KaufbefehleMusikkritik
Musik 06/2012 – Favo­ri­ten und Analyse

Die­ser Arti­kel ist Teil 9 von 26 der Serie Jah­res­rück­blick

Leck mich fett, is‘ schon wie­der Ende Juni? Dann wird’s Zeit für die all­se­me­stri­ge Liste der schmack­haf­te­sten Stu­dio­al­ben der ersten sechs Mona­te, die mir bis dato unter­ge­kom­men sind. Dies­mal habe ich sogar dar­an gedacht, sie eini­ger­ma­ßen regel­mä­ßig zu sichern, und kann die­se Vor­ge­hens­wei­se eben­so emp­feh­len wie fol­gen­de Musikalben. 

Wie immer habe ich es nicht geschafft, eini­ge von die­sen recht­zei­tig zu erwer­ben und zu bewer­ten, im Gegen­zug wur­den eini­ge Musikal­ben dis­qua­li­fi­ziert; das Live­al­bum „The Get­tys­burg Address“ der Pro­gres­si­ve-Rock-Band Moon Safa­ri zum Bei­spiel ist zwar qua­li­ta­tiv sehr listen­taug­lich, aber eben ein Live­al­bum und somit eben­so wie die gleich­falls sehr gute Kom­pi­la­ti­on „Lost Tapes“ von Can nicht in Kon­kur­renz zu den ande­ren hier auf­ge­führ­ten Alben ste­hend. Auch die Neu­auf­la­ge von Talk Talks „Spi­rit of Eden“, obwohl unbe­dingt hörens­wert, erfüllt lei­der nicht das not­wen­di­ge Kri­te­ri­um „2012 erst­mals ver­öf­fent­licht“. Ich bit­te um Nachsicht.

Auf die sepa­ra­te Neu­be­spre­chung von „Big Fish“ der Cow­boys From Hell ver­zich­te ich dies­mal und ver­wei­se statt­des­sen auf mei­nen ent­spre­chen­den Arti­kel vom Febru­ar die­ses Jah­res. Soll­te mir jedoch, davon abge­se­hen, ein rele­van­tes Album gänz­lich ent­gan­gen sein, bit­te ich, wie immer, um eine kur­ze Notiz. Eine Anmer­kung noch: Obwohl der groß­ar­ti­ge Musik­dienst Groo­veshark mit deut­scher IP-Adres­se zur­zeit nicht zugäng­lich ist, habe ich ihn im Fol­gen­den gele­gent­lich refe­ren­ziert. Selbst­ver­ständ­lich erklä­re ich bei Bedarf gern die Vor­ge­hens­wei­se, um ihn ver­wen­den zu kön­nen. Nun aber viel Spaß beim Erkun­den der fol­gen­den Werke:

1. Kauf­be­feh­le.

  1. Les Frag­ments de la Nuit – Musi­que de Nuit

    Wir las­sen es aus­nahms­wei­se mal ruhig ange­hen. Aus Frank­reich stammt das Quin­tett Les Frag­ments de la Nuit, auf Deutsch „Die Frag­men­te der Nacht“, und zum Glück ver­zich­ten sie mit Aus­nah­me des zwei­mi­nü­ti­gen „La dame blan­che“ auf Gesang. Mit fran­zö­sisch­spra­chi­gen Tex­ten wer­de ich ein­fach nicht warm.

    Statt­des­sen wird die „Musik der Nacht“ im instru­men­ta­len Klas­sik­stil dar­ge­bo­ten. Trotz­dem klingt das Gefie­del nur sel­ten ein wenig trä­ge, meist wird reich­lich Span­nung erzeugt. Das könn­te auch dar­an lie­gen, dass sich „Musi­que de Nuit“ in die­se Liste, mehr oder weni­ger, hin­ein­ge­schum­melt hat: Zu Beginn ihrer Kar­rie­re im Jahr 2005 mach­ten Les Frag­ments de la Nuit vor­ran­gig Musik für Doku­men­tar­fil­me, also recht kur­ze, aber um so stim­mungs­vol­le­re Stücke. Tat­säch­lich sind auf „Musi­que de Nuit“ vie­le bereits älte­re, aber auch eini­ge neue­re Stücke zwi­schen 0:56 und nur zwei­mal über 3 Minu­ten enthalten.

    Zu der Neo­klas­sik gesel­len sich Ele­men­te aus Avant­gar­de und Post­rock, etwa dann, wenn Vio­li­nen und Cel­lo bewusst mit Deh­nung und Dis­so­nanz spie­len. Ver­glei­che? Wenn’s sein muss:

    Klas­si­sches Instru­men­ta­ri­um, neo­klas­si­sche Ansatz, Expe­ri­men­tal­kunst und Ambi­ent mit selbst genann­ten Ein­flüs­sen wie Debus­sy, Erik Satie und God­speed You! Black Emper­or. Kopf­ki­no für Fortgeschrittene.

    Gefällt mir. Wem noch?

    Her­aus­fin­den kann man’s mit den Hör­pro­ben auf Amazon.de, drei Stücke in vol­ler Län­ge sind auch auf der Inter­net­sei­te von Den­o­va­li Records anzuhören.

  2. Die Ärz­te – auch
    „Hast du nichts Bes­se­res zu tun als die Die Ärz­te zu hör’n?“ (ZeiD­ver­schwÄn­dung)

    Die Ärz­te legen nach: Auch nach 30 Jah­ren – net­to immer­hin 25 – ver­ei­nen sie soli­den Pop­rock mit bis­wei­len amü­san­ten Tex­ten und koket­tie­ren mit den seit Jah­ren kur­sie­ren­den Gerüch­ten über die unver­meid­li­che bal­di­ge Auflösung.

    Dass auf „auch“, anders als noch auf dem Vor­gän­ger „Jazz ist anders“, kei­ne sofort mit­gröl­ba­re „Hit­sin­gle“ wie sei­ner­zeit „Jun­ge“ zu fin­den ist, mag stim­men, obwohl das „lala-lala, lala­la lala-la-lala“ der ersten Sin­gle „ZeiD­ver­schwÄn­dung“ (von mir bereits an ande­rer Stel­le aus­führ­lich gut gefun­den) ziem­lich ins Ohr geht. Wer aber Die Ärz­te hört, der erwar­tet nor­ma­ler­wei­se auch kei­ne Sta­di­on­kra­cher wie zum Bei­spiel von den Toten Hosen. Davon abge­se­hen sind die Unter­schie­de zu „Jazz ist anders“ nicht all­zu groß: Jenes kam in einer Minia­tur­piz­za­schach­tel daher, die­ses nun in einem Brett­spiel­kar­ton. Bei­des ist enorm unprak­tisch für zum Ins­re­gal­stel­len, aber immer­hin krea­tiv. Ent­hal­ten ist auch ein Brett­spiel, was für lan­ge Aben­de mit Freun­den (und Alko­hol) sicher­lich inter­es­sant ist.

    Natür­lich ist es unver­meid­lich, dass man sich beim Tex­ten nach ein paar Jahr­zehn­ten auch mal wie­der­holt, ob mit Absicht oder aus Ver­se­hen. Das Lied „ZeiD­ver­schwÄn­dung“ etwa beginnt so:

    Du surfst den gan­zen Tag schon durch das welt­wei­te Netz
    in der Hoff­nung, dass viel­leicht mal irgend­ei­ner was petzt.

    Die zwei­te Stro­phe von „Ret­tet die Wale“, erschie­nen erst­mals auf der Sin­gle „Manch­mal haben Frau­en …“ aus dem Jahr 2000, beginnt so:

    Ihr sitzt bestimmt den gan­zen Tag am Bild­schirm und ihr surft durchs Internet.

    Sol­che Details trü­ben den Hör­spaß aber nur wenig. Schon zu Beginn neh­men sich Die Ärz­te selbst auf die Schip­pe: Farin Urlaubs „Ist das noch Punk­rock?“ beginnt mit Punk­rock, ist im Refrain aber ein eher sanf­tes Lie­bes­lied. In „TCR“ zitie­ren Die Ärz­te Reg­gae, Death Metal und ihre eige­ne Früh­pha­se mit Lie­dern wie „El Cat­tivo“, um iro­nisch ihre eige­ne sti­li­sti­sche Band­brei­te dar­zu­le­gen und sich somit einer Schub­la­di­sie­rung („Die Ärz­te sind ’ne Punk­band“, von wegen!) zu entziehen.

    Bela B. hat sein zwei­tes Ich, den lusti­gen Vam­pir, bereits auf dem letz­ten Album „beer­digt“, Lie­der über Gruf­ten, Gra­fen und Unto­te trägt er dies­mal aus­nahms­wei­se also nicht bei, was dafür Platz macht für groß­ar­ti­ge Lie­der wie „Mist­stück“. Selbst die Bei­trä­ge des Bas­si­sten „Rod“ Gon­zá­lez (wohl nicht iden­tisch mit dem gleich­na­mi­gen Schlag­zeu­ger von La Desoo­or­den), dar­un­ter das gothicrock­ar­ti­ge „Sohn der Lee­re“, sind über­aus gelun­gen. Und dann wäre da eben noch „ZeiD­ver­schwÄn­dung“: Die Ärz­te sin­gen dar­über, dass Die Ärz­te eigent­lich gar nicht so inter­es­sant sind und die Hörer doch lie­ber eine ande­re Musik­grup­pe favo­ri­sie­ren soll­ten. Ob das funktioniert?

    Ins­ge­samt ist „auch“ ein gutes Album; kein über­ra­gen­des wie einst „Pla­net Punk“ und „Le Fri­sur“, aber auch kein Griff ins Klo wie „Ist das alles?“. Bes­ser als das, was ihre lang­jäh­ri­gen Weg­ge­fähr­ten von den Toten Hosen mitt­ler­wei­le unter Musik ver­ste­hen (sie­he auch wei­ter unten), ist es alle­mal, und alles, was Die Ärz­te aus­macht und bis­lang aus­ge­macht hat, ist auch auf „auch“ zu hören.

    Farin Urlaub hat vor ein paar Mona­ten in einem Inter­view gesagt, in zehn Jah­ren wol­le er defi­ni­tiv kei­ne Musik mehr machen. Dann ist er fast 60 Jah­re alt und somit eigent­lich in einem guten Rock­star­al­ter. Wenn vor­lie­gen­des Album also bereits Teil sei­nes „Alters­wer­kes“ ist, gebührt ihm und sei­nen bei­den Band­kol­le­gen jede Hoch­ach­tung. Mei­ner­seits erfolgt die­se ja sowie­so.

    Hör­pro­ben: Auf YouTube.com gibt es zur­zeit offi­zi­el­ler­wei­se kom­plet­te Musik­vi­de­os für jedes (!) der Lie­der auf dem Album und der Sin­gle zu sehen.

  3. Dis­ap­pears – Pre language
    „Minor pat­terns, not­hing hap­pens, chan­ges, stan­dards, doesn’t mat­ter.“ (Minor patterns)

    Ganz anders als die fröh­li­chen Pop­rock-Ärz­te kom­men die vier Musi­ker von Dis­ap­pears aus Chi­ca­go mit ihrem Noi­se­r­ock daher. Spon­ta­ne Asso­zia­tio­nen: The Fall und ein biss­chen Sonic Youth.

    An Bord ist unter ande­rem Ste­ve Shel­ley, einst ein­zig Schlag­zeu­ger bei letz­te­ren und nun auch bei Dis­ap­pears. Das macht Dis­ap­pears aber noch nicht zu blo­ßen Kopi­sten: Die Ver­satz­stücke aus Post-Punk, Feed­back-Schlei­fen und Shoe­ga­ze wer­den ele­gant in den eige­nen Kon­text ein­ge­wo­ben. Peter nann­te das „Psy­che­de­lic Rock“ und lag damit nicht mal all­zu sehr daneben.

    Die Klang­wän­de aus Bass und Schlag­zeug bil­den zusam­men mit den drecki­gen Gitar­ren­tep­pi­chen ein ange­neh­mes Fun­da­ment für die manch­mal gequäl­ten, manch­mal fle­hen­den, manch­mal gelang­weil­ten Dekla­ma­tio­nen von Bri­an Case, der Mark E. Smith womög­lich unab­sicht­lich, aber doch bra­vou­rös nacheifert.

    Musi­ka­lisch bewegt man sich auf wei­tem Ter­rain: Klingt das Titel­stück, vom Gesang abge­se­hen, nach den Fehl­far­ben in ihren besten Jah­ren, „Repli­ca­te“ und „Joa“ sind hyp­no­tisch groo­ven­de Indie-Rock-Stücke. Das Musik­ma­ga­zin SSG Music brach­te den Ter­mi­nus der Moto­rik ins Spiel, also den prä­zi­sen 4/4‑Takt, der Krautrock­grö­ßen wie NEU! und Kraft­werk angeb­lich cha­rak­te­ri­siert, aber die stoi­sche Schlicht­heit des Rhyth­mus‘ ist nicht zwin­gend als Remi­nes­zenz, viel­mehr als Mit­tel zum Zweck zu werten.

    Mit „Kraut­rock“ hat „Pre lan­guage“ näm­lich – erfreu­li­cher­wei­se – anson­sten nur wenig zu tun, wenn man genann­te Ver­glei­che nicht gera­de pau­schal in die „Krautrock“-Schublade steckt (und von mir somit schief ange­blickt wür­de), obwohl Tho­mas Pil­grim das anders sieht:

    Die­se dun­kel­grau­en Lie­der ken­nen ihre Pap­pen­hei­mer aus Post-Punk, Shoe­ga­ze und Kraut­rock – und sprin­gen ent­spre­chend unsanft mit ihnen um.

    Viel­leicht ist es für uns Musik­freun­de wirk­lich manch­mal das Beste, uns die Hör­ein­drücke selbst zu ver­schaf­fen. Ich hof­fe, dazu mit die­ser Rezen­si­on aus­rei­chend ange­regt zu haben.

    Hör­pro­ben: Auf Amazon.de gibt es 30-sekün­di­ge Aus­schnit­te zu hören, auf YouTube.com unter ande­rem eine Live­ver­si­on des Titel­stücks zu sehen.

  4. Field Music – Plumb
    „The nar­ra­ti­ves are so fami­li­ar…“ ((I Keep Thin­king About) A New Thing)

    Aus Groß­bri­tan­ni­en stammt das Quar­tett Field Music, im Kern bestehend aus und gegrün­det von den bei­den Brü­dern Peter und David Brewis, und es lässt auf sei­nem vier­ten Stu­dio­al­bum „Plumb“, das Mit­te Febru­ar erschie­nen ist, kaum ein Kli­schee über bri­ti­sche Rock­mu­sik aus.

    Field Music hat die Krea­tiv­pau­se bis zum Album „Mea­su­re“ (2010) offen­bar gut getan, denn seit­dem sind sie von der Indie-Rock-Schie­ne der Mar­ke Maxi­mo Park abge­wi­chen und wid­men sich ande­ren musi­ka­li­schen Sphä­ren. Pink Floyd, die Beach Boys und vor allem natür­lich die unver­meid­li­chen Beat­les („Sgt.-Pepper“-Phase, also nicht mal unbe­dingt die schlech­te­ste) hört der geneig­te Musik­freund sofort her­aus. Das ist viel­leicht nicht son­der­lich krea­tiv, aber es spricht an, und das ist nun ein­mal das Wich­tig­ste an Musik, die gut sein soll.

    An Güte man­gelt es dann auch tat­säch­lich nicht. Die erste Sin­gle „(I Keep Thin­king About) A New Thing“, auf dem Album erfreu­li­cher­wei­se das letz­te und nicht das erste Stück, beginnt mit Fan­fa­ren, die in ein merk­wür­dig hek­ti­sches Bass­mu­ster über­ge­hen, zu dem teils ein‑, teils mehr­stim­mig gesun­gen wird. Funk klingt eben­so an wie der zu Unrecht nur wenig bekann­te New Wave von XTC. Vor­wer­fen könn­te man der Band hier nur, dass das Lied ein wenig zu kurz ist – oder wirkt es nur so? 3 Minu­ten und 16 Sekun­den sind ja durch­aus üblich, und das ist bedauerlich.

    Wäh­rend besag­te Sin­gle die Indie-Wur­zeln der Band kaum ver­leug­nen kann, sind ande­re Stücke wie „A New Town“ eigen­stän­di­ger: Nach einem melan­cho­li­schen Akkor­de­on-Intro bricht der Funk mit hoher Stimm­be­glei­tung wie­der los; die Melo­die (Gesang wie Instru­men­te) bekommt man nur noch schwer aus dem Kopf. „Sor­ry Again, Mate“ ist ein eher unauf­fäl­li­ges, von Strei­chern beglei­te­tes Pop­lied im Stil der Beat­les zu Zei­ten von „Abbey Road“, das eröff­nen­de „Start The Day Road“ bedient sich bei den mehr­schich­ti­gen Expe­ri­men­ten von King Crims­on und ihren Nacheiferern.

    Wer den Pop­rock der spä­ten 60-er Jah­re schätzt, dem dürf­te „Plumb“ zwei­fels­oh­ne gefal­len. Gele­gent­li­che Wech­sel zwi­schen Gefäl­lig­keit und Anspruch erhö­hen das Hör­ver­gnü­gen auch für die­je­ni­gen unter jenen, die Abwechs­lung mögen. „Plumb“ ist ein selt­sa­mes Album – aber ein gutes.

    Hör­pro­ben: Zur­zeit (Anfang Juni 2012) ist „Plumb“ auf nme.com im Stream zu hören, aber natür­lich stellt auch Amazon.de die übli­chen kur­zen Hör­pro­ben bereit.

  5. Soen – Cognitive
    „This is not the dust that we once came from“ (Savia)

    Vom Pop­rock zum Pro­gres­si­ve Metal: „Cogni­ti­ve“ ist das Debüt­al­bum der „Super­group“ Soen.

    Unter einer „Super­group“ ver­steht man bekannt­lich eine Musik­grup­pe, an der bekann­te Musi­ker aus ande­ren Musik­grup­pen aktiv betei­ligt sind. Trans­at­lan­tic und Cream sind bekann­te Bei­spie­le, aber auch Soen wird gele­gent­lich als eine sol­che „Super­group“ bezeich­net, obwohl nur zwei der vier Mit­glie­der sich bis­lang in ein­schlä­gi­gen Gen­res einen Namen gemacht haben.

    Bei die­sen han­delt es sich um Schlag­zeu­ger Mar­tin Lopez (ehe­mals Opeth und Amon Amarth) und dem spä­ter hin­zu­ge­sto­ße­nen Bas­si­sten Ste­ve DiGi­or­gio (unter ande­rem Death und Auto­psy). Wohin die Rei­se zumin­dest instru­men­tal geht, ist da abseh­bar: Tool, Opeth und Dream Thea­ter las­sen grüßen.

    Dass das bra­chia­le Ele­ment die­ser Bands hier bei­na­he gänz­lich fehlt, ist wohl auch Sän­ger Joel Ekel­öf zu ver­dan­ken, der Gesang mit Wie­der­erken­nungs­wert – eben „cogni­ti­ve“ – bei­steu­ert. Er ver­zich­tet dan­kens­wer­ter­wei­se auf stumpf­sin­ni­ges Gebrüll, singt sei­ne Parts statt­des­sen so sau­ber ein, dass man mit­un­ter einer Cover­band von Por­cupi­ne Tree zu lau­schen glaubt, deren Sän­ger Ste­ven Wil­son ja gleich­falls recht mar­kant into­niert. In den ruhi­gen Pha­sen, etwa in „Oscil­la­ti­on“, singt er gele­gent­lich auch (absicht­lich?) so gekün­stelt, dass unser­ei­nem sofort Extra Life ein­fällt, obwohl die­se in der Regel weni­ger dezent musi­zie­ren.

    Den­noch ist die­se Melan­ge aus ver­schie­den­sten Ein­flüs­sen oft so ein­gän­gig, dass sie sich im Kopf fest­setzt. „Del­en­da“ – zu über­set­zen wahl­wei­se mit „zu ent­fer­nen­de Din­ge“ oder mit „die Frau, die zu zer­stö­ren ist“, wie wir Latei­ner wis­sen – ist instru­men­tal ein ziem­lich ver­track­tes Metal­stück, zu dem man den­noch – oder des­we­gen – gut durch die Gegend hüp­fen kann wie ein Beklopp­ter, der Kopf nickt zum Rhyth­mus von „Slithe­ring“ (nicht etwa „Sly­the­rin“), „Frac­ci­ons“, das erste, bereits 2010 ver­öf­fent­lich­te Lied der Grup­pe, mit sei­ner eigen­ar­ti­gen Melo­die ist Dream Thea­ter so nahe wie sonst nur wenig auf dem Album.

    Der Name „Soen“ in qua­si belie­bi­ger Groß­schrei­bung steht laut Inter­net für „Solar Ener­gy“, „Sou­thern Oscil­la­ti­on El Niño“ oder irgend­wel­chen umgangs­sprach­li­chen Fir­le­fanz aus irgend­wel­chen Fremd­spra­chen. Nun hat er end­lich auch eine für uns Musik­freun­de greif­ba­re Bedeu­tung bekom­men, die von Natur­ge­wal­ten – oder irgend­wel­chem umgangs­sprach­li­chen Fir­le­fanz – etwas ent­fernt ist. Ande­rer­seits: Gewal­tig ist das schon.

    Hör­emp­feh­lung? Natür­lich! Hör­pro­ben? Bit­te sehr:
    Auf Amazon.de gibt es Schnip­sel zu hören, das Musik­vi­deo zu oben erwähn­tem „Del­en­da“ auf YouTube.com zu sehen.

  6. Madon­na – MDNA
    „Some girls are not like me, I’m ever­ything you ever drea­med of“ (Some Girls)

    „Madon­na? Echt jetzt?!“

    Ja, echt jetzt. Natür­lich soll­te man wie schon vor fast 30 Jah­ren dar­auf ver­zich­ten, das Werk von Frau Cic­co­ne unter einem streng audio­phi­len Gesichts­punkt zu betrach­ten, zumal der Cher-Effekt – die schlich­te Wei­ge­rung zu altern – nebst Vocoder­ein­satz hier auch kei­ne Neu­ig­keit mehr ist. Madon­na macht aber, wie schon vor 30 Jah­ren, pri­ma Tanz­mu­sik, und die Sin­gle „Girl Gone Wild“ (nur echt mit anzüg­li­chem Video) zeigt schon, was sich seit „Ray of Light“ (1998) getan hat, näm­lich ’ne Menge.

    Die Pha­se von Madon­nas musi­ka­li­scher Neu­erfin­dung bezie­hungs­wei­se ihrer Rück­kehr zum Elek­tro­pop war spä­te­stens ab „Music“ (2000) mit dem wenig­stens noch eini­ger­ma­ßen bekann­ten Titel­stück nicht zu über­hö­ren, danach wur­de es ein wenig wirr; zuerst kamen aller­lei Kom­pi­la­tio­nen auf den Markt, auf dem Alt­be­kann­tes wie­der durch­ge­kaut wur­de, die wirk­lich neu­en Stu­dio­al­ben, zuletzt „Hard Can­dy“ (2008), habe ich nicht ein­mal mehr mitbekommen.

    Nun also „MDNA“.

    „There’s only one Queen, and that’s Madon­na, bitch!“
    – „I Don’t Give A“

    Der Titel ist so aus­sa­ge­kräf­tig wie sonst nur weni­ge („Music“, ach was?): Beschei­den­heit hat Madon­na längst nicht mehr nötig, der über­heb­li­chen Selbst­lob­hu­de­lei von min­der­qua­li­ta­ti­ven Imi­ta­to­rin­nen wie Lady Gaga aber setzt sie ein mäch­ti­ges Zei­chen ent­ge­gen: Seht her, ich kann’s immer noch bes­ser als ihr. Und das ist nicht mal übertrieben.

    „All the biters have to go stan­ding in the front row.“
    – „I Don’t Give A“

    „MDNA“ – wie­der­holt in „I’m Addic­ted“ zu hören – bedeu­tet auch die Kon­trak­ti­on, die Reduk­ti­on aufs Wesent­li­che. Zurück zu den Wur­zeln, dem Schlich­ten. Um die mes­sa­ge zu ver­deut­li­chen, hol­te sie sich die bei­den Rap­pe­rin­nen M.I.A. und Nicki Minaj ins Boot, die an geeig­ne­ten Stel­len Madon­nas Groß­ar­tig­keit loben. Musi­ka­lisch meint es nur wenig Pom­pö­ses, son­dern eben so Radio­pop; aller­dings sol­chen, der mir per­sön­lich als jeman­dem, der es gern etwas ver­track­ter mag, ziem­lich gut gefällt. Gele­gent­li­che Total­aus­fäl­le („uhla­la, you’­re my super­star“) fal­len da kaum ins Gewicht.

    Bezie­hungs­wei­se eben: Wenn aus­ge­rech­net „MDNA“ eins der besten Pop­mu­sikal­ben des Halb­jah­res ist, hat die Musikindu­strie was falsch gemacht. Hat sie dann wohl.

    Hör­pro­ben gibt es auf Amazon.de in gebo­te­ner Kür­ze, das Video zu „Girl Gone Wild“ in vol­ler Län­ge auf YouTube.com zu konsumieren.

  7. Thin­king Pla­gue – Decli­ne and Fall
    „Eat more, think less, drink more, sleep less, die more.“ (Slee­per Cell Anthem)

    Thin­king Pla­gue – trotz des Namens kei­ne Pla­ge – exi­stie­ren nun­mehr seit 30 Jah­ren und schaf­fen es immer noch, sich nicht nur noch zu wie­der­ho­len. Das ist in ihrem Sek­tor – die ein­schlä­gi­gen Schub­la­den­den­ker spre­chen meist von „RIO/Avant“ – aber (zum Glück) auch nicht schwer.

    „Avant(garde)“ ist hier ein so zutref­fen­des Gen­re wie sonst nur sel­ten. Die momen­ta­ne Sän­ge­rin (die­ser Posten wird ja sozu­sa­gen stän­dig neu besetzt) Elai­ne di Fal­co, deren Stim­me mit­un­ter, etwa in „I Can­not Fly“, laut­ma­le­risch als zusätz­li­ches Instru­ment agiert, statt nur als Trans­port­mit­tel für die übri­gens auch mal erwäh­nens­wer­ten Tex­te zu die­nen, fügt sich treff­lich in das Gesamt­ge­fü­ge ein. Freun­den belang­lo­sen Schön­klangs wird das Dar­ge­bo­te­ne ziem­li­che Kopf­schmer­zen berei­ten; mir gefällt es um so besser.

    Ach ja, die Tex­te. „Abstieg und Fall“, so der über­setz­te Titel des Albums, sind inhalt­lich prä­gend, wobei der Abstieg der mensch­li­chen Gesell­schaft eines der The­men bil­det. Ob man ihnen aber fol­gen soll­te? Ich behaup­te: Nein. „Decli­ne and Fall“ ist sicher­lich von sol­cher Musik, bei der man nor­ma­ler­wei­se mit­sin­gen kann, weit ent­fernt. Thin­king Pla­gue sind viel­mehr so abge­fah­ren wie zuletzt broken.heart.collector, so schräg wie Hen­ry Cow und der­glei­chen, so kom­plex wie Gent­le Giant, obwohl die Gesangs­har­mo­nien da jede Ähn­lich­keit eigent­lich ver­bie­ten sollten.

    Mit letz­te­ren hat man aber auf­grund der kam­mer­mu­si­ka­li­schen Ele­men­te noch mehr gemein­sam; bezie­hungs­wei­se eben:

    Vom ersten Moment an gibt es hier kom­ple­xen, kan­ti­gen Kam­mer­rock zu hören, der sei­ne Beein­flus­sung durch moder­ne Klas­sik nicht ver­leug­nen kann. Selt­sam ver­que­re Melo­die­li­ni­en von Holz­blas­in­stru­men­ten (meist Saxo­phon, gele­gent­lich auch Kla­ri­net­te) drin­gen auf krum­men Wegen in die Gehör­gän­ge ein, beglei­tet von fili­gran-verz­wir­bel­ter Gitar­re und einer kom­plex agie­ren­den Rhyth­mus­sek­ti­on. (…) Ergänzt wird das Gan­ze um dezen­te Tasten­klän­ge, unter denen sich hin und wie­der ein sanf­tes Mello­tron befindet.

    „Kan­tig“ – ein her­vor­ra­gen­des, weil unge­mein tref­fen­des Adjek­tiv. Vom Ein­heits­brei ist „Decli­ne and Fall“ auch des­halb weit ent­fernt. Das fin­de ich gut. Und wem es gefällt, der soll­te sich außer die­sem Album auch „Rain­bro“ von Inner Ear Bri­ga­de zule­gen, das eben­falls 2012 erschien und mit sehr ähn­li­chen Zuta­ten arbei­tet. (Zwei Kauf­be­feh­le in nur einer Rezen­si­on, wo sonst gibt es das schon?)

    Hör­pro­ben: Amazon.de hat Aus­schnit­te, Groo­veshark das gan­ze Album im Repertoire.

  8. A Whisper in the Noi­se – To Forget

    Nach so viel lau­ter Musik schla­ge ich wie­der lei­se­re Töne an. Ein Flü­stern im Krach. A Whisper in the Noi­se.

    Eigent­lich hat­te man A Whisper in the Noi­se ja schon für schein­tot erklärt, nach­dem aus eini­gen Mit­glie­dern die­ser Musik­grup­pe Wive ent­stand, die ich 2010 für ihre groß­ar­ti­ge CD-Ver­packung lob­te (und die aber auch ganz okaye Musik machen). Übrig geblie­ben ist nach der kurz­zei­ti­gen Auf­lö­sung nach dem Album „Dry Land“ auch tat­säch­lich nur noch das Duo West Thord­son (Schlag­zeug, Gitar­re, Gesang, diver­ses) und Son­ja Lar­son (Vio­li­ne und eben­falls Gesang).

    Dabei schei­nen die Gemein­sam­kei­ten mit Wive anfangs gar nicht ein­mal so groß zu sein, die instru­men­ta­le Eröff­nung, näm­lich das Titel­stück, lässt A Whisper in the Noi­se den Japa­nern Mono nahe erschei­nen, aber bereits im zwei­ten Stück, „Black Shroud“, schlägt die Stim­mung um. Von der unter­drück­ten, zurück­hal­ten­den Aggres­si­on von „Dry Land“ ist nichts mehr zu hören und zu spü­ren, Melan­cho­lie und ele­gi­sche Ver­träumt­heit behal­ten die Oberhand.

    Wäre da nicht der zurück­hal­ten­de, bei­na­he ängst­li­che Paar­ge­sang, man könn­te „To For­get“ für ein Spät­werk von Talk Talk hal­ten (oder für eine Cover­ver­si­on davon). Slint immer­hin, wie Talk Talk Pio­nie­re des Post­rocks, nennt man gele­gent­lich als Refe­renz, und so schließt sich der Kreis dann ja doch noch beinahe.

    Ein Flü­stern im Krach. So klingt „To For­get“: Still, zer­brech­lich, zurück­hal­tend. Unauf­dring­lich wie die­se Sät­ze. Schön.

    Ich emp­feh­le Unent­schlos­se­nen fol­gen­de Hör­pro­ben:
    Amazon.de hat die gewohn­ten Klang­schnip­sel vor­rä­tig, die Band selbst hat auf Sound­Cloud die bei­den Stücke „Your Hand“ und „Black Shroud“ hoch­ge­la­den. Empfehlenswert.

  9. Mes­hug­gah – Koloss
    „My rules app­ly to all. You’ll heed me, bleed for me.“ (I am Colossus)

    In der zwei­ten Halb­jah­res­li­ste 2011 hat­te ich Cave In lobend erwähnt und war damals schon nicht sicher, wel­ches Gen­re ange­mes­sen wäre:

    „Metal­co­re“ ist zwar eine vali­de Beschrei­bung der all­ge­mei­nen Aus­rich­tung der Musik von Cave In, aber sie ist nicht ansatz­wei­se vollständig.

    So geht es mir auch bei „Koloss“, dem neu­en Album von Mes­hug­gah. Die „Baby­blau­en Sei­ten“ füh­ren sie als „Prog-Death-Thrash-Metal aus Schwe­den“, ich wür­de sie spon­tan vor allem unter „b“ wie „böse“ ein­sor­tie­ren. „Prog“ ist unser­eins dann doch etwas zurück­hal­ten­der gewohnt, wäre da nicht Dick Löv­gren, des­sen Bass­spiel die­sem Koloss („Koloss“, wis­sen­schon) von Musik eine Pri­se Tool hin­zu­fügt, was wohl schon genügt, um pau­schal „Prog“ drauf­zu­schrei­ben. Ach, man könn­te meschug­ge wer­den davon.

    Apro­pos meschug­ge, blei­ben wir bei Mes­hug­gah. Von der Urbe­set­zung – for­miert immer­hin bereits 1987, was im Musik­ge­schäft inzwi­schen durch­aus eine ansehn­li­che Zeit­span­ne ist – sind nur noch Jens Kid­man (Gesang) und Fre­d­rik Thor­dendal (Gitar­ren) an Bord, die Quin­tett­be­set­zung vom Vor­gän­ger­al­bum „obZen“ ist indes unver­än­dert geblieben.

    Auch nach 25 Jah­ren sind sie noch kein biss­chen lei­ser gewor­den. „Gesang“ ist hier nicht all­zu wört­lich zu neh­men, kli­schee­taug­lich wird ins Mikro­fon gebrüllt. Kon­ter­ka­riert wird das Kli­schee von den eini­ger­ma­ßen ver­track­ten Rhyth­men und Melo­dien, die zei­gen, dass es eben nicht nur um blo­ße bra­chia­le musi­ka­li­sche Gewalt geht. Natür­lich gibt es auch auf „Koloss“ trotz­dem mäch­tig auf die Zwölf:

    Das Album bril­liert mit einer der­ma­ßen her­vor­ra­gen­den Balan­ce, dass zur Per­fek­ti­on nur noch ein Wim­pern­schlag zu feh­len scheint. Riffs, Gitar­ren­ar­beit, Schlag­werk, Kom­po­si­ti­on, Arran­ge­ments und Klang – sämt­li­che Zuta­ten, von Mikro­be­stand­tei­len zu den gro­ben Frag­men­ten, die ein Album, einen Song aus­ma­chen, fügen sich auf „Koloss“ zu einem Gesamt­bild zusam­men, wel­ches den Hörer mit einer erbar­mungs­lo­sen Kano­na­de von Hit­ein­schlä­gen niederwalzt.

    Der Faux­pas „Hit­ein­schlä­ge“, also „Schlage­inschlä­ge“, sei geschenkt: Hin­zu­zu­fü­gen ist dem anson­sten nichts mehr.

    Hör­pro­ben: Amazon.de hat 30-sekün­di­ge Aus­schnit­te und eine Son­der­auf­la­ge mit DVD, Groo­veshark das kom­plet­te Album zum Streamen.

  10. Gra­ham Coxon – A + E
    „Going down to the city hall, a bil­li­on lights in front of me…“ (City Hall)

    Aus dem nähe­ren Umkreis der mal mehr, mal weni­ger akti­ven Brit­pop-Grup­pe Blur hört man gegen­wär­tig vor allem von Damon Albarn, neben­bei Vor­den­ker der Goril­laz und sonst­wie hyper­ak­tiv, so man­ches. Dass bei Blur außer ihm auch ande­re Musi­ker spiel­ten und/oder spie­len, geht dabei fast voll­kom­men unter.

    Einer von die­sen ande­ren Musi­kern ist Gra­ham Coxon, eben­dort einst und nun, nach erfolg­ter Aus­söh­nung, wie­der für’s Gitar­ren­spie­len zustän­dig. Die­ser nun ver­öf­fent­lich­te 2012 mit „A + E“ ein eigen­ar­tig beti­tel­tes (sein inzwi­schen ach­tes) Musik­al­bum mit noch eigen­ar­ti­ge­rer Musik drauf, das ich bereits im April für nicht weni­ger als gran­di­os hielt. An die­ser Ein­schät­zung mei­ner­seits hat sich bis­lang nichts Wesent­li­ches geändert.

    Was „A + E“ oder „A+E“ – die ein­zig wah­re Schreib­wei­se ist mir gera­de nicht geläu­fig – bedeu­ten soll, ist rät­sel­haft, aber das A und O des Lo-Fi-Gara­gen­rocks beherrscht Gra­ham Coxon aus dem ff. „Lo-Fi“ ist dabei aus­nahms­wei­se mal nicht nur ble­cher­nes Geschram­mel: Pro­du­zent Ben Hil­lier hielt ein wach­sa­mes Auge dar­auf, dass nichts entgleist.

    Zuge­ge­be­ner­ma­ßen haben Text­freun­de wie ich nur wenig Spaß an den eher spär­li­chen Zei­len. In „City Hall“ genügt eine Zei­le, die immer wie­der wie­der­holt wird, das Elek­tro­pop-Lied „Wha­t’ll It Take“ hat immer­hin schon zwei: „Wha­t’ll it take to make you peo­p­le dance?“, das muss dann aber für eine Stro­phe auch rei­chen. Aller­dings: „Dance“, ja, zum Tan­zen oder jeden­falls leid­lich rhyth­mi­schen Her­um­wackeln eig­net sich „A + E“ eben­so wie die mei­sten Alben der Dan­dy War­hols, was ja nun auch nicht die schlech­te­ste Refe­renz ist, jedoch wirkt der Gesang letz­te­rer Musi­ker eher müde (nicht schlecht-müde, son­dern müde-müde), was ein inter­es­san­tes Stil­mit­tel ist, „A + E“ aber dann doch wie­der etwas fer­ner rücken lässt. Das ist gut, denn wer braucht schon unge­zähl­te Musikal­ben, die einem eigent­lich doch nur das glei­che zu sagen haben?

    Übri­gens wird das letz­te Lied „Ooh, Yeh, Yeh“ als „Expli­cit Lyrics“ ange­prie­sen, als text­lich womög­lich nicht sehr jugend­frei also, und nach Durch­sicht des­sel­ben leuch­tet mir das nicht ein. In ande­ren Län­dern ist man jedoch manch­mal etwas eigen, was die Bewer­tung von Ver­sen betrifft, was ich ein­fach mal unter „ach, die­se US-Ame­ri­ka­ner“ ver­bu­che. (Gra­ham Coxon ist übri­gens gebür­ti­ger Nie­der­sach­se, Blur stam­men aus Groß­bri­tan­ni­en, aber „Expli­cit Lyrics“ ist ein Eti­kett, das von Nie­der­sach­sen und Bri­ten gewöhn­lich eher sel­ten ver­ge­ben wird.)

    Fie­ser Trick­ser, der er ist, hat Gra­ham Coxon „Advice“ an den Anfang sei­nes Albums gesetzt, sti­li­stisch nahe den (frü­hen) Kinks zu ver­or­ten und kaum als Zusam­men­fas­sung des gan­zen Albums geeig­net, was wie­der ein­mal zeigt, dass es nicht nur stil‑, son­dern meist auch sinn­los ist, sich aus einem Musik­al­bum ein Lied her­aus­zu­picken und die­ses als Kauf­ent­schei­dung heranzuzuiehen.

    Sonst so? Nine Inch Nails, The Cure, Joy Divi­si­on und so wei­ter und so fort, alle­samt ver­edelt mit der dem Musi­ker eige­nen Pri­se Mini­ma­lis­mus und Mono­to­nie (Kraft­werk!), die „A + E“ oder „A+E“ oder jeden­falls die­ses Album so erfri­schend anders klin­gen lässt. Pri­ma Musik, das.

    Hör­pro­ben: Zur­zeit (11. Juni 2012) ist „A + E“ per Sound­Cloud zu strea­men, anson­sten gibt’s auch Amazon.de mit den gewohn­ten 30-Sekun­den-Aus­schnit­ten und einer Auf­la­ge mit DVD, auf der es Live­ver­sio­nen zu hören gibt, was bei sol­cher Musik ja durch­aus auch mal ganz inter­es­sant ist.

  11. The Magne­tic Fields – Love at the Bot­tom of the Sea
    „I want the who­le bloo­dy place red with your girlfriend’s face“ (Your Girlfriend’s Face)

    Ja. Was? – Das waren mei­ne unge­fäh­ren Gedan­ken beim ersten Hören die­ses Albums.

    The Magne­tic Fields sind eine 1990 in Bos­ton gegrün­de­te Folk­pop-/In­diepop-/Noi­se­pop-/Ir­gend­was-mit-Pop-Band, behaup­tet das Inter­net. „Schon wie­der Pop?“, ach, nein, so ein­fach mache ich es mir dann doch nicht. „Love at the Bot­tom of the Sea“ ist genau so „Pop“ oder „nicht Pop“ wie alles ande­re hier in die­ser Liste. Tat­säch­lich spie­len The Magne­tic Fields hier mit Pop­kli­schees, aber sind schon rein text­lich nicht son­der­lich kom­pa­ti­bel mit dem air­play der Massensender.

    „The moment he wal­ked on the stage my tail began to wag,
    wag like a litt­le wei­ner dog for Andrew in drag“
    – Andrew In Drag

    Die harm­lo­sen, wohl­klin­gen­den Melo­dien die­nen The Magne­tic Fields somit als Kata­ly­sa­tor für die schwar­zen Tex­te, was viel­leicht den einen oder ande­ren an „Weird Al“ Yan­ko­vic erin­nern mag, der aller­dings noch ein wenig alber­ner ist. Gesun­gen wer­den sel­bi­ge Tex­te zum Teil von Band­grün­der Ste­phen Mer­ritt, aber auch Shir­ley Simms (Uku­le­le) und Band­ma­na­ge­rin Clau­dia Gon­son (Kla­vier, Per­kus­si­on) sind am Mikro­fon zu vernehmen.

    Musi­ka­lisch höre ich eine inter­es­san­te Mischung aus – unter ande­rem – den Raveo­net­tes (sehr gut zu hören in „Your Girlfriend’s Face“), diver­sen Brit­pop-Bands, den Dan­dy War­hols und New Wave (allein schon das prä­gnan­te Syn­the­si­zer-Blub­bern) her­aus. Die Syn­the­si­zer sind (wie­der) neu, die vor­he­ri­gen drei Alben kamen ohne sie aus (wes­halb man anders­wo von der „No-Syn­ths-Tri­lo­gie“ spricht, was irgend­wie dann doch albern ist), sie erwei­tern das Klang­bild um inter­es­san­te Facetten.

    „Love at the Bot­tom of the Sea“ ist in all sei­ner Pop­pig­keit ziem­lich selt­sam, ziem­lich hör­bar und ein ziem­lich gutes Som­mer­al­bum. Dafür gibt es mei­ne wärm­ste Emp­feh­lung, wenn das Wet­ter schon nicht reicht.

    Hör­pro­ben: Ein Stream ist über musikexpress.de zu errei­chen, anson­sten hat Amazon.de wie­der Drei­ßig­se­kün­der im Angebot.

  12. RAK – The Book of Flight – Lepi­d­op­te­ra II

    Keh­ren wir nun zurück zu etwas Musik mit mehr Tief­gang: „The Book of Flight – Lepi­d­op­te­ra II“ ist – wer hätt’s gedacht? – der Nach­fol­ger des 2004 erschie­ne­nen Albums „Lepi­d­op­te­ra“. Dass RAK (eigent­lich der Künst­ler­na­me des Key­boar­ders Marc Gras­si) dafür acht Jah­re gebraucht haben, ist nahe lie­gend, immer­hin stammt das Quin­tett aus der nicht gera­de für ihre Agi­li­tät bekann­ten Schweiz.

    Gespielt wird kli­schee­haf­ter (und trotz­dem recht guter, sonst wäre er nicht hier zu fin­den) key­board­la­sti­ger Neo­prog. Sechs Stücke fül­len etwas über 64 Minu­ten, womit klar sein dürf­te, dass es auch die­ses Album wahr­schein­lich nie­mals in die Radi­os schaf­fen wird. Allein schon der Titel – latei­ni­scher Name der Schmet­ter­lin­ge – dürf­te die mei­sten typi­schen Radio­hö­rer hoff­nungs­los über­for­dern. (Bedenkt man, dass zum Bei­spiel die Braun­schwei­ger Zei­tung einen Bericht über aus­ge­rech­net Justin Bie­ber auf ihrer Kul­tur­sei­te zwi­schen Film, Lyrik und Thea­ter unter­brach­te, erscheint die­se Befürch­tung noch untertrieben.)

    Das ist zu bedau­ern, denn „The Book of Flight – Lepi­d­op­te­ra II“ hat es in sich:

    In sechs über­wie­gend lan­gen Songs erzählt Gras­si die Geschich­te des „Book of Flight“. Gewal­ti­ge Tasten­ge­bir­ge wer­den auf­ge­wor­fen, schar­fe Synthie‑, Orgel- und Pia­no­leads durch­pflü­gen die­se Klang­land­schaf­ten. Die Gitar­re setzt mal mit krei­schen­den E‑Gi­tar­ren-Soli, mal mit nahe­zu metal­li­schem Rif­fing, mal mit blues­ge­tränk­ten Har­mo­nien ein ums ande­re Mal Gän­se­haut-Akzen­te. Im Unter­grund toben wuse­lig-vir­tuo­sen Drums, die dem Gan­zen mit einem ordent­lich kom­ple­xen Rhyth­mus­ge­flecht Feu­er geben. Da macht sich nicht mal das Feh­len eines etat­mä­ßi­gen Bas­si­sten bemerk­bar, soviel Druck und Zug ent­wickeln die Kom­po­si­tio­nen. Die Arran­ge­ments ber­sten förm­lich vor Details und Wen­dun­gen, die es nach und nach zu ent­decken gilt.

    (Nach weni­gen Stun­den noch mal obi­ges Zitat lesen, sich end­lich über das Wort „etat­mä­ßi­gen“ wun­dern und trotz­dem nicht das Zitat ver­fäl­schen: Erledigt.)

    Um meta­pho­ri­sche Schmet­ter­lin­ge geht es auch in den Tex­ten, genau­er gesagt um die Stär­ke und Selbst­be­stim­mung des Indi­vi­du­ums und den Wider­stand gegen Auto­ri­tä­ten. Die deut­sche Pop­grup­pe Echt nann­te eines ihrer Alben „Frei­schwim­mer“ und woll­te damit zum Aus­druck brin­gen, dass sie sich befreit haben von ihrem frü­he­ren Dasein, RAK ging es von Anfang an um das Frei­sein. Schmet­ter­lin­ge, Schmet­ter­lin­ge 2. Wie wohl der Nach­fol­ger hei­ßen wird?

    Stö­rend ist gele­gent­lich nur der eng­lisch­spra­chi­ge Gesang von Dave Thwai­tes, der stimm­lich doch sehr an den grau­en­vol­len „Gra­fen“ von Unhei­lig erin­nert. Aber dar­über sehe ich gern hin­weg, immer­hin ist er wohl­tu­end nach hin­ten gemischt wor­den und somit nur wenig aufdringlich.

    Hör­pro­ben: Auf Amazon.de gibt es zwar nur die MP3-Ver­si­on des Albums (eklig in „Kapi­tel“ zer­schnit­ten) zu kau­fen, jedoch kann hin­ein­ge­hört wer­den. Das kom­plet­te Album ist auf Grooveshark.com streambar.

  13. Motor­psy­cho & Stå­le Stor­løk­ken – The Death Defy­ing Unicorn

    Die nor­we­gi­sche Musik­grup­pe Motor­psy­cho, seit 1989 bestehend, macht nor­ma­ler­wei­se eigent­lich ganz guten Retro-Prog, Hard­rock oder wie man es auch immer nen­nen möch­te (die irgend­wo im Inter­net auf­ge­schnapp­te Bezeich­nung „Alter­na­ti­ve-Psy­che­de­lic-Hard-Prog­ger“ ist recht zutref­fend). Die­se eigent­lich ganz gute Musik muss irgend­wann Stå­le Stor­løk­ken, Key­boar­der der gleich­falls nor­we­gi­schen, jedoch eher jazz­na­hen (und eben­falls guten) Avant­gar­de-Musik­grup­pe Super­si­lent zu Ohren gekom­men sein, der für das 40-jäh­ri­ge Jubi­lä­um des Mol­de-Jazz­fe­sti­vals noch etwas Musik bei­tra­gen wollte.

    So rief er besag­te Musik­grup­pe (Motor­psy­cho), das Trond­heim Jazz Orche­stra, die Strei­cher­grup­pe Trond­heim­so­li­stene und den Jazz­vio­li­ni­sten Ola Kvern­berg zusam­men, um Gro­ßes zu erschaf­fen. Das Ergeb­nis – fast instru­men­tal – war unge­fähr zwei Stun­den lang und wur­de 2010 urauf­ge­führt. Im wei­te­ren Ver­lauf fand man sich gemein­sam im Stu­dio ein, kürz­te das Werk so, dass es auf ein Dop­pel­al­bum (etwas weni­ger als 84 Minu­ten Gesamt­lauf­zeit) passt, füg­te noch eini­ge Struk­tu­ren und Tex­te (letz­te­re stam­men von Bent Sæther, der hier und bei Motor­psy­cho singt und Bass spielt) hin­zu und fer­tig war das „Death Defy­ing Uni­corn“, das dem Tod trot­zen­de Ein­horn. Pro­gres­si­ve-Rock-Freun­de ken­nen ja das Kli­schee von den eso­te­ri­schen Tex­ten über Elfen und Ein­hör­ner – allein das soll­te schon ein Grund sein, das Album mal zu hören.

    Auch, wenn eben­falls groß Motor­psy­cho drauf­steht: Drin ist vor allem Stå­le Stor­løk­ken. Das ist gut, denn er setzt als Avant­gar­de-Jazz­mu­si­ker bei der Kom­po­si­ti­on ande­re Schwer­punk­te. Wie das klingt? Ziem­lich überragend!

    Natür­lich kann ein Dop­pel­al­bum stel­len­wei­se etwas lang­at­mig wir­ken, etwa dann, wenn es minu­ten­lang nur bedeu­tungs­voll aus dem Laut­spre­cher wabert. Gera­de die­se Abwechs­lung ist es aber, die das „Death Defy­ing Uni­corn“ befeu­ert. Das Trond­heim Jazz Orche­stra lei­stet gan­ze Arbeit, die Blä­ser (unter ande­rem zwei Trom­pe­ter und diver­se Saxo­pho­ni­sten) sind ein eben­so druck­vol­les Ele­ment der Musik wie (natür­lich) die Key­boards von Stå­le Stor­løk­ken, des­sen spa­ce­rocki­ges (ist das über­haupt ein Wort?) Key­board­spiel dem von Patrick Moraz (unter ande­rem auf dem pracht­vol­len Album „Relay­er“ von Yes zu hören) oft recht nahe kommt.

    Ach, Yes: Motor­psy­cho ver­leug­nen ihre Wur­zeln auch auf „The Death Defy­ing Uni­corn“ nicht. Bereits erwähn­te Yes („Muti­ny“) ste­hen hier gleich­be­rech­tigt neben Simon & Gar­fun­kel („Into The Gyre“) und Lis Er Stil­le, sozu­sa­gen ein beherz­ter Griff in die Retro-Tüte.

    „Retro“ ist auch das Kon­zept, immer­hin ist „The Death Defy­ing Uni­corn“ sozu­sa­gen eine Rock­oper wie einst „Tom­my“ und „The Wall“; bezie­hungs­wei­se eben kei­ne Rock­oper, son­dern „ein Wahn­sinn“ (Chri­sti­an Preu­ßer), denn in ein enges Gen­re­kor­sett lässt sich das „Ein­horn“ beim besten Wil­len nicht zwän­gen. Die Rah­men­hand­lung ist fol­gen­der­ma­ßen überliefert:

    Es ist der Rei­se­be­richt eines selt­sa­men jun­gen Kerls, der unter See­krank­heit lei­det, sich aber trotz­dem an Bord eines Schif­fes schleicht. Das Schiff geht unter, er stran­det auf einer Insel und muss sich mit der Natur, Hal­lu­zi­na­tio­nen und Visio­nen, und noch manch ande­rem aus­ein­an­der­set­zen. Es ist eine Art psy­che­de­lisch-meta­phy­si­scher Trip, des­sen Ende – wie so vie­les im Leben und Tod – offen bleibt.

    Trotz oder gera­de wegen all die­ser Kli­schees, vom Ein­horn bis zur Meta­phy­sik, bleibt eigent­lich nur ein Schluss: „The Death Defy­ing Uni­corn“ ist anspruchs­voll, anstren­gend, ein­gän­gig, viel­sei­tig, fili­gran und rockig zugleich – kurz: Ein ver­flixt gutes Album. Schon jetzt ein star­ker Anwär­ter auf das Album des Jahres.

    Hör­pro­ben gibt es auf Amazon.de, CD 1 als Strea­ming auch auf Grooveshark.com.

  14. Liars – WIXIW
    „Teach me how to be a per­son.“ (Flood to Flood)

    Von den Liars (den „Lüg­nern“) hör­te man zuletzt im Jahr 2010, als sie das Album „Sister­world“ ver­öf­fent­lich­ten, das ich sei­ner­zeit sehr gut fand. Zu hören waren Noi­se-Rock und Post-Punk, die Tex­te erzähl­ten von Kri­mi­na­li­tät und son­sti­gen Abgrün­den in der Groß­stadt. Mit „Sister­world“, „Schwe­ster­welt“, war der eige­ne pri­va­te Raum gemeint, den Bewoh­ner einer sol­chen Stadt errich­ten, um ihr Leben weit­ge­hend unge­hin­dert leben zu können.

    Meh­re­re Sprach­ver­sio­nen der Wiki­pe­dia betrach­ten die Liars kon­se­quen­ter­wei­se als ehe­mals im Dance-Punk behei­ma­te­te expe­ri­men­tel­le Rock- und Post-Punk-Band, hef­ten ihnen also ähn­li­che Eti­ket­ten wie The Vel­vet Under­ground an. Dumm nur: „WIXIW“ („Wish you“, weiß der Teu­fel, wie man auf so eine Aus­spra­che kommt) klingt schon wie­der ganz anders.

    Die Gitar­ren sind sphä­ri­scher Elek­tro­nik gewi­chen, das Ergeb­nis erin­nert eher an Kreid­ler als an Sonic Youth. Vie­ler­orts liest man auch Ver­glei­che mit Radio­head, mit denen die Liars einst tour­ten, aber dafür ist „WIXIW“ mei­nes Erach­tens ein­fach zu gut – das grau­en­haf­te Gejau­le eines Thom Yor­ke ist mit dem ange­neh­men Gesang von Angus Andrew erfreu­li­cher­wei­se auch nicht zu vergleichen.

    Es regiert die ver­meint­li­che Tanz­mu­sik, die aber unter der Ober­flä­che immer noch so verz­wir­belt ist wie man es von den Liars eigent­lich erwar­tet hat­te. Bezie­hungs­wei­se eben:

    Düste­re Beats, der Gesang an ande­rer Stel­le nur ein rezi­ta­ti­ves Stim­men­ge­wirr, schwe­re, kunst­voll ver­schlauf­te Sythi­e­va­ria­tio­nen – (…) hier ist kein Bit falsch gesetzt. Der Titel­track (…) als expe­ri­men­tel­le, auch ato­na­le Fuge, die nach einem Drit­tel in ein Trom­mel­sperr­feu­er mün­det, der Tran­ce­tep­pich von „Who Is The Hun­ter“ und das brat­zi­ge, tja „Brats“ – kein Schwach­punkt auszumachen.

    „WIXIW“ mag das bis­her zugäng­lich­ste Werk der Liars sein, es zu unter­schät­zen wäre trotz­dem ein gewal­ti­ger Feh­ler. Die Plat­te wächst bei jedem Hör­durch­lauf. Inten­siv, berau­schend, gran­di­os. Bei­na­he ver­gisst man, dass der alte Gitar­ren-Schram­mel­rock auch nicht so schlecht war. Nur weni­gen Musik­grup­pen gelingt es, sich neu zu erfin­den, ohne dass die Anhän­ger­schar mit den Augen rollt und sich der Kon­kur­renz zuwen­det. Die Liars mei­stern dies augen- bzw. ohren­schein­lich mit Leich­tig­keit. Auf wei­te­re Über­ra­schun­gen die­ser Art freue ich mich jedenfalls.

    Als Hör­pro­be gibt es unter ande­rem auf vimeo.com das Video zur ersten Sin­gle „No.1 Against The Rush“ zu bestau­nen, Amazon.de hat der­weil Aus­schnit­te aus allen 11 Stücken im Ange­bot. Das kom­plet­te Album ist auf Groo­veshark streambar.

  15. Astra – The Black Chord
    „Cha­sing the bright side, losing the way.“ (Bare­foot in the Head)

    Eines der scheuß­lich­sten Bie­re, die ich je getrun­ken habe, trägt den glei­chen Namen wie die­se Musik­grup­pe. Von über­mä­ßi­gem Kon­sum von „The Black Chord“ fühlt man sich jedoch nicht ganz so übel wie vom gleich­na­mi­gen Getränk. Auch das Fahr­zeug­mo­dell des wie­der­um glei­chen Namens, gebaut im Auf­trag von Opel, ist ver­gli­chen mit die­sem Album gera­de ein­mal mittelklassig.

    Die erfreu­li­chen Mög­lich­kei­ten, eben­falls mit­tel­klas­si­ge Wort­spie­le mit ihrem Namen zu machen, sind aber nur ein Vor­teil der Musik­grup­pe Astra (lat. „Ster­ne“). Im Dezem­ber 2009 pries ich das Vor­gän­ger­al­bum „The Weir­ding“ und nann­te es einen „ver­ton­ten Dro­gen­trip“. Seit­dem hat sich, ober­fläch­lich betrach­tet, nicht viel geän­dert: „The Black Chord“ ist erneut ziem­lich dro­gig. (Wer hat die­ses Wort eigent­lich erdacht?)

    Zwar stam­men sie aus den USA, aber sie holen doch die Tugen­den der guten bri­ti­schen Rock­mu­sik wie­der her­vor. Tief in den 70-ern ver­wur­zelt spie­len sie krau­ti­ge Psy­che­de­lic mit Tief­gang. Die alten Pink Floyd, Glass Ham­mer und Hawk­wind tref­fen auf jun­ge Retro­bands wie Äng­la­gård. Freun­de von Prog-Kli­schees dürf­te es freu­en, dass drei der fünf Mit­glie­der über Mello­tro­ne und/oder Moog-Syn­the­si­zer ver­fü­gen, wenn sie nicht gera­de Gitar­re oder Key­board spie­len. Nur Schlagzeuger/Flötist David Hur­ley und Bas­sist Stuart Scla­ter hal­ten sich von der­lei fern, dafür beherr­schen sie ihre eige­nen Instru­men­te vortrefflich.

    Gesang steht kon­se­quen­ter­wei­se nicht vorn in der Prio­ri­tä­ten-Rang­li­ste, das fast neun Minu­ten lan­ge Instru­men­tal­stück „Cocoon“ lei­tet das Album mit dezen­tem Spa­ce­rock ein, stei­gert sich aber über sei­ne vol­le Län­ge und mün­det in einem ziem­lich mit­rei­ßen­den Fina­le. Ja, so war das bei guter Musik irgend­wann mal üblich. („In The Court Of The Crims­on King“ funk­tio­nier­te nach einem ähn­li­chen Prin­zip und ist immer noch klas­se.) Es folgt das vier­tel­stün­di­ge Titel­stück „The Black Chord“, das zu Beginn Maril­li­on zur Zeit ihrer ersten Alben in Erin­ne­rung ruft, bevor nach etwa zwei Minu­ten der har­mo­ni­sche Gesang ein­setzt. Trei­ben­de Instru­men­te: Tasten­in­stru­men­te und Gitar­re, beglei­tet von gele­gent­li­chen Bass- und Schlagzeugeinwürfen.

    Noch im glei­chen Stück winkt gele­gent­lich Gene­sis‘ „Tre­s­pass“ (man höre zuerst deren „The Kni­fe“ und dann die­ses Album oder umge­kehrt) von Wei­tem, auch wegen der ähn­li­chen Gesangs- und son­sti­gen Effek­te. Bri­an Ellis fügt ein paar druck­vol­le Gitar­ren­so­lo-Pas­sa­gen hin­zu, die er im fol­gen­den Stück „Qua­ke Meat“, das mit sei­nem kräf­ti­gen bei­na­he aggres­siv wirkt, noch­mals über­trifft. „Drift“ bringt wie­der ein wenig Ruhe ins Album und ist so eine gute Über­lei­tung zum vor­letz­ten Stück „Bull Tor­pis“, in dem der Spa­ce­rock sich noch­mals nach­drück­lich bemerk­bar macht. „Bare­foot in the Head“ ist ein wür­di­ges Ende für die­ses Album – noch ein­mal wird eine Span­nungs­kur­ve errich­tet, die schließ­lich in einem ful­mi­nan­ten Fina­le mündet.

    Ver­gli­chen mit „The Weir­ding“ sind die Ingre­di­en­zen zwar weit­ge­hend gleich geblie­ben, aber Astra sind hör­bar gereift. Das Ergeb­nis zu über­tref­fen könn­te schwer wer­den, an ihm erfreu­en kann man sich jedoch hof­fent­lich noch für lan­ge Zeit.

    Hör­pro­ben: Unter ande­rem „Qua­ke Meat“ gibt es auf You­Tube zu hören, in alle Stücke hin­ein­hö­ren lässt sich auf Amazon.de.

  16. Was­ser­manns Fie­ber­traum – Brandung

    Zum Schluss der dies­halb­jäh­ri­gen Besten­li­ste gibt es noch einen Kauf­be­fehl für Freun­de digi­ta­ler Musik, denn als einen phy­si­schen Ton­trä­ger gibt es das Album „Bran­dung“, erschie­nen im April die­ses Jah­res, mei­nes Wis­sens allen­falls auf Kon­zer­ten der Regens­bur­ger For­ma­ti­on Was­ser­manns Fie­ber­traum zu erwerben.

    Gesang? Trotz Lied­ti­teln wie „Flackern­des Son­nen­licht“ und „Zer­kratz­te Luft“ Fehl­an­zei­ge. Das ist ein biss­chen scha­de, aber tut nicht weh. Gemäß der Eigen­be­schrei­bung auf der Web­site der Band han­delt es sich bei Was­ser­manns Fie­ber­traum um …

    (…) eine instru­men­tel­le deutsch-öster­rei­chi­sche Alter­na­ti­ve/­Post-Rock-Grup­pe, ver­kör­pert von vier Musi­kern, wel­che über­wie­gend in Städ­ten an der Donau woh­nen. Sie ver­zich­ten auf ver­ba­le Spra­che, und kom­mu­ni­zie­ren nur durch Klän­ge und leb­haf­te Visu­als. In WASSERMANNS FIEBERTRAUM ver­mi­schen sich Wahr­heit und Unwirk­lich­keit, Melan­cho­lie, Leid und Bil­dung, Rausch und Phantasie.

    Obwohl der Band­na­me nach einem bis­lang unver­öf­fent­lich­ten Titel von Höl­der­lin oder auch Amon Düül II klingt, wird zwar gerockt, aber nicht gekrau­tet. Alle Signa­le ste­hen auf Post­rock der lau­ten, drecki­gen Gang­art. Der ope­ner „Flackern­des Son­nen­licht“ beginnt noch mit eher ruhi­gen Gitar­ren­klän­gen, aber nach etwa acht­zig Sekun­den scheppert’s im Kar­ton. „Schep­pern“ ist hier auch so gemeint, das Schlag­zeug schep­pert; ich schät­ze, hier wäre eine bes­se­re Pro­duk­ti­on hilf­reich gewe­sen. Das ist aber auch schon das ein­zi­ge Man­ko, das ich vor­zu­brin­gen habe.

    Das Quar­tett hat zwar nur zwei statt der gewohn­ten drei Gitar­ri­sten, aber die kom­men kurz und um so prä­gnan­ter auf den Punkt. Ach ja, kurz: zwi­schen etwa zwei­ein­halb und fünf Minu­ten beträgt die Lauf­zeit der neun Stücke, und mit 36:38 Minu­ten Gesamt­dau­er wird jede dro­hen­de Län­ge – ein bekann­tes Pro­blem vie­ler ande­rer Postrock­grup­pen – gar nicht erst zuge­las­sen. Das ist erfreulich.

    Sti­li­stisch ange­lehnt ist das zu Hören­de an ande­re (über­wie­gend) instru­men­ta­le Postrock­bands wie Explo­si­ons In The Sky und Mog­wai, zieht man deren Thea­tra­lik und Hang zur Über­län­ge ab.

    Hör­pro­ben: Was­ser­manns Fie­ber­traum hat einen You­Tube-Kanal, der viel­leicht von Inter­es­se ist. Das Album „Bran­dung“ indes kann man nicht nur für 6 Euro (lei­der nicht auf CD) per bandcamp.com ordern, son­dern oben­drein eben­dort ohne Auf­preis in vol­ler Län­ge anhö­ren, was ich dann jetzt auch ein­fach mal empfehle.

Das erste Halb­jahr 2012 hat­te nicht nur aller­lei Kom­merz­mu­sik im Port­fo­lio, auch so man­che kosten­lo­se Deli­ka­tes­se erblick­te das Tages­licht. Eini­ge davon habe ich im Fol­gen­den zusam­men­ge­tra­gen und füge kur­ze Erläu­te­run­gen bei:

2. Her­un­ter­lad­be­feh­le.

  1. Pet­rels – All things in com­mon (EP)

    Ein wenig selt­sam wirkt es viel­leicht schon, dass die­se fast zwan­zig­mi­nü­ti­ge EP aus nur zwei Stücken besteht. Die haben es aber in sich.

    Pet­rels heißt ein Pro­jekt von Oli­ver Bar­rett, nor­ma­ler­wei­se mit Blee­ding Heart Nar­ra­ti­ve unter­wegs. Das Debüt­al­bum „Hae­li­ge­wiel­le“ wird beglei­tet von einer frei ver­füg­ba­ren EP namens „All things in com­mon“. Die musi­ka­li­schen Wege der Stamm­band beschrei­tet er solo nicht: Ambi­en­te Klang­tep­pi­che (Tan­ge­ri­ne Dream, Klaus Schul­ze) sind hier eben­so zu hören wie fast kako­pho­ni­sche, wüten­de Noi­se-Aus­brü­che. Gele­gent­lich erin­nert das Trei­ben an jün­ge­re Ver­öf­fent­li­chun­gen von Sigur Rós, ist aber rau­er und weni­ger dem Schön­klang verschrieben.

    Die bei­den Stücke auf der EP hei­ßen „Tho­mas Münt­zer“ und „Leo­no­ra Chri­sti­ne“. Tho­mas Münt­zer, laut Wiki­pe­dia, war ein Theo­lo­ge und Revo­lu­tio­när in der Zeit des Bau­ern­krie­ges (also in der ersten Hälf­te des 16. Jahr­hun­derts) und wur­de spä­ter auf der 5‑Mark-Note der DDR sozu­sa­gen ver­ewigt. Leo­no­ra Chri­sti­na war etwa hun­dert bis hun­dert­fünf­zig Jah­re spä­ter eine däni­sche Schrift­stel­le­rin und Prin­zes­sin, die auf­grund ihrer zahl­rei­chen Gebur­ten (und Rei­sen) kaum Zeit für eine ange­mes­se­ne Aus­bil­dung hat­te (an wel­che deut­sche Poli­ti­ke­rin der Gegen­wart erin­nert uns das?), hat es aber nicht auf eine Bank­no­te geschafft.

    Was das zu bedeu­ten hat? Ich weiß es nicht, Tex­te gibt es nicht. Aber muss man immer alles verstehen?

    Run­ter­ho­len und anhö­ren geht sowohl per Band­camp als auch via eMu­le.

  2. The Next Hundred Years – Troppo

    Etwas erdi­ger als Pet­rels gehen die Kana­di­er The Next Hundred Years zu Wer­ke, und das schon, wie man hört, seit Jah­ren von Plat­ten­fir­men igno­riert. Das ist gut für uns arme Musik­freun­de, aber scha­de für die Musi­ker, denn sie ver­rich­ten ihr Tun vortrefflich.

    „Trop­po“ heißt das dies­jäh­ri­ge Album der Band, was Ita­lie­nisch ist und „zu viel“ bedeu­tet. Zu viel ist das aber alles natür­lich nicht, son­dern eher viel zu wenig. Fünf Her­ren mit Gitar­ren, Bass, Key­board, Schlag­zeug und Vio­li­ne, unter­stützt von einer Cel­li­stin und einem Trom­pe­ter als Gast­mu­si­ker­duo, oben­drein gibt es Gesang. Und zwar ziem­lich guten. Ich zitie­re unge­fragt und unverfälscht:

    Kniff­li­ge Rhyt­mus­ab­tei­lung, aku­ra­te Tem­po­wech­sel, Wahn­sinns-Gesang, schnit­ti­ge Gitar­ren-Riffs mit allem Pipapo.Ich schmeiss hier ein­fach mal ein paar Begrif­fe in den Raum. Tool, Rus­si­an Cir­cle, Kyuss und Queens of the Stone Age. Oder anders her­um, Musik im Span­nungs­feld zwi­schen geer­de­ten Pro­gres­si­ve-Rock, Psy­che­de­lic, Metal und Stoner-Rock.

    Dem füge ich noch ein zag­haf­tes Oce­an­si­ze hin­zu und sonst nichts. Nur noch so viel: Wenn so die näch­sten hun­dert Jah­re klin­gen, wird der Rest mei­nes Lebens noch span­nen­der als erwartet.
    Ich freue mich jetzt schon.

    Run­ter­ho­len und anhö­ren kann man „Trop­po“ auf bandcamp.com sowie wie­der­um via eMu­le.

  3. ter­ra­for­mer – the sea shaper

    Wie­der­um instru­men­tal spielt das bel­gi­sche Trio ter­ra­for­mer (anschei­nend kom­plett klein geschrie­ben, obwohl die Plat­ten­fir­ma Groß­buch­sta­ben ver­wen­det) auf. Nach dem ersten Hör­durch­lauf schrieb ich in ein Forum hin­ein, die­ses Album sei mit­un­ter „etwas lang­at­mig“, aber das ist noch nicht alles.

    Math­rock, Post­rock und Post­me­tal fin­den hier zusam­men. Die drei hau­en dabei der­art auf die Kacke, dass sogar Punknews.org einen wohl­wol­len­den Bericht hat, und dort ist man schon nament­lich nicht unbe­dingt offen für kom­ple­xe­re Musik. Mast­o­don und die guten, alten Peli­can kom­men dem Hörer eben­so in den Sinn wie Mog­wai (aber selten).

    Die Eigen­be­schrei­bung der Band ist rätselhaft:

    Three pie­ces. Instru­men­tal. Oh My God Cli­max. Almost shred­ding. Wild. Fake poly­ryth­ms. Chee­sy lay­ers. Rash loo­ping. Evil pat­terns. Semi mosh. Cat­chy tap­pings. Mes­sy. Sexy lads. Br00tal! Bare­faced. Mickey. Emer­gen­cy. Boo­by hatch. Ham rot­ten. Home­ric. Ethe­re­al. Cel­ure­an. Dra­gon. Ter­re­stri­al. Epic. Médu­se. Explo­si­ons. Tasty shirts. Wol­fes. Hibou. Ethyl. Beast. Pudd­les. Sum­mo­ning creatures.

    Das klingt nach jeder Men­ge Spaß und ist sehr hörenswert.

    Run­ter­ho­len und Anhö­ren (und Kauf der CD) die­ses spa­ßi­gen Albums ist auf bandcamp.com mög­lich, alter­na­ti­ves Her­un­ter­la­den klappt via eMu­le.

  4. Eli­as Schwerdt­fe­ger – Die sin­gen­de Maschine

    „Man­che nen­nen es Musik, doch für die mei­sten ist es Krach“ – dies sang Farin Urlaub im „Intro“ sei­nes Solo­de­büts vor eini­gen Jah­ren. Ganz anders als Herr Urlaub emp­fin­det Herr Schwerdt­fe­ger, nach wie vor brot­lo­ser Künst­ler aus Han­no­ver, jedoch für Musik.

    Auf sei­nem – laut eige­ner Beschrei­bung – vor­letz­ten in die­ser Form ver­öf­fent­lich­ten Album „Die sin­gen­de Maschi­ne“ ist zu hören, was drauf­steht: Aller­lei maschi­nel­le Klän­ge und Gesang, wie der Vor­gän­ger „Temp­le of Void“ (ich berich­te­te) ver­se­hen mit sub­til oder direkt gesell­schafts­kri­ti­schen Texten.

    Da wird schon mal ein Para­graph des Sozi­al­ge­setz­bu­ches von schwä­bi­schen Grü­ßen beglei­tet („Sozi­al­ge­setz­buch“), und auch Sven Rege­ners ver­werf­li­ches Geschwätz über Rock­mu­sik und fie­se Raub­mord­ko­pie­rer wur­de zu einem Elek­tro­mu­sik­stück ver­wur­stet. (Eigent­lich ist es selt­sam, dass es dar­über noch kein mir bekann­tes Rock­mu­sik­stück gibt.)

    Über­wie­gend ist „Die sin­gen­de Maschi­ne“ ohne­hin befüllt mit dem, was vom Vor­gän­ger übrig blieb, sozu­sa­gen also eine Reste­ver­wer­tung. Das macht das Album kei­nes­falls schlech­ter. „Die sin­gen­de Maschi­ne“ ist düster, depri­mie­rend, mono­ton und expe­ri­men­tell, und nie­mand wird davon je eine Sin­gle aus­kop­peln. Das ist ein gutes Qualitätsmerkmal.

    Bezugs­quel­len sind die Web­sei­te zum Album (der dor­ti­ge Stream wird sofort abge­spielt, ich emp­feh­le Vor­sichts­maß­nah­men) und eMu­le. Viel Vergnügen.

Was hin­ge­gen über­haupt kein Ver­gnü­gen berei­tet, sind die Rein­fäl­le der ersten sechs Mona­te die­ses Jah­res. Lei­der las­se auch ich mich von über­schwäng­li­chen Rezen­sio­nen manch­mal dazu hin­rei­ßen, von den Medi­en für Pflicht­käu­fe gehal­te­ne Musikal­ben zu hören, die sich mir dann als eher lästig offen­ba­ren. Zum Bei­spiel die folgenden:

3. Igno­rier­be­feh­le.

  • Tin­der­sticks – The Some­thing Rain
    Langweilig.
  • Vibra­vo­id – Gra­vi­ty Zero
    Belanglos.
  • The Strang­lers – Giants
    Erschreckend schlech­ter Gesang, der das eigent­lich über­durch­schnitt­lich gute Album kom­plett zerstört.
  • Cripp­led Black Phoe­nix – (Man­kind) The Craf­ty Ape
    Ermüdend.
  • The Inter­sphe­re – Hold On Liberty
    Mainstreamquatsch.
  • The Mars Vol­ta – Noctourniquet
    Mau.

Zum Glück war das nicht immer so. Zum Abschluss die­ses Bei­trags unter­neh­men wir, wie gewohnt, eine kur­ze Zeit­rei­se durch 40 Jah­re Musikgeschichte:

4. Sam­mel­be­feh­le.

  • Vor 40 Jahren:
    Matching Mole – Matching Mole
    1972 stand der neu erwach­se­ne Pro­gres­si­ve Rock kurz vor sei­nem Höhe­punkt, nur weni­ge Musik­grup­pen, etwa die Rol­ling Stones mit ihrem Mei­ster­werk „Exi­le on Main St.“, hiel­ten dage­gen. Krautrock­bands wie das kana­disch-deut­sche Duo Emt­idi, das mit „Saat“ ihr ein­zi­ges, hör­bar unter Dro­gen­ein­fluss ent­stan­de­nes Kraut­folk-Album über das „Pilz“-label ver­öf­fent­li­chen ließ, konn­ten sich eben­so gro­ßer Beliebt­heit beim Publi­kum freu­en wie sym­pho­ni­sche „Prog­ger“ wie Jone­sy, die mit „No Alter­na­ti­ve“ ein heu­te fast ver­ges­se­nes Album auf­ge­nom­men hat­ten, das rei­chen Mello­tron­ein­satz mit kräf­ti­gem Hard­rock ver­mengt. Die­se Erfol­ge waren natür­lich auch die Erfol­ge der Pio­nie­re der pro­gres­si­ven Musik, sei­en es King Crims­on, sei­en es die Can­ter­bu­ry-Bands wie Cara­van und Soft Machi­ne. Letz­te­re hat­ten im Vor­jahr Schlag­zeu­ger Robert Wyatt vor die Tür gesetzt, was die­ser zum Anlass nahm, mit Matching Mole („machi­ne mol­le“ ist angeb­lich Fran­zö­sisch und bedeu­tet unge­fähr „wei­che Maschi­ne“…) eine frü­he „Super­group“ aus ehe­ma­li­gen Mit­glie­dern von Cara­van, Deli­very und Quiet Sun zusam­men­zu­stel­len. Die Auf­lö­sung erfolg­te noch im sel­ben Jahr, für zwei Stu­dio­al­ben und eini­ge spä­ter ver­öf­fent­lich­te Archiv­auf­nah­men hat die­se kur­ze Zeit­span­ne jedoch genügt. Das Debüt glänzt mit frei­för­mi­gem Jazz­rock im Can­ter­bu­ry-Stil, dem Dave Sin­clair sei­ne unver­wech­sel­ba­ren Key­board­klän­ge bei­gefügt hat. 1973 fiel Robert Wyatt aus einem Fen­ster und ist seit­dem quer­schnitts­ge­lähmt, was Plä­ne für eine Neu­for­mie­rung von Matching Mole lei­der zunich­te mach­te. Was bleibt, ist ein groß­ar­ti­ges Zeit­do­ku­ment, das in man­cher Hin­sicht sei­nes­glei­chen sucht.
  • Vor 35 Jahren:
    Hawk­wind – Quark, Stran­gen­ess And Charm
    Schon fünf Jah­re spä­ter kam der Punk auf und mach­te alles kaputt, seufz!; die Sex Pistols wur­den mit „Never Mind the Bol­locks, Here’s the Sex Pistols“ fre­ne­tisch beklatscht bezie­hungs­wei­se bepogt, und die Pro­gres­si­ve-Rock-Musi­ker, die um ihren Erfolg bang­ten, ver­such­ten sich an einer Neu­aus­rich­tung. Wäh­rend Yes sich mit „Going for the One“ und dem Yes-Stück „Awa­ken“ ein vor­erst letz­tes Mal auf­bäum­ten, bevor sie sich im Pop­dschun­gel ver­irr­ten, hat­ten Mag­ma mit „Attahk“ nicht nur ein scheuß­li­ches Cover­bild, son­dern auch eine teil­wei­se Abwen­dung vom Zeuhl nebst Hin­wen­dung zur Popu­lär­mu­sik der eher ein­tö­ni­gen Sor­te zu ver­bu­chen. Erfreu­li­ches hin­ge­gen kam aus dem Spa­ce­rock-Lager: Das Quin­tett Hawk­wind, aus des­sen Rei­hen auch der wegen über­mä­ßi­gen Dro­gen­kon­sums gefeu­er­te Mot­ör­head-Grün­der Lem­my Kil­mi­ster stammt, leg­te mit „Quark, Stran­gen­ess And Charm“ einen Klas­si­ker in ihrem Kata­log vor. Das Bekann­te­ste der ent­hal­te­nen Stücke dürf­te „Spi­rit Of The Age“ sein, das aus ihrem Reper­toire nicht mehr weg­zu­den­ken ist. Simon Hou­ses Vio­li­ne ist eben­so prä­gnant wie die futu­ri­sti­sche und berech­nen­de Käl­te die­ses Albums, die wohl auch eine Fol­ge des Weg­gangs von Saxo­pho­nist Nik Tur­ner und Schlag­zeu­ger Alan Powell ist. Der Gesund­heits­zu­stand von Sän­ger Robert Cal­vert, der bereits wäh­rend der Auf­nah­men unter mani­scher Depres­si­on litt, ver­an­lass­te Dave Brock, Hawk­wind im Fol­ge­jahr auf­zu­lö­sen; die Reuni­on 1979 fand – mit Aus­nah­me von Dave Brock und Schlag­zeu­ger Tim Bla­ke – in neu­er Beset­zung statt. Auch die fol­gen­den Beset­zun­gen waren zu Gro­ßem fähig, „Quark, Stran­gen­ess And Charm“ soll­te man den­noch ein­mal gehört haben.
  • Vor 30 Jahren:
    Cas­si­ber – Man or Monkey
    Hawk­wind lie­fer­ten 1982 mit „Choo­se Your Mas­ques“ und „Church of Hawk­wind“ zwei eher maue Alben ab, dafür lie­ßen King Crims­on wie­der von sich hören: Das zwei­te 80-er-Album der neu for­mier­ten Pro­gres­si­ve-Rock-Pio­nie­re, „Beat“, zitier­te im trocke­nen, indu­stri­el­len New-Wave-Gewand Beat-Dich­ter wie Allen Gins­berg. Vom main­stream zum Glück weit­ge­hend unbe­ach­tet war der­weil die oft so geschol­te­ne Frickel­sze­ne auch nicht untä­tig: Als Cas­si­ber hat­ten sich drei deut­sche Musi­ker, dar­un­ter der Pia­nist und Bas­sist Hei­ner Goeb­bels (nicht iden­tisch mit dem ande­ren „Hei­ner“ Goeb­bels), mit dem eng­li­schen RIO/A­vant-Schlag­zeu­ger Chris Cut­ler (Hen­ry Cow, Art Bears, Pere Ubu und ande­re) zusam­men­ge­tan und spiel­ten mit „Man Or Mon­key“ ein – die frei rezi­tier­ten Tex­te ein­ge­schlos­sen – kom­plett impro­vi­sier­tes Musik­al­bum ein, das ihnen trotz sei­ner Unzu­gäng­lich­keit eine Ein­la­dung zum Frank­furt Jazz Festi­val 1982 bescher­te. Dass aus­ge­rech­net „Die Ver­un­rei­ni­gung des Flus­ses ist gera­de noch erträg­lich“ ein Instru­men­tal­stück ist, ist ein wenig scha­de, denn einen Text hier­zu hät­te ich gern ein­mal gehört. Die Tex­te ste­hen hier näm­lich kei­nes­falls im Dienst der Musik: In „Our Colourful Cul­tu­re“ etwa singt Chri­stoph Anders zu, nun, Kar­ne­vals­mu­sik Zei­len wie „I came from the coun­try! / Arri­ba! Arri­ba! / They were kil­ling my fami­ly! / Ha ha ha ha!“. Arri­ba, arri­ba. „Man or Mon­key“ ist schräg, skur­ril, expe­ri­men­tell und so groß­ar­tig, dass es bedau­er­lich ist, dass sich Cas­si­ber bereits 1992 nach nur vier Stu­dio­al­ben wie­der auf­lö­sten. Chris Cut­ler ist bis heu­te musi­ka­lisch aktiv, und eine Beschäf­ti­gung mit sei­nen zahl­rei­chen Pro­jek­ten ist loh­nens­wert. Cas­si­ber indes blei­ben bis heu­te einzigartig.
  • Vor 15 Jahren:
    Gene­sis – Cal­ling All Stations
    In der durch­kom­mer­zia­li­sier­ten Musik­welt der 1990-er Jah­re war es schwie­rig, Neu­es zu wagen, ohne dafür alles aufs Spiel zu set­zen. Die Ärz­te hat­ten im Vor­jahr ihr bis­her ein­zi­ges Kon­zept­al­bum „Le Fri­sur“ ver­öf­fent­licht, das (unter ande­rem bei mir) als eines ihrer besten Wer­ke gilt. Im sel­ben Jahr ver­ließ Phil Coll­ins die Grup­pe Gene­sis, nach­dem er sie mit sei­ner grau­si­gen Pop­schei­ße gründ­lich gegen die Wand gefah­ren hat­te, um das Radio­pu­bli­kum fort­an mit Solo­schnul­zen zu ner­ven. Die ver­blie­be­nen Mit­glie­der ver­such­ten einen Neu­be­ginn mit Sän­ger Ray Wil­son und zwei Schlag­zeu­gern, dar­un­ter Nick D’Virgilio von Spock’s Beard. Mit dem Album „Cal­ling All Sta­ti­ons“ besan­nen sie sich zurück auf alte Tugen­den und ver­zich­te­ten auf die Pro­duk­ti­on von Hit­sin­gles (wenn­gleich „Con­go“ dann doch eine wur­de) zugun­sten des For­mats Musik­al­bum. Trotz (oder wegen?) des Titels und der Neu­aus­rich­tung beach­te­ten die Radio­sen­der die­ses Album aber nur wenig, die Solo­ak­ti­vi­tä­ten von Phil Coll­ins waren ihnen – wohl wegen des Namens – wich­ti­ger. Das Kapi­tel Gene­sis war wenig spä­ter qua­si been­det, ein Neu­auf­guss mit (wie­der­um) Phil Coll­ins blieb eine ein­ma­li­ge Ange­le­gen­heit. Da bis heu­te kei­ne offi­zi­el­le Auf­lö­sung erfolgt ist, kann der geneig­te Musik­freund trotz alle­dem auf bes­se­re Zei­ten hof­fen. Das tu‘ ich dann mal.

Tja, damit wären wir auch schon wie­der am Ende ange­langt. Wenn ihr die­se Zei­len lest, dann habe ich bereits begon­nen, Mate­ri­al für die Jah­res­end­li­ste zu sam­meln. Unter ande­rem echo­lyn, Äng­la­gård und die Flower Kings läu­ten das zwei­te Halb­jahr mit jeweils neu­en Ver­öf­fent­li­chun­gen schon recht pro­gres­siv ein. Ob sich das War­ten gelohnt hat? In einem hal­ben Jahr wis­sen wir, wie gewohnt, mehr.

Bis dahin wün­sche ich allen Musik­freun­den ein paar ange­neh­me Hör­ein­drücke und dan­ke euch für die Auf­merk­sam­keit: Dan­ke sehr!

Seri­en­na­vi­ga­ti­on« Musik 12/2011 – Favo­ri­ten und Ana­ly­seMusik 12/2012 – Favo­ri­ten und Analyse »

Senfecke:

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