Leydiesendtschentelmen, herzlich willkommen am Jahresende und damit zur üblichen Retrospektive der primasten Alben des Jahres, die es in die Halbjahresliste 2011 nicht mehr geschafft haben. Dabei ist das nicht einmal unbedingt eine Frage des Erscheinungsdatums, denn wie üblich hatten sich wieder einige Alben aus dem ersten Halbjahr geschickt vor mir versteckt.
Ich erhielt anlässlich der Rückschau 06/2011 vereinzelte Kritik, es sei zu viel Material zusammen gekommen, um sich in einer angemessenen Zeit damit beschäftigen zu können. Diesmal aber kann Peter, der glaubt, drei Alben würden reichen, aufatmen: Diese Liste wird kürzer als angenommen. Hierfür gibt es einen guten und einen beschämenden Grund: Das selbstbetitelte Debütalbum von broken.heart.collector etwa kann sich wie auch manch anderes interessantes Musikwerk längst eines separaten Artikels erfreuen, vor allem aber hat noch während der Zusammenstellung der zu rezensierenden Alben meine alte digitale Schreibmaschine beschlossen, die Priesterlaufbahn einzuschlagen, und ohne Umschweife etwas gesegnet, nämlich das Zeitliche; und getreu Murphys immerwährendem Gesetz hatte ich diesmal keine Sicherheitskopie angefertigt.
Daher seht es mir nach, wenn euer persönliches Album des Jahres diesmal fehlt, und lasst es mich wissen: Vielleicht gefällt es auch anderen Musikfreunden, die dies hier zufällig entdecken.
Ab geht’s mit einem Kopfsprung ins kalte Wasser:
1. Fünfundzwanzig / Zweitausendundelf.
Cave In – White Silence
„Dead rise like ascending angels“ (Vicious Circles)Kaltes Wasser trifft es ganz gut, denn Cave In teilen kräftig aus. Mit „White Silence“ legt das Metalcore-Quartett das erste Album seit sechs Jahren vor, und obwohl die Gruppe bereits seit 1995 – mit Unterbrechungen – aktiv ist, war sie von mir bislang doch unbemerkt geblieben, was mir nun, da ich „White Silence“ kenne, sehr Leid tut.
Denn „Metalcore“ ist zwar eine valide Beschreibung der allgemeinen Ausrichtung der Musik von Cave In, aber sie ist nicht ansatzweise vollständig. Das Titelstück „White Silence“ erinnert mich als jemanden, der mit solcher Musik eher selten konfrontiert wird, an Aphex Twin und gleichzeitig an diverse Death-Metal-Gruppen: Ein monotoner Schlagzeugrhythmus, wenige Akkorde auf kaum als solche erkennbaren Gitarren, verzerrtes Schreien: „Wraith / tracking the taste of warm blood / white silence is breaking the spirit / nature sews“. Nein, easy listening geht anders, und das gefällt mir.
Das folgende „Serpents“ bleibt lärmig und ist strukturell angelehnt an die Punkmusik, die unsereins im Kindesalter auf völlig abgenudelten Audiokassetten gehört hat, und ist dann aber doch eher Metal. Cave In können aber auch anders: „Sing My Loves“ ist ein kraftvoller Alternative Rocker mit aufdringlichem Gesang, „Heartbreaks, Earthquakes“ gar eine beatlesque Hommage an die frühe Popmusik (allein das Wort schon!).
Stephan Möller schreibt, „White Silence“ sei „ein zwar echt seltsames, aber auch wirklich spannendes Album“ und hat damit Recht. Warum es allerdings „White Silence“ heißt, versteht man erst, wenn man mit dem Hören fertig geworden ist: Es wird schlagartig still.
Hörproben: 30-sekündige Ausschnitte aus dem Album hat Amazon.de im Angebot, das Titelstück in ganzer Länge kann man zum Beispiel via YouTube und Grooveshark hören.
Daymoon – All Tomorrows
„Dark fear in me – which soul is mine, which half am I?“ (Human Again)Daymoon ist der Name des gegenwärtigen, portugiesischstämmigen Projekts von Fred Lessing, einem deutschen Musiker, der hier zusammen mit Andy Tillison, zwei Musikern von Isildurs Bane und einigen anderen Künstlern etwas hervorgebracht hat, das er selbst „regressive rock“ nennt. In der Tat ist manches an „All Tomorrows“ ziemlich retro, aber das ist nicht etwa rückständig, sondern famos.
„Schräg-sanft“ ist eines der Attribute, mit denen „All Tomorrows“ in Verbíndung gebracht wird, elegisch ist eines, das ich selbst hiermit anfügen möchte. Ich teile nicht einmal die geläufige Kritik, Fred Lessing sei als Sänger ungeeignet, im Gegenteil gefällt seine Darbietung und fügt sich harmonisch ins musikalische Gefüge ein – auch dann, wenn selbiges der Harmonie zwischenzeitig zu entrinnen versucht.
Gentle Giant und ähnliche Musikgruppen standen vermutlich Pate für den Refrain des eröffnenden Titelstücks (das scheint ja heutzutage Mode zu sein, dass das erste Stück so heißt wie das Album), das anschließende „TranscendenZ“ eröffnet mit eigenartigem Vokalteil und geht über in ein hektisches, instrumentales RIO-/Jazzrock-Gewirr (Henry Cow, Soft Machine und eine unkoordinierte Inkarnation von Andy Tillisons The Tangent lassen grüßen), um vom beinahe versöhnlichen „Human Again“ abgelöst zu werden. „Arklow“ hat Anleihen an den Folk-Rock zu bieten. Überhaupt ist „All Tomorrows“ ein stilistisch vielseitiges Album, das sich jede Kategorisierung implizit verbittet. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, wieso es lange keine Plattenfirma gab, die die Musiker entdeckt hatte, und deshalb eine Veröffentlichung als physischer Tonträger bislang ausgeblieben ist. Dies soll jedoch nun, da der russische Progressive-Rock-Musikverlag Mals Daymoon unter Vertrag genommen hat, bald folgen, wie ich per E‑Mail erfuhr, nachdem ich diesen Absatz fertig geschrieben hatte; Frechheit, das.
Wie man eigentlich auf den Namen Daymoon kommt, erklärte Fred Lessing auf Rückfrage recht einleuchtend:
Naja, ähm (Pein) (Schande) (Schäm), den hab’ ich erfunden, als ich so 15 war oder so. „Daimon“ (griechisch oder so für Dämon – war unnötigerweise an einem humanistischen Gymnasium, aber keine Sorge, hab’s nicht bestanden, meine ganzen 6 Jahre Latein sind flöten, dafür kann ich jetzt Flöten und Portugiesisch) gemischt mit dem Mond, dem man tagsüber sieht (was ich ja auch schön finde, aber Dämon ist natürlich völlig albern). Inzwischen ist’s nur noch der Mond, den man tagsüber sieht. Ist auch unser Logo. Oh je, wenn das bekannt wird…
Keine Sorge, es wird nicht verraten.
Anhören und in digitaler Form kaufen kann man das Album auf Bandcamp.com; die Erlöse dienen einem guten Zweck, nämlich der Pressung auf CD, und dieses Anliegen ist eine Unterstützung wert, misst man es daran, wie viel Schrott heutzutage in den CD-Regalen großer Multimediaketten zu finden ist. Sozusagen zum Ausgleich.
Cheer-Accident – No Ifs, Ands or Dogs
Cheer-Accident wurden 2011 30 Jahre alt und schaffen es immer noch, ihre einzigartige Mischung aus Alternative Rock und Radiopopscheiß modern und frisch wirken zu lassen. Dabei haben die Chicagoer es eigentlich verdient, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, aber sie kommen in den Medien bislang schlicht nicht vor.
Auf „No Ifs, And or Dogs“ („Keine Wenns, Unds oder Hunde“) folgt man, dessen ungeachtet, dem bewährten Schema: Zwischen gefällige, eingängige Poplieder wie etwa „Cynical Girl“, das sicher nicht zufällig dem Lied „Penny Lane“ der Beatles ähnelt, hat das Quintett einige kurze Interludien eingespielt, deren Titel („Drug You Down“, „Go Gaunt Green“) an Lieder vom selben („Drag You Down“) oder von früheren („Go Gone Green“) Alben angelehnt sind; dass sie musikalisch nicht viel miteinander zu tun haben, ist bei Cheer-Accident beinahe eine Selbstverständlichkeit.
Natürlich behalten Cheer-Accident auch weiterhin ihren schrägen Humor bei, so dass allzu viel Rätselraten vielleicht einfach nicht nötig ist: Dem Lied „Life In Pollyanna“ etwa, einem Jazzrock-Stück mit Anleihen an (mal wieder) die Beatles, Frank Zappa und King Crimson, folgt als Gegensatz „Death By Pollyanna“, das von einer monoton-repetitiven Keyboardmelodie und dem ebensolchen Bass-/Schlagzeugspiel und dissonantem Gesang beherrscht wird und so wie von einem Nebenprojekt der Dandy Warhols hervorgebracht klänge, wäre nicht der einmalige Gesang von Thymme Jones so markant. Ist er aber.
Verglichen mit dem Vorgängeralbum „Fear Draws Misfortune“ ist „No Ifs, Ands or Dogs“ zwar nach meinem Empfinden kein Meisterwerk, jedoch auch nicht merklich schlechter. Dass das Album keine leichte Kost ist, ist klar, folgerichtig ist von Lob bis zu Missfallensbekundungen beinahe jede Form der Kritik über es zu lesen. Das soll den Musikfreund aber nicht stören.
Hörproben zum Beweis gibt es unter anderem auf Amazon.de.
Weedeater – Jason…the Dragon
„My brain has come undone“ (Palms And Opium)Weedeater. Grasfresser. Soso. Im Internet nannte man „Jason…the Dragon“ in einprägsamer Weise ein „Draußenindersonnegrillentrinkendrogennehmenalbum“, und das passt eigentlich gar nicht, denn für Weedeater sind das zu viele Silben in zu kurzer Zeit, und andererseits ist die Beschreibung inhaltlich ideal. Drogenmusik ohne diesen Reggae-Unsinn.
Ein wenig nach Graskonsum klingt dieses Album ja auch tatsächlich, die Bedächtigkeit der Interpretation steht in krassem Kontrast zu den Orkanen, die das musikalische Fundament bilden, soll heißen: Sänger und Bassist „Dixie“ Dave Collins (allein schon dieser Künstlername ist eigentlich ein Brüller, misst man ihn an der Musik seiner Band) brüllt in alter Motörhead-Manier irgendwelche merkwürdigen Texte ins Mikrofon, während Gitarrist und Schlagzeuger dem Hörer Stoner-Metal par excellence in die Gehörgänge projizieren.
Stoner, Gras und Dixie; doch, ja, sehr merkwürdig. Vom Stoner-Rock der Marke Colour Haze haben sich Weedeater immerhin die verzerrte Gitarre und die Darbietung abgeschaut. Wo andere Metalbands wüst schrammeln, kommen Weedeater auf zwei bis drei Akkorde pro Sekunde, das lässt das Album länger erscheinen und dreht aber vor allem an des Hörers Wahrnehmungsschraube. Sozusagen Mogwai in langsam und böse. Also: Noch böser.
Natürlich sollte man keine Wunder erwarten. Wer das Vorgängeralbum, „God Luck and Good Speed“, kennt, der wird nicht viel Neues entdecken.
Jason… is essentially a variation on God Luck…. Almost like when jazz players release 25 live versions of their work. That’s perfectly acceptable there, indeed, it’s a pivotal part of jazz: how many versions of a melody can one make? How inventive can a player get?
Wer von Weedeater aber noch nie etwas gehört hat und gegen ein wenig deftigen Metalkrach nicht grundsätzlich etwas einzuwenden hat oder wer auch einfach nur gern mehr von ihnen hören möchte, dem lege ich „Jason…the Dragon“ nahe.
Hörproben: Einige Beispiele dafür, wie Weedeater so klingen, gibt es auf BrooklynVegan.com und zum Beispiel Amazon.de auf die Ohren.
Circle – Infektio
Nach dem Genuss von Draußenindersonnegrillentrinkendrogennehmenundmetalhören ist erneut ein wenig Abwechslung nicht verkehrt. Circle aus Finnland sind dann auch ein anschauliches Gegenteil von Weedeater. Diese instrumentale Gruppe ist nicht nur produktiver als letztgenannte – allein 2007 erschienen mit „Katapult“, „TOWER“ und „Tyrant“ drei (3!) reguläre Studioalben -, sie ist auch sonst bemerkenswert anders.
Circle, nicht mit der Jazzband gleichen Namens, die in den frühen 70-er Jahren aktiv war, zu verwechseln, wurde 1991 von Jussi Lehtisalo, der als Gitarrist begann, auf „Infektio“ aber den Bass spielt, und zwei mittlerweile nicht mehr in Circle involvierten Mitstreitern gegründet. (An dieser Stelle alles Gute zum Zwanzigsten.)
Circle ist eine Postrockband. Musikalisch ist man bei den Finnen, dessen ungeachtet, anscheinend so unstet wie in Sachen Besetzung: Das Debütalbum „Meronia“ war durchsetzt von Spacerockeinflüssen. Das psychedelische Element hielt sich bis ins neue Jahrtausend hinein, „TAANTUMUS“ (2001) könnte man auch als Krautrock kennzeichnen, kämen die Musiker aus Deutschland. Tun sie aber nicht. „Hollywood“ (Januar 2010) war durchsetzt vom Progressive Rock, selbst King Crimson war auszumachen und ein Sänger (Bruce Duff) war auch an Bord.
Nun also „Infektio“. Der Sänger ist längst wieder weg, der Progressive Rock ist es auch. Dafür hat man anscheinend seine Wurzeln wiederentdeckt. Achim Breiling schrieb:
Mit „Infektio“ kehren Circle offenhörlich zu den krautig-experimentellen Postrock-Gefilden zurück, in denen sie sich besonders gerne um das Jahr 2000 herum aufgehalten haben. (…) E‑Gitarren sind klangbestimmend, vielschichtig, hallend, post-psychedelisch und spacig. Dazu kommen allerlei Tastenklänge, schwebende Keyboardfüllsel, diverses elektronisches Fiepen, Flirren und Zischen und verschiedene brummende und knurrende Fragmente vom Bass. Eher gemächlich vorangetrieben wird das hypnotisch dahingleitende Gemenge von sehr kargem, seltsam erratisch wirkendem Getrommel.
Das klingt nicht nur beim Lesen nach Can und den diversen Besetzungen von Neu!, La Düsseldorf und dergleichen, auch das Ohr hat seine Freude. Verspielt wie eh und je gibt es mal bedrohlichen Cineasten-Postrock („Peruuttamaton“), mal Sigur-Rós-Remineszenzen („Salvos“), mal von Bass und Klavier dominierte Avantgarde-Beschallung („Maatunut“) zu hören, all dies durchsetzt mit den für Circle typischen Zutaten wie Murmeln und Stöhnen im Hintergrund sowie dissonante Klaviereinwürfe an den merkwürdigsten Stellen.
„Postrock? Das war doch dieses Genre, in dem alles gleich klingt.“ – Man spiele dem, der solches äußert, einmal „Infektio“ vor und freue sich an seinem staunenden Gesichtsausdruck.
Oder man staune selbst, etwa anlässlich der Hörproben auf Amazon.de und Grooveshark.
Wooden Shjips – West
„Stare at the sun … clouds“ (Lazy Bones)Alles im Griff auf dem hölzernen Schjiff?
Nein, hölzern agieren die vier Mannen aus San Francisco keinesfalls. Dass sie auch schon mal mit den Black Angels auf Tour waren, zeigt, wohin die Wooden Shjips fahren, nämlich geradewegs in den Velvet Underground Calescher Ära. Da brummen die drones, irrlichtern die immer gleichen Akkordfolgen, auch die Keyboards können dem repetitiven Rhythmus nur wenig entgegensetzen, und das klingt dann etwa, als …
(…) wären Black Rebel Motorcycle Club in einer milchigen Zeitblase gefangen, wo ihnen nichts anderes übrigbleibt, als immer wieder dasselbe Riff zu spielen.
Gelegentlich kommen auch The Smiths um die Ecke, etwa in den ersten Minuten von „Flight“, verdrücken sich aber schnell wieder, denn der Siebenminüter gipfelt titelgetreu in einer Spacerock-Explosion, die ihre Wurzeln im Psychedelic Rock der 60-er Jahre, etwa Jefferson Airplane, mit obsessiver Keyboardarbeit nicht etwa versteckt, sondern deutlich betont. „Lazy Bones“ hingegen ist nicht einmal vier Minuten lang, aber die Stooges wären auf diese Kaskade aus noise, Lo-Fi und Lärm sicherlich ebenso stolz gewesen wie Sonic Youth, als sie noch wirklich gut waren; als hätte die Aufgabe geheißen, das längst legendäre „Sister Ray“ in höchstens einem Viertel der ursprünglichen Zeit zu spielen. (Dass der Text da auf der Strecke bleibt und mit Drogen- und Gewaltexzessen also nicht viel zu tun hat, soll nicht weiter stören.)
Trotz all der Referenzen auf Musiker der Ostküste, wie es auch die Bandmitglieder selbst sind, heißt das Album „West“. Angeblich übt der amerikanische Westen, nicht nur der Wilde, mit seiner Geschichte und seiner Kultur auf die Band eine eigenartige Faszination aus. „West“ ist gleichsam mit seiner audiovisuellen Bildsprache – am artwork isst das Auge mit – eine Hommage an diesen Teil der USA. Die Anziehungskraft, die dieser Westen ausübt, versucht die Band an ihre Hörer zu vermitteln. Und tatsächlich reißt das kalkulierte musikalische Chaos den aufmerksamen Genießer immer tiefer in seinen Sog, nur selten gibt es eine (kurze) Möglichkeit, sich am Geländer festzuhalten.
„West“ wirkt so wie eine Droge, es versetzt den Konsumenten in Trance und entreißt ihn seiner Welt; und Musik ist ja auch nicht die schlechteste Droge, von der man abhängig sein kann.
Zum Anfixen empfehle ich die Hörproben auf Amazon.com, die volle Dröhnung gibt es auf Grooveshark.com. Gute Reise!
Portugal. The Man – In the Mountain in the Cloud
„I can’t make no sense of this at all“ (Senseless)Portugal. The Man kann ich mittlerweile guten Gewissens als Garanten für gute Laune bezeichnen. „Censored Colors“ hat mich vor drei Jahren schon erheitert, „In the Mountain in the Cloud“ schafft es wieder. Dass zwischenzeitlich mit „The Satanic Satanist“ und „American Ghetto“ zwei weitere Alben erschienen waren, auf denen wenig geschah – 2009 meinte ich Stagnation zu erkennen -, soll diesen Eindruck nun keinesfalls schmälern.
„Luftig“ ist ein Adjektiv, das den Progressive-Rock-nahen elektronikdurchsetzten Poprock der fünf Herren gut beschreibt; insofern ist „In the Mountain in the Cloud“ („Auf dem Berg(,) auf der Wolke“) endlich mal wieder ein sprechender Titel, was für eine Musikgruppe, die sich laut eigenen Aussagen nach einem personifizierten europäischen Land benannt hat, ja nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Zu „Censored Colors“ hat man hier auch wieder zurückgefunden, weg von dem Versuch des schlechten Sichselbstneuerfindens auf „American Ghetto“. Das geht alles wieder mehr in Richtung Radiopop, aber es ist keiner, an dem irgendwie Leute wie Stefan Raab oder Dieter Bohlen beteiligt sind, sondern es ist richtig guter, irgendwo zwischen Mando Diao und Franz Ferdinand und Oasis und den unvermeidlichen Beatles, aber eben viel sphärischer, entrückter, wozu sicherlich die Instrumentierung ihren Teil beiträgt.
Dominant sind immer noch die Synthesizer und John Gourleys Falsettgesang, zuzsammengehalten von Bass und Schlagzeug, das hier, unterstützt durch die federleichte Darbietung der übrigen Instrumente, manchmal so schneidend und peitschend daherkommt wie das Rhythmusfundament auf Sigur Rós‘ „Með suð í eyrum við spilum endalaust“. Mitunter ist’s Pop, mitunter ziemlich rockend, etwa in dem noch dazu für Portugal.-The-Man-Verhältnisse ziemlich politischen Eröffner „So American“:
You are the one they call Jesus Christ.
Who didn’t know no rock and roll.
Just a mission made of guns that they give boys in Vietnam
and a heart that always told you
there’s a madness in us all.Wer Sarah Palin – auch die Band stammt aus Alaska – findet, darf sie behalten. Und wer guten Elektropoprockdings schätzt, der sollte zugreifen. More of the same höre ich hier mit viel Vergnügen.
Reinhören könnt ihr zum Beispiel auf Amazon.de.
Continuo Renacer – The Great Escape
Apropos Alben, die Spaß machen: Continuo Renacer sind ein Progressive-Death-Metal-Trio, das mittlerweile ohne Sänger gemeinsam musiziert und das „Death“ im von der Band selbst via Myspace kolportierten Genre dankenswerterweise nur noch pro forma vor sich herträgt. Das kommt euch spanisch vor? Das ist kein Zufall, denn Continuo Renacer stammen von dort.
Dieses zweite Album (das Debüt erschien bereits 2005) ist mit 34 Minuten und 9 Sekunden allenfalls etwas zu kurz geraten, aber ansonsten gibt es selbst für mich als eher anspruchsvollen Musikfreund kaum Grund zur Klage. Das dominante Instrument ist der Bass, der den Metalriffs mit kräftigem Jazzrock entgegendröhnt. Vergleichbar ist das wohl am ehesten mit Liquid Tension Experiment, aber weniger blutleer, oder zum Beispiel Cynic.
Mit etwas mehr als einer Viertelstunde Spieldauer beschließt „The Newborn“ das Album, und allein dieses Stück ist schon jeden gedanklichen Applaus wert. King Crimson aus der „Doppeltrio“-Phase standen hier ebenso Pate wie (mal wieder) Tool und Cynic. Apropos King Crimson: Es gibt Melodic Death Metal, habe ich mal gelesen. Nicht aber hier: Krumme Rhythmen, dissonante Keyboardeinwürfe (wenn auch vielleicht nicht aus richtigen Keyboards) und dann wieder der Bass, der alles verschlingen würde, wenn man ihn nur ließe.
Eigentlich ist dieses Album auch ideal, um mal seine Lautsprecher und Kopfhörer auf ihre Qualität zu überprüfen: Wer hochkommt, kommt nicht automatisch auch runter. Kurz gesagt:
This is some wanky, jazzy, death-injected prog that doesn’t suck.
Und damit man sich unter diesen Adjektiven auch etwas vorstellen kann, gibt es Hörproben:
Auf Myspace gibt es verschiedene Stücke vom ersten und zweiten Album komplett zu hören. Ach ja, das gute alte Myspace.Zombi – Spirit Animal
Tja, hm, Zombi und Continuo Renacer sind so verschieden, dass mir gerade keine gute Überleitung einfallen will, und das heißt vielleicht sogar etwas. Als jemandem, der nur selten mal die Welt der Computerspiele betritt, fiel mir auf, wie hervorragend sich „Spirit Animal“ als Untermalung für ein beliebiges MMORPG eignet, und entweder habe ich da zufällig Recht oder ich spiele einfach zu wenig. Aber ich schweife ab.
„Zombi, da fehlt doch was?“, denkt jetzt vielleicht der aufmerksame Leser; aber außer dem „e“ fehlt hier (obwohl es einen Film gibt, der ebenfalls „Zombi“ heißt) tatsächlich nichts, nicht einmal der groove, und das ist ja mittlerweile nicht mehr üblich und darum besonders lobenswert. Zombi ist ausnahmsweise kein untotes, sondern ein spring- und quicklebendiges Spacerock-Duo aus Pennsylvania, also aus den Vereinigten Staaten, dessen zwei multiinstrumentale Mitglieder die vorhandenen Instrumente gerecht unter sich aufteilen.
Ach, jetzt habe ich schon wieder den Fehler gemacht, von Genres zu sprechen. Spacerock steht zwar in der Wikipedia, aber was sagt das schon wirklich aus? Vielleicht sollte man die ganzen Schubladen schließen und die Musik ganz anders sortieren. Sicher, den Spacerock kann der aufmerksame Hörer wohl verorten, aber es ist nun mal nicht alles space (oder jedenfalls kraut), was flirrt.
Auf „Spirit Animal“ lassen die 1980-er Jahre grüßen. Nicht die furchtbaren Bonbonsynthesizer zwar, wohl aber der exzessive Gebrauch von Elektronik. Und mit Elektronik kann man wirklich viel anstellen, zum Beispiel kann man sie mal nach alten Computerspielen, mal nach Ambient, mal nach King Crimson (die schon wieder!), mal nach Harold Faltermeyer, mal nach Tangerine Dream, mal nach Pink Floyd klingen lassen. Das, was Kreidler fehlt, machen Zombi sozusagen genau richtig.
Was Zombi vom Genre des Spacerock allerdings offenkundig allzu gern übernommen haben, ist die Lust an der Wiederholung. In dem über 17 Minuten langen Stück „Through Time“, das das Album beschließt, passiert in den letzten acht Minuten eigentlich nichts mehr, die letzten dreieinhalb Minuten sind ein langsames, leises Abklingen des Gehörten. Das ist nicht langweilig, nicht einschläfernd – das ist psychedelisch.
Schließlich herrscht alles andere als Monotonie, eröffnet doch jedes der fünf Stücke seine eigene Welt.
Hörproben: Auf Amazon.de kann man jeweils 30 Sekunden lang den Zauber zu ergründen versuchen.sleepmakeswaves – …and so we destroyed everything
Dass sleepmakeswaves erst jetzt ihr Debütalbum veröffentlicht haben, dürfte viele erstaunen, hatte sich das australische Quartett doch schon mit mehreren EPs einen Namen gemacht, „In Today Already Walks Tomorrow“ wird mitunter gar als erstes Album geführt. Tatsächlich aber ist „… and so we destroyed everything“ ihr erstes wirkliches Album in voller Länge.
Die „volle Länge“ beträgt hier 52 Minuten und 15 Sekunden, im Postrock fühlt sich das beinahe an wie eine (sehr angenehme) Ewigkeit. Deswegen sollten eigentlich viel mehr Bands Postrock machen: Auch mit nur einer Viertelstunde Laufzeit schaffen sie den Hörer mehr in ihren Bann zu ziehen als mit irgendwelchem Popquatsch. Leider scheint das nicht genug Inspiration zu bieten.
Inspiriert wurden sleepmakeswaves hingegen durchaus, zum Beispiel von Explosions In The Sky und hin und wieder God Is An Astronaut. Zu hören ist nicht ganz instrumentaler Postrock (im abschließenden Titelstück ist sogar kaum verständlicher Choralgesang zu vernehmen, allerdings ist dieser eher zusätzliches Instrument als sonstwie relevant) im bekannten Gewand.
Man macht reichlich Gebrauch von Elektronik: Zu den Gitarrenwänden gesellen sich allerlei Klangspielereien, Gastinstrumente sind Trompete, Violine und akustische Gitarre, leider nicht im selben Stück. Auch sonst hält man nicht viel von festgefahrenen Mustern, das alte Laut-Leise-Spiel im Postrock begeistert die vier Musiker anscheinend nicht sonderlich. Das gewählte Schema, das Setzen auf kontinuierliche Emotionalität ohne strukturbedingte Pausen, ist genau das richtige:
Das Album kann gut am Stück gehört werden, auch nebenher, geht runter wie Öl und sorgt zwischen ambienten Momenten und mächtige, vom bemerkenswerten Schlagzeugspiel auf Kurs gehaltenen Wall Of Sound für wohlige Zufriedenheit.
Verglichen mit früheren Veröffentlichungen klingen sleepmakeswaves auf „…and so we destroyed everything“ reifer und runder, als wüssten sie jetzt endlich, wohin ihre Reise führen soll. Der Schlaf macht Wellen, und sie tragen weit hinaus in entfernte Sphären. Keine Flaute hindert sie daran. Na dann: Volle Kraft voraus!
Hörproben: Momentan ist das Album komplett auf sleepmakeswaves.com anhör- und kaufbar.
Karmakanic – In a Perfect World
„The flowers in the air, they turn towards the sun / end of love and hate, riot in the name of freedom“ (1969)Nach so viel instrumentalem Schönklang darf es ruhig auch mal wieder Gesang sein. Karmakanic beherrschen diesen ganz gut.
Bandgründer Jonas Reingold von den Flower Kings bringt allerdings auch eine Menge Erfahrung mit; und wer die Flower Kings kennt, der ahnt, was ihn auf „In a Perfect World“ erwartet, nämlich allerlei Yes, Styx und Genesis.
Schubladenfreunde dürfen Hardrock und Retro-Prog auspacken, wenn sie halt gerade nichts besseres zu tun haben. Dabei ist das hier Gehörte viel komplexer, allein schon das eröffnende „1969“ ist eine wahre Schatztruhe an Referenzen und Einflüssen, erinnert anfangs an Pink Floyds „High Hopes“, geht in einen Hardrock-Teil mit Anleihen an Yes‘ „Don’t go“ über, gegen Mitte kündigen sich dann mit viel Bass und Keyboards die Flower Kings an, kommen aber dann eben doch nicht heraus, sondern lassen sich wiederum ablösen vom Hardrock, und so weiter und so fort; nein, langweilig ist das nicht.
Ganz anders Stück 2, „Turn It Up“, eine Art Transatlantic mit mehr Pop und irgendwie matschig klingender Gitarre von Krister Jonsson. Zwischendurch wird die Melodie des Refrains von Cluesos „Gewinner“ zitiert beziehungsweise eben nicht, mit einer begrenzten Anzahl an möglichen Noten kann man eben keine unbegrenzte Anzahl an Melodien schreiben.
Sonst so: Gentle Giant und Mr. Bungle und merkwürdiger „lalala“-Gesang („Can’t Take It With You“), hier und da auch mal Elton John, aber vor allem viel Yes, bevorzugt aus ihrer 70-er-Phase.
In den 70-ern verwurzelt, „sucking in the Seventies“, wie einst die Rolling Stones, so sieht’s aus. Die 70-er Jahre sind ja auch nicht unbedingt das schlechteste Jahrzehnt, an dem man sich bedienen kann. Der Titel des Albums ist übrigens keinesfalls Programm: Das eher ruhige Stück „When fear came to town“ – etwas zu lang geraten allerdings – nimmt Bezug auf ein Selbstmordattentat.
Weniger traurig sind die Hörproben auf Amazon.de. Mögen sie gefallen!
Yes – Fly from Here
„You’re riding a tiger, riding a tiger“ (Life On A Film Set)Apropos Yes: Ich hatte mich ja im April schon darauf gefreut, bald ein neues Werk der Heroen hören zu dürfen. Nun, so recht zufrieden bin ich damit nicht. (Regelmäßigen Lesern wird ein kleiner Teil dieser Rezension bereits seit April bekannt vorkommen, ich bitte für die hierdurch vielleicht entstandene Verwirrung um Entschuldigung.)
Nach der Veröffentlichung des Vorgängeralbums „Magnification“ im Jahr 2001 und einer anschließenden Tour mit dem European Festival Orchestra verließen Rick Wakeman und Jon Anderson die Band erst aus gesundheitlichen, dann aus irgendwelchen anderen Gründen. Das ist in der Geschichte von Yes ja durchaus nicht ungewöhnlich, bandinterne Zerwürfnisse kamen immer mal wieder zum Vorschein, und Bassist Chris Squire ist folgerichtig der einzige Musiker, der seit der Gründung Mitglied jeder Yes-Besetzung war. Dazu gehört sicher eine Menge Toleranz oder wenigstens Dickköpfigkeit, meines Kompliments hierfür kann er sich sicher sein.
Dass Chris Squires markantes Bassspiel nun seit über 40 Jahren ein essenzieller Bestandteil von Yes‘ Musik ist, lässt mich eines schon mal vorwegnehmen: Er kann es immer noch.
Nun ist „Fly from Here“ nicht das erste, sondern bereits das zweite Album ohne den Gesang Jon Andersons. Die Studioarbeit nach dem durchwachsenen Album „Tormato“, das die vorläufige Abkehr vom Bombast-Prog einläutete, verlief offenbar nicht ganz nach den Vorstellungen der Musiker, und so verließ er mit Rick Wakeman, der seine Tätigkeit bei Yes ja alle paar Jahre mal beendet und wieder aufnimmt, die Band. Die verbliebenen Mitglieder hatten allerdings keine Lust, wegen solcher Personalien das Musizieren einzustellen. Praktischerweise waren die Buggles („Video killed the radio star“), Trevor Horn und Geoff Downes, gerade zugegen, um Yes ein paar Liedideen anzubieten, also machte man Nägel mit Köpfen und nahm die Buggles als Vollwertmitglieder auf. Diese bislang einmalige Formation spielte das gleichfalls einmalige Album „Drama“ ein, die Buggles gingen danach wieder eigene Wege, Yes besetzten sich noch mal um und nahmen unter anderem das scheußliche „Owner of a lonely heart“ (1983) auf.
Von den Aufnahmen für „Drama“ blieb anscheinend einiges Material übrig, für das die Buggles keine Verwendung mehr hatten. Dieses Material lag dann einige Jahrzehnte lang herum. Zwischendurch hatte sich Yes mal wieder umbesetzt: Für Rick Wakeman kam sein Sohn Oliver Wakeman, für Jon Anderson kam Benoît David, Sänger von Mystery und ehemals Frontmann der Yes-Coverband Close to the Edge.
Chris Squire nun erinnerte sich vor einer Weile daran, dass zu „Drama“-Zeiten das Stück „We can fly from here“ live gespielt, aber nie im Studio aufgenommen wurde, und rief Trevor Horn an, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Keyboarder Geoff Downes folgte bald und ersetzte Oliver Wakeman, der auf dem Album stellenweise noch zu hören ist und den das also ziemlich überraschte. Ja, so schnell kann es gehen bei Yes.
Mit Ausnahme des Gesangs ist „Fly from Here“ also sozusagen die Fortsetzung von „Drama“. Was bedeutet das? Nun, zunächst einmal nicht viel.
Die fünfteilige – plus Ouvertüre – suite „Fly from Here“ ist das Überbleibsel, das der Anlass für das Album war. Die Zerstückelung in fünf „Akte“ hätte nicht sein müssen, durch sie wirkt das Werk nicht homogen, aber denkt man sich diese Zwischenräume weg, eröffnet sich „Fly from Here“ dem Hörer. Mit dem großartigen „Machine Messiah“ von „Drama“ hat das Gehörte nicht viel zu tun, es ist fröhlicher, bombastischer. Benoît David tut sein Bestes, um mehr wie Jon Anderson (damit hat er ja Erfahrung) und weniger wie Trevor Horn zu klingen, und der Yes-typische Duettgesang trägt sein Übriges dazu bei, dass auch Teil 2, „Sad Night at the Airfield“, trotz der bedrückenden Stimmung nicht zum Ausfall wird. Teil 4, „Bumpy Ride“, ist seltsam, es klingt, wie es heißt. Zusammengehalten wird das Ganze vom Thema des Wegfliegens, „we can fly from here“, Teil 5 ist folgerichtig das reprise des Eingangsthemas. Nur, falls noch jemand dachte, Yes könnten keinen Progressive Rock mehr spielen.
Außer diesem Kern des Albums gibt es auch wieder die typischen kürzeren Yes-Stücke zu hören, Gitarrist Steve Howe steuert mit „Solitaire“ auch mal wieder ein formidables Solostück bei, Chris Squire mit „The Man You Always Wanted Me To Be“ ein eingängiges Poprockstück, das eigentlich mal für eines seiner Soloalben vorgesehen war. Bekannt sollte den Anhängern der beteiligten Musiker übrigens „Life On A Film Set“ vorkommen, das in einer frühen Version als Demoaufnahme unter anderem Namen auf neuen Auflagen des zweiten Buggles-Albums „Adventures in Modern Recording“ zu finden ist.
Sicher, hier und da kommt zum Vorschein, dass eben doch eine andere als die „klassische“ Besetzung hier zu hören ist. In diesen wenigen Momenten klingen Yes wie eine Band, die eine Band covert, die Yes covert und der auch Änglagård, Gentle Giant und Wobbler nicht fremd sind. Aber sollte man das mit Punktabzug bestrafen und nicht vielmehr als Zeichen dafür werten, dass Yes trotz der Rückkehr in ihre musikalischen 70-er und frühen 80-er Jahre immer noch frisch, modern und unverbraucht sind? Sollte man Yes dafür bestrafen, dass auch nach 43 Jahren ein Yes-Album immer die Summe der Beiträge der jeweiligen Mitglieder und nie ein wirklich homogenes Werk ist? Ich meine: Nein. Vergäbe ich Punkte, ich vergäbe für „Fly from Here“ die volle Punktzahl. Aus Überzeugung.
Hörproben: Ausschnitte aus dem Album gibt es auf Amazon.de, das gesamte Album auf Grooveshark zu hören.
Zun Zun Egui – Katang
„Sexy worm went out and got the bird, hey!“ (Fandango Fresh)Von alten Meistern zu neuen Besen: Gerade höre ich anlässlich dieser Rezension nochmals „Katang“ von Zun Zun Egui und bin ratlos. Was wollen die drei Jungs und das Mädel aus Bristol uns eigentlich mitteilen?
„Tropical Thrash“ wird ihr Schaffen genannt, wenn es nicht gerade „Heavy Dance“ genannt wird, und dagegen haben sie nichts einzuwenden. Ja, ein tropischer Einfluss lässt sich nicht verleugnen, die Südseegitarre und der Bongo-Klang sind zu präsent. Aber was ist daran „thrash“? Die Texte vielleicht? Die sind auf Englisch und Französisch und Kreolisch und einer Fantasiesprache verfasst und trotz extrovertierter Darbietung von meistens Kushal Gaya auch akustisch schwer genug zu verstehen, vielleicht ist das Absicht. Was man versteht, ist schon verwirrend genug. (Was, bitte, ist an einem Wurm erotisch?) Das sollte aber niemanden erstaunen, heißt „zun zun egui“ auf Japanisch doch so viel wie „überaus seltsames Vorspulen“, es ist also vor allem schnell und verrückt.
Der multikulturelle Klang von „Katang“ könnte in der Ethnie der Bandmitglieder begründet liegen: Eines stammt aus Japan, eines von Mauritius, die beiden Rhythmusgeber indes sind Briten. Anscheinend hat jedes Mitglied Musik aus seiner Heimat als Inspiration mit eingebracht, was ein bisschen an Kula Shaker erinnert, aber gar nicht nach Indien klingt. Dieses Durcheinander nennt man andernorts „interessant und anders“ und meint das gar nicht so positiv, wie es klingt, und das finde ich schade.
Dieses Interessante, Andere klingt nach ein bisschen Talking Heads, ein bisschen The Mars Volta, ein bisschen System of a Down und ein bisschen „Was um alles in der Welt soll das sein?“. Die psychodrogeninduzierten Klangexperimente der zweiten Hälfte der 1960-er Jahre sind vielleicht eine wichtige Inspiration für Zun Zun Egui gewesen, vielleicht auch nicht, und wer auf eine meiner Empfehlungen hin mal The Void’s Last Stand gehört hat, der entdeckt auch so manche Ähnlichkeit, obwohl diese wahrscheinlich eher oberflächlich ist, denn Zun Zun Egui wechseln nicht ständig die Stile, sondern klingen immer gleichermaßen durchgeknallt. Ach ja, Mr. Bungle mal wieder: Dieser dezente Popanstrich, mächtig überdeckt von mit Bedacht strukturiertem Tohuwabohu. Katang, tschingderassabumm.
Noch nicht abgeschreckt? Tapfer, sage ich, und verweise auf die Hörproben:
Auf YouTube gibt es das merkwürdige Video zu „Fandango Fresh“ zu sehen, auf Amazon.de 30-sekündige Ausschnitte aus dem Album zu hören. Viel Glück!Earth Flight – Blue Hour Confessions
„Thinking of you always tears me apart“ (By The Light Of The Moon)Zurück in etwas weniger obskure Gefilde und nach, mehr oder weniger, Deutschland, genau genommen nach Nürnberg. Von dort stammt mit Earth Flight eine herausragende Psychedelic-Metal-Band, die mit „Blue Hour Confessions“ bereits im Februar ihr aktuelles Album auf die Menschheit losließ.
Psychedelic Metal? Ja, die Einflüsse des zweifelsohne psychedelischen Stoner Rocks sind unüberhörbar. Und sonst so:
Mal darf die Gitarre elegisch weinen, mal alternative-rockig schrammeln, dazwischen sogar mal wie bei U2 klingeln, meistens aber fett riffen und da reicht die Härte durchaus lässig in metallische Gefilde. Und je nach Saitenanschlag entwickelt sich dann ein veritabler Rocker oder ein psychedelisch angehauchter leicht balladesker Song mit diesem New Artrock-Feeling oder auch atmosphärischer Progmetal, so ein bisschen in Richtung neuere Fates Warning. Die Rhythmusfraktion liefert dazu ein solides Fundament mit kraftvollen Bassläufen und vitalem, moderat vertracktem Drumming.
Tobias Brunner ergänzt diese Darbietung mit mal schrägem, mal elegisch-lyrischem Gesang und beherrscht den Hardrock ebenso wie das Geknödel eines Brian Molko, was man natürlich jetzt nicht unbedingt gut finden muss.
Obwohl die Plattenfirma laut Werbetexten nicht so ganz verstanden hat, was Progressive Rock eigentlich ist („starke Riffs und eine ausdruckskräftige Stimme“), liegt hier doch ein recht progressives Werk vor, was für eine Band aus der Doom-Metal-Szene eher ungewöhnlich ist. Ihre Wurzeln („Earth Flight“ ist der Titel eines Stückes von Pentagram) haben die Musiker aber gekonnt hinter sich gelassen und wandeln nun frei zwischen den Stühlen umher. Dabei gelingt ihnen das Kunststück, zugängliche und dennoch komplexe Musik zu machen. Das allein ist bereits ein Grund, dieses Album zu empfehlen, wenn die musikalische Zusammenfassung noch nicht genug Anlass bot.
Hörproben: Das komplette Album kann man derzeit auf recent-records.de probehören.
Tom Waits – Bad As Me
„The dog is in the kitchen and the war drags on“ (Talking At The Same Time)Tom Waits ist ein Liedermacher. Das könnte ich jetzt so stehen lassen und mich voller Schadenfreude ergötzen an der Reaktion derer, die jetzt einen zweiten Reinhard Mey erwartet haben, aber das wäre ja nicht nett.
Mit Reinhard Mey verbindet Tom Waits allenfalls die Bissigkeit der Texte. Feinsinniges passt nicht zu ihm. Und auch auf „Bad As Me“ – „Böse wie ich“ – enttäuscht er seine Hörerschaft nich‘; und am erstaunlichsten ist es immer noch, dass auch das spießige Föjetong von FAZ bis Focus diese sperrige Musik von diesem dem Schönklang noch nicht erlegenen alten Mann zu schätzen weiß. Tom Waits ist offenbar eine Institution, an der man schon lange nicht mehr herummäkelt. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass er niemanden mehr überrascht, von den armen Seelen abgesehen, die sonst nur so Schmusescheiße hören und dann von Scherzbolden wie mir unvorbereitet erstmals mit seiner Musik konfrontiert werden. Spaß muss sein.
Der eröffnende Blues „Chicago“ beginnt mit hektischem Bläserrhythmus, schon nach zehn Sekunden setzt der gewohnt raue Gesang ein: „The seeds are planted here / But they won’t grow / We won’t have to say goodbye / If we all go / Maybe things will be better in Chicago…“ Bei der FAZ fragte man sich:
Hat er mit Schotter gegurgelt und mit Reißzwecken nachgespült?
Auch mit 61 Jahren klingt Tom Waits immer noch nach Tom Waits und nicht, wie Bob Dylan, nach einer Parodie seiner selbst. Das soll nun nicht bedeuten, dass seine Lieder seit Jahrzehnten klingen, als wäre er ein alter, vom Alkohol gezeichneter Mann. Mit seiner Stimme kann er immer noch spielen wie mit einem Instrument, und die Kombinationen scheinen unerschöpflich: Sei es Falsettgesang zu langsam schwingendem Noir-Jazz („Talking At The Same Time“), seien es die klassischen Waits-Balladen, die trotz aller Schnulzigkeit nie seicht klingen („Kiss Me“), sei es Sprech- oder besser Bellgesang zu Marsch- und Rockmusik wie etwa in „Hell Broke Luce“, einem Lied, über das man anderswo schrieb, es schwanke „durch die Schützengräben wie ein Panzer auf Stelzen“, wie auch immer man sich das vorzustellen hat. Apropos Gitarren: Tom Waits‘ alter Weggefährte Keith Richards ist auf „Bad As Me“ als Instrumentalist zu hören, im Stück „Last Leaf“, in dem das lyrische Ich seine Existenz als „letztes Blatt am Baum“ beklagt, ist er auch als Duettpartner zu hören.
Tom Waits revanchiert sich, indem er in „Satisfied“ nicht nur das Rolling-Stones-Lied „Satisfaction“ und Mick Jaggers Gesangsstil parodiert, sondern auch einen Seitenhieb auf die beiden kreativen Köpfe der Altherrencombo hinterlässt:
Now Mr. Jagger and Mr. Richards: I will scratch where I’ve been itching.
Vermutlich verliefen die Aufnahmen hierzu recht fröhlich, wenngleich „fröhlich“ nicht unbedingt etwas ist, was man gemeinhin mit Tom Waits assoziiert. Tatsächlich ist „Bad As Me“, ungeachtet seines Namens, für seine Verhältnisse ein Album, das in doppeltem Sinne Spaß macht. Ja, es schien, als wäre die Karriere des Künstlers nun vorüber, ließ die Kreativität doch nach dem, was man so liest, auf dem vorherigen Album zu wünschen übrig. Klar ist, dass sich jedes seiner Alben an den beiden Extremen „Bone Machine“ und „Rain Dogs“ messen lassen muss, die Musikjournaille braucht ja immer ein „klingt wie“ im Satzanfang. Betrachtet man diese beiden Ausnahmewerke des Ausnahmemusikers aber als solche, erscheint mir jeder Verriss von „Bad As Me“ als deplatziert.
Es soll nur niemand wagen, „Bad As Me“ als Alterswerk zu deklassieren. Vom alten Eisen ist Tom Waits künstlerisch noch weit entfernt. Möge dies noch lange erhalten bleiben!
Hörproben hat Amazon.de reichlich im Angebot.
„Weird Al“ Yankovic – Alpocalypse
„You need a quickie confession? We’ll start a waterboarding session.“ (Party In The CIA)Auch nicht mehr der Jüngste ist „Weird Al“ Yankovic, und auch bei ihm ist keine künstlerische Schwäche zu erkennen. Sein mittlerweile 13. Studioalbum „Alpocalypse“ enthält zwölf Lieder, in denen er jeweils entweder ein bekanntes Musikstück oder den Stil eines Künstlers parodiert. Das mag manch einer für unkreativ halten, phänomenal ist es aber immer noch.
Der Name des Albums wurde passend zum für 2011 angekündigten Weltuntergang gewählt. Es ist erfreulich, dass er nicht eingetreten ist, denn sonst müssten wir nun wahrscheinlich auf dieses Album und auf unser Leben verzichten.
In seinem Bemühen, auf seinen Alben stets die momentane Popwelt abzubilden (wie viele der parodierten Künstler auf dem Vorgängeralbum „Straight Outta Lynwood“ von 2006 sind 2011 von gleich bleibender Bedeutung?), hat diesmal Lady Gaga, selbst nach eigenem Bekunden Anhänger des Musikers, die Ehre, Galionsfigur seines Albums zu sein. Im ersten Stück, „Perform This Way“, nimmt er zur Melodie ihres Liedes „Born This Way“ ihren Hang zur Selbstinszenierung textlich und in einem höchst albernen Musikvideo auf die Schippe:
I might be wearin‘ Swiss cheese or maybe covered with bees
It doesn’t mean I’m crazy – I perform this wayDas übliche Polka-Medley hört folgerichtig auf den Namen – Achtung – „Polka Face“ und beginnt mit einer Parodie von „Poker Face“, das eigentlich auch schon keiner mehr hören kann, aber im Polkagewand bekommt manches einen völlig neuen Klang. Dass die Polka-Medleys normalerweise eher eine Resteverwertung der Lieder sind, für deren Umtextung „Weird Al“ die zündende Idee fehlte, schränkt ihren Spaßfaktor keineswegs ein.
Von diesem Popunfug abgesehen beruft sich „Weird Al“ Yankovic wie auch Tom Waits auf alte Meister, zwar ohne Rolling-Stones-Parodie, aber mit einer solchen auf die Doors („Craigslist“). Fachmännische Unterstützung hierbei erfolgt seitens Ray Manzareks, selbst Mitglied der Doors, am Keyboard.
„Weird Al“ Yankovic beweist auf „Alpocalypse“ erneut, dass es ihm an Ideen für absurde Situationen und die Betextung derselben nicht mangelt. Es gibt wenige Musiker, die ihr Niveau über eine so lange Zeitspanne halten können. „Weird Al“ Yankovic gehört auf jeden Fall dazu.
Zum Reinhören verweise ich nochmals auf das Video zu „Perform This Way“ und zum Vollständighören auf Grooveshark.
3 – The Ghost You Gave To Me
„The voices echo in your head“ (Only Child)Noch so eine Band, die ich bisher nicht einmal bemerkt hatte, nennt sich 3. Versucht da mal brauchbare Informationen im Internet zu finden.
Dabei ist das Quartett gar nicht so unbekannt, wie Touren mit Porcupine Tree, Cynic Opeth und Dream Theater nahe legen, womit dann auch schon klar zu sein scheint, was hier wahrscheinlich gespielt wird, nämlich Metal. METAL! \m/
Stimmt aber nicht.
Tatsächlich gibt es auf „The Ghost You Gave To Me“ hochklassigen, progressiven Alternative/Indie Rock auf die Ohren. Das einleitende „Sirenum Scopuli“ gewährt bereits Einblick: Ambiente Gitarrenklänge zu völlig unaggressivem, hohem Gesang leiten über in das zweite Stück, „React“, das so unvermittelt anfängt, dass man den Übergang kaum bemerkt. „React“ aber hat erstmals einen Refrain und ist mindestens so energiegeladen wie Mando Diao außerhalb ihrer seichten Popliedchen. Wie dreckig die Band aber auch zu klingen versucht, der caravanesque, seltsam schwebende und enyamäßig hallende Gesang von Joey Eppard lässt all das immer unwirklich, wie im Traum erscheinen.
Das ist eigentlich auch schon das große Manko des Albums, denn dieser alles in eine unwirkliche Traumebene schiebende Gesang sorgt dafür, dass die großartigen Melodien, wie verfrickelt sie auch sein mögen, im „großen Ganzen“ beinahe untergehen beziehungsweise dass das ganze Album auch beim Bügeln im Hintergrund laufen könnte und man würde es wahrscheinlich nicht merken. Wenn man sich aber bewusst auf dieses Album einlässt, wird die Spielfreude der Musiker übertragen als Lauschfreude des Hörers, und das ist ziemlich famos.
Den Geist, den man ihnen gab, geben sie hier freimütig und leidenschaftlich zurück. Gefällt mir. Plus eins.
Hörproben gibt es unter anderem auf Amazon.de.
Flaming Row – Elinoire
Apropos METAL! \m/ – diesmal wirklich: Flaming Row, Musikgruppe deutschen Ursprungs, deren Mitglied Marek Arnold auch bei Toxic Smile, Seven Steps To The Green Door und mittlerweile auch Stern-Combo Meißen aktiv ist, erzählt auf „Elinoire“ eine Geschichte. Metal-Konzeptalben erfreuen des Progressive-Rock-Hörers Herz.
Die Geschichte, die die Texte erzählen, klingt bemerkenswert:
Textlich dreht sich das Ganze um eine englische Familie, wo die Mutter (Lea) bei der Geburt der Tochter (Elinoire)stirbt und der Vater (Adam) damit lange nicht klarkommt und so der Opa (Cyrus) erstmal die Vaterrolle übernimmt, bevor einige Dinge aus Leas Vergangenheit in einem neuen Licht erscheinen. Was sich zunächst recht einfach gestrickt anhört, ist komplex entwickelt mit Charakteren, deren Emotionen (u.a. Liebe und Wut) sowie Dimensionen (u.a. Zeit und Tod) jeweils durch andere zugeordnete Stimmen Leben eingehaucht wird!
Dass die Texte in englischer Sprache verfasst worden sind, der Texter aber gelegentlich über englische Phrasen stolpert und sich anscheinend ziemlich weh tut, fällt nur wenig ins Gewicht. Die Qualität der Musik gleicht das wieder aus. Dabei ist der Gesang an sich ein tragendes Element des Albums: Neben Sängerin Kiri Geile (hihi) sind als Gastmusiker unter anderem zwölf gesonderte Vokalisten zu hören, darunter Billy Sherwood, der vor vielen Jahren mal bei Yes musizierte und heute mit Circa: und Yoso noch immer in deren weiterem Umfeld zu finden ist.
Das Konzept (eine mit verschiedenen Stimmen für verschiedene Charaktere erzählte, ziemlich dramatische Geschichte) ist vielleicht schon von Ayreons ebenfalls großartigem Album „The Human Equation“ bekannt, und auch musikalische Ähnlichkeiten sind durchaus vorhanden. Da wird stilistisch quer durch die Genreschubladen gefahren, es gibt Country („Do you like country grandpa?“) neben Growlgebrüll („Rage of despair“), vor allem aber viel Gitarre und – Marek Arnold sei Dank – eine Menge Keyboards. Dream Theater sind selten fern.
„Elinoire“ ist gemessen daran, dass es als Debütalbum veröffentlicht wurde, nicht nur ein ambitioniertes, sondern auch ein unglaublich vielseitiges Album. Ganz großes Kopfkino.
Reinhören kann man zum Beispiel per Grooveshark und sollte dies unbedingt auch einmal tun!
Black Box Revelation – My Perception
„The wood is where your soul lives“ (My Perception)Ziemlich dreckig und eigentlich gar nicht nach einem belgischen Duo, bestehend aus zwei Herren Anfang 20, klingt „My Perception“, das dritte Album von Black Box Revelation. Als Produzent konnte man Alain Johannes gewinnen, der in Stoner-Rock-Kreisen kein Unbekannter ist und auch auf „My Perception“ klanglichen Eindruck hinterlassen hat.
Zu hören ist Gitarren-Indie-Rock, der mit den Dandy Warhols (und somit auch The Velvet Underground) nicht unbedingt die schlechtesten Paten hat. „Madhouse“ eröffnet das Album entsprechend mit Bluesriffs, Jan Paternoster sprechsingt dazu, stimmlich Mick Jagger nicht unähnlich, in guter, alter Lou-Reed-Manier, auch Hintergrundgesang ist dort, wo man ihn erwartet; nur das Schlagzeug schlägt die Brücke in neue Gefilde und bringt The Strokes und The White Stripes – insbesondere im Mittelteil von „Madhouse“ sind diese dominant – ins Spiel.
Das bedeutet allerdings beileibe keine Monotonie. „Skin“ etwa ist ein veritables, tanzbares Popstück mit viel Elektronik, „New Sun“ eine Folkballade mit eigenartigem Gitarreneinsatz; und dann eben auch immer wieder der Stoner Rock wie in „2 Young Boys“, das zwar nicht ohne Unterlass vor sich hinscheppert, aber doch das Herz des Verzerrerfreundes zum Hüpfen bringt. (Sieht übrigens merkwürdig aus.)
Tja, was ist das nun? Damals hätte man es wohl Rock’n’Roll genannt; aber Elvis, der Inbegriff dieses Stils, ist hier fern. Anderswo vergleicht man Black Box Revelation mit Tool und ist wahrscheinlich ziemlich froh darüber, dass es kein Kommentarfeld unter der Rezension gibt, in dem man seinen Unmut hierüber kundtun kann, aber schreibt ansonsten weniger Quatsch:
Das ist Rock ohne Keyboards, Oldschool, mit vielen Gitarrenhooklines, schönen verzerrten Parts und melodiösen Soli, die nach alten Verstärkern klingen.
So muss Rockmusik sein. Nehmt euch ein Beispiel daran, ihr strunzlangweiligen Kettcar!
Anhören und angucken kann man das Ganze beispielsweise, indem man das eigenartige Video zum Titelstück auf Dailymotion.com betrachtet. Tut dies!
Baby Woodrose – Mindblowing Seeds And Disconnected Flowers
„Baby Woodrose blows your mind“ (Baby Blows)Und weil so Rockalben ja immer zu kurz sind, schieben wir gleich noch eins hinterher.
„Baby Woodrose“ ist einer der Namen für die Hawaiianische Holzrose, deren Bestandteile eine LSD ähnliche Wirkung erzielen. Das ist wahrscheinlich ebensowenig dem Zufall geschuldet wie der Titel des Albums, wobei zumindest bei ersterem Bandkopf und einziges konstantes Mitglied Lorenzo Woodrose sein (angeblicher) Name gelegen gekommen sein dürfte. Tjaja, den Verstand in die Luft jagen muss man ja nicht mit Sprengstoff.
Bereits das Titelbild des Albums, inspiriert von den Blumenkinderplakaten der späten 60-er Jahre, zeigt: Anhänger von großartigen Gruppen wie Vibravoid (die allerdings mehr Pink Floyd als The Who sind) kommen auch hier auf ihre Kosten. Psychedelischer Garagenrock dominiert. Dabei ist die hier zu hörende Musik nicht einmal neu.
Vor 10 Jahren, 2001, erschien nach zwei Jahren Arbeit das Debütalbum „Blows Your Mind“. Den dort zu findenden Stücken ging, wie üblich, ein kreativer Prozess voraus, der zahlreiche Demoversionen hervorbrachte, die nach und nach „geschliffen“ und irgendwann für das Album und den 7″-EP – wieder so etwas, was leider aus der Mode gerät – „Disconnected Flowers“ final aufgenommen und gemischt wurden. Auf „Mindblowing Seeds And Disconnected Flowers“ befinden sich insgesamt 15 Lieder aus dieser Phase in einem frühen Zustand, ähnlich dem Beatles-Album „Let it be… naked“ ohne allzu viel Nachbearbeitung. Eigentlich ist „Mindblowing Seeds And Disconnected Flowers“ somit eher eine Sammlung von Demoversionen als ein neues Studioalbum, aber tatsächlich erblicken die hier zu findenden Versionen erstmals das Licht der Öffentlichkeit.
Demoversionen sind ja dafür bekannt, noch nicht unter übermäßiger Kantenglättung zu leiden. Was hier zu hören ist, hat Biss. Dass die einzige enthaltene Coverversion „City of People“ von der US-amerikanischen Garage-Punk-Band The Illusions und aus dem Jahr 1966 stammt, ist ein Beleg dafür, wo Lorenzo Woodrose seine musikalischen Wurzeln ausmacht.
Dass die fünfzehn Lieder – großteils als „Explicit Lyrics“, explizite Lyrik also, beinhaltend gekennzeichnet – natürlich auch nur eine begrenzte Gesamtlaufzeit haben und daher nie länger, meist kürzer als ungefähr dreieinhalb Minuten sind, fällt kaum ins Gewicht, damals, in den 60-ern, waren Singles ja selten länger, und wer mit der damaligen Musik nicht viel anfangen kann, der kann Baby Woodrose auch unter „muss ich nicht hören“ ablegen.
Sicherlich ist dieses Album auch sonst kein „muss ich hören“, wenn man die Entwicklung von Baby Woodrose von Anfang an verfolgt hat. Wer das verpasst hat, dem bietet Bad Afro Records hier nochmals die Gelegenheit, ihre Musik kennen und schätzen zu lernen. Ein Angebot, das man nicht ausschlagen sollte.
Wildes Kopfschütteln und Reinhören sei auf Amazon.de gewährt.
thisquietarmy – Vessels
Im Mai dieses Jahres erschien als Vorläufer des im November erschienenen Albums „Resurgence“ der/die/das EP „Vessels“ von thisquietarmy, dem Soloprojekt von Eric Quach, Gitarrist der Instrumentalrocker destroyalldreamers. (Erkennt ihr das Muster?)
Anders als die Musik letzterer Protagonisten ist das Album von thisquietarmy genau das: Still. Es wird beherrscht von Seefahrts-/Unterwassergeräuschen, mal pfeifen die Kessel, mal tropft es. Eric Quach vermischt hier ambiente Klangflächen mit drones, also Bordunklängen, zu einer brodelnden Masse.
Das sechste und letzte (Bonus-)Stück „New Dawn Fades“, von Gesang und aufdringlichem Schlagzeug begleitet, fällt hier beinahe aus dem Rahmen, es gibt dem Dargebotenen abschließend einen Dark-Wave-Anstrich, der Sisters of Mercy und ähnliche Musikgruppen zitiert. Das erstaunt nur wenig, handelt es sich doch um eine Coverversion des gleichnamigen Stückes von Joy Division.
Frei übersetzt und etwas technischer formuliert klingt das so:
Indem er seine Gitarre als einen Klangfarbenerzeuger erforscht, erweitert er die Grenzen seines Instruments durch die Benutzung mehrerer Effektverarbeiter und Echtzeit-Loopsampler, die Form und Klang des Gitarrensignals ändern, Texturen über Texturen blenden, eine umfangreiche Kombination aus Klngen zusammenfügen und die Melodien entwickeln, die in diesen Klangkaskaden verborgen sind. Bestimmte musikalische Ideen werden oft mittels Neuinterpretation, De- und Rekonstruktion seiner eigenen Improvisationen entwickelt.
Das klingt spannend und ist enorm. Musik für Kopf-Hörer und lange Nächte.
Hörproben: „The Pacific Theater“ und „The Black Sea“ können geneigte Musikfreunde auf Bandcamp.com in voller Länge hören.
The Canyon Observer – Chapter 1 – The Current of Her Ocean Brings Me To My Knees
Noch ein EP, diesmal aus Slowenien, bereichert dank Peters Fürsprache diese Liste: „The Current of Her Ocean Brings Me To My Knees“ ist der Erstling von The Canyon Observer, mit einer ungefähren halben Stunde Laufzeit aber schon nicht übel befüllt.
Was gibt es auf die Ohren?
(…) eine nicht uninteressante Mischung aus Sludge, Hardcore, Post-Rock und noisigen (sic!) Ambient (…)
Nun, die Band selbst sortiert sich unter anderem in „ska“, „sludge“ und „punk rock“ ein. Nimm dies, genregeile Musikpresse. „Sludge“ passt noch am ehesten, laut Wikipedia gehört dies dazu:
Insgesamt ist die Musik eher schleppend und zäh, mit besonderer Hervorhebung der Gitarrenriffs. Der Gesang besteht vornehmlich aus hardcoreartigem Geschrei und Gekeife, aber auch Death-Metal-typische Growls können vorkommen.
So ist das. Ska? Fehlanzeige. Das ist gut, ich mag keinen Ska.
Dass „The Current of Her Ocean Brings Me To My Knees“ irgendwie beliebig klingt, mag sein. Wenn man viel Zeit mit einer einzigen Musikausrichtung verbringt, wird man irgendwann das Gefühl haben, das alles schon mal irgendwo gehört zu haben. Mir als Freund schrägen Lärms ist derlei jedoch noch ziemlich unbekannt, und mich erfreut die Kombination aus Behäbigkeit und Aggression. Auf die folgenden Kapitel („Chapter“) bin ich gespannt.
Wer Besagtes ebenfalls schätzt, dem rate ich, mal reinzuhören:
Auf Bandcamp.com ist das gesamte Werk hör- und kaufbar.Lou Reed & Metallica – Lulu
„I want to see your suicide, I want to see you give it up, give it up, your life of reason.“ (The View)Ach, was haben die Herren da nur losgetreten? Cheer-Accident hatte ich oben als kontrovers beschrieben, gegen „Lulu“ aber verblasst jede Kontroverse. Auf Amazon.de sind heiße Diskussionen entbrannt, ob Lou Reed oder seine Begleitband Metallica die störenden Elemente auf dem Album sind. Natürlich sind die Anhänger letzterer Combo anderen Gesang gewohnt:
Man sollte mal untersuchen, ob Leute, die gerne Lou Reed hören, sich auch gerne auspeitschen lassen, oder ob Leute, die sich auspeitschen lassen, dabei gerne Lou Reed hören, quasi um den Effekt zu verstärken :o)
Aber das nur am Rande …Nicht, dass Lou Reed so etwas nicht gewohnt wäre: Als er mit The Velvet Underground unter Andy Warhols schützender Hand die New Yorker Kunstszene provozierte, wurde seine kreative Ader von der Presse nicht gewürdigt. Jahrzehnte später weiß man, dass das damals eine Weg weisende Stilrichtung war, die man erst viel zu spät als eine solche erkannte. Ob es mit „Lulu“ auch so sein wird?
Für einige – wenige – fans von Metallica ist „Lulu“ der längst überfällige Befreiungsschlag, aber die meisten haben offenbar nicht verstanden, dass es eben kein Metallica-Album ist. Merke: Wo nicht nur Metallica draufsteht, ist nicht nur Metallica drin.
Wahrscheinlich ist „Lulu“ aber das Anspruchsvollste, woran sich Metallica je beteiligt haben. Text und Musik stammen von Lou Reed auf Basis des Theaterstücks „Lulu“, geschrieben von ihm und Robert Wilson auf Basis des gleichnamigen Stückes von Frank Wedekind, eine Theateradaption seiner Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“. Letzten Endes große deutsche Kunst also.
Dass man sich mit „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ beschäftigen sollte, um dieses Album in seiner Gänze zu begreifen, ist wahr. Es geht aber auch ohne, die Texte lassen kaum Missverständnisse offen:
Ein leider echter Spiegel zur Seele der Menschheit, kein Disney-Zerrspiegel. Reed interpretiert Wedekind wenig überraschend, dafür mit der inhaltlichen Treffsicherheit des alten Fuchses. Berlin wird amerikanisiert und in den grimmen Händen Lous zum psychoanalytisch fein austarierten Bastard aus Hubert Selby, Burroughs und der dentalbohrenden Präzision eines Hemingway. Sadomasochismus, Egoismus, Vergewaltigung, Kälte, Verführung, Sinnlichkeit, Tod, Ekel und ein kleines Tröpfchen Liebe. Der Mensch als Abschaum der Schöpfung. Schön klingt das in der Tat zu Anfang nicht.
Klassisches Lou-Reed-Material eben, zuletzt so umfangreich aufgearbeitet auf seinem Album „Berlin“, das Tristesse, Depression und Apathie als Grundlagen menschlicher Handlungen kolportierte. Quasi als Gegensatz zu dem melancholisch ruhigen „Berlin“ fungiert also das aggressiv polternde „Lulu“, ein einst geschmähtes, existenzialistisches Werk in einer gleichfalls geschmähten Vertonung. Dieser Gegensatz ist aber nur musikalischer Natur, so heißt es etwa in „Cheat On Me“:
I have no real feelings in my soul
Where most have passion I got a hole
I really got nobody elseApathie muss nicht still sein.
Trotz all dieser Metallica-untypischen Elemente sollte man nicht übersehen, dass durchaus Metal gespielt wird. „Pumping Blood“ lädt in seiner rhythmischen Schlichtheit zum kräftigen Kopfnicken ein, das großartige „Dragon“ steuert gar auf einen musikalischen und (textlich) sexuellen Höhepunkt zu. „Oh, oh, you’re so special“. Wie oft sonst sieht man Lou Reed beim Musizieren lächeln?
Natürlich ist „Lulu“ anstrengend. Natürlich wird kein Lied aus dem Album es in irgendwelche Klingeltonhitparaden schaffen. Na und?
Das, werte Herrschaften, ist Kunst. Es muss nicht jedem gefallen – mir jedenfalls gefällt es.Reinhören: Das gesamte Album nebst Textbeilage ist derzeit auf loureedmetallica.com einzusehen und einzuhören. Empfohlen wird das vor allem denen, die Metallica schätzen – für sie ist „Lulu“ besonders harte Kost.
The Void’s Last Stand – Rakash
„… but a dream that lives forever is never born“ (Glass Cabinet)Dass ich vor zwei Jahren das Debütalbum der deutschen Formation The Void’s Last Stand rezensierte, verschaffte mir offenbar ausreichend Reputation, denn gerade noch rechtzeitig für diese Liste fand ich nunmehr ihren Zweitling, „Rakash“, im Briefkasten. Das finde ich gut.
Zunächst einmal zu den Äußerlichkeiten: Die Zeiten schwer zu entziffernder Superengschrift ist vorüber, jeder beigelegte Text, selbst das Liedtextheftchen, ist ohne große Schwierigkeiten zu lesen. Auch sonst ist von dem, nun, eigenwilligen und viel kritisierten artwork des Debüts nicht viel übrig geblieben. Das Titelbild erinnert mich an …And You Will Know Us by the Trail of Dead oder die neueren Alben von King Crimson, die allerdings weniger quietschbunt daher kommen. Helmut Wenske, so erfährt man anhand der Beschriftung des Tonträgerummantelungsdingens, hat hier in seinem typischen Stil ein wenig Kreativität ausgeübt. Sehr geehrte Musiker jedwelcher musikalischen Ausrichtung: Würden weniger von euch darauf erpicht sein, ihre Fressen auf ihre CDs zu drucken, und mehr von euch auf derartige Gemäldekunst zurückgreifen, so wäre es für eure Vermarktungsabteilungen ein Leichtes, mehr Geld mit Postern, Vinylplatten und ähnlichen Reproduktionen zu verdienen. Macht das doch mal.
Aber eigentlich geht es hier ja um die Musik. Und was höre ich da? Nun, es wirkt geordneter, weniger verwirrend als das Debüt. Los geht es mit „Mother Sun and the other Son (Part III)“, sozusagen der Fortsetzung von „Mother Sun and the other Son (Part I)“. (Ob es jemals einen Teil 2 gab, weiß wohl nur die Band allein.) Dieses ist auch das einzige Stück, auf dem die Legende von Elagabal nochmals erwähnt wird. Dem Personenkult bleibt man aber treu: In „Cut Open Feet“ etwa wird der Tänzer Vaslav Nijinsky, in „Glass Cabinet“ He-Man besungen.
Von „Mother Sun …“ abgesehen geht es musikalisch beinahe gemäßigt zu:
(…) eigentlich sind das alles nicht übermäßig fordernde Retro-Rock-Stücke, (…).
Je nachdem, wo man seine Maßstäbe ansetzt, würde ich sagen, diese Kritik trifft nicht den Kern. Jonas Wingens klingt immer noch, als hätte er zum Frühstück die Can-Diskografie (mit Malcolm Mooney und Damo Suzuki) verspeist, die zappaesquen Stil- und Rhythmuswechsel sind immer noch da, aber es klingt weniger nach „wir spielen jetzt mal, was wir gerade im Kopf haben, und nehmen das auf“.
Etwas ungewöhnlich ist auch das Ende: Stück Nummer 7 ist ein gesprochenes Gedicht, eine „Ode an Antoine Marie Joseph Artaud“, einen bekannten französischen Schauspieler mit reichlich seltsamem Tod:
Am 4. März 1948 wurde er in sitzender Haltung im Bett mit einem Schuh in der Hand tot aufgefunden.
Das Gedicht trägt passenderweise den Untertitel „Poesy in Asylum“.
So haben beide Alben ihren Reiz: Das Debüt spricht Freunde improvisierten Durcheinanders an, der Zweitling erfreut das Herz von Can-Jüngern. Ich als jemand, der beide Welten bereist, kann keinen Qualitätsverlust feststellen. Das irre Element, dessen bin ich mir sicher, wird diese Band jedenfalls so schnell nicht verlieren.
„Rakash“ ist großartig. Keine Widerrede geduldet.
Hörproben: Man schaue einmal bei Grooveshark hinein.
Das Niveau – Volle Album
„Wir bringen euch Niveau, wo nie Niveau war…“ (Niwowoniniwowa)Auf so Veranstaltungen lernt man ja immer mal so Musiker kennen und schätzen. Zum Abschluss beinahe versöhnlich klingt das „Volle Album“ von Das Niveau, nach dem „Losen Album“ deren Zweitling und nicht sehr niveauvoll.
Ja, es ist so weit, die Stunde hat geschlagen,
Das Niveau darf endlich wieder „ficken“ sagen!
Ficken, Ficken!, was für ein schönes Wort,
alles zwischen Liebemachen und Leistungssport …Was gibt es zu hören? Nun, vorrangig Liedermacher- beziehungsweise, ihrer Selbsteinordnung zufolge, Bardenduette, in denen es sich vor allem darum dreht, dass die beiden Protagonisten dicke cojones haben, Frauen toll finden und gern stinkreich wären. Im Gegensatz zu den Hip-Hop-Querflöten hierzulande versuchen sie aber gar nicht, das wie Ernst klingen zu lassen.
Mit „Am nächsten Galgen“ ist auch, wie schon „Der letzte Stern“ auf dem Debütalbum, das traditionelle Zeigefingerstück dabei:
Wenn Menschen lieber kniend leb’n
anstatt stehend im Kampf niederzugeh’n,
keiner die Freiheit kennt,
jeder Sklaverei sein Schicksal nennt -dann nimm deine Rüstung und geh, (wdh.)
sonst will ich dich am nächsten Galgen seh’n.Es muss ja nicht immer nur um’s Pimpern gehen. Für große Literatur reicht’s nicht, aber darum geht es auch gar nicht.
Man sieht zwei Musiker, die sichtlich Spaß daran haben, ihre Rolle als Blödelbarden voll auszufüllen, und es nebenbei schaffen, auch so etwas wie eine ernste message rüberzubringen, Alter. Ich werde oft dafür gescholten, dass meine präferierten Klangkünstler zu anspruchsvoll für den gelegentlichen Genuss sind. Wie wäre es mal damit?
Hörproben: Eine akzeptable Konzertaufnahme von „Niwowoniniwowa“ gibt es zum Beispiel auf YouTube zu sehen, wo ich zwecks Genusses einiger anderer Lieder auch einen Blick in das Profil eines der Mitglieder empfehle.
Nachdem ihr also nun euer gesamtes restliches Weihnachtsgeld für so viel tolle Musik ausgegeben habt, ist es vielleicht angemessen, darauf hinzuweisen, dass es 2011 auch noch mehr Musik gab, die es frei herunterzuladen gilt. Ich nenne sie …
2. Freibier.
The Echelon Effect – Seasons (pt.2 & 3)
Seit Sommer war David Walters, die treibende Kraft hinter The Echelon Effect, nicht untätig und setzte seine „Seasons“-Reihe fort. Das Jahr hat vier Jahreszeiten, gegenwärtig (23. Dezember 2011) sind allerdings erst Teil 2 und 3 erschienen. Ein wenig Eile wäre angebracht.
Musikalisch hat sich nicht viel geändert: Ruhiger, melancholischer, instrumentaler Ambient-Postrock plätschert leise aus den Lautsprechern. Wie das klingt? Nach Erwachen nach einem langen, entspannenden Schlaf, nach feierlichem Tanz, nach Krokussen. Selbst im Sommer. Wenn das Schlagzeug sich regt, trifft man auch schon mal auf walls of sound, aber nie aggressiv, stets verhalten und entspannend.
Dass es alle drei Teile vor dem Herunterladen auf der Projektwebseite zum kompletten streaming gibt, erspart mir übrigens eine Menge Geschwätz: Hört’s euch einfach selbst an.
Runterholen könnt ihr euch den Spaß gleichfalls auf besagter Seite, auf Bandcamp.com und per eMule.
Toehider – Children of the Sun
Mike Mills aus Australien ist musikalisch recht rege, wie es scheint. Mit seiner Band Toehider (deren Debütalbum albernerweise „To Hide Her“ heißt) hat er zwischen April 2009 und Mai 2010 insgesamt 13 EPs aufgenommen, die 2011 als „The First Six“, „The Last Six“ und eben „Children of the Sun“ erschienen.
Warum „Children of the Sun“ gesondert veröffentlicht wurde, hat rechtliche Gründe: Seine musikalischen Grundlagen waren vor allem Themen aus allerlei Zeichentrickserien aus den 1980-er Jahren, deren Rechteinhaber mit dem Verkauf derivativer Werke nicht immer einverstanden waren, so dass „Children of the Sun“ kostenlos per Internet verteilt werden muss. Das ist ja auch keine Schande. Die Titel heißen zum Beispiel „M.A.S.K.“ und „Death of Optimus Prime“. Wer erkennt’s?
Die musikalische Umsetzung ist, wie ich finde, hervorragend gelungen: Keyboards, Retro-Prog, Neoprog, aber auch schlichter, wenngleich extrovertierter Pop/Rock mit hohem Spaßfaktor bestimmen das Geschehen.
Als multimedialer Künstler hat Mike Mills auch einen YouTube-Kanal eingerichtet, auf dem unter anderem auch einige Videos zu „Children of the Sun“ zu finden sind, etwa ein Musikvideo zu „Mysterious Cities of Gold“, aus dessen Text auch die Zeile „Children of the Sun“ stammt. Auch hier ist natürlich das Anhören vorm tatsächlichen Herunterladen möglich: Alle Stücke werden zurzeit auf der Toehider-Website gestreamt.
Runterholen geht ebendort sowie per eMule.
Guilty Ghosts – Veils
Weniger spaßig agiert Tristan O’Donnell, der sich Guilty Ghosts nennt (ein einziger Geist würde vielleicht nicht genügen). Nach eigener Aussage hat er das Album in den eigenen vier Wänden aufgenommen. Stört nicht.
In seiner Selbstbeschreibung hat er selbst unbescheiden behauptet:
Seine Lieder passen ideal zu regnerischen Tagen, ewig andauernden Abenden und melancholischen Momenten der Einsamkeit.
Ich weiß nicht, ob ich mir solche Momente nun herbeiwünschen sollte, um das zu verifizieren. Zu hören gibt es jedenfalls …
Drone-Gitarren, Breakbeats und Tape-Loops. Ambient, Drone und Electronica. Unbestimmt und diffus. Gitarrenmusik. Elektronische Musik. Gesang.
Schön, ja.
Runterzuholen ist’s für einen beliebig wählbaren Preis auf Bandcamp.com (Reinhören inklusive) und per eMule.
The Beauty Of Drowning – The Beauty Of Drowning
2011 ist das Jahr des Ertrinkens, scheint mir. Tsunamis und sonstige Naturkatastrophen ertränken haufenweise Menschen, Steven Wilson nennt sein neues Album „Grace for drowning“, ein deutsches Trio nennt sich gar The Beauty Of Drowning und sein erstes Album auch nicht anders.
Musik? Psychedelic Rock. Post-Rock. Metal. Viel Atmosphäre.
Vergleiche? Pink Floyd. Oceansize. Dear John Letter.
Noch Fragen?Runterholen und reinhören kann man auf Bandcamp.com. Aber nicht, dass ihr mir hier ertrinkt.
Und weil nicht alles Gold ist, was glänzt und sich dreht, und weil die Not leidende Musikindustrie für Scheiße anscheinend immer noch zu viel Geld hat, wurde in den Medien auch im weiteren Verlauf des Jahres so manches als total prima hochstilisiert, was sich letztlich als ziemlicher Murks herausstellte:
3. Klangbrei, rund mit Loch drin.
- Boris – Heavy Rocks
Klingt in Einzelteilen gut, aber zusammengeklebt eher mau. - Arctic Monkeys – Suck it and see
Ich saugte es und sah, dass es nicht gut war. - dEUS – Keep you close
Ich halte mich lieber fern. - Frequency Drift – Ghosts…
Wenn die Ambientpassagen nicht so einschläfernd wären, wäre dieses Album eigentlich richtig klasse. Davon merkt man im Schlaf nur nichts. - Nihiling – Egophagus
Aus der einst überdurchschnittlichen Postrock-Truppe wurden Screamos; der nächste logische Schritt ist dann 80s-Pop, richtig? Schade. - Ske – 1000 Autunni
Belangloses Geklimper.
Und bevor ich euch, die ihr es bis hierhin geschafft habt, zu eurer Ausdauer und eurem Musikgeschmack (denn sonst hättet ihr längst aufgehört zu lesen) beglückwünsche, mache ich noch einen Abstecher in die Musikgeschichte und schaue, wie üblich, zurück, was sich in den letzten vierzig Jahren so getan hat.
4. Es war einmal …
- Vor 40 Jahren:
Can – Tago MagoMich beschleicht allmählich der Eindruck, 1971 ist ein Jahr, in dem so etwas wie schlechte Musik schlicht nicht existierte. So veröffentlichte etwa die noch junge Gruppe Yes mit „The Yes Album“ – nicht mit dem Debütalbum „Yes“ zu verwechseln – in diesem Jahr ein wegweisendes Werk, auf dem mit „Starship Trooper“ bereits einer ihrer großen Symphonic-Prog-hits vertreten ist. Die deutsche Jazzrockformation Alcatraz machte mit dem von Soft Machine und Colosseum beeinflussten Debütalbum „Vampire State Building“ von sich reden, zur gleichen Zeit tummelten sich The Masters Apprentices, hervorgegangen aus The Mustangs, mit „Choice Cuts“ und der Top-15-Single „Because I Love You“ im psychedelischen Hardrock und Gitarrenpop. Etwas ganz anderes machten die Kölner von Can, ihr (regulärer) Zweitling „Tago Mago“ nämlich ist das Krautrock-Album geworden. Neuzugang Damo Suzuki am Mikrofon drückte den avantgardischen Klangexperimenten seine eigene, unverwechselbare Note auf. „Halleluhwah“ ist eine 18 Minuten und 32 Sekunden lange Geräuschorgie. Monotoner Rhythmus. Seltsames Flirren. Wie (?) im Drogenrausch schreit der Frontmann eigenartige Sätze ins Leere. „Lalalalalalalalalala, let him up“. Verstehe. „Aumgn“, etwa eine Minute kürzer? Auch nicht besser. „Bring Me Coffee or Tea“ ist da beinahe versöhnlich, könnte ein Überbleibsel aus Beatles-Drogenzeiten sein. Wobei: Dieser eigenartige, hypnotische Rhythmus, der alles zusammenzufügen scheint? Dieser verstörende Gesang? Nein, doch keine Beatles; bis heute jedoch eins der wichtigsten Alben deutscher Musikgeschichte. Einmal hören und verstehen.
- Vor 35 Jahren:
Ethos – ArdourBereits 1976 hatte die Musikwelt andere Prioritäten: Schicke Führs Fröhling veröffentlichten mit „Symphonic Pictures“ ihr Debütalbum, das heute als Meisterwerk des instrumentalen Jazzrocks gefeiert wird, unterdessen legten Ethos mit „Ardour“, gleichfalls ihr Debütalbum, einen der Grundsteine für Bands wie The Tangent, die trotz aller Referenzen mehr nach Ethos als nach Yes klingen. Mit Yes, Weather Report und King Crimson teilte man sich unter anderem Festivals, King Crimson waren auch einer der großen Vorbilder: Gitarrist Will Sharpe gab 1999 zu Protokoll, man habe verzweifelt versucht, die amerikanische Antwort auf King Crimson zu sein, jedoch wollte Amerika diese Antwort nicht hören. Entmutigt löste man sich nach dem Folgealbum „Open Up“ (1977) auf. Was bleibt, sind fünfzigtausend verkaufte Einheiten des Debüts und, rechnet man die Resteverwertung „Relics“ von 2000 mit, drei Alben mit packend progressiver, symphonischer Rockmusik. Schade, dass es so endete.
- Vor 30 Jahren:
John Cale – Honi SoitNach drei Jahren Pause kehrten 1981 Amon Düül II mit dem akzeptablen, aber nur noch selten an „Phallus-Dei“-Zeiten anknüpfende „Vortex“ wieder auf die Bildfläche zurück. Ebenfalls ins Seichte verabschiedeten sich Genesis mit dem letzten meinerseits noch vertretbaren, erstaunlich experimentellen Album „Abacab“ (was danach kam, war fast ausnahmslos belangloser Radiomüll) und Grobschnitt, deren „Illegal“ den Anfang vom Ende markierte. An deutschsprachigen Popgruppen mangelte es in den Folgejahren bekanntlich nicht. Woran es aber sehr wohl mangelte, war gute Musik mit Anspruch. Tja, die 80-er Jahre. Zum Glück meldete sich John Cale, Waliser Avantgarde-Pionier und überwiegend für seine Beiträge für The Velvet Underground bekannt, wieder zu Wort: „Honi Soit“ ist ein hervorragendes Artpop-Album, das den Werken von Peter Hammill um nichts nachsteht. Pop („Dead or Alive“), Uptempo-Rock („Fighter Pilot“ mit den Bomberettes – amüsanter Einfall – als Hintergrundchor, „Russian Roulette“), merkwürdig schräge Melancholie („The Streets of Laredo“); all dies verfeinert von des Herrn Cale einmaligem, weichem Gesang. Habe ich gerade „merkwürdig“ geschrieben? Das Titelstück übertrifft das noch: Viola und Gitarre liefern sich ein kurzes Duell, unversehens verstummen beide, und eine Trompete bläst den Marsch. Dazu gibt’s Tex-Mex-Musik und einen Hintergrundchor, der wiederholt „Honi soit qui mal y pense“ („Ein Schuft, wer Böses dabei denkt“) singt. Diesen Teppich beschreitet John Cale bedächtig mit französischsprachigem Gesang, unterstützt gelegentlich aber auch den Chor. Zum Ohrwurm eignet sich dieses Stück vortrefflich, und wieder frage ich mich, warum John Cales Plattenfirma anscheinend so wenig Geld in gelegentliche Radiovorführungen investiert. So muss der geneigte Musikfreund eben rein zufällig auf dieses großartige Stück Musik stoßen. Mancher Zufall führt zu überraschenden Entdeckungen.
- Vor 20 Jahren:
Nirvana – NevermindEin erneuter Zeitsprung in das Jahr 1991: Die Postrock-Urgesteine Talk Talk veröffentlichten mit „Laughing Stock“ leider ihr letztes, jedoch hervorragendes Album. Ganz und gar nicht hervorragend war das, was die beiden zerstrittenen Yes-Lager (Yes und Anderson, Bruford, Wakeman & Howe) 1991 auf den Markt warfen: Man vereinte sich – mehr formell als ideell – wieder zu einer einzigen Band, die aus insgesamt acht Mitgliedern bestand und in dieser Formation auf Tour ging. Dass die Plattenfirma dafür einiges an Geld bekommen haben dürfte und – formell – wieder Yes drin war, wo Yes draufstand, kann den Ärger hinter den Kulissen nicht ungeschehen machen: Mehrere beteiligte Musiker sind auf dem Album kaum zu hören, im Studio wurden ihre Beiträge so lange nachgespielt, bis alle an der Produktion Beteiligten leidlich zufrieden waren. Aber der Progressive Rock interessierte die junge Generation bereits nur noch wenig, mit Nirvana hatte sie ihre neuen Idole. „Nevermind“, „das, wo Smells Like Teen Spirit drauf ist“, war erst deren zweites Album, ist jedoch bis heute ihr bekanntestes und erfolgreichstes, Werbung sei Dank. Dabei war dieser radiofreundlich glattpolierte sound nie im Sinne Kurt Cobains, das letzte Album „In Utero“ (1993) ist insofern eher als echtes Nirvana-Album anzusehen. „Nevermind“ hätte es nie geben sollen; eventuell hätte Kurt Cobain dann die Nase von dem Musikgeschäft nicht so gestrichen voll gehabt und könnte noch leben. Es ist noch heute ein schrecklich überbewertetes Album; aber es enthält doch die wesentlichen Bestandteile von Nirvanas Musik. Klar ist, dass es eins der Alben ist, die man mal gehört haben sollte. Und dann gibt es eigentlich nur zwei valide Reaktionen: Must-have – oder: Nevermind. (Nebenbei bemerkt: Wortwitze, die nur auf Englisch funktionieren, machen mir keinen Spaß.) Für mich gilt: Gut, dass es später „In Utero“ gab, denn sonst könnte ich über Nirvana nur wenig Positives berichten.
- Vor 10 Jahren:
Sleepytime Gorilla Museum – Grand Opening And Closing2001 war auch ein Jahr der Livealben: Magma veröffentlichten erstmals eine im selben Jahr aufgenommene Livefassung der Trilogie „Theusz Hamtaahk“, King Crimson griffen mit „Vroom Vroom“ und darauf enthaltenen Livekonzerten von 1995 und 1996 etwas tiefer in die Mottenkiste. Die polnischen Jazz-/„Krautrocker“ SBB überboten das nochmals und beglückten ihre Anhänger mit „Live in Karlstad 1975“, das eigentlich eine Konzertaufnahme von 1975 (ja, wirklich!) ist. Neu in der Musikwelt waren hingegen unter anderem das Berliner Stoner-Rock-Trio Rotor, das mit dem Album „1“ schon ankündigte, dass eine „2“ folgen sollte (inzwischen sind sie bei „4“ angelangt), und das höchst seltsame Avantgarde-Kollektiv Sleepytime Gorilla Museum. Mit „Grand Opening And Closing“ („Große Eröffnung und Schließung“) haben sie auch einen vielsagenden Titel für ihr Debütalbum gewählt, denn ihre Konzerte erinnerten oft an Zirkusvorstellungen. Die Musik? Ha, was für Musik? Geräusche. Bekloppt. [E]in erfrischendes Konglomerat aus überraschenden, komplexen Klangkonstrukten, heftigen Ausbrüchen, schrägen, mitunter fast kakophonischen Tonlandschaften, bizarren Geräuschen und Soundideen, verspielter Perkussion und derbem Getrommle, metallischem Geriffe, dissonantem (Grunz)Gesang und knallharten Akkorden von Gitarre und Bass, die aber meist irgendwie „daneben“ zu liegen scheinen. Das hat es so nur selten gegeben, nun, da Sleepytime Gorilla Museum nicht mehr existiert, gibt es mit Gruppen wie uneXpect jede Menge neues Material für diejenigen Verrückten, die mit „Grand Opening And Closing“ auf den Geschmack gekommen sind. Bandviolinistin Carla Kihlstedt ist auch nach dem Ende der Band noch in ähnlichen Formationen, etwa The Book of Knots, die ich im August bereits gewürdigt hatte, tätig. Wer hat da gesagt, die Musik hätte nichts Neues mehr zu sagen?
Damit sind wir auch schon wieder am Ende angelangt. Ich hoffe, einige erlesene Fundstücke haben auch euch gefallen.
In einem halben Jahr gibt es, wenn bis dahin kein Unglück eine Fortführung verhindert, die nächste Rückschau.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen Feiernden ein angenehmes Feiern.
Ich mag Wham!.
FAIL!
„Fröhliche scheiss Weihnacht! Gott schickt dir einen Arschtritt du schlitzäugiger Heidensack“
Jesus und seine Kumpels?
liga der allerbesten freunde
Superkornkräfte aktivieren!
Dank Dir tausend Mal für deine liebe Kriik
Verdient, verdient.
Und was unterscheidet jetzt deinen von dir selbst alle naselang erwähnten „Musikgeschmack“ von hunderten anderer Blogs? Gute Güte, nimm dich nicht so wichtig, Mister Aufpluster! Hirnfick.
Ich erhebe nicht den Anspruch, die ultimative Liste zusammengestellt zu haben.
Vielleicht ist das schon ein großer Unterschied.
Nimm dich nicht so wichtig, Mister Aufpluster!
„Ich habe lediglich so etwas wie Musikgeschmack. Aber davon verstehst du nachweislich nichts mit deiner Dreampopscheiße.“
Interessant
Jemand, der Dreampop mag, wird meinen Musikgeschmack wahrscheinlich nicht verstehen, richtig. Was daran braucht Erläuterung?