MusikkritikKaufbefehle
Musik 12/2016 – Favo­ri­ten und Analyse

Die­ser Arti­kel ist Teil 17 von 26 der Serie Jah­res­rück­blick

Wie, was, 2016 ist schon lan­ge vor­über? Zum Glück habe ich gewar­tet. Das könn­te man für schlecht hal­ten, aber sta­ti­stisch gese­hen ist es gut, denn 2016 hat nicht nur die Ankün­di­gung der bal­di­gen Auf­lö­sung von The Dil­lin­ger Escape Plan, son­dern auch eine gan­ze Rei­he an Toden auf der Rech­nung, dar­un­ter nicht nur diver­se ehe­ma­li­ge Poli­ti­ker der F.D.P., son­dern vor allem auch Musi­ker. Nach Wolf­gang Roh­de (frü­her mal Die Toten Hosen), Hagen Lie­bing (frü­her mal Die Ärz­te) und Chris Squi­re, dem letz­ten in der Band ver­blie­be­nen Grün­dungs­mit­glied von Yes, sowie vie­len ande­ren hat es vor eini­gen Wochen schließ­lich auch den groß­ar­ti­gen Greg Lake erwischt, und auch für Leo­nard Cohen wäre es zu spät, sei­nem letz­ten Album „You Want It Dar­ker“ einen gebüh­ren­den Preis zu ver­lei­hen, über das ande­rer­seits jedes geschrie­be­ne Wort sowie­so und ohne­hin Blas­phe­mie gliche.

Schon frü­her im abge­lau­fe­nen Jahr aller­dings schien es mir nicht ver­fehlt, loben­de Wor­te über eini­ge der groß­ar­tig­sten Musikal­ben des Jah­res zu fin­den, dar­un­ter katie deys flood net­work, Mai­da­Va­les Tales of the Wicked West, miso­pho­nia von Elec­tric Oran­ge sowie das Debüt­al­bum von Moon Cir­cle.

Im Fol­gen­den fin­det ihr, was bis jetzt noch fehl­te, näm­lich die bis­lang noch unre­zen­sier­ten Alben des Jah­res. Viel­leicht ist ja was für euch dabei?

1a. Star­ker Stoff

  1. Arbor Labor Uni­on – I Hear You
    „I live in a song / I dance when it’s play­ed.“ (Volu­me Peaks)

    Das fängt ja gut an.

    Die Gar­ten­ar­bei­ter­ver­ei­ni­gung – pri­ma Band­na­me auch – aus Atlan­ta berei­cher­te die Welt im Mai 2016 mit ihrem Zweit­ling „I Hear You“ und damit mal eben mit einem die­ser Alben, die mich mei­ne Wahl zum Album des Jah­res noch mal ernst­haft über­den­ken las­sen. Ver­mut­lich ist es mit „cool“, sofern der Begriff zusagt, nicht völ­lig unzu­rei­chend beschrie­ben, Spaß macht es auf jeden Fall, und das ab der ersten Sekun­de: „Mr. Bird­song“ beginnt stim­mig mit instru­men­ta­ler Vogel­imi­ta­ti­on, bevor es ordent­lich zur Sache geht.

    Sti­li­stisch bewe­gen sich Arbor Labor Uni­on im dreckig­sten der Gara­gen­rocks (mein­ten Sie: Röcke?), irgend­wo zwi­schen Pearl Jam und den Dan­dy War­hols bis hin zu einer erstaun­li­chen Ähn­lich­keit zu den ersten zwei mono­ton-hyp­no­ti­schen Plat­ten von The Vel­vet Under­ground („I Am You“), wenn nicht gera­de der hier eben­falls voll­kom­men über­dreh­te – also fast wie frü­her – Post­punk („Radi­ant Moun­tain Road“) die Füh­rung über­nimmt, der gleich­falls das Mono­ton-Hyp­no­ti­sche gar nicht erst zu ver­ber­gen ver­sucht. Macht euch auf trei­ben­de Gedan­ken gefasst. Der hek­tisch-ver­wirr­te Gesangs­stil des Front­manns Here Orr (ich wür­de anneh­men wol­len, hier han­delt es sich um einen Künst­ler­na­men) passt groß­ar­tig zu der pul­sie­ren­den Instru­men­tal­ar­beit. Ver­glei­che, wenn’s denn nötig scheint: Mark E. Smith, Juli­an Casa­blan­cas, Doug Yule (und das ist posi­tiv gemeint). Bingo.

    Die Plat­ten­fir­ma der Arbor Labor Uni­on heißt „Sub Pop“ und ich habe wirk­lich schon mal weni­ger pas­sen­de Namen von Plat­ten­fir­men gese­hen. Arbor Labor Uni­on, ich höre euch. Und das wirk­lich gern.

    Rein­hö­ren: Auf Bandcamp.com gibt es „I Hear You“ nicht nur als schickes rosa Vinyl („Loser Edi­ti­on“, ohne Pun­kat­ti­tü­de geht es nicht), CD und blaue Kas­set­te zu kau­fen, son­dern auch als kosten­lo­sen Kom­plett­stream. Ich kann dazu durch­aus raten.

  2. Zigu­ri – onetwothreefour
    „Die Explo­si­on in dei­nem Kopf lässt Para­dies und Höl­le ber­sten.“ (Apri­cot Bran­dy III)

    Gün­ter Schickert ist wohl ein Ver­tre­ter des­sen, was gemein­hin ein Urge­stein genannt wird: Seit der ersten Hälf­te der 1970er Jah­re spiel­te und spielt er mal zusam­men mit Klaus Schul­ze, mal solo (zuerst 1974 mit „Samt­vo­gel“), mal mit eige­nen Grup­pen weit­ge­hend instru­men­ta­len Kraut­rock im Stil der Ber­li­ner Schu­le. Als „hand­ge­mach­ten Dance­f­lo­or“ bezeich­net den Stil zumin­dest die Plat­ten­fir­ma Siree­na Records, was irgend­wie auch stim­mi­ger scheint.

    Zigu­ri, laut Inter­net­in­for­ma­tio­nen (sagt man das noch so?) in der Spra­che der Tara­hu­ma­ra der Name des hal­lu­zi­no­ge­nen Peyo­te-Kak­tus­ses, ist eine die­ser eige­nen Grup­pen, deren Geschich­te bis in die aus­lau­fen­den 1980-er Jah­re zurück­reicht. Das Trio aus Gün­ter Schickert (Gitar­re, Blas­in­stru­men­te, Gesang), Udo Erden­reich (Bass, Gesang) und Die­ter Kölsch (Schlag­zeug, Gesang) spielt bis heu­te anschei­nend in der Ursprungs­be­set­zung mit­ein­an­der, was zumin­dest eine frucht­ba­re krea­ti­ve Zusam­men­ar­beit suggeriert.

    Wobei der Krautrock ja schon immer unter sei­nem Eti­kett zu lei­den hat­te; Kraut ist oft im Wort­sin­ne drin, Rock hin­ge­gen bleibt aus. So natür­lich auch hier: Das Gesche­hen wird bestimmt von tran­ci­ger Instru­men­tal­mu­sik im besten Sin­ne, mal dem Post­rock nahe („Radio Bils­ga“), mal eher dem, was die Welt der Psy­che­de­lia so her­gibt („Sky­kiss“). Dass die drei Her­ren sich selbst nicht furcht­bar ernst neh­men, schlägt min­de­stens ein auf You­Tube zu fin­den­des Video zum Stück „Sun­Sons­Sans“ (manch­mal auch mit Leer­zei­chen geschrie­ben) vor, und das merkt man über die gesam­te Län­ge des Albums hinweg.

    Wobei das Album ja eigent­lich wie­der­um zwei Alben in einem ist bzw. sind: Die drei Bonus­stücke „Hotel Babel“, „Dia­LekT“ und „Apri­cot Bran­dy III“ sind Reste von alten Auf­nah­men von 1993 und 1996, wobei das glei­che Stück unter dem Namen „Apri­cot Bran­dy“ bereits auf dem Debüt­al­bum zu hören war und offen­sicht­lich eine Über­ar­bei­tung von „Apri­cot Bran­dy“ von „Samt­vo­gel“ ist; „Apri­cot Bran­dy III“ ist auch das ein­zi­ge der drei Stücke, an denen Gün­ter Schickert wie­der betei­ligt ist, die ande­ren bei­den sind statt­des­sen in völ­lig ande­rer Beset­zung und mit Sän­ge­rin­nen auf­ge­nom­men wor­den. Nichts­de­sto­trotz sind sie als musi­ka­li­sche Zusam­men­fas­sung von „onet­wo­th­ree­four“ nicht völ­lig deplat­ziert, bil­den sie doch des­sen sti­li­sti­sche Band­brei­te ganz gut ab. „Hotel Babel“ ist eine Ver­to­nung eines Gedichts des mir bis­lang unbe­kann­ten Dich­ters Guil­laume Apol­lin­aire als groo­ven­der Jazz­rock mit reich­lich Trom­pe­te, „Dia­LekT“ mag man mit sei­nem afri­ka­ar­ti­gen Trom­mel­rhyth­mus und dem selt­sa­men Hin­ter­grund­ge­sang wohl eher unter Welt­mu­sik ein­sor­tie­ren, wenn auch als sol­che, deren Erschaf­fer vom Spa­ce­rock zumin­dest schon mal was gehört haben. „Apri­cot Can­dy III“ schließ­lich könn­te mit sei­nem büh­nen­sket­ch­ar­ti­gen Auf­bau einer­seits und der Elek­tro­nik­ver­liebt­heit ande­rer­seits – über­all flirrt, klirrt und zwit­schert es – auch von Grob­schnitt oder Can stam­men, mit deren Inte­rims­sän­ger Damo Suzu­ki die drei Musi­ker bereits eine Büh­ne teilten.

    Die dro­gen­schwan­ge­ren 1970er den­ken gar nicht dar­an, auf­zu­hö­ren. Das ist ein gutes Zeichen.

    Rein­hö­ren: Neben besag­tem Video gibt es auf Die­ter Kölschs You­Tube-Kanal noch manch wei­te­ren Aus­schnitt aus „onet­wo­th­ree­four“, auf Amazon.de kann man eben­falls über­all mal rein­hö­ren. Viel Vergnügen.

  3. Ahk­med – The Inland Sea

    Kom­men wir von ein biss­chen Post­rock zu rich­ti­gem Post­rock, näm­lich zu „The Inland Sea“ von Ahk­med, die trotz des Namens ein austra­li­sches Trio sind und deren Debüt „Distance“ Anlass zur Freu­de gab. Dass die Plat­ten­fir­ma Elek­tro­hasch (Colour Haze u.a.) durch­aus nicht für beson­ders schlech­te Musik bekannt ist, soll­te sich bereits her­um­ge­spro­chen haben, anson­sten hilft „The Inland Sea“ bei der Ruf­fe­sti­gung sicher­lich erneut.

    Mit fünf Stücken von zwi­schen zehn und zwan­zig vol­len Minu­ten Län­ge gefällt „The Inland Sea“ schon ober­fläch­lich, und der Schein trügt dies­mal nicht: Ich höre Stoner Rock, auf­ge­lockert durch Dro­nes und das Gan­ze in einen bro­deln­den Postrock­kes­sel gekippt. Weit­ge­hend instru­men­tal fin­det „The Inland Sea“ statt; ein Teil der Plat­te hat durch­aus Gesang, aber der geht nicht nur unter, weil’s erstens mit ordent­lich Hall ver­se­hen ist und zwei­tens der Rest den Geist ent­führt, son­dern dabei auch noch ziem­lich gut ab, und das schon ab dem ersten Takt: „Kalei­do­scope“ beginnt mit reich­lich fuzz vom Gitar­ri­sten Car­lo Iaco­vi­no, der schon bald von einem sehr eigen­ar­ti­gen Per­kus­si­ons­rhyth­mus und einem kaum hör­ba­ren, wohl aber spür­ba­ren Bass­fun­da­ment unter­stützt wird, des­sen Erzeu­ger, der neue Band­bas­sist Finn Rock­well, nach etwa der Hälf­te der Zeit einen getra­ge­ne­ren Zwi­schen­teil soli­stisch ein­lei­ten darf, bevor sei­ne bei­den Mit­mu­si­ker erneut ein­stei­gen, dem Bass jedoch eini­gen Frei­raum las­sen, um sich zu ent­fal­ten, was hier kei­nes­wegs irgend­wel­che wil­den Eska­pa­den bedeu­ten soll. Die Band lässt sich nicht beir­ren, hier wer­den Melo­dien eben auch mal zehn (oder mehr) Minu­ten lang wie­der­holt. Lang­wei­lig? Nein, nein, „Kalei­do­scope“ ist schon ein tref­fen­der Name. „Dream­land“ hät­te es aber auch getroffen.

    Das fol­gen­de Titel­stück mag sich zum Rei­sen wohl eig­nen: Die plötz­lich schnei­den­de Gitar­re und der trei­ben­de beat lei­ten all­mäh­lich über in eine neue Traum­se­quenz, bevor das Stück erneut anschwillt. Ein­zel­ne Wort­bei­trä­ge von Schlag­zeu­ger John-Paul Cali­gi­uri schal­len unwirk­lich aus der Far­ben­welt. Auch in „Last Hour of Light“ sind vier Minu­ten dem Spa­ce­rock mit Gesang (Pink Floyd gehö­ren über­haupt viel häu­fi­ger mal der­art unauf­dring­lich gewür­digt) gewid­met, bevor ein unge­wöhn­lich clea­nes (also erfri­schend unver­zerr­tes) Gitar­ren­riff, das mit sei­ner Ein­gän­gig­keit die­sen elen­den Sucht­fak­tor noch­mals poten­ziert, sich unbe­irrt in den Ver­stand des unbe­waff­ne­ten Hörers ergießt, wäh­rend es mal im Vor­der­grund, mal im Hin­ter­grund trom­melt, blub­bert und vor allem fließt. Nach wie­der­um etwa der Hälf­te des Stücks soliert erneut der Bass; Zeit zum Aus­ru­hen? Die näch­sten Minu­ten ver­bringt man jeden­falls im Schwe­be­zu­stand, bevor die Geräusch­ku­lis­se quiet­schend eine Not­brem­sung ein­legt. Kei­ne Angst, es geht gleich wei­ter: „Pat­tern of Atolls“ spen­diert der Gitar­re, die den Hörer mit einer ande­ren, aber wie­der gran­dio­sen Melo­die auf eine wei­te­re Rei­se zu schicken beab­sich­tigt, eine Extra­por­ti­on Effek­te. John-Paul Cali­gi­uri trägt erneut für weni­ge Augen­blicke unwirk­lich schei­nen­den Gesang bei, ach was: Sprech­ge­sang, bevor es erneut in höhe­re Sphä­ren geht. Moment, war da was? Die kur­ze Ablen­kung durch’s Drü­ber­nach­den­ken wird bestraft: Das Stück reißt plötz­lich ab und macht einem wütend klin­gen­den Inter­mez­zo Platz, in dem Schlag­zeug und Bass gera­de­zu Kriegs­lärm zu simu­lie­ren schei­nen, wäh­rend John-Paul Cali­gi­uri Ver­se dekla­miert. Müss­te ich unbe­dingt etwas an „The Inland Sea“ aus­zu­set­zen haben, ich wähl­te die unver­ständ­li­chen Tex­te und wür­de das sofort wie­der zurück­neh­men wol­len, denn wenn man auf eines hier auf kei­nen Fall ach­ten soll­te, dann sind es die Tex­te. Mit „The Emp­ty Quar­ter“ schließ­lich been­den Ahk­med „The Inland Sea“ stil­voll, mit einer Vier­tel­stun­de fein­sten Post­rocks ohne beson­de­re Vor­komm­nis­se, mit einem sehr ange­neh­men letz­ten trip also.

    „The Inland Sea“ ist unbe­greif­lich inten­siv. Gei­le Scheibe.

    Rein­hö­ren: Auf Bandcamp.com gibt es Stream und Kauf.

  4. T E Mor­ris – New­found­land (And Of That Second King­dom Will I Sing)
    „Do you feel like you’­re at home?“ (A Year In The Wilderness)

    Her name is Cal­la sind hier längst Stamm­gä­ste, erst Ende 2015 fan­den sie an die­ser Stel­le loben­de Erwäh­nung und auch ihr aktu­el­les Album „New­found­land (And Of That Second King­dom Will I Sing)“ – die­ser Name! – ist erneut eines, das in gewohn­ter Qua­li­tät Gewohn­tes, bezau­bernd und zer­brech­lich wie es eben nur die sechs Musi­ker aus Leeds hin­be­kom­men, bietet.

    Moment – steht da nicht ein ande­rer Name auf dem Titel­bild? Doch: Ver­öf­fent­licht wur­de „New­found­land“ zwar über die gewohn­ten Ver­triebs­ka­nä­le von Her name is Cal­la, sei­nen Namen auf’s Album ließ jedoch Tom Elli­ot „T E“ Mor­ris, Sän­ger und Gitar­rist und Pia­nist und Syn­the­si­zer- und Ban­jo­spie­ler von Her name is Cal­la, schrei­ben. Dass trotz­dem die glei­che Beset­zung zu hören ist und augen­schein­lich T E Mor­ris nur inner­halb des Band­kon­tex­tes Musik ver­öf­fent­licht, lässt den Rezen­sen­ten zwar eini­ger­ma­ßen ver­wun­dert zurück, schmä­lert aber die wei­te­re Bewer­tung der zu hören­den Musik kei­nes­falls. Gehen wir also davon aus, dass da, wo T E Mor­ris drauf­steht, grund­sätz­lich Her name is Cal­la drin ist, so gibt es aller­dings einen bit­te­ren Bei­geschmack: Wäh­rend die Band selbst laut sozia­len Medi­en flei­ßig an neu­em Mate­ri­al (also: Musik) arbei­tet, wird „New­found­land“ zumin­dest das letz­te, wie auch immer man das defi­nie­ren möch­te, Solo­al­bum von T E Mor­ris sein, der im Novem­ber das Ende sei­ner Solo­kar­rie­re bekannt­gab. Möge es ihm wohl ergehen.

    Die Annah­me, dass trau­ri­ge Men­schen bes­se­re Musik machen, fin­det auf die­se Wei­se aller­dings zumin­dest eine bedrücken­de Bestä­ti­gung. Zu einem Jahr wie 2016 passt die­ses Album wie kaum ein zwei­tes; über­haupt:

    It’s a sad and beau­tiful world.

    Dies, was sonst?, ist die Begleit­mu­sik dazu.

    Rein­hö­ren: Wie bis­lang ist auch dies­mal Bandcamp.com eine exzel­len­te Anlauf­stel­le für’s Strea­men und Kaufen.

  5. Autum­nal Blossom – Spellbound

    Blei­ben wir im Gen­re, blei­ben wir beim Wunderschönen.

    Autum­nal Blossom kom­men aus Rhein­land-Pfalz und bestehen im Wesent­li­chen aus Pia Darm­städ­ter (Flö­te, Gesang, Tasten­in­stru­men­te), die mit Poor Gene­tic Mate­ri­al auch ganz anders kann, nebst fünf­köp­fi­ger Her­ren­band. Das Inter­net ver­gleicht die auf „Spell­bound“ zu hören­de Musik mit der gran­dio­sen rus­si­schen Musik­grup­pe iamt­he­mor­ning. Das ist nicht die schlech­te­ste Referenz.

    Von Anfang an wird eine inti­me Stim­mung auf­ge­baut: „Becau­se I Could Not Stop For Death“ ist Pia Darm­städ­ters Stim­me über sanft wol­ki­gen Klän­gen, was sich unge­fähr anhört, als hät­te Nico zur Abwechs­lung mal kei­ne Dro­gen vor­’m Musi­zie­ren genom­men oder als hät­ten die Raveo­net­tes ver­se­hent­lich den Ver­zer­rer zu Hau­se gelas­sen. „Memo­ries Of A Child“ lei­tet anschlie­ßend den zwei­ten und läng­sten von ins­ge­samt drei Tei­len – hier: „Dia­ries Of An Estran­ged Voya­ger“ – ein. „Spell­bound“ ist immer­hin auch ein Kon­zept­al­bum. Pas­send zum Titel hört man hier eine Spiel­uhr, außer­dem Flö­te, Gesang und Kla­vier. Ich bin ver­sucht, den Gen­re­auf­kle­ber „Folk“ aus der Schub­la­de zu holen.

    Über­haupt wür­de sich der Folk auf „Spell­bound“ wie zu Hau­se füh­len, und er könn­te den Folk­rock gleich mit­brin­gen, wenn es etwa gegen Ende von „Memo­ries Of A Child“ kaum über­ra­schen wür­de, sprän­ge gleich Ian Ander­son wie ein Der­wisch vor das Mikro­fon und sän­ge den glei­chen Text; es fie­le nicht ein­mal auf. „One day see­med as long as a life­time / in this never-ending dream“, jawohl.

    „Para­di­se“, der letz­te Teil (und auch das letz­te Stück) von „Spell­bound“, setzt aber­mals einen Kon­trast: Im Gegen­satz zum Lied­ti­tel wirkt die Musik hier eher bedroh­lich, gar post­apo­ka­lyp­tisch. Dröh­nen, Brum­men, kal­te Mecha­nik domi­niert das Gesche­hen (habe ich schon Nico erwähnt?). Allein: Es gibt Hoff­nung. „Para­di­se is not so far away / para­di­se is here every day“, trotz­dem und vor allem. Die weni­gen Pop­mo­men­te auf „Spell­bound“ (vgl. „My Blood“) gera­ten immer noch über­durch­schnitt­lich gut, auch, wenn der schwe­ben­de Gesang hier oft ein wenig deplat­ziert wirkt – und gera­de das macht sei­nen Reiz aus. Zusam­men­ge­fasst mag die Eigen­be­schrei­bung von der Web­site zum Album aber auch genügen:

    „Spell­bound“ ist eine Mischung aus Geschich­te, Fik­ti­on und Rea­li­tät – nie ver­ges­se­ne Epi­so­den eines Lebens – durch Erin­ne­rung unsterb­lich – ein Tage­buch, in dem sich der Zuhö­rer wie­der­fin­den kann – ein Buch der Hoff­nung – ein Ja zum Leben.

    Kann man so ste­hen lassen.

    Rein­hö­ren: Es kann neben Amazon.de auch, unter ande­rem, TIDAL als Hör­pro­ben­ur­sprung genutzt werden.

  6. King Giz­zard & The Lizard Wizard – Nona­gon Infinity
    „Loo­sen up, tigh­ten up, fuck shit up, don’t for­get about it“ (Robot Stop)

    Genug des Schwel­gens, es darf wie­der gepfef­fert wer­den. King Giz­zard & the Lizard Wizard stam­men aus Austra­li­en und erlau­ben sich mit „Nona­gon Infi­ni­ty“, ihrem ach­ten Stu­dio­al­bum und dem ein­zi­gen aus dem Jahr 2016, eine kur­ze Pau­se, bevor sie sich dar­an machen, ihre Ankün­di­gung, 2017 gan­ze fünf Alben zu ver­öf­fent­li­chen, in die Tat umzu­set­zen. Eilig gilt es also die­ses Album zu bespre­chen, bevor es zu spät ist.

    Dabei gibt es aller­dings ordent­lich zu tun, denn King Giz­zard & the Lizard Wizard geben sich mit Schub­la­den lie­ber nicht ab. Mr. Bungle, die Mel­vins, Pri­mus, Indie­rock, Punk­rock und sogar Zeuhl („Invi­si­ble Face“) drän­gen sich hier so dicht anein­an­der, dass man sich bei­na­he bemü­ßigt sieht, ein wenig mit den ein­schlä­gi­gen Glied­ma­ßen zu wackeln, wäh­rend man immer noch nicht ganz ver­steht, was da eigent­lich gera­de auf einen niederprasselt.

    Dies im Übri­gen schon ab dem ersten Moment: „Robot Stop“ prescht vor­an, als wür­den sich Hawk­wind am Punk­rock ver­su­chen. Ein kur­zer ori­en­ta­lisch klin­gen­der Ein­schub setzt schon hier einen Kon­tra­punkt. „Robot Stop“ geht direkt über in „Big Fig Wasp“, das ein wenig das Tem­po dros­selt, bevor mit „Gam­ma Kni­fe“ aber­mals das The­ma von „Robot Stop“ auf­ge­grif­fen wird. Wer jetzt annimmt, dass „Nona­gon Infi­ni­ty“ sei­nen Namen dop­pel­bö­dig trägt, der hat voll­kom­men Recht: Die neun Lie­der bil­den nicht nur ein ein­zi­ges zusam­men­hän­gen­des, son­dern der Schluss des letz­ten Lie­des „Road Train“ passt auch noch ganz gut zum Beginn von „Robot Stop“, man könn­te „Nona­gon Infi­ni­ty“ also durch­aus ohne merk­li­che Unter­bre­chung in Wie­der­ho­lung hören.

    Die Gefahr, dass man es irgend­wann nicht mehr hören kann, ist dabei zwar mög­lich, aber King Giz­zard & the Lizard Wizard ver­su­chen Lan­ge­wei­le durch immer neue Ideen zu ver­mei­den: Das vier­te Stück „Peo­p­le-Vul­tures“ vari­iert das Ursprungs­the­ma bereits aus­rei­chend ins Spa­ci­ge, um den Über­gang in das völ­lig ande­re „Mr. Beat“, das sozu­sa­gen den Geist des psy­che­de­li­schen Hard­rocks der 1970er Jah­re atmet, Kli­schee-Syn­thie­or­gel selbst­ver­ständ­lich ein­ge­schlos­sen. Stu Macken­zi­es Gesang fügt sich hier natür­lich nahe den Beat­les ein, ein­zig der hek­ti­sche Refrain setzt einen Kon­trast. Mit „Evil Death Roll“, das wie­der­um das The­ma aus „Robot Stop“ vari­iert, wird die­ser Aus­flug aber auch schon wie­der been­det, erst­mals gesellt sich hier zum Ende hin Jazz­rock zur Gen­re­mi­schung hin­zu, auf die Spit­ze getrie­ben im fol­gen­den Lied­duo aus „Invi­si­ble Face“ und „Wah Wah“, das hüp­fen­den Fusi­on naht­los inte­griert. „Wah Wah“ zitiert melo­disch aus KISS‘ „I Was Made For Loving You“, eine Absicht mag Ver­se­hen sein, und tat­säch­lich zieht das Tem­po hier wie­der merk­lich an, bevor das Album mit „Road Train“ zu „Ende“ geht und mich eini­ger­ma­ßen rat­los zurücklässt.

    Zum Glück muss ich hier kei­ne Punk­te ver­ge­ben. Fest steht: „Nona­gon Infi­ni­ty“ ist wirk­lich beein­druckend. Wie beein­druckend? Nun, das bleibt dem geneig­ten Leser überlassen.

    Rein­hö­ren: Stream und Kauf gibt es mal wie­der auf Bandcamp.com – immer wieder.

  7. Cro­bot – Wel­co­me To Fat City
    „Who paid your debt to be here?“ (Not For Sale)

    Cro­bot, ihrem Namen zum Trotz, haben zu mei­ner gro­ßen Freu­de mit dem Pan­dar­ap­per Cro nichts Wei­te­res gemein. Ihre Hin­ter­grün­de lie­gen ein wenig im Dunk­len, die Legen­de will es, dass ihre Grün­der einst in einer ande­ren Musik­grup­pe zusam­men spiel­ten, sich aber vor weni­gen Jah­ren ent­schlos­sen, als Cro­bot zusam­men zu spie­len. Inspi­ra­ti­on für das neue Album „Wel­co­me To Fat City“, so behaup­ten die der­zeit vier Her­ren, sei Hun­ter S. Thomp­son gewe­sen, was mal eine ange­neh­me Abwechs­lung zu dem übli­chen name­drop­ping mit irgend­wel­chen Aller­welts­bands ist.

    Musi­ka­lisch ist „Wel­co­me To Fat City“ eigent­lich ein pri­ma Som­mer­al­bum. Mein timing war auch schon mal bes­ser. Desert Rock in der dreckig-bluesi­gen Vari­an­te wird gespielt, Mund­har­mo­ni­ka („Easy Money“) ein­ge­schlos­sen. Wolf­mo­ther und Led Zep­pe­lin sind will­kom­me­ne Ver­glei­che für Leu­te wie mich, die auf so Musik immer nur eher zufäl­lig auf­merk­sam wer­den. Das ist dann oft ziem­lich erfreulich.

    „Wel­co­me To Fat City“ nimmt kei­ne Gefan­ge­nen. Chris Bishops Gitar­re geht auf Fron­tal­kurs, wäh­rend die Rhyth­mus­ab­tei­lung aus Paul und Jake Figue­roa alles nie­der­walzt, was sich ihr in den Weg stellt, um final Platz zu schaf­fen für Bran­don Yea­gleys extro­ver­tiert-auf­ge­putsch­tes Rock­or­gan. Springt, ihr Nar­ren, und wahr­lich, zum Still­sit­zen ani­miert „Wel­co­me To Fat City“ kei­nes­wegs, viel­mehr fin­det man sich schon nach weni­gen Minu­ten wild luft­gi­tar­rend unter dem Kopf­hö­rer wie­der, statt hier end­lich mal was zu schrei­ben. Ver­zei­hung, aber: Boah, geht das gut ab.

    Ich bin ver­sucht anzu­neh­men, „Cro­bot“ sei in irgend­ei­ner von mir nicht aktiv ver­stan­de­nen Spra­che ein Syn­onym für das, was in ande­ren Spra­chen schlicht cool­ness heißt. (Ohne zu unter­stel­len, dass das Refe­renz­stück für cool­ness, Lou Reeds unüber­trof­fe­nes „Kicks“ näm­lich, auch nur ansatz­wei­se so ähn­lich klingt, ver­steht sich.)

    Rein­hö­ren: War­um nicht mal auf Amazon.de oder TIDAL?

  8. Fri­ends of Gas – Fatal Schwach
    „Defi­niert / durch kei­nen Kern“ (Ein­knick)

    Irgend­wann im Lau­fe des noch jun­gen Jah­res 2017 bemüh­te sich ein unklar Bekann­ter um mei­ne Teil­nah­me an einem Kon­zert der grund­be­klopp­ten Dada­band HGich.T. Es war sehr, sehr furcht­bar, vor allem musi­ka­lisch. Mit furcht­ba­ren Tex­ten hin­ge­gen habe ich schon deut­lich weni­ger Pro­ble­me, ein mini­ma­li­stisch-elek­tro­ni­sches Klang­ge­wand ist auch nicht immer zu ver­ach­ten, wie jene Leser, die hier trotz­dem immer wie­der ein­mal rein­schau­en, sicher­lich bereits wissen.

    An unge­wohn­ter Stel­le, näm­lich bei NEØLYD, wur­den mir die Fri­ends of Gas, eine jun­ge fünf­köp­fi­ge Grup­pe aus Mün­chen, über deren Namen Nadi­ne Lan­ge vom elen­den „Tages­spie­gel“ sich im Okto­ber 2016 bereits ent­setzt aus­ließ (Gas gehe doch mal so über­haupt nicht!), ins Bewusst­sein kata­pul­tiert, die vie­les macht, was ich mag, näm­lich zum Bei­spiel Post­punk mit deut­schen Texten.

    Es sind die Fehl­far­ben eine sich auf­drän­gen­de Asso­zia­ti­on, weil auch Sän­ge­rin Nina Wal­ser mit einer ähn­li­chen Gesangs­tech­nik (näm­lich: kei­ner) auf­zu­war­ten weiß wie Peter Hein und statt­des­sen dem nicht abge­neig­ten Hörer mit ihrer mar­kan­ten hei­ser-rau­chi­gen Stim­me und mit­un­ter stei­gen­der Inten­si­tät („Tem­p­la­te“, „Ein­knick“) emo­ti­ons­ge­la­de­nen Nihi­lis­mus ent­ge­gen­schleu­dert, als müss­te sie ihr Leben mit ihm ver­tei­di­gen; kon­se­quent wird deren „Es geht vor­an“ in „Kol­lek­ti­ves Träu­men“ nicht nur zitiert, son­dern mit der har­ten Rea­li­tät kon­fron­tiert: „Es geht nach vor­ne, es geht vor­an; Geschich­te wird gemacht, doch nicht von mir und nicht von dir“, weil es ja immer auch so ein Pro­blem mit dop­pel­ten Text­bö­den gibt.

    Die Klang­ba­sis für die­se Vokal­ag­gres­si­on bil­det ein krautrocki­ges – möge die infla­tio­nä­re Gen­re­ver­wen­dung das Gen­re als Begriff bald erüb­ri­gen! -, har­tes Fun­da­ment aus pochen­dem Bass und schnei­den­der Gitar­re, so 80er zwar, aber doch ohne einen Anflug von Alte­rung, wor­um man es neben­bei ein wenig benei­det. Auf­ge­wühlt hin­ter­lässt „Fatal schwach“ den Füh­len­den bedin­gungs­los, ein Frust­ab­bau in sie­ben Lie­dern. Famos!

    Rein­hö­ren: Von offi­zi­el­ler Sei­te gibt es ein paar Vide­os, das gan­ze Album liegt auf Amazon.de sowie TIDAL herum.

  9. Cripp­led Black Phoe­nix – Bronze
    „Now we set fire to the sky, sick of war and sick of fight­ing“ (Cham­pi­ons of Disturbance)

    2012 mach­te ich den Feh­ler, ein Album von Cripp­led Black Phoe­nix schlicht ermü­dend zu nen­nen, denn das bleibt beim Publi­kum haf­ten. Ich weiß doch, dass sie es bes­ser kön­nen, ist „We For­got­ten Who We Are“ von, aller­dings, einem ande­ren ihrer Alben doch auch nach Jah­ren eines die­ser Stücke, an dem ich mich irgend­wie nicht satt­hö­ren kann.

    2016 erschien mit „Bron­ze“ nun­mehr ein neu­es Album der gewohnt refor­mier­ten haa­ri­gen Grup­pe um Justin Gre­a­ves, der außer­halb der Büh­ne, wie man so liest, den Groß­teil der Band­wer­ke qua­si allein ein­spielt; vom letz­ten Album „White Light Gene­ra­tor“ (2014) ist unge­wohn­ter­wei­se auch der Posten des Sän­gers mit Dani­el Äng­he­de besetzt geblie­ben, was in die­ser Com­bo durch­aus bemer­kens­wert ist. Auch sonst ist „Bron­ze“ ein eher unge­wöhn­li­ches Album, ein ziem­lich dunk­les, düste­res näm­lich, selbst im nicht gera­de von jauch­zen­dem Froh­sinn gepräg­ten Cripp­led-Black-Phoe­nix-Uni­ver­sum.

    Der gewohnt druck­vol­le Alter­na­ti­ve Rock der Band fin­det in „Bron­ze“ ein Post­me­tal­ge­gen­stück. Getra­ge­ne Melo­dien sind ihrer Sache dies­mal nicht, dies aller­dings sozu­sa­gen mit Ansa­ge: „In the begin­ning the­re was dark­ness“; wie ein Welt­raum­epos beginnt „Dead Impe­ri­al Bastard“ mit einer gespro­che­nen Ein­lei­tung, die Schlim­mes erah­nen lässt. Tat­säch­lich ent­wickelt sich über die näch­sten fünf Minu­ten ein Instru­men­tal­stück, das Pink Floyds – Ping! – „Echo­es“ nicht nur erah­nen lässt, wenn auch wie auf einem kar­gen, ver­las­se­nen Wüsten­pla­ne­ten auf­ge­nom­men. Das hyste­ri­sche Geläch­ter am Ende (auch dies wohl eine Anlei­he an deren „Meddle“-Album) lei­tet über in das erste rich­ti­ge Lied mit dem nicht min­der unfröh­li­chen Titel „Devi­ant Buri­als“, in dem alle acht gegen­wär­ti­gen Band­mit­glie­der mal so rich­tig los­rif­fen dür­fen, bevor bass­dröh­nen­de Psy­che­de­lic mit Coun­try­un­ter­ton die Wil­den vor­über­ge­hend zähmt. Dani­el Äng­he­de gibt hier­bei den etwas jam­me­ri­gen, nuscheln­den Indie-Rock-Front­mann, als hät­te Bri­an Mol­ko ver­se­hent­lich Sin­gen gelernt und/oder als sei’s Josh Hom­me, des­sen Bands mir ande­rer­seits auch recht egal sind. Nicht spa­ßig? „No fun“, das näch­ste Stück, beginnt aber­mals mit Sprach-samples, der anschlie­ßen­de Gesang ist hin­ge­gen recht ange­nehm in den Hin­ter­grund gemischt, so dass der Mark erschüt­tern­de Bass die Kon­trol­le behal­ten kann. Ist Pro­gres­si­ve Metal ohne Quietsch­key­boards noch Pro­gres­si­ve Metal? Ach, Gen­res, drauf geschis­sen, im näch­sten Lied „Rot­ten Memo­ries“ haben wir sowie­so schon wie­der was ande­res im Ohr (ich wür­de bei­na­he Metal­li­ca oder Kid Rock anfüh­ren wol­len, aber das wür­de Cripp­led Black Phoe­nix wie­der­um Unrecht tun).

    Klein­kram, Groß­kram. „Cham­pi­ons of Distur­ban­ce (pt. 1 & 2)“, neben­bei ein Mit­tel­fin­ger für Lied­län­gen­ana­ly­sten, ist mit 9:02 Minu­ten das zweit­läng­ste Stück auf „Bron­ze“ und hüllt den trotz allem erstaun­ten Hörer in eine per­len­de Syn­thie-Groo­ve-Decke mit wahn­wit­zi­ger Per­kus­si­on ein, bis es nach vier Minu­ten zur ersten Erup­ti­on kommt, nur um direkt über­zu­lei­ten in Teil 2, des­sen galop­pie­ren­der Rhyth­mus ihm der­ma­ßen das Hirn ver­kno­tet, dass er den längst ein­ge­präg­ten Gesang fast wie hin­ter Schlei­er wahr­nimmt. Gran­di­os und eigent­lich allein schon den Kauf so was von wert. – Aber es geht ja noch wei­ter, erst ein­mal etwas ruhi­ger („Good­bye then“), bevor es mal wie­der eine Über­ra­schung gibt: „Turn to Stone“ ist ein Joe-Walsh-Cover im zumin­dest ange­mes­se­nen Clas­sic-Rock-Gewand. Mit „Scared and alo­ne“ (gesun­gen, fast gesäu­selt, von Belin­da Kor­dic) fin­den Cripp­led Black Phoe­nix auf ihre Spur zurück, noch etwas zer­brech­lich, aber schnell wie­der Kraft tan­kend, um in „Win­ning a Losing Batt­le“ (9:14 Minu­ten) aber­mals dem dunk­len Indie-Rock zu hul­di­gen. Abschlie­ßend gibt es mit „We Are The Dar­ken­ers“ ein Lied auf bzw. in die Ohren, das sei­nen Namen zu Recht trägt, denn hel­ler wird es mit wei­nen­der Gitar­re und Post­pun­kat­ti­tü­de nicht mehr. Ein wei­te­res Sprach-sam­ple beschließt die musi­ka­li­sche Bron­ze­zeit. Was bleibt, sind Melan­cho­lie und Düsternis.

    Ist ja auch mal schön.

    Rein­hö­ren: Bandcamp.com stellt – mit Aus­nah­me zwei­er Bonus­lie­der – einen Kom­plett­stream zur Verfügung.

  10. Giraf­fe Ton­gue Orche­stra – Bro­ken Lines
    „Now you have a choice to suck up what they give you“ (Back to the Light)

    Alles furcht­bar trau­rig 2016? Nein, nicht alles, auch der Spaß­rock hat sich kei­ne Pau­se gegönnt; zum Bei­spiel erschien mit „Bro­ken Lines“ das Debüt­al­bum der Super­group Giraf­fe Ton­gue Orche­stra.

    Das Giraf­fe Ton­gue Orche­stra besteht zur­zeit aus der­zei­ti­gen und frü­he­ren Mit­glie­dern von Ali­ce In Chains (Wil­liam DuVall, Gesang), Mast­o­don (Brent Hinds, Gitar­re), Ben Wein­man (The Dil­lin­ger Escape Plan, eben­falls Gitar­re), Pete Grif­fin (Dethk­lok, Bass) und Tho­mas Prid­gen (The Mars Vol­ta, Schlag­zeug). Dar­aus soll­te kei­nes­falls gefol­gert wer­den, was da am Ende für Musik raus­kommt – mei­ne erste Asso­zia­ti­on beim Anspie­len von „Bro­ken Lines“ näm­lich hieß, Anglo­pho­nie zum Trotz, Die Ärz­te, die musi­ka­lisch jeden­falls auf ihren neue­ren Alben tat­säch­lich so Momen­te haben.

    Na, noch alle Leser da? Gut, denn mei­nen ersten Ein­druck revi­dier­te ich schon schnell, als aus dem Anspie­len ein Anhö­ren wur­de und sich das, was Giraf­fe Ton­gue Orche­stra dem Genie­ßer eigent­lich mit­tei­len wol­len, in einer fast ver­stö­rend sich ein­bren­nen­den Melan­ge aus Mr. Bungle, Faith No More, Bad Reli­gi­on sowie dann und wann etwas Mes­hug­gah und man­cher­lei Math­rock in den Kopf­hö­rer respek­ti­ve Laut­spre­cher ergoss. Bei qua­si mas­sen­taug­li­chen Lied­län­gen von stets unter sechs Minu­ten bleibt die Fra­ge, ob die Zeit zur Ent­fal­tung denn wohl reiche.

    Und das tut sie tat­säch­lich: Poly­rhyth­mi­sche Rock­kra­cher („Cru­ci­fi­xi­on“, „No One Is Inno­cent“ u.a.) beherr­schen „Bro­ken Lines“, gefüt­tert von weni­gen ruhi­gen Momen­ten („All We Have Is Now“), in denen Wil­liam DuVall mich vor­über­ge­hend fast ein biss­chen lang­weilt (ist eben ein­fach nicht mei­ne Musik), aber eben auch nur fast, denn nach wie vor über­wiegt das Rocki­ge. „Bro­ken Lines“ ist kein Album zum Nach­den­ken, kei­nes, das sich erst beim aber­dut­zend­sten Durch­lauf erschließt, wer Musik also unbe­dingt als Kopf­sa­che begrei­fen möch­te, der ist hier falsch. (Es ist ja nun nicht so, dass mir sol­ches nicht gele­gent­lich auch als Vor­wurf begeg­net.) Soli­de und aus­rei­chend span­nend für einen klei­nen Fin­ger­zeig ist „Bro­ken Lines“ aber alle­mal. Ich zei­ge dann mal drauf.

    Rein­hö­ren: Amazon.de. TIDAL. Wei­ter im Text.

  11. Axon-Neu­ron – Metamorphosis
    „The future is con­fu­sed through the frag­ments of the past“ (Shat­te­red)

    Was sind das eigent­lich für Lied­ti­tel? „Shat­te­red“, „Era­su­re“, „Silence“, immer­hin auch „Kaf­ka“; wol­len Axon-Neu­ron hier Übles her­auf­be­schwö­ren? Nein, im Gegenteil!

    „Meta­mor­pho­sis“ ist ein Pro­gres­si­ve-Rock-Album aus aus­ge­rech­net den USA, das trotz aller Ver­nei­gung vor den Klas­si­kern nie anbie­dernd oder gar ange­staubt klingt, obwohl es gleich­zei­tig die mei­sten Kli­schees schon vor dem ersten Hören erfüllt: „Meta­mor­pho­sis“ ist ein Dop­pel­al­bum aus zwei­mal acht Stücken, wobei jedes der bei­den Teil­al­ben, das zwei­te etwas aus­dau­ern­der als das erste, mit einem Prä­lu­di­um („Pre­lude“) beginnt und einem Post­lu­di­um („Post­lude“) endet. Das klingt nach Klas­sik? Oh, ja, und zwar in einem Aus­maß, das mir das „Death Defy­ing Uni­corn“, eines die­ser ande­ren klas­s­ik­ori­en­tier­ten Pro­gres­si­ve-Rock-Alben, fast kon­kur­renz­los zum Album des Jah­res 2012 mach­te, denn auch „Meta­mor­pho­sis“ erhält sei­ne Stär­ke durch etwas, was längst als abge­schrie­ben galt; durch den Jazz­rock nämlich.

    Wobei das erste „Pre­lude“ kom­po­si­to­risch zunächst ein­mal an das zu Unrecht fast ver­ges­se­ne Pen­gu­in Cafe Orche­stra erin­nert, bevor es sich im Sti­le alter Sin­fo­nie­wer­ke (als, Ver­zei­hung!, Klas­sik­ba­nau­se wür­de ich Sme­ta­na als unge­fäh­re erste Ver­bin­dungs­stel­le set­zen wol­len) aus­brei­tet. Es domi­nie­ren Sai­ten­in­stru­men­te. Dass das nur die Ein­lei­tung ist, wird in „Euclid“, in das das Prä­lu­di­um über­geht, deut­lich, in dem Band­grün­der und Mul­ti­in­stru­men­ta­list Jere­mey Pop­arad sei­ne Gitar­re Arpeg­gi­en über einem soli­den Band­fun­da­ment sin­gen lässt, bevor Sän­ge­rin Aman­da Ran­kin zu Schlagzeug‑, Bass- und Glocken­spiel­be­glei­tung irgend­was über par­al­le­le Lini­en singt, die nie­mals ein­an­der schnei­den, was lei­der schon vor mir jeman­den zu der Fest­stel­lung ver­lei­te­te, dass wir es hier wohl mit Math­rock zu tun haben. Ver­glei­che so weit: Sto­len Babies, Bent Knee (aller­dings weit weni­ger ver­rückt) und Thin­king Pla­gue. RIO/Avant ist bei Axon-Neu­ron jeden­falls offen­kun­dig will­kom­men. Im fol­gen­den Stück „Sus­pi­ci­ons“ wie­der­um haben wir es mit etwas Jazz zu tun, der sich mit ver­schlepp­tem Rhyth­mus lang­sam zu einem veri­ta­blen Pro­gres­si­ve-Metal-Stück ent­wickelt, das noch dazu immer schnei­den­der wird, nur um dann über­zu­ge­hen in die anfangs bal­la­des­ke Grund­stim­mung von „Shat­te­red“, das, wie soll­te es anders sein?, sich in einen ziem­lich ver­spiel­ten Pro­gres­si­ve Metal ergießt. „Koan“ ist ein lei­der recht kur­zes, um so über­zeu­gen­de­res Jazz­stück mit Can­ter­bu­ry-Anklän­gen; wie der Can­ter­bu­ry Sound auf „Meta­mor­pho­sis“ sowie­so immer mal wie­der unklar her­vor­blitzt, eben­so viel­leicht auch der Jazz­me­tal von Welt­pin­guin­tag oder Pan­zer­bal­lett („Eyes“, „Sum­mit“).

    Auch auf Teil­al­bum Num­mer zwei geht es viel­fäl­tig zu, ohne dabei bemüht zu klin­gen. Das Zusam­men­spiel zwi­schen Band und Orche­ster sorgt für fan­ta­sti­sche Augen­blicke und noch fan­ta­sti­sche­re Stim­mun­gen. Wo sonst fin­det man Klas­sik und Avant­rock so gekonnt ver­wo­ben wie in „Kro­nos“, das klingt, als wür­de man mit gebro­che­nem Her­zen aus­ge­las­sen tan­zen gehen? Wo sonst wird man so verz­wir­belt weg­ge­bla­sen wie in „Kaf­ka“?

    „Meta­mor­pho­sis“ ist zwei­fel­los groß­ar­tig. Ich bin sehr gespannt, was in den fol­gen­den Jah­ren noch von die­ser Band zu erwar­ten ist.

    Rein­hö­ren: Ach was, Kom­plett­stream, und zwar auf Bandcamp.com.

  12. Jam­bi­nai – A Hermitage

    Was wäre ein Jah­res­rück­blick ohne einen anstän­di­gen „WTF!“-Moment? Unvoll­stän­dig wäre er. Zum Glück kommt Abhil­fe aus Südkorea.

    Das asia­ti­sche Land war 2016 vor allem wegen explo­die­ren­der Taschen­te­le­fo­ne, nicht jedoch wegen sei­ner musi­ka­li­schen Export­pro­duk­te in den Nach­rich­ten zu sehen. Das ist zwar durch­aus ver­ständ­lich, denn der letz­te nam­haf­te süd­ko­rea­ni­sche Musi­ker, der reich­lich Beach­tung und Zuspruch bis in die hin­ter­sten Ecken des Inter­nets fand, war vor eini­gen Jah­ren Psy, des­sen ärger­li­ches „Gang­nam Style“ eigent­lich man­chen Anlass zur pau­scha­len Schlecht­fin­dung korea­ni­schen Pops gäbe. Nun ist Jam­bi­nai aller­dings erfreu­li­cher­wei­se auch kei­ne Popband.

    Im Kern han­delt es sich um ein Trio, das sich vage im musi­ka­li­schen Ter­rain von tesa einer- und Tool ande­rer­seits auf­hält, für „A Her­mi­ta­ge“ noch unter­stützt durch Hye­seok Oh (Schlag­zeug) und Igni­to (Rap; dazu gleich noch etwas mehr). Die drei wesent­li­chen Band­mit­glie­der spie­len nicht etwa nur Gitar­re und Bass, son­dern außer­dem Hae­ge­um, Piri und Geo­mungo, das eine Art tief­tö­nen­de Zither und eines der Lead­in­stru­men­te in den mei­sten Stücken ist. Wir ler­nen beim Hören von „A Her­mi­ta­ge“ also qua­si neben­bei ein wenig über korea­ni­sche Musik­kul­tur statt der immer­glei­chen Neu­in­ter­pre­ta­ti­on west­eu­ro­päi­scher Ein­fäl­le. Das ist ja auch schön, Musik soll­te ja immer mehr blei­ben als blo­ßes Geräusch.

    Dabei ist „A Her­mi­ta­ge“ selbst an Geräu­schen nicht arm. Schon das eröff­nen­de „Ward­ro­be“ ist ein Klang­spek­ta­kel mit stamp­fen­dem Rhyth­mus zu metal­li­schen Schrei­en (groß­ar­tig: Ilwoo Lee) und mit 3:07 Minu­ten eigent­lich viel zu kurz. Spä­te­stens im fol­gen­den „Echo of Crea­ti­on“ gibt es kein Hal­ten mehr: Das unge­wohn­te, aber über­ra­gend gute Zusam­men­spiel aus for­dern­der Zither und jau­len­der Gei­ge, hin­ter dem die dage­gen ankämp­fen­de Gitar­re völ­lig unter­geht, endet abrupt nach nur einer Minu­te, um ein wenig schö­ne, gar: psy­che­de­li­sche Atmo­sphä­re zum bedäch­ti­gen Mit­schwin­gen zu schaf­fen, bis die Lust am Krach in Gestalt von Hye­seok Oh wie­der alles in Scher­ben trom­melt. Die fünf Korea­ner haben, wenn ich’s mal so schrei­ben darf, Hum­meln im Hin­tern. Ich mag Hummeln.

    Es ist ja nicht so, dass sie nicht auch ganz anders könn­ten: Das sie­ben­mi­nü­ti­ge, instru­men­ta­le „For Ever­ything That You Lost“ könn­te, wäre da nicht der offen­kun­di­ge Ein­schlag von asia­ti­scher Folk­lo­re, auch von einem der zahl­rei­chen Neben­pro­jek­te der Mit­glie­der von God­speed You! Black Emper­or stam­men, Laut-Lei­se-Spiel inbe­grif­fen. Über­wie­gend ist ein­fa­cher Post­rock ihre Sache aber nicht, wie bereits das fol­gen­de „Abyss“, aber­mals getra­gen von der unver­wech­sel­ba­ren Geo­mungo, beweist, das die ziem­lich ein­ma­li­ge Musik von Jam­bi­nai mit dem Sprech­ge­sang des korea­ni­schen Rap­pers Igni­to, natür­lich in der Lan­des­spra­che, ver­bin­det – und das klingt sogar für den ver­wun­der­ten Rezen­sen­ten, der ande­rer­seits auch schon wirk­lich furcht­ba­ren Rap gehört hat, als wäre es die offen­sicht­lich­ste aller mög­li­chen Kombinationen.

    „Abyss“ bleibt aber eine Aus­nah­me auf „A Her­mi­ta­ge“, denn im Wei­te­ren sind den Korea­nern ihre Instru­men­te wie­der wich­ti­ger als ein gutes Gespräch. „Deus Bene­di­cat Tibi“ klingt ziem­lich unchrist­lich, es springt vom Duett aus Schlag­zeug und Hae­ge­um, das an sich schon klingt, als­wür­de gleich etwas explo­die­ren, ohne wei­te­re Vor­war­nung über in ein Free-Jazz-Durch­ein­an­der, dem nur die Rhyth­mus­ab­tei­lung eine lose Form zu geben ver­mag. So, jetzt dre­hen wir mal kurz durch. Danach darf sich auch kurz aus­ge­ruht wer­den: „The Moun­tain“ gönnt anfangs ein wenig Ent­span­nung, fin­det aber schon nach weni­gen Minu­ten den beat wie­der und schließt herr­lich noi­sig dröh­nend, was mich an man­che japa­ni­sche Postrock­band erin­nert. Asi­en, du bist wirk­lich selt­sam. – Die musi­ka­lisch beglei­te­te Geräusch­col­la­ge „Nabu­rak“ sticht selbst auf „A Her­mi­ta­ge“ noch als reich­lich selt­sam her­vor, das letz­te Wort auf „A Her­mi­ta­ge“ hat aber „They Keep Silence“, das ein­zi­ge Lied im Wort­sin­ne, in dem die Musi­ker den Unter­gang der Fäh­re Sewol im April 2014 ver­ar­bei­ten; nicht etwa kla­gend, son­dern aggres­siv, was dem Gefühl der mei­sten Süd­ko­rea­ner, geht es um das Unglück, zumin­dest deut­lich näher sein dürfte.

    „A Her­mi­ta­ge“ ist, Gesell­schafts­kri­tik ein­ge­schlos­sen, gro­ße Kunst im besten Sin­ne. Es lohnt sich, sich ihr mit Neu­gier zu nähern.

    Rein­hö­ren: Auf You­Tube gibt es ein Video zu „They Keep Silence“, auf Amazon.de sind die gewohnt zu kur­zen Ton­schnip­sel zu hören. Das gan­ze Album, wie gewohnt, mag man nach Belie­ben per TIDAL streamen.

Könnt ihr noch? Gut, ich beei­le mich:

1b. Kurz und knackig

  • Gong – Rejoice! I’m Dead!

    Eine im Durch­schnitt ver­jüng­te Com­bo tritt – wenn auch weni­ger durch­ge­knallt – auf des­sen Geheiß das Erbe Daevid Allens auf gewohnt hohem Niveau an und debü­tiert mit einem star­ken Album mit unge­wohnt deut­li­chem Can­ter­bu­ry- und Symphonic-Prog-Einschlag.

  • Neu­ro­sis – Fires Within Fires

    End­lich mal ein Album von einer Band, die spielt, wie sie heißt, das heißt, wie es klingt.

  • Gandalf’s Fist – The Clock­work Fable

    Eine bemer­kens­wer­te weit­ge­hend bri­ti­sche Musik­com­bo mit alber­nem Namen und Pro­gres­si­ve-Rock-Hin­ter­grund ver­tont gemein­sam mit Leu­ten, die das beruf­lich machen, eine fan­ta­sti­sche Retro-Prog-Dys­to­pie über eine post­apo­ka­lyp­ti­sche Welt als Hör­spiel in drei Akten ali­as CDs.

  • Orans­si Pazu­zu – Varahtelija

    Wenn die oben emp­foh­le­nen Neu­ro­sis euch noch zu wenig Druck auf­bau­en, könn­ten Orans­si Pazu­zu aus der Hei­mat des bösen Metals, Finn­land näm­lich, euren Ansprü­chen kraft­voll genügen.

  • Aste­ro­id – III

    In einem enorm viel­schich­ti­gen Stoner-Rock-Album machen Aste­ro­id aus Öre­b­ro vie­les rich­tig, was ande­re in die Belie­big­keit treibt, indem sie nicht bloß nach Sche­ma F den hea­vy psych abspu­len, son­dern dem Hörer mit dem Auf­tür­men immer neu­er Schich­ten eini­ge Auf­merk­sam­keit abver­lan­gen, für die er dann aller­dings auch reich belohnt wird.

  • pg.lost – Versus

    Die­ses Album besteht aus höchst ange­neh­mem instru­men­ta­lem und oben­drein schwe­di­schem Post­rock in der Breit­wand­ver­si­on, der sei­ne sozu­sa­gen gei­sti­ge Ver­wandt­schaft mit Art­rock („Along the Edges“) und Metal („Ver­sus“) nicht zu ver­ber­gen ver­sucht, son­dern stolz als Jagd­tro­phä­en über dem Kamin präsentiert.

So weit zu den guten Nach­rich­ten. Gibt es auch schlech­te? Natür­lich: Wir blie­ben auch 2016 nicht von scheuß­li­chem Schund ver­schont. Frü­her haben die Leu­te sich aus Selbst­hass irgend­was auf­ge­schnit­ten, heu­te rate ich ihnen statt­des­sen zu einem die­ser Produkte:

2. Würg!

  • The Clay­po­ol Len­non Deli­ri­um – Mono­lith of Phobos

    Clay­po­ol! Len­non! Lei­der aber auch nur: Delirium!

  • Fire! Orche­stra – Ritual

    Die­ses Ritu­al ist höch­stens ein müder Funke.

  • Hattler – War­hol Holidays
    War­hol wür­de vor Lan­ge­wei­le gleich ein zwei­tes Mal sterben.
  • Archi­ve – The Fal­se Foundation
    Als Samm­lung von Kin­der­lie­dern viel­leicht gera­de noch erträg­lich, lei­der mag ich kei­ne Kinderlieder.
  • Don­ny McCas­lin – Bey­ond Now
    David Bowies Zög­lin­ge füh­ren sei­ne Tra­di­ti­on der öden Pop­mu­sik gna­den­los fort.
  • Dun­gen – Häxan
    Bei allem geschicht­li­chen Fir­le­fanz, der hin­ter die­sem Album steht, haben sich Dun­gen den­noch wahr­lich kei­nen Gefal­len mit ihrem ersten Instru­men­tal­al­bum getan.

Wie immer been­den wir den Rück­blick des Jah­res mit ein wenig Geschichte:

3. Es war ja nicht alles schlecht.

  • Vor 40 Jahren:

    Im Jahr 1976 wur­de das erst seit fünf Jah­ren bestehen­de Maha­vish­nu Orche­stra für ein paar Jah­re auf Eis gelegt, Gitar­rist und Grün­der John McLaugh­lin wid­me­te sich in den kom­men­den Jah­ren ande­ren musi­ka­li­schen Pro­jek­ten. Als das Maha­vish­nu Orche­stra 1984 neu for­miert wur­de, gab es eine ande­re Band, die eben­falls 1976 gegrün­det wur­de, schon gar nicht mehr, näm­lich Joy Divi­si­on, deren Nach­fol­ger New Order völ­lig ande­re Musik her­vor­brin­gen. Bis heu­te die immer glei­che Musik kommt indes von BAP, gleich­falls seit 1976 im Geschäft; was nicht unbe­dingt sein müss­te. Viel­leicht war die Zeit für einen musi­ka­li­schen Umbruch aber auch ein­fach reif, denn sowohl die neu­en Alben von Bob Dylan (Desi­re) als auch Soft Machi­ne (Softs) blie­ben mau. Ein­zig das von John Cale pro­du­zier­te Debüt- und gleich­zei­tig letz­te Stu­dio­al­bum der jun­gen Art­rock­band The Modern Lovers, die zu die­sem Zeit­punkt schon gar nicht mehr exi­stier­te, das vier Jah­re nach sei­ner Ent­ste­hung end­lich eine Plat­ten­fir­ma fand, ließ auf­hor­chen, bot es doch eine erstaun­lich eigen­stän­di­ge Rock­mu­sik zwi­schen den Rol­ling Stones und natür­lich The Vel­vet Under­ground, wenig gefäl­li­gen Gesang ein­ge­schlos­sen. So was wird heu­te ja gar nicht mehr produziert.

  • Vor 30 Jahren:

    1986 waren The Vel­vet Under­ground aller­dings trotz­dem noch nicht ver­ges­sen; mit Ano­ther View ver­öf­fent­lich­te Ver­ve Records, deren Mut­ter­kon­zern MGM 1969 den Feh­ler mach­te, die wenig Umsatz erzeu­gen­de Band aus ihrem Ver­trag zu ent­las­sen, eine Samm­lung von übrig geblie­be­nen Lie­dern, die es zum Teil auf Loa­ded (1970), zum Teil in Lou Reeds Solo­werk schaff­ten. Sonic Youth hiel­ten die Fah­ne des dis­so­nan­ten Noi­se­r­ocks 1986 selbst noch hoch, das drit­te Album EVOL gehört nicht zu ihren schlech­te­sten. Die Luft für die Alten wur­de aller­dings zuse­hends dün­ner: Dem letz­ten Auf­tritt der Smit­hs und der Auf­lö­sung von Asia und Neu! stand die jewei­li­ge Grün­dung von Bands wie Roxet­te und No Doubt ent­ge­gen. Die gleich­falls 1986 gegrün­de­ten Pixies und Slint ver­steck­ten sich scheu hin­ter den neu­en Musikal­ben von Naza­reth, AC/DC, Judas Priest und Metal­li­ca. Es waren merk­wür­di­ge Zeiten.

  • Vor 20 Jahren:

    Zehn Jah­re spä­ter war die Situa­ti­on kei­nes­wegs über­sicht­li­cher gewor­den. Take That lösten sich auf, die kei­nes­wegs irgend­wie bes­se­ren Back­street Boys ver­öf­fent­lich­ten der­weil ihr Debüt­al­bum. Die Mäd­chen­schwarm­mu­sik war zeit­wei­se wie eine Hydra – und ihre Köp­fe wur­den immer grö­ßer. Klein fing 1996 Emi­nem an, des­sen Infi­ni­te den Grund­stein für eine damals noch kaum abzu­se­hen­de Kar­rie­re sein soll­te. In der Ver­gan­gen­heit wühl­ten Neu­tral Milk Hotel, deren Debüt­al­bum On Avery Island die Brücke vom Gara­gen­rock zum Indie-Rock nicht nur schlug, son­dern gleich noch ein­ze­men­tier­te. Noch offen­sicht­li­cher nah­men The Bri­an Jone­stown Mas­sacre die Sieb­zi­ger auf’s Korn; Their Sata­nic Maje­sties‘ Second Request war nicht nur nament­lich mehr als nur eine blo­ße Ver­nei­gung vor dem völ­lig unter­schätz­ten Rol­ling-Stones-Album ähn­li­chen Namens. Inzwi­schen hat­ten drei der Mit­glie­der der ange­nehm ver­rück­ten Alter­na­ti­ve-Metal-Band Mr. Bungle sich unter dem Namen Secret Chiefs 3 zusam­men­ge­tan und mit First Grand Con­sti­tu­ti­on and Bylaws wie­der­um ihr Weg wei­sen­des Debüt­al­bum ver­öf­fent­licht; auch 2017 kann von einer Auf­lö­sung noch immer nicht die Rede sein, min­de­stens ein neu­es Album ist für 2017 geplant. Das ist recht willkommen.

  • Vor 10 Jahren:

    2006 erleb­te der Post­rock eine neue Hoch­zeit: Long Distance Cal­ling wur­den gegrün­det und Mog­wai ver­öf­fent­lich­ten mit Mr. Beast einen Gen­re­klas­si­ker. Wer lie­ber lau­te und böse Musik hören woll­te, der muss­te auf das Debüt­al­bum von Nick Caves neu­er Band Grin­der­man noch bis 2007 war­ten, konn­te sich bis dahin aber immer­hin mit dem Thrash-Metal-Album Ever-Arch-I-Tech-Ture der bel­gi­schen Band Axamen­ta behel­fen, des­sen Schub­la­den­ein­sor­tie­rung emp­feh­lens­wer­ter­wei­se nie­man­den vor­ur­teils­be­dingt vom Rein­hö­ren abhal­ten soll­te. Wer kei­ne Über­ra­schun­gen mag, dem kre­denz­ten 2006 wenig­stens The Strokes mit First Impres­si­ons of Earth Bewähr­tes, näm­lich – guten Hit­pa­ra­den­plat­zie­run­gen zum Trotz – gewohnt Gutes, mit­hin erst­mals als „Paren­tal Advi­so­ry“ Gekenn­zeich­ne­tes, was in den prü­den, aber erschreckend schieß­wü­ti­gen USA sicher­lich irgend­was bedeu­tet, hier­zu­lan­de aber schon fast einer Aus­zeich­nung gleich­kommt. Wer hier ankommt, der hat es geschafft. The Strokes jeden­falls haben es.

Damit ist das musi­ka­li­sche Jahr 2016 – zumin­dest von mei­ner Sei­te aus – end­lich abge­schlos­sen. Ergän­zun­gen wer­den, wie gewohnt, gern gese­hen, anson­sten hof­fe ich, dass auch dies­mal etwas für euch dabei war. Die näch­ste Rück­schau kommt bestimmt, 2017 wirkt dies­be­züg­lich vielversprechend.

Freu­en wir uns darauf!


Nach­trag: Weni­ge Stun­den nach der Ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels wur­de bekannt, dass John Wet­ton ver­stor­ben ist. Ich möch­te mei­ne vor­he­ri­ge Ein­schät­zung dies­be­züg­lich korrigieren.

Seri­en­na­vi­ga­ti­on« Musik 06/2016 – Favo­ri­ten und Ana­ly­seMusik 06/2017 – Favo­ri­ten und Analyse »

Senfecke:

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