KaufbefehleMusikkritik
Musik 12/2011 – Favo­ri­ten und Analyse

Die­ser Arti­kel ist Teil 8 von 26 der Serie Jah­res­rück­blick

Ley­die­sendt­schen­tel­men, herz­lich will­kom­men am Jah­res­en­de und damit zur übli­chen Retro­spek­ti­ve der pri­ma­sten Alben des Jah­res, die es in die Halb­jah­res­li­ste 2011 nicht mehr geschafft haben. Dabei ist das nicht ein­mal unbe­dingt eine Fra­ge des Erschei­nungs­da­tums, denn wie üblich hat­ten sich wie­der eini­ge Alben aus dem ersten Halb­jahr geschickt vor mir versteckt.

Ich erhielt anläss­lich der Rück­schau 06/2011 ver­ein­zel­te Kri­tik, es sei zu viel Mate­ri­al zusam­men gekom­men, um sich in einer ange­mes­se­nen Zeit damit beschäf­ti­gen zu kön­nen. Dies­mal aber kann Peter, der glaubt, drei Alben wür­den rei­chen, auf­at­men: Die­se Liste wird kür­zer als ange­nom­men. Hier­für gibt es einen guten und einen beschä­men­den Grund: Das selbst­be­ti­tel­te Debüt­al­bum von broken.heart.collector etwa kann sich wie auch manch ande­res inter­es­san­tes Musik­werk längst eines sepa­ra­ten Arti­kels erfreu­en, vor allem aber hat noch wäh­rend der Zusam­men­stel­lung der zu rezen­sie­ren­den Alben mei­ne alte digi­ta­le Schreib­ma­schi­ne beschlos­sen, die Prie­ster­lauf­bahn ein­zu­schla­gen, und ohne Umschwei­fe etwas geseg­net, näm­lich das Zeit­li­che; und getreu Mur­phys immer­wäh­ren­dem Gesetz hat­te ich dies­mal kei­ne Sicher­heits­ko­pie angefertigt.

Daher seht es mir nach, wenn euer per­sön­li­ches Album des Jah­res dies­mal fehlt, und lasst es mich wis­sen: Viel­leicht gefällt es auch ande­ren Musik­freun­den, die dies hier zufäl­lig entdecken. 

Ab geht’s mit einem Kopf­sprung ins kal­te Wasser:

1. Fünf­und­zwan­zig / Zweitausendundelf.

  1. Cave In – White Silence
    „Dead rise like ascen­ding angels“ (Vicious Circles)

    Kal­tes Was­ser trifft es ganz gut, denn Cave In tei­len kräf­tig aus. Mit „White Silence“ legt das Metal­co­re-Quar­tett das erste Album seit sechs Jah­ren vor, und obwohl die Grup­pe bereits seit 1995 – mit Unter­bre­chun­gen – aktiv ist, war sie von mir bis­lang doch unbe­merkt geblie­ben, was mir nun, da ich „White Silence“ ken­ne, sehr Leid tut.

    Denn „Metal­co­re“ ist zwar eine vali­de Beschrei­bung der all­ge­mei­nen Aus­rich­tung der Musik von Cave In, aber sie ist nicht ansatz­wei­se voll­stän­dig. Das Titel­stück „White Silence“ erin­nert mich als jeman­den, der mit sol­cher Musik eher sel­ten kon­fron­tiert wird, an Aphex Twin und gleich­zei­tig an diver­se Death-Metal-Grup­pen: Ein mono­to­ner Schlag­zeug­rhyth­mus, weni­ge Akkor­de auf kaum als sol­che erkenn­ba­ren Gitar­ren, ver­zerr­tes Schrei­en: „Wraith / track­ing the taste of warm blood / white silence is brea­king the spi­rit / natu­re sews“. Nein, easy listening geht anders, und das gefällt mir.

    Das fol­gen­de „Ser­pents“ bleibt lär­mig und ist struk­tu­rell ange­lehnt an die Punk­mu­sik, die unser­eins im Kin­des­al­ter auf völ­lig abge­nu­del­ten Audio­kas­set­ten gehört hat, und ist dann aber doch eher Metal. Cave In kön­nen aber auch anders: „Sing My Loves“ ist ein kraft­vol­ler Alter­na­ti­ve Rocker mit auf­dring­li­chem Gesang, „Heart­breaks, Ear­th­qua­kes“ gar eine beat­lesque Hom­mage an die frü­he Pop­mu­sik (allein das Wort schon!).

    Ste­phan Möl­ler schreibt, „White Silence“ sei „ein zwar echt selt­sa­mes, aber auch wirk­lich span­nen­des Album“ und hat damit Recht. War­um es aller­dings „White Silence“ heißt, ver­steht man erst, wenn man mit dem Hören fer­tig gewor­den ist: Es wird schlag­ar­tig still.

    Hör­pro­ben: 30-sekün­di­ge Aus­schnit­te aus dem Album hat Amazon.de im Ange­bot, das Titel­stück in gan­zer Län­ge kann man zum Bei­spiel via You­Tube und Groo­veshark hören.

  2. Day­moon – All Tomorrows
    „Dark fear in me – which soul is mine, which half am I?“ (Human Again)

    Day­moon ist der Name des gegen­wär­ti­gen, por­tu­gie­sisch­stäm­mi­gen Pro­jekts von Fred Les­sing, einem deut­schen Musi­ker, der hier zusam­men mit Andy Til­li­son, zwei Musi­kern von Isil­durs Bane und eini­gen ande­ren Künst­lern etwas her­vor­ge­bracht hat, das er selbst „regres­si­ve rock“ nennt. In der Tat ist man­ches an „All Tomor­rows“ ziem­lich retro, aber das ist nicht etwa rück­stän­dig, son­dern famos.

    „Schräg-sanft“ ist eines der Attri­bu­te, mit denen „All Tomor­rows“ in Ver­bín­dung gebracht wird, ele­gisch ist eines, das ich selbst hier­mit anfü­gen möch­te. Ich tei­le nicht ein­mal die geläu­fi­ge Kri­tik, Fred Les­sing sei als Sän­ger unge­eig­net, im Gegen­teil gefällt sei­ne Dar­bie­tung und fügt sich har­mo­nisch ins musi­ka­li­sche Gefü­ge ein – auch dann, wenn sel­bi­ges der Har­mo­nie zwi­schen­zei­tig zu ent­rin­nen versucht.

    Gent­le Giant und ähn­li­che Musik­grup­pen stan­den ver­mut­lich Pate für den Refrain des eröff­nen­den Titel­stücks (das scheint ja heut­zu­ta­ge Mode zu sein, dass das erste Stück so heißt wie das Album), das anschlie­ßen­de „Tran­s­cen­denZ“ eröff­net mit eigen­ar­ti­gem Vokal­teil und geht über in ein hek­ti­sches, instru­men­ta­les RIO-/Jazz­rock-Gewirr (Hen­ry Cow, Soft Machi­ne und eine unko­or­di­nier­te Inkar­na­ti­on von Andy Til­li­sons The Tan­gent las­sen grü­ßen), um vom bei­na­he ver­söhn­li­chen „Human Again“ abge­löst zu wer­den. „Ark­low“ hat Anlei­hen an den Folk-Rock zu bie­ten. Über­haupt ist „All Tomor­rows“ ein sti­li­stisch viel­sei­ti­ges Album, das sich jede Kate­go­ri­sie­rung impli­zit ver­bit­tet. Viel­leicht ist das auch einer der Grün­de, wie­so es lan­ge kei­ne Plat­ten­fir­ma gab, die die Musi­ker ent­deckt hat­te, und des­halb eine Ver­öf­fent­li­chung als phy­si­scher Ton­trä­ger bis­lang aus­ge­blie­ben ist. Dies soll jedoch nun, da der rus­si­sche Pro­gres­si­ve-Rock-Musik­ver­lag Mals Day­moon unter Ver­trag genom­men hat, bald fol­gen, wie ich per E‑Mail erfuhr, nach­dem ich die­sen Absatz fer­tig geschrie­ben hat­te; Frech­heit, das.

    Wie man eigent­lich auf den Namen Day­moon kommt, erklär­te Fred Les­sing auf Rück­fra­ge recht einleuchtend:

    Naja, ähm (Pein) (Schan­de) (Schäm), den hab’ ich erfun­den, als ich so 15 war oder so. „Dai­mon“ (grie­chisch oder so für Dämon – war unnö­ti­ger­wei­se an einem huma­ni­sti­schen Gym­na­si­um, aber kei­ne Sor­ge, hab’s nicht bestan­den, mei­ne gan­zen 6 Jah­re Latein sind flö­ten, dafür kann ich jetzt Flö­ten und Por­tu­gie­sisch) gemischt mit dem Mond, dem man tags­über sieht (was ich ja auch schön fin­de, aber Dämon ist natür­lich völ­lig albern). Inzwi­schen ist’s nur noch der Mond, den man tags­über sieht. Ist auch unser Logo. Oh je, wenn das bekannt wird…

    Kei­ne Sor­ge, es wird nicht verraten.

    Anhö­ren und in digi­ta­ler Form kau­fen kann man das Album auf Bandcamp.com; die Erlö­se die­nen einem guten Zweck, näm­lich der Pres­sung auf CD, und die­ses Anlie­gen ist eine Unter­stüt­zung wert, misst man es dar­an, wie viel Schrott heut­zu­ta­ge in den CD-Rega­len gro­ßer Mul­ti­me­dia­ket­ten zu fin­den ist. Sozu­sa­gen zum Ausgleich.

  3. Cheer-Acci­dent – No Ifs, Ands or Dogs

    Cheer-Acci­dent wur­den 2011 30 Jah­re alt und schaf­fen es immer noch, ihre ein­zig­ar­ti­ge Mischung aus Alter­na­ti­ve Rock und Radio­pop­scheiß modern und frisch wir­ken zu las­sen. Dabei haben die Chi­ca­go­er es eigent­lich ver­dient, mehr Auf­merk­sam­keit zu bekom­men, aber sie kom­men in den Medi­en bis­lang schlicht nicht vor.

    Auf „No Ifs, And or Dogs“ („Kei­ne Wenns, Unds oder Hun­de“) folgt man, des­sen unge­ach­tet, dem bewähr­ten Sche­ma: Zwi­schen gefäl­li­ge, ein­gän­gi­ge Pop­lie­der wie etwa „Cyni­cal Girl“, das sicher nicht zufäl­lig dem Lied „Pen­ny Lane“ der Beat­les ähnelt, hat das Quin­tett eini­ge kur­ze Inter­lu­di­en ein­ge­spielt, deren Titel („Drug You Down“, „Go Gaunt Green“) an Lie­der vom sel­ben („Drag You Down“) oder von frü­he­ren („Go Gone Green“) Alben ange­lehnt sind; dass sie musi­ka­lisch nicht viel mit­ein­an­der zu tun haben, ist bei Cheer-Acci­dent bei­na­he eine Selbstverständlichkeit.

    Natür­lich behal­ten Cheer-Acci­dent auch wei­ter­hin ihren schrä­gen Humor bei, so dass all­zu viel Rät­sel­ra­ten viel­leicht ein­fach nicht nötig ist: Dem Lied „Life In Pol­ly­an­na“ etwa, einem Jazz­rock-Stück mit Anlei­hen an (mal wie­der) die Beat­les, Frank Zap­pa und King Crims­on, folgt als Gegen­satz „Death By Pol­ly­an­na“, das von einer mono­ton-repe­ti­ti­ven Key­board­me­lo­die und dem eben­sol­chen Bass-/Schlag­zeug­spiel und dis­so­nan­tem Gesang beherrscht wird und so wie von einem Neben­pro­jekt der Dan­dy War­hols her­vor­ge­bracht klän­ge, wäre nicht der ein­ma­li­ge Gesang von Thym­me Jones so mar­kant. Ist er aber.

    Ver­gli­chen mit dem Vor­gän­ger­al­bum „Fear Draws Mis­for­tu­ne“ ist „No Ifs, Ands or Dogs“ zwar nach mei­nem Emp­fin­den kein Mei­ster­werk, jedoch auch nicht merk­lich schlech­ter. Dass das Album kei­ne leich­te Kost ist, ist klar, fol­ge­rich­tig ist von Lob bis zu Miss­fal­lens­be­kun­dun­gen bei­na­he jede Form der Kri­tik über es zu lesen. Das soll den Musik­freund aber nicht stören.

    Hör­pro­ben zum Beweis gibt es unter ande­rem auf Amazon.de.

  4. Weed­e­ater – Jason…the Dragon
    „My brain has come undo­ne“ (Palms And Opium)

    Weed­e­ater. Gras­fres­ser. Soso. Im Inter­net nann­te man „Jason…the Dra­gon“ in ein­präg­sa­mer Wei­se ein „Drau­ßen­in­der­son­ne­gril­len­trin­ken­dro­gen­neh­men­al­bum“, und das passt eigent­lich gar nicht, denn für Weed­e­ater sind das zu vie­le Sil­ben in zu kur­zer Zeit, und ande­rer­seits ist die Beschrei­bung inhalt­lich ide­al. Dro­gen­mu­sik ohne die­sen Reggae-Unsinn.

    Ein wenig nach Gras­kon­sum klingt die­ses Album ja auch tat­säch­lich, die Bedäch­tig­keit der Inter­pre­ta­ti­on steht in kras­sem Kon­trast zu den Orka­nen, die das musi­ka­li­sche Fun­da­ment bil­den, soll hei­ßen: Sän­ger und Bas­sist „Dixie“ Dave Coll­ins (allein schon die­ser Künst­ler­na­me ist eigent­lich ein Brül­ler, misst man ihn an der Musik sei­ner Band) brüllt in alter Mot­ör­head-Manier irgend­wel­che merk­wür­di­gen Tex­te ins Mikro­fon, wäh­rend Gitar­rist und Schlag­zeu­ger dem Hörer Stoner-Metal par excel­lence in die Gehör­gän­ge projizieren.

    Stoner, Gras und Dixie; doch, ja, sehr merk­wür­dig. Vom Stoner-Rock der Mar­ke Colour Haze haben sich Weed­e­ater immer­hin die ver­zerr­te Gitar­re und die Dar­bie­tung abge­schaut. Wo ande­re Metal­bands wüst schram­meln, kom­men Weed­e­ater auf zwei bis drei Akkor­de pro Sekun­de, das lässt das Album län­ger erschei­nen und dreht aber vor allem an des Hörers Wahr­neh­mungs­schrau­be. Sozu­sa­gen Mog­wai in lang­sam und böse. Also: Noch böser.

    Natür­lich soll­te man kei­ne Wun­der erwar­ten. Wer das Vor­gän­ger­al­bum, „God Luck and Good Speed“, kennt, der wird nicht viel Neu­es ent­decken.

    Jason… is essen­ti­al­ly a varia­ti­on on God Luck…. Almost like when jazz play­ers release 25 live ver­si­ons of their work. That’s per­fect­ly accep­ta­ble the­re, inde­ed, it’s a pivo­tal part of jazz: how many ver­si­ons of a melo­dy can one make? How inven­ti­ve can a play­er get?

    Wer von Weed­e­ater aber noch nie etwas gehört hat und gegen ein wenig def­ti­gen Metal­krach nicht grund­sätz­lich etwas ein­zu­wen­den hat oder wer auch ein­fach nur gern mehr von ihnen hören möch­te, dem lege ich „Jason…the Dra­gon“ nahe.

    Hör­pro­ben: Eini­ge Bei­spie­le dafür, wie Weed­e­ater so klin­gen, gibt es auf BrooklynVegan.com und zum Bei­spiel Amazon.de auf die Ohren.

  5. Cir­cle – Infektio

    Nach dem Genuss von Drau­ßen­in­der­son­ne­gril­len­trin­ken­dro­gen­neh­men­und­me­tal­hö­ren ist erneut ein wenig Abwechs­lung nicht ver­kehrt. Cir­cle aus Finn­land sind dann auch ein anschau­li­ches Gegen­teil von Weed­e­ater. Die­se instru­men­ta­le Grup­pe ist nicht nur pro­duk­ti­ver als letzt­ge­nann­te – allein 2007 erschie­nen mit „Kata­pult“, „TOWER“ und „Tyrant“ drei (3!) regu­lä­re Stu­dio­al­ben -, sie ist auch sonst bemer­kens­wert anders.

    Cir­cle, nicht mit der Jazz­band glei­chen Namens, die in den frü­hen 70-er Jah­ren aktiv war, zu ver­wech­seln, wur­de 1991 von Jus­si Leh­ti­sa­lo, der als Gitar­rist begann, auf „Infek­tio“ aber den Bass spielt, und zwei mitt­ler­wei­le nicht mehr in Cir­cle invol­vier­ten Mit­strei­tern gegrün­det. (An die­ser Stel­le alles Gute zum Zwanzigsten.)

    Cir­cle ist eine Postrock­band. Musi­ka­lisch ist man bei den Fin­nen, des­sen unge­ach­tet, anschei­nend so unstet wie in Sachen Beset­zung: Das Debüt­al­bum „Mero­nia“ war durch­setzt von Spa­ce­rock­ein­flüs­sen. Das psy­che­de­li­sche Ele­ment hielt sich bis ins neue Jahr­tau­send hin­ein, „TAANTUMUS“ (2001) könn­te man auch als Kraut­rock kenn­zeich­nen, kämen die Musi­ker aus Deutsch­land. Tun sie aber nicht. „Hol­ly­wood“ (Janu­ar 2010) war durch­setzt vom Pro­gres­si­ve Rock, selbst King Crims­on war aus­zu­ma­chen und ein Sän­ger (Bruce Duff) war auch an Bord.

    Nun also „Infek­tio“. Der Sän­ger ist längst wie­der weg, der Pro­gres­si­ve Rock ist es auch. Dafür hat man anschei­nend sei­ne Wur­zeln wie­der­ent­deckt. Achim Brei­ling schrieb:

    Mit „Infek­tio“ keh­ren Cir­cle offen­hör­lich zu den krau­tig-expe­ri­men­tel­len Post­rock-Gefil­den zurück, in denen sie sich beson­ders ger­ne um das Jahr 2000 her­um auf­ge­hal­ten haben. (…) E‑Gitarren sind klang­be­stim­mend, viel­schich­tig, hal­lend, post-psy­che­de­lisch und spa­cig. Dazu kom­men aller­lei Tasten­klän­ge, schwe­ben­de Key­board­füll­sel, diver­ses elek­tro­ni­sches Fie­pen, Flir­ren und Zischen und ver­schie­de­ne brum­men­de und knur­ren­de Frag­men­te vom Bass. Eher gemäch­lich vor­an­ge­trie­ben wird das hyp­no­tisch dahin­glei­ten­de Gemen­ge von sehr kar­gem, selt­sam erra­tisch wir­ken­dem Getrommel.

    Das klingt nicht nur beim Lesen nach Can und den diver­sen Beset­zun­gen von Neu!, La Düs­sel­dorf und der­glei­chen, auch das Ohr hat sei­ne Freu­de. Ver­spielt wie eh und je gibt es mal bedroh­li­chen Cinea­sten-Post­rock („Peruut­ta­ma­ton“), mal Sigur-Rós-Remi­nes­zen­zen („Sal­vos“), mal von Bass und Kla­vier domi­nier­te Avant­gar­de-Beschal­lung („Maa­tunut“) zu hören, all dies durch­setzt mit den für Cir­cle typi­schen Zuta­ten wie Mur­meln und Stöh­nen im Hin­ter­grund sowie dis­so­nan­te Kla­vier­ein­wür­fe an den merk­wür­dig­sten Stellen.

    „Post­rock? Das war doch die­ses Gen­re, in dem alles gleich klingt.“ – Man spie­le dem, der sol­ches äußert, ein­mal „Infek­tio“ vor und freue sich an sei­nem stau­nen­den Gesichtsausdruck.

    Oder man stau­ne selbst, etwa anläss­lich der Hör­pro­ben auf Amazon.de und Groo­veshark.

  6. Woo­den Shjips – West
    „Sta­re at the sun … clouds“ (Lazy Bones)

    Alles im Griff auf dem höl­zer­nen Schjiff?

    Nein, höl­zern agie­ren die vier Man­nen aus San Fran­cis­co kei­nes­falls. Dass sie auch schon mal mit den Black Angels auf Tour waren, zeigt, wohin die Woo­den Shjips fah­ren, näm­lich gera­de­wegs in den Vel­vet Under­ground Calescher Ära. Da brum­men die dro­nes, irr­lich­tern die immer glei­chen Akkord­fol­gen, auch die Key­boards kön­nen dem repe­ti­ti­ven Rhyth­mus nur wenig ent­ge­gen­set­zen, und das klingt dann etwa, als …

    (…) wären Black Rebel Motor­cy­cle Club in einer mil­chi­gen Zeit­bla­se gefan­gen, wo ihnen nichts ande­res übrig­bleibt, als immer wie­der das­sel­be Riff zu spielen.

    Gele­gent­lich kom­men auch The Smit­hs um die Ecke, etwa in den ersten Minu­ten von „Flight“, ver­drücken sich aber schnell wie­der, denn der Sie­ben­mi­nü­ter gip­felt titel­ge­treu in einer Spa­ce­rock-Explo­si­on, die ihre Wur­zeln im Psy­che­de­lic Rock der 60-er Jah­re, etwa Jef­fer­son Air­plane, mit obses­si­ver Key­boar­d­ar­beit nicht etwa ver­steckt, son­dern deut­lich betont. „Lazy Bones“ hin­ge­gen ist nicht ein­mal vier Minu­ten lang, aber die Stoo­ges wären auf die­se Kas­ka­de aus noi­se, Lo-Fi und Lärm sicher­lich eben­so stolz gewe­sen wie Sonic Youth, als sie noch wirk­lich gut waren; als hät­te die Auf­ga­be gehei­ßen, das längst legen­dä­re „Sister Ray“ in höch­stens einem Vier­tel der ursprüng­li­chen Zeit zu spie­len. (Dass der Text da auf der Strecke bleibt und mit Dro­gen- und Gewalt­ex­zes­sen also nicht viel zu tun hat, soll nicht wei­ter stören.)

    Trotz all der Refe­ren­zen auf Musi­ker der Ost­kü­ste, wie es auch die Band­mit­glie­der selbst sind, heißt das Album „West“. Angeb­lich übt der ame­ri­ka­ni­sche Westen, nicht nur der Wil­de, mit sei­ner Geschich­te und sei­ner Kul­tur auf die Band eine eigen­ar­ti­ge Fas­zi­na­ti­on aus. „West“ ist gleich­sam mit sei­ner audio­vi­su­el­len Bild­spra­che – am art­work isst das Auge mit – eine Hom­mage an die­sen Teil der USA. Die Anzie­hungs­kraft, die die­ser Westen aus­übt, ver­sucht die Band an ihre Hörer zu ver­mit­teln. Und tat­säch­lich reißt das kal­ku­lier­te musi­ka­li­sche Cha­os den auf­merk­sa­men Genie­ßer immer tie­fer in sei­nen Sog, nur sel­ten gibt es eine (kur­ze) Mög­lich­keit, sich am Gelän­der festzuhalten.

    „West“ wirkt so wie eine Dro­ge, es ver­setzt den Kon­su­men­ten in Trance und ent­reißt ihn sei­ner Welt; und Musik ist ja auch nicht die schlech­te­ste Dro­ge, von der man abhän­gig sein kann.

    Zum Anfi­xen emp­feh­le ich die Hör­pro­ben auf Amazon.com, die vol­le Dröh­nung gibt es auf Grooveshark.com. Gute Reise!

  7. Por­tu­gal. The Man – In the Moun­tain in the Cloud
    „I can’t make no sen­se of this at all“ (Sen­se­l­ess)

    Por­tu­gal. The Man kann ich mitt­ler­wei­le guten Gewis­sens als Garan­ten für gute Lau­ne bezeich­nen. „Cen­so­red Colors“ hat mich vor drei Jah­ren schon erhei­tert, „In the Moun­tain in the Cloud“ schafft es wie­der. Dass zwi­schen­zeit­lich mit „The Sata­nic Sata­nist“ und „Ame­ri­can Ghet­to“ zwei wei­te­re Alben erschie­nen waren, auf denen wenig geschah – 2009 mein­te ich Sta­gna­ti­on zu erken­nen -, soll die­sen Ein­druck nun kei­nes­falls schmälern.

    „Luf­tig“ ist ein Adjek­tiv, das den Pro­gres­si­ve-Rock-nahen elek­tro­nik­durch­setz­ten Pop­rock der fünf Her­ren gut beschreibt; inso­fern ist „In the Moun­tain in the Cloud“ („Auf dem Berg(,) auf der Wol­ke“) end­lich mal wie­der ein spre­chen­der Titel, was für eine Musik­grup­pe, die sich laut eige­nen Aus­sa­gen nach einem per­so­ni­fi­zier­ten euro­päi­schen Land benannt hat, ja nicht unbe­dingt selbst­ver­ständ­lich ist.

    Zu „Cen­so­red Colors“ hat man hier auch wie­der zurück­ge­fun­den, weg von dem Ver­such des schlech­ten Sich­selbst­neu­erfin­dens auf „Ame­ri­can Ghet­to“. Das geht alles wie­der mehr in Rich­tung Radio­pop, aber es ist kei­ner, an dem irgend­wie Leu­te wie Ste­fan Raab oder Die­ter Boh­len betei­ligt sind, son­dern es ist rich­tig guter, irgend­wo zwi­schen Man­do Diao und Franz Fer­di­nand und Oasis und den unver­meid­li­chen Beat­les, aber eben viel sphä­ri­scher, ent­rück­ter, wozu sicher­lich die Instru­men­tie­rung ihren Teil beiträgt.

    Domi­nant sind immer noch die Syn­the­si­zer und John Gour­leys Fal­sett­ge­sang, zuzsam­men­ge­hal­ten von Bass und Schlag­zeug, das hier, unter­stützt durch die feder­leich­te Dar­bie­tung der übri­gen Instru­men­te, manch­mal so schnei­dend und peit­schend daher­kommt wie das Rhyth­mus­fun­da­ment auf Sigur Rós‘ „Með suð í eyrum við spilum end­al­aust“. Mit­un­ter ist’s Pop, mit­un­ter ziem­lich rockend, etwa in dem noch dazu für Portugal.-The-Man-Ver­hält­nis­se ziem­lich poli­ti­schen Eröff­ner „So American“:

    You are the one they call Jesus Christ.
    Who did­n’t know no rock and roll.
    Just a mis­si­on made of guns that they give boys in Vietnam
    and a heart that always told you
    there’s a mad­ness in us all.

    Wer Sarah Palin – auch die Band stammt aus Alas­ka – fin­det, darf sie behal­ten. Und wer guten Elek­tro­poprock­dings schätzt, der soll­te zugrei­fen. More of the same höre ich hier mit viel Vergnügen.

    Rein­hö­ren könnt ihr zum Bei­spiel auf Amazon.de.

  8. Con­ti­nuo Ren­acer – The Gre­at Escape

    Apro­pos Alben, die Spaß machen: Con­ti­nuo Ren­acer sind ein Pro­gres­si­ve-Death-Metal-Trio, das mitt­ler­wei­le ohne Sän­ger gemein­sam musi­ziert und das „Death“ im von der Band selbst via Myspace kol­por­tier­ten Gen­re dan­kens­wer­ter­wei­se nur noch pro for­ma vor sich her­trägt. Das kommt euch spa­nisch vor? Das ist kein Zufall, denn Con­ti­nuo Ren­acer stam­men von dort.

    Die­ses zwei­te Album (das Debüt erschien bereits 2005) ist mit 34 Minu­ten und 9 Sekun­den allen­falls etwas zu kurz gera­ten, aber anson­sten gibt es selbst für mich als eher anspruchs­vol­len Musik­freund kaum Grund zur Kla­ge. Das domi­nan­te Instru­ment ist der Bass, der den Metal­riffs mit kräf­ti­gem Jazz­rock ent­ge­gend­röhnt. Ver­gleich­bar ist das wohl am ehe­sten mit Liquid Ten­si­on Expe­ri­ment, aber weni­ger blut­leer, oder zum Bei­spiel Cynic.

    Mit etwas mehr als einer Vier­tel­stun­de Spiel­dau­er beschließt „The New­born“ das Album, und allein die­ses Stück ist schon jeden gedank­li­chen Applaus wert. King Crims­on aus der „Doppeltrio“-Phase stan­den hier eben­so Pate wie (mal wie­der) Tool und Cynic. Apro­pos King Crims­on: Es gibt Melo­dic Death Metal, habe ich mal gele­sen. Nicht aber hier: Krum­me Rhyth­men, dis­so­nan­te Key­board­ein­wür­fe (wenn auch viel­leicht nicht aus rich­ti­gen Key­boards) und dann wie­der der Bass, der alles ver­schlin­gen wür­de, wenn man ihn nur ließe.

    Eigent­lich ist die­ses Album auch ide­al, um mal sei­ne Laut­spre­cher und Kopf­hö­rer auf ihre Qua­li­tät zu über­prü­fen: Wer hoch­kommt, kommt nicht auto­ma­tisch auch run­ter. Kurz gesagt:

    This is some wan­ky, jaz­zy, death-injec­ted prog that does­n’t suck.

    Und damit man sich unter die­sen Adjek­ti­ven auch etwas vor­stel­len kann, gibt es Hör­pro­ben:
    Auf Myspace gibt es ver­schie­de­ne Stücke vom ersten und zwei­ten Album kom­plett zu hören. Ach ja, das gute alte Myspace.

  9. Zom­bi – Spi­rit Animal

    Tja, hm, Zom­bi und Con­ti­nuo Ren­acer sind so ver­schie­den, dass mir gera­de kei­ne gute Über­lei­tung ein­fal­len will, und das heißt viel­leicht sogar etwas. Als jeman­dem, der nur sel­ten mal die Welt der Com­pu­ter­spie­le betritt, fiel mir auf, wie her­vor­ra­gend sich „Spi­rit Ani­mal“ als Unter­ma­lung für ein belie­bi­ges MMORPG eig­net, und ent­we­der habe ich da zufäl­lig Recht oder ich spie­le ein­fach zu wenig. Aber ich schwei­fe ab.

    Zom­bi, da fehlt doch was?“, denkt jetzt viel­leicht der auf­merk­sa­me Leser; aber außer dem „e“ fehlt hier (obwohl es einen Film gibt, der eben­falls „Zom­bi“ heißt) tat­säch­lich nichts, nicht ein­mal der groo­ve, und das ist ja mitt­ler­wei­le nicht mehr üblich und dar­um beson­ders lobens­wert. Zom­bi ist aus­nahms­wei­se kein unto­tes, son­dern ein spring- und quick­le­ben­di­ges Spa­ce­rock-Duo aus Penn­syl­va­nia, also aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, des­sen zwei mul­ti­in­stru­men­ta­le Mit­glie­der die vor­han­de­nen Instru­men­te gerecht unter sich aufteilen.

    Ach, jetzt habe ich schon wie­der den Feh­ler gemacht, von Gen­res zu spre­chen. Spa­ce­rock steht zwar in der Wiki­pe­dia, aber was sagt das schon wirk­lich aus? Viel­leicht soll­te man die gan­zen Schub­la­den schlie­ßen und die Musik ganz anders sor­tie­ren. Sicher, den Spa­ce­rock kann der auf­merk­sa­me Hörer wohl ver­or­ten, aber es ist nun mal nicht alles space (oder jeden­falls kraut), was flirrt.

    Auf „Spi­rit Ani­mal“ las­sen die 1980-er Jah­re grü­ßen. Nicht die furcht­ba­ren Bon­bon­syn­the­si­zer zwar, wohl aber der exzes­si­ve Gebrauch von Elek­tro­nik. Und mit Elek­tro­nik kann man wirk­lich viel anstel­len, zum Bei­spiel kann man sie mal nach alten Com­pu­ter­spie­len, mal nach Ambi­ent, mal nach King Crims­on (die schon wie­der!), mal nach Harold Fal­ter­mey­er, mal nach Tan­ge­ri­ne Dream, mal nach Pink Floyd klin­gen las­sen. Das, was Kreid­ler fehlt, machen Zom­bi sozu­sa­gen genau richtig.

    Was Zom­bi vom Gen­re des Spa­ce­rock aller­dings offen­kun­dig all­zu gern über­nom­men haben, ist die Lust an der Wie­der­ho­lung. In dem über 17 Minu­ten lan­gen Stück „Through Time“, das das Album beschließt, pas­siert in den letz­ten acht Minu­ten eigent­lich nichts mehr, die letz­ten drei­ein­halb Minu­ten sind ein lang­sa­mes, lei­ses Abklin­gen des Gehör­ten. Das ist nicht lang­wei­lig, nicht ein­schlä­fernd – das ist psy­che­de­lisch.

    Schließ­lich herrscht alles ande­re als Mono­to­nie, eröff­net doch jedes der fünf Stücke sei­ne eige­ne Welt.
    Hör­pro­ben: Auf Amazon.de kann man jeweils 30 Sekun­den lang den Zau­ber zu ergrün­den versuchen.

  10. sleep­makes­wa­ves – …and so we destroy­ed everything

    Dass sleep­makes­wa­ves erst jetzt ihr Debüt­al­bum ver­öf­fent­licht haben, dürf­te vie­le erstau­nen, hat­te sich das austra­li­sche Quar­tett doch schon mit meh­re­ren EPs einen Namen gemacht, „In Today Alre­a­dy Walks Tomor­row“ wird mit­un­ter gar als erstes Album geführt. Tat­säch­lich aber ist „… and so we destroy­ed ever­ything“ ihr erstes wirk­li­ches Album in vol­ler Länge.

    Die „vol­le Län­ge“ beträgt hier 52 Minu­ten und 15 Sekun­den, im Post­rock fühlt sich das bei­na­he an wie eine (sehr ange­neh­me) Ewig­keit. Des­we­gen soll­ten eigent­lich viel mehr Bands Post­rock machen: Auch mit nur einer Vier­tel­stun­de Lauf­zeit schaf­fen sie den Hörer mehr in ihren Bann zu zie­hen als mit irgend­wel­chem Pop­quatsch. Lei­der scheint das nicht genug Inspi­ra­ti­on zu bieten.

    Inspi­riert wur­den sleep­makes­wa­ves hin­ge­gen durch­aus, zum Bei­spiel von Explo­si­ons In The Sky und hin und wie­der God Is An Astro­naut. Zu hören ist nicht ganz instru­men­ta­ler Post­rock (im abschlie­ßen­den Titel­stück ist sogar kaum ver­ständ­li­cher Choral­ge­sang zu ver­neh­men, aller­dings ist die­ser eher zusätz­li­ches Instru­ment als sonst­wie rele­vant) im bekann­ten Gewand.

    Man macht reich­lich Gebrauch von Elek­tro­nik: Zu den Gitar­ren­wän­den gesel­len sich aller­lei Klang­spie­le­rei­en, Gast­in­stru­men­te sind Trom­pe­te, Vio­li­ne und aku­sti­sche Gitar­re, lei­der nicht im sel­ben Stück. Auch sonst hält man nicht viel von fest­ge­fah­re­nen Mustern, das alte Laut-Lei­se-Spiel im Post­rock begei­stert die vier Musi­ker anschei­nend nicht son­der­lich. Das gewähl­te Sche­ma, das Set­zen auf kon­ti­nu­ier­li­che Emo­tio­na­li­tät ohne struk­tur­be­ding­te Pau­sen, ist genau das rich­ti­ge:

    Das Album kann gut am Stück gehört wer­den, auch neben­her, geht run­ter wie Öl und sorgt zwi­schen ambi­en­ten Momen­ten und mäch­ti­ge, vom bemer­kens­wer­ten Schlag­zeug­spiel auf Kurs gehal­te­nen Wall Of Sound für woh­li­ge Zufriedenheit.

    Ver­gli­chen mit frü­he­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen klin­gen sleep­makes­wa­ves auf „…and so we destroy­ed ever­ything“ rei­fer und run­der, als wüss­ten sie jetzt end­lich, wohin ihre Rei­se füh­ren soll. Der Schlaf macht Wel­len, und sie tra­gen weit hin­aus in ent­fern­te Sphä­ren. Kei­ne Flau­te hin­dert sie dar­an. Na dann: Vol­le Kraft voraus!

    Hör­pro­ben: Momen­tan ist das Album kom­plett auf sleepmakeswaves.com anhör- und kaufbar.

  11. Kar­ma­ka­nic – In a Per­fect World
    „The flowers in the air, they turn towards the sun / end of love and hate, riot in the name of free­dom“ (1969)

    Nach so viel instru­men­ta­lem Schön­klang darf es ruhig auch mal wie­der Gesang sein. Kar­ma­ka­nic beherr­schen die­sen ganz gut.

    Band­grün­der Jonas Rein­gold von den Flower Kings bringt aller­dings auch eine Men­ge Erfah­rung mit; und wer die Flower Kings kennt, der ahnt, was ihn auf „In a Per­fect World“ erwar­tet, näm­lich aller­lei Yes, Styx und Gene­sis.

    Schub­la­den­freun­de dür­fen Hard­rock und Retro-Prog aus­packen, wenn sie halt gera­de nichts bes­se­res zu tun haben. Dabei ist das hier Gehör­te viel kom­ple­xer, allein schon das eröff­nen­de „1969“ ist eine wah­re Schatz­tru­he an Refe­ren­zen und Ein­flüs­sen, erin­nert anfangs an Pink Floyds „High Hopes“, geht in einen Hard­rock-Teil mit Anlei­hen an Yes‘ „Don’t go“ über, gegen Mit­te kün­di­gen sich dann mit viel Bass und Key­boards die Flower Kings an, kom­men aber dann eben doch nicht her­aus, son­dern las­sen sich wie­der­um ablö­sen vom Hard­rock, und so wei­ter und so fort; nein, lang­wei­lig ist das nicht.

    Ganz anders Stück 2, „Turn It Up“, eine Art Trans­at­lan­tic mit mehr Pop und irgend­wie mat­schig klin­gen­der Gitar­re von Kri­ster Jons­son. Zwi­schen­durch wird die Melo­die des Refrains von Cluesos „Gewin­ner“ zitiert bezie­hungs­wei­se eben nicht, mit einer begrenz­ten Anzahl an mög­li­chen Noten kann man eben kei­ne unbe­grenz­te Anzahl an Melo­dien schreiben.

    Sonst so: Gent­le Giant und Mr. Bungle und merk­wür­di­ger „lalala“-Gesang („Can’t Take It With You“), hier und da auch mal Elton John, aber vor allem viel Yes, bevor­zugt aus ihrer 70-er-Phase.

    In den 70-ern ver­wur­zelt, „suck­ing in the Seven­ties“, wie einst die Rol­ling Stones, so sieht’s aus. Die 70-er Jah­re sind ja auch nicht unbe­dingt das schlech­te­ste Jahr­zehnt, an dem man sich bedie­nen kann. Der Titel des Albums ist übri­gens kei­nes­falls Pro­gramm: Das eher ruhi­ge Stück „When fear came to town“ – etwas zu lang gera­ten aller­dings – nimmt Bezug auf ein Selbstmordattentat.

    Weni­ger trau­rig sind die Hör­pro­ben auf Amazon.de. Mögen sie gefallen!

  12. Yes – Fly from Here
    „You’­re riding a tiger, riding a tiger“ (Life On A Film Set)

    Apro­pos Yes: Ich hat­te mich ja im April schon dar­auf gefreut, bald ein neu­es Werk der Hero­en hören zu dür­fen. Nun, so recht zufrie­den bin ich damit nicht. (Regel­mä­ßi­gen Lesern wird ein klei­ner Teil die­ser Rezen­si­on bereits seit April bekannt vor­kom­men, ich bit­te für die hier­durch viel­leicht ent­stan­de­ne Ver­wir­rung um Entschuldigung.)

    Nach der Ver­öf­fent­li­chung des Vor­gän­ger­al­bums „Magni­fi­ca­ti­on“ im Jahr 2001 und einer anschlie­ßen­den Tour mit dem Euro­pean Festi­val Orche­stra ver­lie­ßen Rick Wak­e­man und Jon Ander­son die Band erst aus gesund­heit­li­chen, dann aus irgend­wel­chen ande­ren Grün­den. Das ist in der Geschich­te von Yes ja durch­aus nicht unge­wöhn­lich, band­in­ter­ne Zer­würf­nis­se kamen immer mal wie­der zum Vor­schein, und Bas­sist Chris Squi­re ist fol­ge­rich­tig der ein­zi­ge Musi­ker, der seit der Grün­dung Mit­glied jeder Yes-Beset­zung war. Dazu gehört sicher eine Men­ge Tole­ranz oder wenig­stens Dick­köp­fig­keit, mei­nes Kom­pli­ments hier­für kann er sich sicher sein.

    Dass Chris Squi­res mar­kan­tes Bass­spiel nun seit über 40 Jah­ren ein essen­zi­el­ler Bestand­teil von Yes‘ Musik ist, lässt mich eines schon mal vor­weg­neh­men: Er kann es immer noch.

    Nun ist „Fly from Here“ nicht das erste, son­dern bereits das zwei­te Album ohne den Gesang Jon Ander­sons. Die Stu­dio­ar­beit nach dem durch­wach­se­nen Album „Tor­ma­to“, das die vor­läu­fi­ge Abkehr vom Bom­bast-Prog ein­läu­te­te, ver­lief offen­bar nicht ganz nach den Vor­stel­lun­gen der Musi­ker, und so ver­ließ er mit Rick Wak­e­man, der sei­ne Tätig­keit bei Yes ja alle paar Jah­re mal been­det und wie­der auf­nimmt, die Band. Die ver­blie­be­nen Mit­glie­der hat­ten aller­dings kei­ne Lust, wegen sol­cher Per­so­na­li­en das Musi­zie­ren ein­zu­stel­len. Prak­ti­scher­wei­se waren die Bug­gles („Video kil­led the radio star“), Tre­vor Horn und Geoff Dow­nes, gera­de zuge­gen, um Yes ein paar Lied­ideen anzu­bie­ten, also mach­te man Nägel mit Köp­fen und nahm die Bug­gles als Voll­wert­mit­glie­der auf. Die­se bis­lang ein­ma­li­ge For­ma­ti­on spiel­te das gleich­falls ein­ma­li­ge Album „Dra­ma“ ein, die Bug­gles gin­gen danach wie­der eige­ne Wege, Yes besetz­ten sich noch mal um und nah­men unter ande­rem das scheuß­li­che „Owner of a lonely heart“ (1983) auf.

    Von den Auf­nah­men für „Dra­ma“ blieb anschei­nend eini­ges Mate­ri­al übrig, für das die Bug­gles kei­ne Ver­wen­dung mehr hat­ten. Die­ses Mate­ri­al lag dann eini­ge Jahr­zehn­te lang her­um. Zwi­schen­durch hat­te sich Yes mal wie­der umbe­setzt: Für Rick Wak­e­man kam sein Sohn Oli­ver Wak­e­man, für Jon Ander­son kam Benoît David, Sän­ger von Mystery und ehe­mals Front­mann der Yes-Cover­band Clo­se to the Edge.

    Chris Squi­re nun erin­ner­te sich vor einer Wei­le dar­an, dass zu „Drama“-Zeiten das Stück „We can fly from here“ live gespielt, aber nie im Stu­dio auf­ge­nom­men wur­de, und rief Tre­vor Horn an, um das Vor­ha­ben in die Tat umzu­set­zen. Key­boar­der Geoff Dow­nes folg­te bald und ersetz­te Oli­ver Wak­e­man, der auf dem Album stel­len­wei­se noch zu hören ist und den das also ziem­lich über­rasch­te. Ja, so schnell kann es gehen bei Yes.

    Mit Aus­nah­me des Gesangs ist „Fly from Here“ also sozu­sa­gen die Fort­set­zung von „Dra­ma“. Was bedeu­tet das? Nun, zunächst ein­mal nicht viel.

    Die fünf­tei­li­ge – plus Ouver­tü­re – suite „Fly from Here“ ist das Über­bleib­sel, das der Anlass für das Album war. Die Zer­stücke­lung in fünf „Akte“ hät­te nicht sein müs­sen, durch sie wirkt das Werk nicht homo­gen, aber denkt man sich die­se Zwi­schen­räu­me weg, eröff­net sich „Fly from Here“ dem Hörer. Mit dem groß­ar­ti­gen „Machi­ne Mes­siah“ von „Dra­ma“ hat das Gehör­te nicht viel zu tun, es ist fröh­li­cher, bom­ba­sti­scher. Benoît David tut sein Bestes, um mehr wie Jon Ander­son (damit hat er ja Erfah­rung) und weni­ger wie Tre­vor Horn zu klin­gen, und der Yes-typi­sche Duett­ge­sang trägt sein Übri­ges dazu bei, dass auch Teil 2, „Sad Night at the Air­field“, trotz der bedrücken­den Stim­mung nicht zum Aus­fall wird. Teil 4, „Bum­py Ride“, ist selt­sam, es klingt, wie es heißt. Zusam­men­ge­hal­ten wird das Gan­ze vom The­ma des Weg­flie­gens, „we can fly from here“, Teil 5 ist fol­ge­rich­tig das repri­se des Ein­gangs­the­mas. Nur, falls noch jemand dach­te, Yes könn­ten kei­nen Pro­gres­si­ve Rock mehr spielen.

    Außer die­sem Kern des Albums gibt es auch wie­der die typi­schen kür­ze­ren Yes-Stücke zu hören, Gitar­rist Ste­ve Howe steu­ert mit „Soli­taire“ auch mal wie­der ein for­mi­da­bles Solo­stück bei, Chris Squi­re mit „The Man You Always Wan­ted Me To Be“ ein ein­gän­gi­ges Pop­rock­stück, das eigent­lich mal für eines sei­ner Solo­al­ben vor­ge­se­hen war. Bekannt soll­te den Anhän­gern der betei­lig­ten Musi­ker übri­gens „Life On A Film Set“ vor­kom­men, das in einer frü­hen Ver­si­on als Demo­auf­nah­me unter ande­rem Namen auf neu­en Auf­la­gen des zwei­ten Bug­gles-Albums „Adven­tures in Modern Recor­ding“ zu fin­den ist.

    Sicher, hier und da kommt zum Vor­schein, dass eben doch eine ande­re als die „klas­si­sche“ Beset­zung hier zu hören ist. In die­sen weni­gen Momen­ten klin­gen Yes wie eine Band, die eine Band covert, die Yes covert und der auch Äng­la­gård, Gent­le Giant und Wob­bler nicht fremd sind. Aber soll­te man das mit Punkt­ab­zug bestra­fen und nicht viel­mehr als Zei­chen dafür wer­ten, dass Yes trotz der Rück­kehr in ihre musi­ka­li­schen 70-er und frü­hen 80-er Jah­re immer noch frisch, modern und unver­braucht sind? Soll­te man Yes dafür bestra­fen, dass auch nach 43 Jah­ren ein Yes-Album immer die Sum­me der Bei­trä­ge der jewei­li­gen Mit­glie­der und nie ein wirk­lich homo­ge­nes Werk ist? Ich mei­ne: Nein. Ver­gä­be ich Punk­te, ich ver­gä­be für „Fly from Here“ die vol­le Punkt­zahl. Aus Überzeugung.

    Hör­pro­ben: Aus­schnit­te aus dem Album gibt es auf Amazon.de, das gesam­te Album auf Groo­veshark zu hören.

  13. Zun Zun Egui – Katang
    „Sexy worm went out and got the bird, hey!“ (Fan­dan­go Fresh)

    Von alten Mei­stern zu neu­en Besen: Gera­de höre ich anläss­lich die­ser Rezen­si­on noch­mals „Katang“ von Zun Zun Egui und bin rat­los. Was wol­len die drei Jungs und das Mädel aus Bri­stol uns eigent­lich mitteilen?

    „Tro­pi­cal Thrash“ wird ihr Schaf­fen genannt, wenn es nicht gera­de „Hea­vy Dance“ genannt wird, und dage­gen haben sie nichts ein­zu­wen­den. Ja, ein tro­pi­scher Ein­fluss lässt sich nicht ver­leug­nen, die Süd­see­gi­tar­re und der Bon­go-Klang sind zu prä­sent. Aber was ist dar­an „thrash“? Die Tex­te viel­leicht? Die sind auf Eng­lisch und Fran­zö­sisch und Kreo­lisch und einer Fan­ta­sie­spra­che ver­fasst und trotz extro­ver­tier­ter Dar­bie­tung von mei­stens Kushal Gaya auch aku­stisch schwer genug zu ver­ste­hen, viel­leicht ist das Absicht. Was man ver­steht, ist schon ver­wir­rend genug. (Was, bit­te, ist an einem Wurm ero­tisch?) Das soll­te aber nie­man­den erstau­nen, heißt „zun zun egui“ auf Japa­nisch doch so viel wie „über­aus selt­sa­mes Vor­spu­len“, es ist also vor allem schnell und verrückt.

    Der mul­ti­kul­tu­rel­le Klang von „Katang“ könn­te in der Eth­nie der Band­mit­glie­der begrün­det lie­gen: Eines stammt aus Japan, eines von Mau­ri­ti­us, die bei­den Rhyth­mus­ge­ber indes sind Bri­ten. Anschei­nend hat jedes Mit­glied Musik aus sei­ner Hei­mat als Inspi­ra­ti­on mit ein­ge­bracht, was ein biss­chen an Kula Shaker erin­nert, aber gar nicht nach Indi­en klingt. Die­ses Durch­ein­an­der nennt man andern­orts „inter­es­sant und anders“ und meint das gar nicht so posi­tiv, wie es klingt, und das fin­de ich schade.

    Die­ses Inter­es­san­te, Ande­re klingt nach ein biss­chen Tal­king Heads, ein biss­chen The Mars Vol­ta, ein biss­chen System of a Down und ein biss­chen „Was um alles in der Welt soll das sein?“. Die psy­cho­dro­gen­in­du­zier­ten Klang­ex­pe­ri­men­te der zwei­ten Hälf­te der 1960-er Jah­re sind viel­leicht eine wich­ti­ge Inspi­ra­ti­on für Zun Zun Egui gewe­sen, viel­leicht auch nicht, und wer auf eine mei­ner Emp­feh­lun­gen hin mal The Void’s Last Stand gehört hat, der ent­deckt auch so man­che Ähn­lich­keit, obwohl die­se wahr­schein­lich eher ober­fläch­lich ist, denn Zun Zun Egui wech­seln nicht stän­dig die Sti­le, son­dern klin­gen immer glei­cher­ma­ßen durch­ge­knallt. Ach ja, Mr. Bungle mal wie­der: Die­ser dezen­te Pop­an­strich, mäch­tig über­deckt von mit Bedacht struk­tu­rier­tem Tohu­wa­bo­hu. Katang, tschingderassabumm.

    Noch nicht abge­schreckt? Tap­fer, sage ich, und ver­wei­se auf die Hör­pro­ben:
    Auf You­Tube gibt es das merk­wür­di­ge Video zu „Fan­dan­go Fresh“ zu sehen, auf Amazon.de 30-sekün­di­ge Aus­schnit­te aus dem Album zu hören. Viel Glück!

  14. Earth Flight – Blue Hour Confessions
    „Thin­king of you always tears me apart“ (By The Light Of The Moon)

    Zurück in etwas weni­ger obsku­re Gefil­de und nach, mehr oder weni­ger, Deutsch­land, genau genom­men nach Nürn­berg. Von dort stammt mit Earth Flight eine her­aus­ra­gen­de Psy­che­de­lic-Metal-Band, die mit „Blue Hour Con­fes­si­ons“ bereits im Febru­ar ihr aktu­el­les Album auf die Mensch­heit losließ.

    Psy­che­de­lic Metal? Ja, die Ein­flüs­se des zwei­fels­oh­ne psy­che­de­li­schen Stoner Rocks sind unüber­hör­bar. Und sonst so:

    Mal darf die Gitar­re ele­gisch wei­nen, mal alter­na­ti­ve-rockig schram­meln, dazwi­schen sogar mal wie bei U2 klin­geln, mei­stens aber fett rif­fen und da reicht die Här­te durch­aus läs­sig in metal­li­sche Gefil­de. Und je nach Sai­ten­an­schlag ent­wickelt sich dann ein veri­ta­bler Rocker oder ein psy­che­de­lisch ange­hauch­ter leicht bal­la­des­ker Song mit die­sem New Art­rock-Fee­ling oder auch atmo­sphä­ri­scher Prog­me­tal, so ein biss­chen in Rich­tung neue­re Fates War­ning. Die Rhyth­mus­frak­ti­on lie­fert dazu ein soli­des Fun­da­ment mit kraft­vol­len Bass­läu­fen und vita­lem, mode­rat ver­track­tem Drumming.

    Tobi­as Brun­ner ergänzt die­se Dar­bie­tung mit mal schrä­gem, mal ele­gisch-lyri­schem Gesang und beherrscht den Hard­rock eben­so wie das Geknö­del eines Bri­an Mol­ko, was man natür­lich jetzt nicht unbe­dingt gut fin­den muss.

    Obwohl die Plat­ten­fir­ma laut Wer­be­tex­ten nicht so ganz ver­stan­den hat, was Pro­gres­si­ve Rock eigent­lich ist („star­ke Riffs und eine aus­drucks­kräf­ti­ge Stim­me“), liegt hier doch ein recht pro­gres­si­ves Werk vor, was für eine Band aus der Doom-Metal-Sze­ne eher unge­wöhn­lich ist. Ihre Wur­zeln („Earth Flight“ ist der Titel eines Stückes von Pen­ta­gram) haben die Musi­ker aber gekonnt hin­ter sich gelas­sen und wan­deln nun frei zwi­schen den Stüh­len umher. Dabei gelingt ihnen das Kunst­stück, zugäng­li­che und den­noch kom­ple­xe Musik zu machen. Das allein ist bereits ein Grund, die­ses Album zu emp­feh­len, wenn die musi­ka­li­sche Zusam­men­fas­sung noch nicht genug Anlass bot.

    Hör­pro­ben: Das kom­plet­te Album kann man der­zeit auf recent-records.de probehören.

  15. Tom Waits – Bad As Me
    „The dog is in the kit­chen and the war drags on“ (Tal­king At The Same Time)

    Tom Waits ist ein Lie­der­ma­cher. Das könn­te ich jetzt so ste­hen las­sen und mich vol­ler Scha­den­freu­de ergöt­zen an der Reak­ti­on derer, die jetzt einen zwei­ten Rein­hard Mey erwar­tet haben, aber das wäre ja nicht nett.

    Mit Rein­hard Mey ver­bin­det Tom Waits allen­falls die Bis­sig­keit der Tex­te. Fein­sin­ni­ges passt nicht zu ihm. Und auch auf „Bad As Me“ – „Böse wie ich“ – ent­täuscht er sei­ne Hörer­schaft nich‘; und am erstaun­lich­sten ist es immer noch, dass auch das spie­ßi­ge Föje­tong von FAZ bis Focus die­se sper­ri­ge Musik von die­sem dem Schön­klang noch nicht erle­ge­nen alten Mann zu schät­zen weiß. Tom Waits ist offen­bar eine Insti­tu­ti­on, an der man schon lan­ge nicht mehr her­um­mäkelt. Viel­leicht liegt das aber auch dar­an, dass er nie­man­den mehr über­rascht, von den armen See­len abge­se­hen, die sonst nur so Schmu­se­schei­ße hören und dann von Scherz­bol­den wie mir unvor­be­rei­tet erst­mals mit sei­ner Musik kon­fron­tiert wer­den. Spaß muss sein.

    Der eröff­nen­de Blues „Chi­ca­go“ beginnt mit hek­ti­schem Blä­ser­rhyth­mus, schon nach zehn Sekun­den setzt der gewohnt raue Gesang ein: „The seeds are plan­ted here / But they won’t grow / We won’t have to say good­bye / If we all go / May­be things will be bet­ter in Chi­ca­go…“ Bei der FAZ frag­te man sich:

    Hat er mit Schot­ter gegur­gelt und mit Reiß­zwecken nachgespült?

    Auch mit 61 Jah­ren klingt Tom Waits immer noch nach Tom Waits und nicht, wie Bob Dylan, nach einer Par­odie sei­ner selbst. Das soll nun nicht bedeu­ten, dass sei­ne Lie­der seit Jahr­zehn­ten klin­gen, als wäre er ein alter, vom Alko­hol gezeich­ne­ter Mann. Mit sei­ner Stim­me kann er immer noch spie­len wie mit einem Instru­ment, und die Kom­bi­na­tio­nen schei­nen uner­schöpf­lich: Sei es Fal­sett­ge­sang zu lang­sam schwin­gen­dem Noir-Jazz („Tal­king At The Same Time“), sei­en es die klas­si­schen Waits-Bal­la­den, die trotz aller Schnul­zig­keit nie seicht klin­gen („Kiss Me“), sei es Sprech- oder bes­ser Bell­ge­sang zu Marsch- und Rock­mu­sik wie etwa in „Hell Bro­ke Luce“, einem Lied, über das man anders­wo schrieb, es schwan­ke „durch die Schüt­zen­grä­ben wie ein Pan­zer auf Stel­zen“, wie auch immer man sich das vor­zu­stel­len hat. Apro­pos Gitar­ren: Tom Waits‘ alter Weg­ge­fähr­te Keith Richards ist auf „Bad As Me“ als Instru­men­ta­list zu hören, im Stück „Last Leaf“, in dem das lyri­sche Ich sei­ne Exi­stenz als „letz­tes Blatt am Baum“ beklagt, ist er auch als Duett­part­ner zu hören.

    Tom Waits revan­chiert sich, indem er in „Satis­fied“ nicht nur das Rol­ling-Stones-Lied „Satis­fac­tion“ und Mick Jag­gers Gesangs­stil par­odiert, son­dern auch einen Sei­ten­hieb auf die bei­den krea­ti­ven Köp­fe der Alt­her­ren­com­bo hinterlässt:

    Now Mr. Jag­ger and Mr. Richards: I will scratch whe­re I’ve been itching.

    Ver­mut­lich ver­lie­fen die Auf­nah­men hier­zu recht fröh­lich, wenn­gleich „fröh­lich“ nicht unbe­dingt etwas ist, was man gemein­hin mit Tom Waits asso­zi­iert. Tat­säch­lich ist „Bad As Me“, unge­ach­tet sei­nes Namens, für sei­ne Ver­hält­nis­se ein Album, das in dop­pel­tem Sin­ne Spaß macht. Ja, es schien, als wäre die Kar­rie­re des Künst­lers nun vor­über, ließ die Krea­ti­vi­tät doch nach dem, was man so liest, auf dem vor­he­ri­gen Album zu wün­schen übrig. Klar ist, dass sich jedes sei­ner Alben an den bei­den Extre­men „Bone Machi­ne“ und „Rain Dogs“ mes­sen las­sen muss, die Musik­jour­nail­le braucht ja immer ein „klingt wie“ im Satz­an­fang. Betrach­tet man die­se bei­den Aus­nah­me­wer­ke des Aus­nah­me­mu­si­kers aber als sol­che, erscheint mir jeder Ver­riss von „Bad As Me“ als deplatziert.

    Es soll nur nie­mand wagen, „Bad As Me“ als Alters­werk zu deklas­sie­ren. Vom alten Eisen ist Tom Waits künst­le­risch noch weit ent­fernt. Möge dies noch lan­ge erhal­ten bleiben!

    Hör­pro­ben hat Amazon.de reich­lich im Angebot.

  16. „Weird Al“ Yan­ko­vic – Alpocalypse
    „You need a quickie con­fes­si­on? We’ll start a water­boar­ding ses­si­on.“ (Par­ty In The CIA)

    Auch nicht mehr der Jüng­ste ist „Weird Al“ Yan­ko­vic, und auch bei ihm ist kei­ne künst­le­ri­sche Schwä­che zu erken­nen. Sein mitt­ler­wei­le 13. Stu­dio­al­bum „Alpo­ca­lyp­se“ ent­hält zwölf Lie­der, in denen er jeweils ent­we­der ein bekann­tes Musik­stück oder den Stil eines Künst­lers par­odiert. Das mag manch einer für unkrea­tiv hal­ten, phä­no­me­nal ist es aber immer noch.

    Der Name des Albums wur­de pas­send zum für 2011 ange­kün­dig­ten Welt­un­ter­gang gewählt. Es ist erfreu­lich, dass er nicht ein­ge­tre­ten ist, denn sonst müss­ten wir nun wahr­schein­lich auf die­ses Album und auf unser Leben verzichten.

    In sei­nem Bemü­hen, auf sei­nen Alben stets die momen­ta­ne Pop­welt abzu­bil­den (wie vie­le der par­odier­ten Künst­ler auf dem Vor­gän­ger­al­bum „Straight Out­ta Lyn­wood“ von 2006 sind 2011 von gleich blei­ben­der Bedeu­tung?), hat dies­mal Lady Gaga, selbst nach eige­nem Bekun­den Anhän­ger des Musi­kers, die Ehre, Gali­ons­fi­gur sei­nes Albums zu sein. Im ersten Stück, „Per­form This Way“, nimmt er zur Melo­die ihres Lie­des „Born This Way“ ihren Hang zur Selbst­in­sze­nie­rung text­lich und in einem höchst alber­nen Musik­vi­deo auf die Schippe:

    I might be wea­rin‘ Swiss cheese or may­be cover­ed with bees
    It does­n’t mean I’m cra­zy – I per­form this way

    Das übli­che Pol­ka-Med­ley hört fol­ge­rich­tig auf den Namen – Ach­tung – „Pol­ka Face“ und beginnt mit einer Par­odie von „Poker Face“, das eigent­lich auch schon kei­ner mehr hören kann, aber im Pol­ka­ge­wand bekommt man­ches einen völ­lig neu­en Klang. Dass die Pol­ka-Med­leys nor­ma­ler­wei­se eher eine Reste­ver­wer­tung der Lie­der sind, für deren Umtext­ung „Weird Al“ die zün­den­de Idee fehl­te, schränkt ihren Spaß­fak­tor kei­nes­wegs ein.

    Von die­sem Popun­fug abge­se­hen beruft sich „Weird Al“ Yan­ko­vic wie auch Tom Waits auf alte Mei­ster, zwar ohne Rol­ling-Stones-Par­odie, aber mit einer sol­chen auf die Doors („Craigs­list“). Fach­män­ni­sche Unter­stüt­zung hier­bei erfolgt sei­tens Ray Man­za­reks, selbst Mit­glied der Doors, am Keyboard.

    „Weird Al“ Yan­ko­vic beweist auf „Alpo­ca­lyp­se“ erneut, dass es ihm an Ideen für absur­de Situa­tio­nen und die Betext­ung der­sel­ben nicht man­gelt. Es gibt weni­ge Musi­ker, die ihr Niveau über eine so lan­ge Zeit­span­ne hal­ten kön­nen. „Weird Al“ Yan­ko­vic gehört auf jeden Fall dazu.

    Zum Rein­hö­ren ver­wei­se ich noch­mals auf das Video zu „Per­form This Way“ und zum Voll­stän­dig­hö­ren auf Groo­veshark.

  17. 3 – The Ghost You Gave To Me
    „The voices echo in your head“ (Only Child)

    Noch so eine Band, die ich bis­her nicht ein­mal bemerkt hat­te, nennt sich 3. Ver­sucht da mal brauch­ba­re Infor­ma­tio­nen im Inter­net zu finden.

    Dabei ist das Quar­tett gar nicht so unbe­kannt, wie Tou­ren mit Por­cupi­ne Tree, Cynic Opeth und Dream Thea­ter nahe legen, womit dann auch schon klar zu sein scheint, was hier wahr­schein­lich gespielt wird, näm­lich Metal. METAL! \m/

    Stimmt aber nicht.

    Tat­säch­lich gibt es auf „The Ghost You Gave To Me“ hoch­klas­si­gen, pro­gres­si­ven Alternative/Indie Rock auf die Ohren. Das ein­lei­ten­de „Sirenum Sco­pu­li“ gewährt bereits Ein­blick: Ambi­en­te Gitar­ren­klän­ge zu völ­lig unag­gres­si­vem, hohem Gesang lei­ten über in das zwei­te Stück, „React“, das so unver­mit­telt anfängt, dass man den Über­gang kaum bemerkt. „React“ aber hat erst­mals einen Refrain und ist min­de­stens so ener­gie­ge­la­den wie Man­do Diao außer­halb ihrer seich­ten Pop­lied­chen. Wie dreckig die Band aber auch zu klin­gen ver­sucht, der cara­vanesque, selt­sam schwe­ben­de und enyamäßig hal­len­de Gesang von Joey Epp­ard lässt all das immer unwirk­lich, wie im Traum erscheinen.

    Das ist eigent­lich auch schon das gro­ße Man­ko des Albums, denn die­ser alles in eine unwirk­li­che Traum­ebe­ne schie­ben­de Gesang sorgt dafür, dass die groß­ar­ti­gen Melo­dien, wie verfrickelt sie auch sein mögen, im „gro­ßen Gan­zen“ bei­na­he unter­ge­hen bezie­hungs­wei­se dass das gan­ze Album auch beim Bügeln im Hin­ter­grund lau­fen könn­te und man wür­de es wahr­schein­lich nicht mer­ken. Wenn man sich aber bewusst auf die­ses Album ein­lässt, wird die Spiel­freu­de der Musi­ker über­tra­gen als Lausch­freu­de des Hörers, und das ist ziem­lich famos.

    Den Geist, den man ihnen gab, geben sie hier frei­mü­tig und lei­den­schaft­lich zurück. Gefällt mir. Plus eins.

    Hör­pro­ben gibt es unter ande­rem auf Amazon.de.

  18. Fla­ming Row – Elinoire

    Apro­pos METAL! \m/ – dies­mal wirk­lich: Fla­ming Row, Musik­grup­pe deut­schen Ursprungs, deren Mit­glied Marek Arnold auch bei Toxic Smi­le, Seven Steps To The Green Door und mitt­ler­wei­le auch Stern-Com­bo Mei­ßen aktiv ist, erzählt auf „Eli­noi­re“ eine Geschich­te. Metal-Kon­zept­al­ben erfreu­en des Pro­gres­si­ve-Rock-Hörers Herz.

    Die Geschich­te, die die Tex­te erzäh­len, klingt bemerkenswert:

    Text­lich dreht sich das Gan­ze um eine eng­li­sche Fami­lie, wo die Mut­ter (Lea) bei der Geburt der Toch­ter (Elinoire)stirbt und der Vater (Adam) damit lan­ge nicht klar­kommt und so der Opa (Cyrus) erst­mal die Vater­rol­le über­nimmt, bevor eini­ge Din­ge aus Leas Ver­gan­gen­heit in einem neu­en Licht erschei­nen. Was sich zunächst recht ein­fach gestrickt anhört, ist kom­plex ent­wickelt mit Cha­rak­te­ren, deren Emo­tio­nen (u.a. Lie­be und Wut) sowie Dimen­sio­nen (u.a. Zeit und Tod) jeweils durch ande­re zuge­ord­ne­te Stim­men Leben ein­ge­haucht wird!

    Dass die Tex­te in eng­li­scher Spra­che ver­fasst wor­den sind, der Tex­ter aber gele­gent­lich über eng­li­sche Phra­sen stol­pert und sich anschei­nend ziem­lich weh tut, fällt nur wenig ins Gewicht. Die Qua­li­tät der Musik gleicht das wie­der aus. Dabei ist der Gesang an sich ein tra­gen­des Ele­ment des Albums: Neben Sän­ge­rin Kiri Gei­le (hihi) sind als Gast­mu­si­ker unter ande­rem zwölf geson­der­te Voka­li­sten zu hören, dar­un­ter Bil­ly Sher­wood, der vor vie­len Jah­ren mal bei Yes musi­zier­te und heu­te mit Cir­ca: und Yoso noch immer in deren wei­te­rem Umfeld zu fin­den ist.

    Das Kon­zept (eine mit ver­schie­de­nen Stim­men für ver­schie­de­ne Cha­rak­te­re erzähl­te, ziem­lich dra­ma­ti­sche Geschich­te) ist viel­leicht schon von Ayre­ons eben­falls groß­ar­ti­gem Album „The Human Equa­ti­on“ bekannt, und auch musi­ka­li­sche Ähn­lich­kei­ten sind durch­aus vor­han­den. Da wird sti­li­stisch quer durch die Gen­re­schub­la­den gefah­ren, es gibt Coun­try („Do you like coun­try grand­pa?“) neben Growl­ge­brüll („Rage of des­pair“), vor allem aber viel Gitar­re und – Marek Arnold sei Dank – eine Men­ge Key­boards. Dream Thea­ter sind sel­ten fern.

    „Eli­noi­re“ ist gemes­sen dar­an, dass es als Debüt­al­bum ver­öf­fent­licht wur­de, nicht nur ein ambi­tio­nier­tes, son­dern auch ein unglaub­lich viel­sei­ti­ges Album. Ganz gro­ßes Kopfkino.

    Rein­hö­ren kann man zum Bei­spiel per Groo­veshark und soll­te dies unbe­dingt auch ein­mal tun!

  19. Black Box Reve­la­ti­on – My Perception
    „The wood is whe­re your soul lives“ (My Perception)

    Ziem­lich dreckig und eigent­lich gar nicht nach einem bel­gi­schen Duo, bestehend aus zwei Her­ren Anfang 20, klingt „My Per­cep­ti­on“, das drit­te Album von Black Box Reve­la­ti­on. Als Pro­du­zent konn­te man Alain Johan­nes gewin­nen, der in Stoner-Rock-Krei­sen kein Unbe­kann­ter ist und auch auf „My Per­cep­ti­on“ klang­li­chen Ein­druck hin­ter­las­sen hat.

    Zu hören ist Gitar­ren-Indie-Rock, der mit den Dan­dy War­hols (und somit auch The Vel­vet Under­ground) nicht unbe­dingt die schlech­te­sten Paten hat. „Mad­hou­se“ eröff­net das Album ent­spre­chend mit Blues­riffs, Jan Pater­no­ster sprech­singt dazu, stimm­lich Mick Jag­ger nicht unähn­lich, in guter, alter Lou-Reed-Manier, auch Hin­ter­grund­ge­sang ist dort, wo man ihn erwar­tet; nur das Schlag­zeug schlägt die Brücke in neue Gefil­de und bringt The Strokes und The White Stripes – ins­be­son­de­re im Mit­tel­teil von „Mad­hou­se“ sind die­se domi­nant – ins Spiel.

    Das bedeu­tet aller­dings bei­lei­be kei­ne Mono­to­nie. „Skin“ etwa ist ein veri­ta­bles, tanz­ba­res Pop­stück mit viel Elek­tro­nik, „New Sun“ eine Folk­bal­la­de mit eigen­ar­ti­gem Gitar­ren­ein­satz; und dann eben auch immer wie­der der Stoner Rock wie in „2 Young Boys“, das zwar nicht ohne Unter­lass vor sich hin­schep­pert, aber doch das Herz des Ver­zer­rer­freun­des zum Hüp­fen bringt. (Sieht übri­gens merk­wür­dig aus.)

    Tja, was ist das nun? Damals hät­te man es wohl Rock’n’Roll genannt; aber Elvis, der Inbe­griff die­ses Stils, ist hier fern. Anders­wo ver­gleicht man Black Box Reve­la­ti­on mit Tool und ist wahr­schein­lich ziem­lich froh dar­über, dass es kein Kom­men­tar­feld unter der Rezen­si­on gibt, in dem man sei­nen Unmut hier­über kund­tun kann, aber schreibt anson­sten weni­ger Quatsch:

    Das ist Rock ohne Key­boards, Old­school, mit vie­len Gitar­ren­hook­li­nes, schö­nen ver­zerr­ten Parts und melo­diö­sen Soli, die nach alten Ver­stär­kern klingen.

    So muss Rock­mu­sik sein. Nehmt euch ein Bei­spiel dar­an, ihr strunz­lang­wei­li­gen Kett­car!

    Anhö­ren und angucken kann man das Gan­ze bei­spiels­wei­se, indem man das eigen­ar­ti­ge Video zum Titel­stück auf Dailymotion.com betrach­tet. Tut dies!

  20. Baby Woo­d­ro­se – Mind­blo­wing Seeds And Dis­con­nec­ted Flowers
    „Baby Woo­d­ro­se blows your mind“ (Baby Blows)

    Und weil so Rock­al­ben ja immer zu kurz sind, schie­ben wir gleich noch eins hinterher.

    „Baby Woo­d­ro­se“ ist einer der Namen für die Hawai­ia­ni­sche Holz­ro­se, deren Bestand­tei­le eine LSD ähn­li­che Wir­kung erzie­len. Das ist wahr­schein­lich eben­so­we­nig dem Zufall geschul­det wie der Titel des Albums, wobei zumin­dest bei erste­rem Band­kopf und ein­zi­ges kon­stan­tes Mit­glied Loren­zo Woo­d­ro­se sein (angeb­li­cher) Name gele­gen gekom­men sein dürf­te. Tja­ja, den Ver­stand in die Luft jagen muss man ja nicht mit Sprengstoff.

    Bereits das Titel­bild des Albums, inspi­riert von den Blu­men­kin­der­pla­ka­ten der spä­ten 60-er Jah­re, zeigt: Anhän­ger von groß­ar­ti­gen Grup­pen wie Vibra­vo­id (die aller­dings mehr Pink Floyd als The Who sind) kom­men auch hier auf ihre Kosten. Psy­che­de­li­scher Gara­gen­rock domi­niert. Dabei ist die hier zu hören­de Musik nicht ein­mal neu.

    Vor 10 Jah­ren, 2001, erschien nach zwei Jah­ren Arbeit das Debüt­al­bum „Blows Your Mind“. Den dort zu fin­den­den Stücken ging, wie üblich, ein krea­ti­ver Pro­zess vor­aus, der zahl­rei­che Demo­ver­sio­nen her­vor­brach­te, die nach und nach „geschlif­fen“ und irgend­wann für das Album und den 7″-EP – wie­der so etwas, was lei­der aus der Mode gerät – „Dis­con­nec­ted Flowers“ final auf­ge­nom­men und gemischt wur­den. Auf „Mind­blo­wing Seeds And Dis­con­nec­ted Flowers“ befin­den sich ins­ge­samt 15 Lie­der aus die­ser Pha­se in einem frü­hen Zustand, ähn­lich dem Beat­les-Album „Let it be… naked“ ohne all­zu viel Nach­be­ar­bei­tung. Eigent­lich ist „Mind­blo­wing Seeds And Dis­con­nec­ted Flowers“ somit eher eine Samm­lung von Demo­ver­sio­nen als ein neu­es Stu­dio­al­bum, aber tat­säch­lich erblicken die hier zu fin­den­den Ver­sio­nen erst­mals das Licht der Öffentlichkeit.

    Demo­ver­sio­nen sind ja dafür bekannt, noch nicht unter über­mä­ßi­ger Kan­ten­glät­tung zu lei­den. Was hier zu hören ist, hat Biss. Dass die ein­zi­ge ent­hal­te­ne Cover­ver­si­on „City of Peo­p­le“ von der US-ame­ri­ka­ni­schen Gara­ge-Punk-Band The Illu­si­ons und aus dem Jahr 1966 stammt, ist ein Beleg dafür, wo Loren­zo Woo­d­ro­se sei­ne musi­ka­li­schen Wur­zeln ausmacht.

    Dass die fünf­zehn Lie­der – groß­teils als „Expli­cit Lyrics“, expli­zi­te Lyrik also, beinhal­tend gekenn­zeich­net – natür­lich auch nur eine begrenz­te Gesamt­lauf­zeit haben und daher nie län­ger, meist kür­zer als unge­fähr drei­ein­halb Minu­ten sind, fällt kaum ins Gewicht, damals, in den 60-ern, waren Sin­gles ja sel­ten län­ger, und wer mit der dama­li­gen Musik nicht viel anfan­gen kann, der kann Baby Woo­d­ro­se auch unter „muss ich nicht hören“ ablegen.

    Sicher­lich ist die­ses Album auch sonst kein „muss ich hören“, wenn man die Ent­wick­lung von Baby Woo­d­ro­se von Anfang an ver­folgt hat. Wer das ver­passt hat, dem bie­tet Bad Afro Records hier noch­mals die Gele­gen­heit, ihre Musik ken­nen und schät­zen zu ler­nen. Ein Ange­bot, das man nicht aus­schla­gen sollte.

    Wil­des Kopf­schüt­teln und Rein­hö­ren sei auf Amazon.de gewährt.

  21. this­quie­tar­my – Vessels

    Im Mai die­ses Jah­res erschien als Vor­läu­fer des im Novem­ber erschie­ne­nen Albums „Resur­gence“ der/die/das EP „Ves­sels“ von this­quie­tar­my, dem Solo­pro­jekt von Eric Quach, Gitar­rist der Instru­men­tal­rocker destroy­all­drea­mers. (Erkennt ihr das Muster?)

    Anders als die Musik letz­te­rer Prot­ago­ni­sten ist das Album von this­quie­tar­my genau das: Still. Es wird beherrscht von See­fahrts-/Un­ter­was­ser­ge­räu­schen, mal pfei­fen die Kes­sel, mal tropft es. Eric Quach ver­mischt hier ambi­en­te Klang­flä­chen mit dro­nes, also Bor­dunklän­gen, zu einer bro­deln­den Masse.

    Das sech­ste und letz­te (Bonus-)Stück „New Dawn Fades“, von Gesang und auf­dring­li­chem Schlag­zeug beglei­tet, fällt hier bei­na­he aus dem Rah­men, es gibt dem Dar­ge­bo­te­nen abschlie­ßend einen Dark-Wave-Anstrich, der Sisters of Mer­cy und ähn­li­che Musik­grup­pen zitiert. Das erstaunt nur wenig, han­delt es sich doch um eine Cover­ver­si­on des gleich­na­mi­gen Stückes von Joy Divi­si­on.

    Frei über­setzt und etwas tech­ni­scher for­mu­liert klingt das so:

    Indem er sei­ne Gitar­re als einen Klang­far­ben­er­zeu­ger erforscht, erwei­tert er die Gren­zen sei­nes Instru­ments durch die Benut­zung meh­re­rer Effekt­ver­ar­bei­ter und Echt­zeit-Loop­sam­pler, die Form und Klang des Gitar­ren­si­gnals ändern, Tex­tu­ren über Tex­tu­ren blen­den, eine umfang­rei­che Kom­bi­na­ti­on aus Kln­gen zusam­men­fü­gen und die Melo­dien ent­wickeln, die in die­sen Klang­kas­ka­den ver­bor­gen sind. Bestimm­te musi­ka­li­sche Ideen wer­den oft mit­tels Neu­in­ter­pre­ta­ti­on, De- und Rekon­struk­ti­on sei­ner eige­nen Impro­vi­sa­tio­nen entwickelt.

    Das klingt span­nend und ist enorm. Musik für Kopf-Hörer und lan­ge Nächte.

    Hör­pro­ben: „The Paci­fic Thea­ter“ und „The Black Sea“ kön­nen geneig­te Musik­freun­de auf Bandcamp.com in vol­ler Län­ge hören.

  22. The Can­yon Obser­ver – Chap­ter 1 – The Cur­rent of Her Oce­an Brings Me To My Knees

    Noch ein EP, dies­mal aus Slo­we­ni­en, berei­chert dank Peters Für­spra­che die­se Liste: „The Cur­rent of Her Oce­an Brings Me To My Kne­es“ ist der Erst­ling von The Can­yon Obser­ver, mit einer unge­fäh­ren hal­ben Stun­de Lauf­zeit aber schon nicht übel befüllt.

    Was gibt es auf die Ohren?

    (…) eine nicht unin­ter­es­san­te Mischung aus Sludge, Hard­core, Post-Rock und noi­si­gen (sic!) Ambient (…)

    Nun, die Band selbst sor­tiert sich unter ande­rem in „ska“, „sludge“ und „punk rock“ ein. Nimm dies, gen­re­gei­le Musik­pres­se. „Sludge“ passt noch am ehe­sten, laut Wiki­pe­dia gehört dies dazu:

    Ins­ge­samt ist die Musik eher schlep­pend und zäh, mit beson­de­rer Her­vor­he­bung der Gitar­ren­riffs. Der Gesang besteht vor­nehm­lich aus hard­core­ar­ti­gem Geschrei und Gekei­fe, aber auch Death-Metal-typi­sche Growls kön­nen vorkommen.

    So ist das. Ska? Fehl­an­zei­ge. Das ist gut, ich mag kei­nen Ska.

    Dass „The Cur­rent of Her Oce­an Brings Me To My Kne­es“ irgend­wie belie­big klingt, mag sein. Wenn man viel Zeit mit einer ein­zi­gen Musik­aus­rich­tung ver­bringt, wird man irgend­wann das Gefühl haben, das alles schon mal irgend­wo gehört zu haben. Mir als Freund schrä­gen Lärms ist der­lei jedoch noch ziem­lich unbe­kannt, und mich erfreut die Kom­bi­na­ti­on aus Behä­big­keit und Aggres­si­on. Auf die fol­gen­den Kapi­tel („Chap­ter“) bin ich gespannt.

    Wer Besag­tes eben­falls schätzt, dem rate ich, mal rein­zu­hö­ren:
    Auf Bandcamp.com ist das gesam­te Werk hör- und kaufbar.

  23. Lou Reed & Metal­li­ca – Lulu
    „I want to see your sui­ci­de, I want to see you give it up, give it up, your life of rea­son.“ (The View)

    Ach, was haben die Her­ren da nur los­ge­tre­ten? Cheer-Acci­dent hat­te ich oben als kon­tro­vers beschrie­ben, gegen „Lulu“ aber ver­blasst jede Kon­tro­ver­se. Auf Amazon.de sind hei­ße Dis­kus­sio­nen ent­brannt, ob Lou Reed oder sei­ne Begleit­band Metal­li­ca die stö­ren­den Ele­men­te auf dem Album sind. Natür­lich sind die Anhän­ger letz­te­rer Com­bo ande­ren Gesang gewohnt:

    Man soll­te mal unter­su­chen, ob Leu­te, die ger­ne Lou Reed hören, sich auch ger­ne aus­peit­schen las­sen, oder ob Leu­te, die sich aus­peit­schen las­sen, dabei ger­ne Lou Reed hören, qua­si um den Effekt zu ver­stär­ken :o)
    Aber das nur am Rande …

    Nicht, dass Lou Reed so etwas nicht gewohnt wäre: Als er mit The Vel­vet Under­ground unter Andy War­hols schüt­zen­der Hand die New Yor­ker Kunst­sze­ne pro­vo­zier­te, wur­de sei­ne krea­ti­ve Ader von der Pres­se nicht gewür­digt. Jahr­zehn­te spä­ter weiß man, dass das damals eine Weg wei­sen­de Stil­rich­tung war, die man erst viel zu spät als eine sol­che erkann­te. Ob es mit „Lulu“ auch so sein wird?

    Für eini­ge – weni­ge – fans von Metal­li­ca ist „Lulu“ der längst über­fäl­li­ge Befrei­ungs­schlag, aber die mei­sten haben offen­bar nicht ver­stan­den, dass es eben kein Metal­li­ca-Album ist. Mer­ke: Wo nicht nur Metal­li­ca drauf­steht, ist nicht nur Metal­li­ca drin.

    Wahr­schein­lich ist „Lulu“ aber das Anspruchs­voll­ste, wor­an sich Metal­li­ca je betei­ligt haben. Text und Musik stam­men von Lou Reed auf Basis des Thea­ter­stücks „Lulu“, geschrie­ben von ihm und Robert Wil­son auf Basis des gleich­na­mi­gen Stückes von Frank Wede­kind, eine Thea­ter­ad­ap­ti­on sei­ner Dra­men „Erd­geist“ und „Die Büch­se der Pan­do­ra“. Letz­ten Endes gro­ße deut­sche Kunst also.

    Dass man sich mit „Erd­geist“ und „Die Büch­se der Pan­do­ra“ beschäf­ti­gen soll­te, um die­ses Album in sei­ner Gän­ze zu begrei­fen, ist wahr. Es geht aber auch ohne, die Tex­te las­sen kaum Miss­ver­ständ­nis­se offen:

    Ein lei­der ech­ter Spie­gel zur See­le der Mensch­heit, kein Dis­ney-Zerr­spie­gel. Reed inter­pre­tiert Wede­kind wenig über­ra­schend, dafür mit der inhalt­li­chen Treff­si­cher­heit des alten Fuch­ses. Ber­lin wird ame­ri­ka­ni­siert und in den grim­men Hän­den Lous zum psy­cho­ana­ly­tisch fein aus­ta­rier­ten Bastard aus Hubert Sel­by, Bur­roughs und der den­tal­boh­ren­den Prä­zi­si­on eines Heming­way. Sado­ma­so­chis­mus, Ego­is­mus, Ver­ge­wal­ti­gung, Käl­te, Ver­füh­rung, Sinn­lich­keit, Tod, Ekel und ein klei­nes Tröpf­chen Lie­be. Der Mensch als Abschaum der Schöp­fung. Schön klingt das in der Tat zu Anfang nicht.

    Klas­si­sches Lou-Reed-Mate­ri­al eben, zuletzt so umfang­reich auf­ge­ar­bei­tet auf sei­nem Album „Ber­lin“, das Tri­stesse, Depres­si­on und Apa­thie als Grund­la­gen mensch­li­cher Hand­lun­gen kol­por­tier­te. Qua­si als Gegen­satz zu dem melan­cho­lisch ruhi­gen „Ber­lin“ fun­giert also das aggres­siv pol­tern­de „Lulu“, ein einst geschmäh­tes, exi­sten­zia­li­sti­sches Werk in einer gleich­falls geschmäh­ten Ver­to­nung. Die­ser Gegen­satz ist aber nur musi­ka­li­scher Natur, so heißt es etwa in „Cheat On Me“:

    I have no real fee­lings in my soul
    Whe­re most have pas­si­on I got a hole
    I real­ly got nobo­dy else

    Apa­thie muss nicht still sein.

    Trotz all die­ser Metal­li­ca-unty­pi­schen Ele­men­te soll­te man nicht über­se­hen, dass durch­aus Metal gespielt wird. „Pum­ping Blood“ lädt in sei­ner rhyth­mi­schen Schlicht­heit zum kräf­ti­gen Kopf­nicken ein, das groß­ar­ti­ge „Dra­gon“ steu­ert gar auf einen musi­ka­li­schen und (text­lich) sexu­el­len Höhe­punkt zu. „Oh, oh, you’­re so spe­cial“. Wie oft sonst sieht man Lou Reed beim Musi­zie­ren lächeln?

    Natür­lich ist „Lulu“ anstren­gend. Natür­lich wird kein Lied aus dem Album es in irgend­wel­che Klin­gel­ton­hit­pa­ra­den schaf­fen. Na und?
    Das, wer­te Herr­schaf­ten, ist Kunst. Es muss nicht jedem gefal­len – mir jeden­falls gefällt es.

    Rein­hö­ren: Das gesam­te Album nebst Text­bei­la­ge ist der­zeit auf loureedmetallica.com ein­zu­se­hen und ein­zu­hö­ren. Emp­foh­len wird das vor allem denen, die Metal­li­ca schät­zen – für sie ist „Lulu“ beson­ders har­te Kost.

  24. The Void’s Last Stand – Rakash
    „… but a dream that lives fore­ver is never born“ (Glass Cabinet)

    Dass ich vor zwei Jah­ren das Debüt­al­bum der deut­schen For­ma­ti­on The Void’s Last Stand rezen­sier­te, ver­schaff­te mir offen­bar aus­rei­chend Repu­ta­ti­on, denn gera­de noch recht­zei­tig für die­se Liste fand ich nun­mehr ihren Zweit­ling, „Rakash“, im Brief­ka­sten. Das fin­de ich gut.

    Zunächst ein­mal zu den Äußer­lich­kei­ten: Die Zei­ten schwer zu ent­zif­fern­der Super­eng­schrift ist vor­über, jeder bei­geleg­te Text, selbst das Lied­text­heft­chen, ist ohne gro­ße Schwie­rig­kei­ten zu lesen. Auch sonst ist von dem, nun, eigen­wil­li­gen und viel kri­ti­sier­ten art­work des Debüts nicht viel übrig geblie­ben. Das Titel­bild erin­nert mich an …And You Will Know Us by the Trail of Dead oder die neue­ren Alben von King Crims­on, die aller­dings weni­ger quietsch­bunt daher kom­men. Hel­mut Wens­ke, so erfährt man anhand der Beschrif­tung des Ton­trä­ger­um­man­te­lungs­din­gens, hat hier in sei­nem typi­schen Stil ein wenig Krea­ti­vi­tät aus­ge­übt. Sehr geehr­te Musi­ker jed­wel­cher musi­ka­li­schen Aus­rich­tung: Wür­den weni­ger von euch dar­auf erpicht sein, ihre Fres­sen auf ihre CDs zu drucken, und mehr von euch auf der­ar­ti­ge Gemäl­de­kunst zurück­grei­fen, so wäre es für eure Ver­mark­tungs­ab­tei­lun­gen ein Leich­tes, mehr Geld mit Postern, Vinyl­plat­ten und ähn­li­chen Repro­duk­tio­nen zu ver­die­nen. Macht das doch mal.

    Aber eigent­lich geht es hier ja um die Musik. Und was höre ich da? Nun, es wirkt geord­ne­ter, weni­ger ver­wir­rend als das Debüt. Los geht es mit „Mother Sun and the other Son (Part III)“, sozu­sa­gen der Fort­set­zung von „Mother Sun and the other Son (Part I)“. (Ob es jemals einen Teil 2 gab, weiß wohl nur die Band allein.) Die­ses ist auch das ein­zi­ge Stück, auf dem die Legen­de von Elag­abal noch­mals erwähnt wird. Dem Per­so­nen­kult bleibt man aber treu: In „Cut Open Feet“ etwa wird der Tän­zer Vas­lav Nijin­sky, in „Glass Cabi­net“ He-Man besungen.

    Von „Mother Sun …“ abge­se­hen geht es musi­ka­lisch bei­na­he gemä­ßigt zu:

    (…) eigent­lich sind das alles nicht über­mä­ßig for­dern­de Retro-Rock-Stücke, (…).

    Je nach­dem, wo man sei­ne Maß­stä­be ansetzt, wür­de ich sagen, die­se Kri­tik trifft nicht den Kern. Jonas Win­gens klingt immer noch, als hät­te er zum Früh­stück die Can-Dis­ko­gra­fie (mit Mal­colm Moo­ney und Damo Suzu­ki) ver­speist, die zap­paesquen Stil- und Rhyth­mus­wech­sel sind immer noch da, aber es klingt weni­ger nach „wir spie­len jetzt mal, was wir gera­de im Kopf haben, und neh­men das auf“.

    Etwas unge­wöhn­lich ist auch das Ende: Stück Num­mer 7 ist ein gespro­che­nes Gedicht, eine „Ode an Antoine Marie Joseph Artaud“, einen bekann­ten fran­zö­si­schen Schau­spie­ler mit reich­lich selt­sa­mem Tod:

    Am 4. März 1948 wur­de er in sit­zen­der Hal­tung im Bett mit einem Schuh in der Hand tot aufgefunden.

    Das Gedicht trägt pas­sen­der­wei­se den Unter­ti­tel „Poe­sy in Asylum“.

    So haben bei­de Alben ihren Reiz: Das Debüt spricht Freun­de impro­vi­sier­ten Durch­ein­an­ders an, der Zweit­ling erfreut das Herz von Can-Jün­gern. Ich als jemand, der bei­de Wel­ten bereist, kann kei­nen Qua­li­täts­ver­lust fest­stel­len. Das irre Ele­ment, des­sen bin ich mir sicher, wird die­se Band jeden­falls so schnell nicht verlieren.

    „Rakash“ ist groß­ar­tig. Kei­ne Wider­re­de geduldet.

    Hör­pro­ben: Man schaue ein­mal bei Groo­veshark hinein.

  25. Das Niveau – Vol­le Album
    „Wir brin­gen euch Niveau, wo nie Niveau war…“ (Niwo­wo­ni­ni­wo­wa)

    Auf so Ver­an­stal­tun­gen lernt man ja immer mal so Musi­ker ken­nen und schät­zen. Zum Abschluss bei­na­he ver­söhn­lich klingt das „Vol­le Album“ von Das Niveau, nach dem „Losen Album“ deren Zweit­ling und nicht sehr niveauvoll.

    Ja, es ist so weit, die Stun­de hat geschlagen,
    Das Niveau darf end­lich wie­der „ficken“ sagen!
    Ficken, Ficken!, was für ein schö­nes Wort,
    alles zwi­schen Lie­be­ma­chen und Leistungssport …

    Was gibt es zu hören? Nun, vor­ran­gig Lie­der­ma­cher- bezie­hungs­wei­se, ihrer Selbst­ein­ord­nung zufol­ge, Bar­d­en­du­et­te, in denen es sich vor allem dar­um dreht, dass die bei­den Prot­ago­ni­sten dicke cojo­nes haben, Frau­en toll fin­den und gern stink­reich wären. Im Gegen­satz zu den Hip-Hop-Quer­flö­ten hier­zu­lan­de ver­su­chen sie aber gar nicht, das wie Ernst klin­gen zu lassen.

    Mit „Am näch­sten Gal­gen“ ist auch, wie schon „Der letz­te Stern“ auf dem Debüt­al­bum, das tra­di­tio­nel­le Zei­ge­fin­ger­stück dabei:

    Wenn Men­schen lie­ber kniend leb’n
    anstatt ste­hend im Kampf niederzugeh’n,
    kei­ner die Frei­heit kennt,
    jeder Skla­ve­rei sein Schick­sal nennt -

    dann nimm dei­ne Rüstung und geh, (wdh.)
    sonst will ich dich am näch­sten Gal­gen seh’n.

    Es muss ja nicht immer nur um’s Pim­pern gehen. Für gro­ße Lite­ra­tur reicht’s nicht, aber dar­um geht es auch gar nicht.

    Man sieht zwei Musi­ker, die sicht­lich Spaß dar­an haben, ihre Rol­le als Blö­del­bar­den voll aus­zu­fül­len, und es neben­bei schaf­fen, auch so etwas wie eine ern­ste mes­sa­ge rüber­zu­brin­gen, Alter. Ich wer­de oft dafür geschol­ten, dass mei­ne prä­fe­rier­ten Klang­künst­ler zu anspruchs­voll für den gele­gent­li­chen Genuss sind. Wie wäre es mal damit?

    Hör­pro­ben: Eine akzep­ta­ble Kon­zert­auf­nah­me von „Niwo­wo­ni­ni­wo­wa“ gibt es zum Bei­spiel auf You­Tube zu sehen, wo ich zwecks Genus­ses eini­ger ande­rer Lie­der auch einen Blick in das Pro­fil eines der Mit­glie­der empfehle.

Nach­dem ihr also nun euer gesam­tes rest­li­ches Weih­nachts­geld für so viel tol­le Musik aus­ge­ge­ben habt, ist es viel­leicht ange­mes­sen, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es 2011 auch noch mehr Musik gab, die es frei her­un­ter­zu­la­den gilt. Ich nen­ne sie …

2. Frei­bier.

  1. The Eche­lon Effect – Sea­sons (pt.2 & 3)

    Seit Som­mer war David Wal­ters, die trei­ben­de Kraft hin­ter The Eche­lon Effect, nicht untä­tig und setz­te sei­ne „Seasons“-Reihe fort. Das Jahr hat vier Jah­res­zei­ten, gegen­wär­tig (23. Dezem­ber 2011) sind aller­dings erst Teil 2 und 3 erschie­nen. Ein wenig Eile wäre angebracht.

    Musi­ka­lisch hat sich nicht viel geän­dert: Ruhi­ger, melan­cho­li­scher, instru­men­ta­ler Ambi­ent-Post­rock plät­schert lei­se aus den Laut­spre­chern. Wie das klingt? Nach Erwa­chen nach einem lan­gen, ent­span­nen­den Schlaf, nach fei­er­li­chem Tanz, nach Kro­kus­sen. Selbst im Som­mer. Wenn das Schlag­zeug sich regt, trifft man auch schon mal auf walls of sound, aber nie aggres­siv, stets ver­hal­ten und entspannend.

    Dass es alle drei Tei­le vor dem Her­un­ter­la­den auf der Pro­jekt­web­sei­te zum kom­plet­ten strea­ming gibt, erspart mir übri­gens eine Men­ge Geschwätz: Hört’s euch ein­fach selbst an.

    Run­ter­ho­len könnt ihr euch den Spaß gleich­falls auf besag­ter Sei­te, auf Bandcamp.com und per eMu­le.

  2. Toeh­i­der – Child­ren of the Sun

    Mike Mills aus Austra­li­en ist musi­ka­lisch recht rege, wie es scheint. Mit sei­ner Band Toeh­i­der (deren Debüt­al­bum alberner­wei­se „To Hide Her“ heißt) hat er zwi­schen April 2009 und Mai 2010 ins­ge­samt 13 EPs auf­ge­nom­men, die 2011 als „The First Six“, „The Last Six“ und eben „Child­ren of the Sun“ erschienen.

    War­um „Child­ren of the Sun“ geson­dert ver­öf­fent­licht wur­de, hat recht­li­che Grün­de: Sei­ne musi­ka­li­schen Grund­la­gen waren vor allem The­men aus aller­lei Zei­chen­trick­se­ri­en aus den 1980-er Jah­ren, deren Rech­te­inha­ber mit dem Ver­kauf deri­va­ti­ver Wer­ke nicht immer ein­ver­stan­den waren, so dass „Child­ren of the Sun“ kosten­los per Inter­net ver­teilt wer­den muss. Das ist ja auch kei­ne Schan­de. Die Titel hei­ßen zum Bei­spiel „M.A.S.K.“ und „Death of Opti­mus Prime“. Wer erkennt’s?

    Die musi­ka­li­sche Umset­zung ist, wie ich fin­de, her­vor­ra­gend gelun­gen: Key­boards, Retro-Prog, Neo­prog, aber auch schlich­ter, wenn­gleich extro­ver­tier­ter Pop/Rock mit hohem Spaß­fak­tor bestim­men das Geschehen.

    Als mul­ti­me­dia­ler Künst­ler hat Mike Mills auch einen You­Tube-Kanal ein­ge­rich­tet, auf dem unter ande­rem auch eini­ge Vide­os zu „Child­ren of the Sun“ zu fin­den sind, etwa ein Musik­vi­deo zu „Myste­rious Cities of Gold“, aus des­sen Text auch die Zei­le „Child­ren of the Sun“ stammt. Auch hier ist natür­lich das Anhö­ren vorm tat­säch­li­chen Her­un­ter­la­den mög­lich: Alle Stücke wer­den zur­zeit auf der Toeh­i­der-Web­site gestreamt.

    Run­ter­ho­len geht eben­dort sowie per eMu­le.

  3. Guil­ty Ghosts – Veils

    Weni­ger spa­ßig agiert Tri­stan O’Donnell, der sich Guil­ty Ghosts nennt (ein ein­zi­ger Geist wür­de viel­leicht nicht genü­gen). Nach eige­ner Aus­sa­ge hat er das Album in den eige­nen vier Wän­den auf­ge­nom­men. Stört nicht.

    In sei­ner Selbst­be­schrei­bung hat er selbst unbe­schei­den behauptet:

    Sei­ne Lie­der pas­sen ide­al zu reg­ne­ri­schen Tagen, ewig andau­ern­den Aben­den und melan­cho­li­schen Momen­ten der Einsamkeit.

    Ich weiß nicht, ob ich mir sol­che Momen­te nun her­bei­wün­schen soll­te, um das zu veri­fi­zie­ren. Zu hören gibt es jeden­falls

    Dro­ne-Gitar­ren, Break­beats und Tape-Loops. Ambi­ent, Dro­ne und Elec­tro­ni­ca. Unbe­stimmt und dif­fus. Gitar­ren­mu­sik. Elek­tro­ni­sche Musik. Gesang.

    Schön, ja.

    Run­ter­zu­ho­len ist’s für einen belie­big wähl­ba­ren Preis auf Bandcamp.com (Rein­hö­ren inklu­si­ve) und per eMu­le.

  4. The Beau­ty Of Drow­ning – The Beau­ty Of Drowning

    2011 ist das Jahr des Ertrin­kens, scheint mir. Tsu­na­mis und son­sti­ge Natur­ka­ta­stro­phen erträn­ken hau­fen­wei­se Men­schen, Ste­ven Wil­son nennt sein neu­es Album „Grace for drow­ning“, ein deut­sches Trio nennt sich gar The Beau­ty Of Drow­ning und sein erstes Album auch nicht anders.

    Musik? Psy­che­de­lic Rock. Post-Rock. Metal. Viel Atmosphäre.
    Ver­glei­che? Pink Floyd. Oce­an­si­ze. Dear John Let­ter.
    Noch Fragen?

    Run­ter­ho­len und rein­hö­ren kann man auf Bandcamp.com. Aber nicht, dass ihr mir hier ertrinkt.

Und weil nicht alles Gold ist, was glänzt und sich dreht, und weil die Not lei­den­de Musik­in­du­strie für Schei­ße anschei­nend immer noch zu viel Geld hat, wur­de in den Medi­en auch im wei­te­ren Ver­lauf des Jah­res so man­ches als total pri­ma hoch­sti­li­siert, was sich letzt­lich als ziem­li­cher Murks herausstellte:

3. Klang­brei, rund mit Loch drin.

  • Boris – Hea­vy Rocks
    Klingt in Ein­zel­tei­len gut, aber zusam­men­ge­klebt eher mau.
  • Arc­tic Mon­keys – Suck it and see
    Ich saug­te es und sah, dass es nicht gut war.
  • dEUS – Keep you close
    Ich hal­te mich lie­ber fern.
  • Fre­quen­cy Drift – Ghosts…
    Wenn die Ambi­ent­pas­sa­gen nicht so ein­schlä­fernd wären, wäre die­ses Album eigent­lich rich­tig klas­se. Davon merkt man im Schlaf nur nichts.
  • Nihi­ling – Egophagus
    Aus der einst über­durch­schnitt­li­chen Post­rock-Trup­pe wur­den Screa­m­os; der näch­ste logi­sche Schritt ist dann 80s-Pop, rich­tig? Schade.
  • Ske – 1000 Autunni
    Belang­lo­ses Geklimper.

Und bevor ich euch, die ihr es bis hier­hin geschafft habt, zu eurer Aus­dau­er und eurem Musik­ge­schmack (denn sonst hät­tet ihr längst auf­ge­hört zu lesen) beglück­wün­sche, mache ich noch einen Abste­cher in die Musik­ge­schich­te und schaue, wie üblich, zurück, was sich in den letz­ten vier­zig Jah­ren so getan hat.

4. Es war einmal …

  • Vor 40 Jahren:
    Can – Tago Mago

    Mich beschleicht all­mäh­lich der Ein­druck, 1971 ist ein Jahr, in dem so etwas wie schlech­te Musik schlicht nicht exi­stier­te. So ver­öf­fent­lich­te etwa die noch jun­ge Grup­pe Yes mit „The Yes Album“ – nicht mit dem Debüt­al­bum „Yes“ zu ver­wech­seln – in die­sem Jahr ein weg­wei­sen­des Werk, auf dem mit „Star­ship Tro­o­per“ bereits einer ihrer gro­ßen Sym­pho­nic-Prog-hits ver­tre­ten ist. Die deut­sche Jazz­rock­for­ma­ti­on Alca­traz mach­te mit dem von Soft Machi­ne und Colos­se­um beein­fluss­ten Debüt­al­bum „Vam­pi­re Sta­te Buil­ding“ von sich reden, zur glei­chen Zeit tum­mel­ten sich The Masters App­ren­ti­ces, her­vor­ge­gan­gen aus The Mustangs, mit „Choice Cuts“ und der Top-15-Sin­gle „Becau­se I Love You“ im psy­che­de­li­schen Hard­rock und Gitar­ren­pop. Etwas ganz ande­res mach­ten die Köl­ner von Can, ihr (regu­lä­rer) Zweit­ling „Tago Mago“ näm­lich ist das Kraut­rock-Album gewor­den. Neu­zu­gang Damo Suzu­ki am Mikro­fon drück­te den avant­gar­di­schen Klang­ex­pe­ri­men­ten sei­ne eige­ne, unver­wech­sel­ba­re Note auf. „Hal­lel­uh­wah“ ist eine 18 Minu­ten und 32 Sekun­den lan­ge Geräusch­or­gie. Mono­to­ner Rhyth­mus. Selt­sa­mes Flir­ren. Wie (?) im Dro­gen­rausch schreit der Front­mann eigen­ar­ti­ge Sät­ze ins Lee­re. „Lal­al­al­al­al­al­al­a­la­la, let him up“. Ver­ste­he. „Aumgn“, etwa eine Minu­te kür­zer? Auch nicht bes­ser. „Bring Me Cof­fee or Tea“ ist da bei­na­he ver­söhn­lich, könn­te ein Über­bleib­sel aus Beat­les-Dro­gen­zei­ten sein. Wobei: Die­ser eigen­ar­ti­ge, hyp­no­ti­sche Rhyth­mus, der alles zusam­men­zu­fü­gen scheint? Die­ser ver­stö­ren­de Gesang? Nein, doch kei­ne Beat­les; bis heu­te jedoch eins der wich­tig­sten Alben deut­scher Musik­ge­schich­te. Ein­mal hören und verstehen.

  • Vor 35 Jahren:
    Ethos – Ardour

    Bereits 1976 hat­te die Musik­welt ande­re Prio­ri­tä­ten: Schicke Führs Fröh­ling ver­öf­fent­lich­ten mit „Sym­pho­nic Pic­tures“ ihr Debüt­al­bum, das heu­te als Mei­ster­werk des instru­men­ta­len Jazz­rocks gefei­ert wird, unter­des­sen leg­ten Ethos mit „Ardour“, gleich­falls ihr Debüt­al­bum, einen der Grund­stei­ne für Bands wie The Tan­gent, die trotz aller Refe­ren­zen mehr nach Ethos als nach Yes klin­gen. Mit Yes, Wea­ther Report und King Crims­on teil­te man sich unter ande­rem Festi­vals, King Crims­on waren auch einer der gro­ßen Vor­bil­der: Gitar­rist Will Shar­pe gab 1999 zu Pro­to­koll, man habe ver­zwei­felt ver­sucht, die ame­ri­ka­ni­sche Ant­wort auf King Crims­on zu sein, jedoch woll­te Ame­ri­ka die­se Ant­wort nicht hören. Ent­mu­tigt löste man sich nach dem Fol­ge­al­bum „Open Up“ (1977) auf. Was bleibt, sind fünf­zig­tau­send ver­kauf­te Ein­hei­ten des Debüts und, rech­net man die Reste­ver­wer­tung „Relics“ von 2000 mit, drei Alben mit packend pro­gres­si­ver, sym­pho­ni­scher Rock­mu­sik. Scha­de, dass es so endete.

  • Vor 30 Jahren:
    John Cale – Honi Soit

    Nach drei Jah­ren Pau­se kehr­ten 1981 Amon Düül II mit dem akzep­ta­blen, aber nur noch sel­ten an „Phallus-Dei“-Zeiten anknüp­fen­de „Vor­tex“ wie­der auf die Bild­flä­che zurück. Eben­falls ins Seich­te ver­ab­schie­de­ten sich Gene­sis mit dem letz­ten mei­ner­seits noch ver­tret­ba­ren, erstaun­lich expe­ri­men­tel­len Album „Aba­cab“ (was danach kam, war fast aus­nahms­los belang­lo­ser Radio­müll) und Grob­schnitt, deren „Ille­gal“ den Anfang vom Ende mar­kier­te. An deutsch­spra­chi­gen Pop­grup­pen man­gel­te es in den Fol­ge­jah­ren bekannt­lich nicht. Wor­an es aber sehr wohl man­gel­te, war gute Musik mit Anspruch. Tja, die 80-er Jah­re. Zum Glück mel­de­te sich John Cale, Wali­ser Avant­gar­de-Pio­nier und über­wie­gend für sei­ne Bei­trä­ge für The Vel­vet Under­ground bekannt, wie­der zu Wort: „Honi Soit“ ist ein her­vor­ra­gen­des Art­pop-Album, das den Wer­ken von Peter Ham­mill um nichts nach­steht. Pop („Dead or Ali­ve“), Upt­em­po-Rock („Figh­ter Pilot“ mit den Bom­ber­et­tes – amü­san­ter Ein­fall – als Hin­ter­grund­chor, „Rus­si­an Rou­lette“), merk­wür­dig schrä­ge Melan­cho­lie („The Streets of Lare­do“); all dies ver­fei­nert von des Herrn Cale ein­ma­li­gem, wei­chem Gesang. Habe ich gera­de „merk­wür­dig“ geschrie­ben? Das Titel­stück über­trifft das noch: Vio­la und Gitar­re lie­fern sich ein kur­zes Duell, unver­se­hens ver­stum­men bei­de, und eine Trom­pe­te bläst den Marsch. Dazu gibt’s Tex-Mex-Musik und einen Hin­ter­grund­chor, der wie­der­holt „Honi soit qui mal y pen­se“ („Ein Schuft, wer Böses dabei denkt“) singt. Die­sen Tep­pich beschrei­tet John Cale bedäch­tig mit fran­zö­sisch­spra­chi­gem Gesang, unter­stützt gele­gent­lich aber auch den Chor. Zum Ohr­wurm eig­net sich die­ses Stück vor­treff­lich, und wie­der fra­ge ich mich, war­um John Cales Plat­ten­fir­ma anschei­nend so wenig Geld in gele­gent­li­che Radio­vor­füh­run­gen inve­stiert. So muss der geneig­te Musik­freund eben rein zufäl­lig auf die­ses groß­ar­ti­ge Stück Musik sto­ßen. Man­cher Zufall führt zu über­ra­schen­den Entdeckungen.

  • Vor 20 Jahren:
    Nir­va­na – Nevermind

    Ein erneu­ter Zeit­sprung in das Jahr 1991: Die Post­rock-Urge­stei­ne Talk Talk ver­öf­fent­lich­ten mit „Laug­hing Stock“ lei­der ihr letz­tes, jedoch her­vor­ra­gen­des Album. Ganz und gar nicht her­vor­ra­gend war das, was die bei­den zer­strit­te­nen Yes-Lager (Yes und Ander­son, Bruford, Wak­e­man & Howe) 1991 auf den Markt war­fen: Man ver­ein­te sich – mehr for­mell als ideell – wie­der zu einer ein­zi­gen Band, die aus ins­ge­samt acht Mit­glie­dern bestand und in die­ser For­ma­ti­on auf Tour ging. Dass die Plat­ten­fir­ma dafür eini­ges an Geld bekom­men haben dürf­te und – for­mell – wie­der Yes drin war, wo Yes drauf­stand, kann den Ärger hin­ter den Kulis­sen nicht unge­sche­hen machen: Meh­re­re betei­lig­te Musi­ker sind auf dem Album kaum zu hören, im Stu­dio wur­den ihre Bei­trä­ge so lan­ge nach­ge­spielt, bis alle an der Pro­duk­ti­on Betei­lig­ten leid­lich zufrie­den waren. Aber der Pro­gres­si­ve Rock inter­es­sier­te die jun­ge Gene­ra­ti­on bereits nur noch wenig, mit Nir­va­na hat­te sie ihre neu­en Ido­le. „Never­mind“, „das, wo Smells Like Teen Spi­rit drauf ist“, war erst deren zwei­tes Album, ist jedoch bis heu­te ihr bekann­te­stes und erfolg­reich­stes, Wer­bung sei Dank. Dabei war die­ser radio­freund­lich glatt­po­lier­te sound nie im Sin­ne Kurt Cobains, das letz­te Album „In Ute­ro“ (1993) ist inso­fern eher als ech­tes Nir­va­na-Album anzu­se­hen. „Never­mind“ hät­te es nie geben sol­len; even­tu­ell hät­te Kurt Cobain dann die Nase von dem Musik­ge­schäft nicht so gestri­chen voll gehabt und könn­te noch leben. Es ist noch heu­te ein schreck­lich über­be­wer­te­tes Album; aber es ent­hält doch die wesent­li­chen Bestand­tei­le von Nir­va­nas Musik. Klar ist, dass es eins der Alben ist, die man mal gehört haben soll­te. Und dann gibt es eigent­lich nur zwei vali­de Reak­tio­nen: Must-have – oder: Never­mind. (Neben­bei bemerkt: Wort­wit­ze, die nur auf Eng­lisch funk­tio­nie­ren, machen mir kei­nen Spaß.) Für mich gilt: Gut, dass es spä­ter „In Ute­ro“ gab, denn sonst könn­te ich über Nir­va­na nur wenig Posi­ti­ves berichten.

  • Vor 10 Jahren:
    Slee­py­ti­me Goril­la Muse­um – Grand Ope­ning And Closing

    2001 war auch ein Jahr der Live­al­ben: Mag­ma ver­öf­fent­lich­ten erst­mals eine im sel­ben Jahr auf­ge­nom­me­ne Liv­e­fas­sung der Tri­lo­gie „Theu­sz Hamt­aahk“, King Crims­on grif­fen mit „Vroom Vroom“ und dar­auf ent­hal­te­nen Live­kon­zer­ten von 1995 und 1996 etwas tie­fer in die Mot­ten­ki­ste. Die pol­ni­schen Jazz-/„Krautrocker“ SBB über­bo­ten das noch­mals und beglück­ten ihre Anhän­ger mit „Live in Karl­stad 1975“, das eigent­lich eine Kon­zert­auf­nah­me von 1975 (ja, wirk­lich!) ist. Neu in der Musik­welt waren hin­ge­gen unter ande­rem das Ber­li­ner Stoner-Rock-Trio Rotor, das mit dem Album „1“ schon ankün­dig­te, dass eine „2“ fol­gen soll­te (inzwi­schen sind sie bei „4“ ange­langt), und das höchst selt­sa­me Avant­gar­de-Kol­lek­tiv Slee­py­ti­me Goril­la Muse­um. Mit „Grand Ope­ning And Clo­sing“ („Gro­ße Eröff­nung und Schlie­ßung“) haben sie auch einen viel­sa­gen­den Titel für ihr Debüt­al­bum gewählt, denn ihre Kon­zer­te erin­ner­ten oft an Zir­kus­vor­stel­lun­gen. Die Musik? Ha, was für Musik? Geräu­sche. Bekloppt. [E]in erfri­schen­des Kon­glo­me­rat aus über­ra­schen­den, kom­ple­xen Klang­kon­struk­ten, hef­ti­gen Aus­brü­chen, schrä­gen, mit­un­ter fast kako­pho­ni­schen Ton­land­schaf­ten, bizar­ren Geräu­schen und Sound­ideen, ver­spiel­ter Per­kus­si­on und der­bem Getromm­le, metal­li­schem Gerif­fe, dis­so­nan­tem (Grunz)Gesang und knall­har­ten Akkor­den von Gitar­re und Bass, die aber meist irgend­wie „dane­ben“ zu lie­gen schei­nen. Das hat es so nur sel­ten gege­ben, nun, da Slee­py­ti­me Goril­la Muse­um nicht mehr exi­stiert, gibt es mit Grup­pen wie uneX­pect jede Men­ge neu­es Mate­ri­al für die­je­ni­gen Ver­rück­ten, die mit „Grand Ope­ning And Clo­sing“ auf den Geschmack gekom­men sind. Band­vio­li­ni­stin Car­la Kihl­stedt ist auch nach dem Ende der Band noch in ähn­li­chen For­ma­tio­nen, etwa The Book of Knots, die ich im August bereits gewür­digt hat­te, tätig. Wer hat da gesagt, die Musik hät­te nichts Neu­es mehr zu sagen?

Damit sind wir auch schon wie­der am Ende ange­langt. Ich hof­fe, eini­ge erle­se­ne Fund­stücke haben auch euch gefallen.
In einem hal­ben Jahr gibt es, wenn bis dahin kein Unglück eine Fort­füh­rung ver­hin­dert, die näch­ste Rückschau.

Ich dan­ke für die Auf­merk­sam­keit und wün­sche allen Fei­ern­den ein ange­neh­mes Feiern.

Seri­en­na­vi­ga­ti­on« Musik 06/2011 – Favo­ri­ten und Ana­ly­seMusik 06/2012 – Favo­ri­ten und Analyse »

Senfecke:

  1. Und was unter­schei­det jetzt dei­nen von dir selbst alle nase­lang erwähn­ten „Musik­ge­schmack“ von hun­der­ten ande­rer Blogs? Gute Güte, nimm dich nicht so wich­tig, Mister Auf­plu­ster! Hirnfick.

  2. Ich erhe­be nicht den Anspruch, die ulti­ma­ti­ve Liste zusam­men­ge­stellt zu haben.
    Viel­leicht ist das schon ein gro­ßer Unterschied.

    Nimm dich nicht so wich­tig, Mister Aufpluster!

  3. Jemand, der Dre­am­pop mag, wird mei­nen Musik­ge­schmack wahr­schein­lich nicht ver­ste­hen, rich­tig. Was dar­an braucht Erläuterung?

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