1918:
Das Braunschweiger Residenzschloss verliert mit der Abdankung des letzten Herzogs – wie einige seiner Vor- und Nachfahren Ernst August heißend, jedoch nicht vor allem für seine schwache Blase bekannt – seinen wesentlichen Zweck und steht fortan als Denkmal in der Gegend herum.
1945:
Der Zweite Weltkrieg endet. Das Schloss ist in keinem guten Zustand.
1955 bis 1960:
Nach langen Planungen hinsichtlich einer Weiternutzung des Schlosses, überwiegend einen Wiederaufbau in Erwägung ziehend, beschließt die aus unbekannten Gründen in Braunschweig mehrheitsregierende SPD den Abriss des Gebäudes, der bis Mitte August 1960 abgeschlossen wird. Der seit 1720 bestehende Schlosspark wird in den Folgejahren um den frei gewordenen Platz erweitert; es stehen anschließend über 250 Bäume dort.
2002:
Das für seine außerordentlich hässlichen Einkaufszentren (für die Jüngeren: das waren große Gebäude, in denen eure Großeltern im vergangenen Jahrtausend stundenlang das gesucht haben, was ihr heute in wenigen Minuten bei Amazon zusammenklicken könnt) in allem, was irgendwie nach Stadt aussieht, bekannte Unternehmen ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, heute Teil der ECE Group, sieht den Braunschweiger Schlosspark und weiß sofort, was ihm noch zur Perfektion fehlt: Anstelle der langweiligen Natur müsse da, so ECE, ein außerordentlich hässliches Einkaufszentrum hin; man bietet der Stadt an, die lästigen Bäume durch einen formschönen Glaskasten zu ersetzen, an den auf Wunsch der Stadt die Reste des alten Schlosses, sofern noch nutzbar, angebaut werden sollen.
2004 bis 2007:
Eine knappe Ratsmehrheit unter Führung des gescheiterten Nationaldemokraten und amtierenden Oberbürgermeisters Gert Hoffmann, zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren in die CDU abgestiegen, stimmt für dieses Ansinnen. Bis September 2006, überwiegend in der Brutzeit (aber Vögel zahlen nun mal schlechter als Fachkonzerne für außerordentlich hässliche Einkaufszentren), wird der Schlosspark entbaumt und ein außerordentlich hässliches Einkaufszentrum hingestellt, das 2007 schließlich als fertig bezeichnet wird. Nicht bebaute Flächen des ehemaligen Schlossparks werden sicherheitshalber asphaltiert und „Platz“ genannt. Nicht, dass da noch was wächst!
2007 bis 2019:
In den Folgejahren füllt sich dieses Gebäude mit Filialen der üblichen Handelsketten, die bis dahin von Braunschweigern und auch Besuchern aus den umliegenden Regionen gern genutzte Innenstadt „verödet“ aufgrund der vermeintlichen Attraktivität gegenüber sympathischen, aber eben auch nur kleinen Fachgeschäften zusehends.
2019:
Der Stadt Braunschweig fällt auf, dass auf Luftbildaufnahmen von 1925 der Schlosspark irgendwie grüner aussah als 2019. Man überlegt fieberhaft, woran das wohl liege; da gerade das Thema Umwelt im politischen Diskurs wieder an Bedeutung gewinnt, hätte man ja doch gern mal wieder etwas Grünfläche.
2021:
Die Stadt Braunschweig, mittlerweile wieder die SPD als stärkste Fraktion aufweisend, verkündet stolz auf Twitter, der Planungs- und Umweltausschuss habe ein Konzept zur Lösung des Problems beschlossen: Mit 11 (in Worten: elf) neuen Bäumen, die dort gepflanzt werden sollen, wo man nur wenige Jahre zuvor dafür gesorgt hat, dass sich Natur gar nicht erst entwickeln kann, möchte man offensichtlich den Charme des alten Schlossparks wiederbeleben.
Jetzt liegen mir kapitalismuskritische Pauschalaussagen wesensgemäß fern und ich bin (trotz meines Studiums) auch nicht besonders schnell oder auch nur gut in Flächenberechnung, aber wäre es nicht insgesamt nachhaltiger, ECE einen Besuch im natürlichen Habitat des Pfefferstrauchs zu empfehlen und Bäume anstelle des außerordentlich hässlichen Einkaufszentrums zu pflanzen? Für die Natur wird’s von Vorteil sein; und für den Ästhetikfreund erst recht.
pics or it didn’t happen!
Wikipedia!
Ein Baum kostet 24.545,45 €:
Pressemitteilung von Dienstag, 8. Juni 2021
Um die notwendigen Voraussetzungen für die Neupflanzungen zu schaffen, sind aufwändige Tiefbau– und Erdarbeiten auf einer Fläche von rund 625 Quadratmetern notwendig. Insgesamt würde die Maßnahme, die möglichst noch im Herbst/Winter 2021 durchgeführt werden soll, rund 270.000 Euro kosten. Dabei will die Stadtverwaltung parallel eine Förderung der Gesamtmaßnahme prüfen. Auch wenn keine Förderung gewährt werden sollte, schlägt die Stadtverwaltung das Projekt zur Umsetzung vor.