Eine (meist) liebe Leserin machte mich vor einigen Monaten darauf aufmerksam, dass Tom Waits, seines Zeichens eigenwilliger Sangeskünstler, ziemlich aufregende Musik hervorbringt. Unter dem Eindruck von „Bone Machine“, dessen Schrägheit in wundersamer Weise mit meiner Affinität zu musikalischer Schrägheit harmoniert, stimmte ich in ihre Lobhudeleien ein; und erblickte heute im Zeitschriftenregal eines Supermarktes ebenjenen Tom Waits auf der Titelseite des normalerweise eher beliebigen Magazins „Rolling Stone“. Da ich noch ein wenig Zeit bis zum nächsten Termin hatte, wagte ich aufgrund des verheißungsvollen Titels den Kauf.
Es war undurchdacht von mir, trotz gegenteiliger Erfahrungen davon auszugehen, der „Rolling Stone“ hätte sich ausnahmsweise dazu entschlossen, seriös zu werden. Tatsächlich wird des Titelhelden Schaffen nur wenig erwähnt, das Album „Bone Machine“ kommt ebenso wie „Mule Variations“ und das Dreifachalbum „Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards“ je einmal, jeweils eher beiläufig erwähnt vor, das vorletzte Album „Real Gone“ immerhin zweimal. Hauptsächlich geht es um „Bad As Me“, das aktuelle Album von Tom Waits, und um die Person des Interpreten, als wäre das eigentlich auch schon alles, was man von Tom Waits wissen muss.
Für die, die noch nie etwas von Tom Waits gehört haben, erklärt es Jörn Schlüter, offenbar Schreiberling beim „Rolling Stone“, gern einmal am Beispiel des Stückes „Hell Broke Luce“ („brutale Militär-Persiflage“, J. Schlüter) von diesem aktuellen Album:
Das Lied schwankt durch die Schützengräben wie ein Panzer auf Stelzen.
Fünf Euro in die Wortspielkasse bitte.
Dass ich noch nie einen Panzer auf Stelzen gesehen habe, der durch Schützengräben schwankt, kann ich dem Autor nicht zum Vorwurf machen und führe es aus guter Absicht vorerst auf meine fehlende militärische Vergangenheit zurück. Eines würde mich dann jedoch schon interessieren: Nehmen wir an, ein Panzer auf Stelzen gerät auf dem Weg durch Schützengräben tatsächlich ins Schwanken – was genau hat das Lied damit zu tun?
Jörn Schlüter hätte diese Frage Tom Waits stellen sollen, denn diese Antwort hätte mich wirklich sehr interessiert: „Herr Waits, Ihr Lied ‚Hell Broke Luce‘ schwankt durch die Schützengräben wie ein Panzer auf Stelzen, warum ist das so?“ Das hat er natürlich nicht getan, sondern weiter an seiner Reputation gearbeitet. Wahrscheinlich möchte Jörn Schlüter nicht, dass ihn nur die Leser dieses Artikels für verkrampft peinlich und eigentlich gar nicht sehr an seinem zu beschreibenden Objekt (Tom Waits) interessiert halten, was er mehrfach zu verstehen gibt:
Mit „Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards“ erschien ein Dreifach-Album mit Ausgesondertem und Vergessenem. Man überlegte, ob Waits wohl in die Schlussrunde eingebogen war.
(Hervorhebung von mir.)
War er aber nicht, der Tom Waits, und so nutzte Jörn Schlüter die Gelegenheit, auch ihm, Tom Waits, gegenüber einmal zu zeigen, dass Musik mit Anspruch ihn, Jörn Schlüter, deutlich überfordert, und schaffte es in all seiner Naivität dann doch noch, mich zum Schmunzeln zu bringen, indem er fragte:
Ihre Lyrics lesen sich manchmal wie Gedichte – auch auf diesem Album erinnert mich einiges an Charles Bukowski, der Sie zu Beginn Ihrer Karriere beeinflusst hat. Haben Sie ihn jemals getroffen?
Charles Bukowski kennt er zumindest namentlich, vielleicht auch nur vom Hörensagen, und vielleicht ist der Umstand, dass sich Tom Waits‘ Liedtexte selten reimen, auch schon die einzige Parallele, die Jörn Schlüter zwischen Tom Waits, dem Musiker, und Charles Bukowski, dem Poeten, erkennt. Gratulieren sollte man Jörn Schlüter aber zu der großartigen Erkenntnis, dass man Liedtexte, häufig rhythmisch unterlegt, nicht nur als Prosa oder Busfahrplan (S. Gärtner), sondern auch als Gedicht, als Lyrik („lyrics“) eben, lesen kann. So sieht Musikjournalismus 2011 aus.
Und ich verstehe allmählich, wieso Jörn Schlüter dieses Gespräch führen durfte: Die Alternative, ein Interview mit dem Journalisten gegenüber selten toleranten Lou Reed und Metallica, hätte er nicht lange durchgestanden.
Senfecke:
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