo und The Ver­ve zusam­men­setzt. Wenn man heu­te die Neun­zi­ger kopie­ren möch­te, dann doch bit­te so!

Und schon sind wir wie­der am Ende.
Viel­leicht ist eini­gen von euch, lie­be Leser, die­se Liste wie­der ein Kauf­an­reiz oder zumin­dest eine Inspi­ra­ti­on, viel­leicht geht sie auch ein­fach unbe­ach­tet an euch vor­bei; mir jeden­falls hat es Spaß gemacht, ein wenig in den Archi­ven zu wühlen.
Die Fort­set­zung folgt, wie gewohnt, im Som­mer 2010, falls bis dahin die Welt nicht schon wie­der untergeht.

Dan­ke fürs Lesen!

Seri­en­na­vi­ga­ti­on« Musik 06/2009 – Favo­ri­ten und Ana­ly­seMusik 06/2010 – Favo­ri­ten und Analyse »

Senfecke:

  1. So, jetzt habe ich alles durch­ge­le­sen. Hut ab. Ein sehr schö­ner und lesens­wer­ter Bei­trag zum Ende des Jah­res. Und der erste auf die­sem Blog, den ich halb­wegs ver­stan­den habe, ohne bun­te Pil­len ein­zu­schmei­ssen. Abge­se­hen von Teil 2 (fin­de ich alle­samt rich­tig Schei­sse) eine sehr inter­es­san­te und infor­ma­ti­ve Rück­schau. Respekt, mein Lieber.

  2. ja! noch bevor ich eine ein­zi­ge zei­le gele­sen habe, weiß ich schon jetzt, dass ich mich nun mit einer kri­tik beschäf­ti­gen wer­de, bei der sich das lesen lohnt. ich freue mich dar­auf. auf geht’s!

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