Im August 2018, Diaspora* (seinerzeit als „das neue Facebook“ durch die Presse getrieben, heute fast so tot wie Hannover) war mir mit seiner albernen Torwächterei bereits zu bescheuert geworden, verleitete mich irgendetwas, das ich mittlerweile vergessen habe, dazu, mich im „Fediversum“, zu dem Diaspora* ebenfalls gehört, weiter umzusehen. Schnell landete ich bei Mastodon, das ein bisschen aussah wie Twitter.
Es erfüllte allerdings ganz andere Zwecke auf ganz andere Weise: War Twitter ein Netz für Schreihälse, Politiker und kommerziell orientierte Selbstdarsteller, so war Mastodon stattdessen ein entspanntes Netz für Open-Source-Freunde und Nerds. Es gab kein Gebrüll, kaum Politik (und wer das trotzdem ohne Inhaltswarnung versuchte, der wurde zur Besonnenheit ermahnt); man hatte dort das, was Aktivisten bis zum Schluss aus Twitter machen wollten, nämlich einen safe space für Menschen, die gern auch mal unter ihresgleichen wären. Der kurze Benutzerzustrom, den die Presse Mastodon seit 2017 beschert hatte, war kaum der Rede wert und auch schnell wieder verebbt, wie das bei künstlich befeuerten Trends halt so ist. Noch im April 2022 schlug ich vor, Twitter seine Leichtigkeit zurückzugeben, statt Schwermut künftig woanders auszuleben.
Die Abschaltung von Drittanbieterclients, mithin die Reduktion auf die „offizielle“ Twitterapp, das ebenso scheußliche Twitter im Webbrowser und das zwar grundsätzlich gute, aber mobil kaum vernünftig benutzbare TweetDeck vor fast zwei Wochen ließ allerdings selbst mich alten Sturkopf umdenken – mein Twitterkonto, das zu löschen ich mich weigere, weil ich viele ziemlich gute Erinnerungen mit dieser Plattform verbinde (es sei eben „nicht nur Twitter“, ist dort zu Recht ein beliebter Hinweis), wird seitdem überwiegend automatisiert aus meinem Mastodonkonto befüllt, wenige Interaktionen ausgenommen. Vielen anderen geht es ebenso.
Wenn Twitter aber auf Mastodon kommt, dann wird Twitter nicht zu Mastodon – Mastodon wird zu Twitter. Alle Regeln der Gemeinschaft werden schlicht ignoriert, es geht um Krieg und Putin und die schreckliche SPD. Die dafür vorgesehenen „Inhaltswarnungen“, also quasi Überschriften, die dem Leser die Wahl lassen, ob er den Beitrag ausklappen will, werden ebenfalls ignoriert. Twitter hatte so was ja auch nicht.
Aber es ist doch zumindest noch eine freie Plattform, sagen jetzt meine Leser vielleicht. Ihnen sei etwas EDV-Geschichte kredenzt:
Eternal September (deutsch Ewiger September[…]) ist Usenet-Jargon für den Zeitraum ab September 1993. Hinter der Verwendung dieser Begriffe steht die Ansicht, dass das Niveau der Diskussionen und des allgemeinen Verhaltens in Usenet-Gruppen seit September 1993 wegen des stetigen Stroms neuer Usenet-Teilnehmer stark abgenommen habe.
Seit kurzem sind die Macher von Tweetbot, einer zuletzt abonnementpflichtigen, aber auch von mir geschätzten Twitterapp für iOS, mit Ivory stattdessen auf Mastodon zu finden. Den großen Fehler, dass Tweetbot „viel zu preiswert“ gewesen sei, wollten sie diesmal auf jeden Fall vermeiden. Die Verfügbarkeit von „Tweetbot für Mastodon“ war natürlich das, was Menschen mit beschränktem Wortschatz einen „no-brainer“, also hirnfrei, nennen: viele schlossen ohne großes Nachdenken und ohne Zurkenntnisnahme freier Alternativen wie Ice Cubes (das ich persönlich, abzüglich weniger Ärgernisse, deren Beseitigung bereits geplant ist, sehr mag) ein Abonnement ab, manche meldeten sich gar – rege den Hashtag #Ivory in die dortigen trends bringend – eigens auf Mastodon an, um die neue App nutzen zu können.
Dass ihr (noch?) wichtige Funktionen wie die Möglichkeit, die Sprache eines Beitrags anzugeben (Mastodon ermöglicht die Filterung der Zeitleiste per Sprache; ich bekomme etwa nur deutsch- und englischsprachige Beiträge angezeigt, aber dafür müssen die Nutzer sie auch auswählen können; die Weboberfläche von Mastodon kann das, ebenso Ice Cubes), schlicht fehlen, scheint keine Rolle zu spielen. Man kennt den Namen, also mag man das Produkt.
Ein weiteres Risiko lauert: Es ist sicherlich eine gute Idee, ein von Freiwilligen programmiertes und mit Servern ausgestattetes Netzwerk finanziell zu unterstützen, jedoch fehlt das Geld, das für irgendwelche Abonnements ausgegeben wird, letztendlich denen, die die Infrastruktur betreuen. Das „Fediversum“ ist auch auf die andere Art nicht Twitter: Die Serverbetreiber, sofern sie nicht gerade Unternehmens- oder Vereinsserver zur Verfügung stellen, machen das überwiegend auf eigene Kosten in ihrer Freizeit. Zwar kann man im „Fediversum“ jederzeit mit seinem Konto den Server wechseln, aber schöner wäre es schon, würde das niemals nötig. Es ist wie seinerzeit im Usenet: Bezahlt nicht die, die daran etwas verdienen möchten – bezahlt die, deretwegen ihr es überhaupt nutzen könnt. Ohne Server bringt der schönste Client nichts.
Soll heißen: Wenn ihr schon uneingeladen auf eine fremde Feier kommt, putzt euch wenigstens die Schuhe ab und bringt Bier mit. Dann werdet ihr nächstes Mal vielleicht auch eingeladen.
LOL! ROFL! Ich mag Wurst.
Full ACK! Jehova! Jehova! Arrrrr!