Dass das mediale Bild von Kritik an staatlicher Zensur digitaler Medien sich seit den noch einigermaßen wohlwollenden Berichten über die „Zensursula”-Demonstrationen verändert hat, bedarf vermutlich keiner weiteren Belege. Seit der Flüchtlingssache – ob nun damit begründet oder nicht – ist den Medien jeder Vorstoß der richtigen politischen Seite gegen das Böse ein guter, denn als weltoffenes Land sollte man es mit der Toleranz nicht zu weit treiben.
Leider gibt es hierfür ein aktuelles Beispiel.
Ein Blick zurück: Vor zehn Jahren wuchs mit „Stasi 2.0” ein einprägsamer Kampfbegriff netzpolitischer Initiativen heran, der die verschiedenen Bestrebungen, diesem verdammten Internet mit seiner, wie es hieß, ausufernden Kinderpornografie endlich Einhalt zu gebieten, in den folgenden Jahren zusammenfasste. Im Protest gegen die rechtspopulistische CDU/CSU und ihre netzfeindlichen Protagonisten waren liberale und irgendwie linke Gruppierungen vereint, auch die Sachsener SPD-„Jugend” (was ja immer so ein relativer Begriff ist) teilte mit: „Stasi 2.0 ist mit uns einfach nicht zu machen.” Die Gefahr vor einem Staat, der im Kampf für die gute Sache (also gegen Poposex mit Kindern nicht etwa in Kirchenchören, sondern im Internet) die Freiheit des Einzelnen einschränkt, war real und ihre Abwehr jedem, der sich nicht als regressiv-konservativ begriff, ein wichtiges Anliegen.
Nun aber ist das Jahr 2007 ebenso vorüber wie das Jahr 2010, als Medien wie „ZEIT ONLINE” die begründeten Sorgen bezüglich einer „Zensursula 2.0” (warum der inflationäre Gebrauch von sprachlichen Versionssprüngen für irgendeinen Kleinkram noch nicht unter schwerer körperlicher Strafe steht, entzieht sich meiner Kenntnis) sachlich und damit durchaus netzfreundlich dokumentierten. Im Jahr 2017 dominiert die politische Berichterstattung mit einem kurz „NetzDG” genannten neuen Gesetz abermals die Einschränkung digitaler Freiheiten, das entsprechend den Befürchtungen derer, deren Meinung zwar fundiert, aber kaum gefragt ist, dermaßen weite Kreise zieht, dass es vom Iwan stante pede raubkopiert wurde. Inhaltlich soll es unter anderem die Durchsetzung deutscher Gesetze auf ausländischen Websites den Aufsehern ebendieser Websites überlassen, was zwar die Wahrheit, dass die Freiheit des Individuums es bedingt, dass das Individuum sich eine eigene Website besorgt, weil es dort selbst der Hausherr sein kann, wieder einmal bekräftigt, übervorsichtigen Sperrungen und damit der Unterbindung allzu protestreicher politischer Diskussionen aber Vorschub leitet. Der maßgebliche Unterschied zu vorherigen Gesetzesvorstößen, die irgendwas mit Netzsperren zu tun hatten, besteht jedoch darin, dass diesmal die rechtspopulistische SPD, Bollwerk netzfeministischer Positionen und auch sonst mit einer durchaus anderen Klientel als der der CDU/CSU gestraft, die Feder führen darf.
Dieser feine Unterschied mag der Grund sein, wieso die anscheinend skrupellose freie Autorin Doreen Reinhard auf „ZEIT ONLINE” vorgestern etwas publizieren durfte, was mit liberalen Positionen höchstens noch ironisch etwas zu tun hat. Bebildert ist der Artikel mit einer Gruppe von Menschen, über deren Mund „STASI 2.0” steht, was eigentlich sympathisch wäre, stünde nicht unter dem Bild: „Protest von rechten Aktivisten während der Veranstaltung mit Maas”. Protest gegen Zensur ist ja nicht schlimm, aber diese Protestanten da, die sind rechts und deswegen kann es kein guter Protest sein und Zensur deswegen, relativ gesehen, viel weniger furchtbar.
Das steht da nicht? Nein, stattdessen steht da (nämlich in der Einleitung):
Heiko Maas kämpft gegen Hass im Internet. Als er sein neues Gesetz in Dresden erklärt, trifft er viele Menschen und Meinungen, wieder einmal auch pöbelnde Krawallmacher.
So sieht Journalismus aus: Hüben der edle Kämpfer gegen den dreckigen Hass, drüben die dreckigen Hasser ohne Argumente. Ich darf bereits jetzt vorwegnehmen, dass die „vielen Meinungen”, die hier angedeutet werden, allesamt darauf hinauslaufen, dass das Gesetz völlig banane ist; selbstverständlich aber steht das so nicht im Artikel.
Nicht, dass das, was tatsächlich im Artikel steht, weniger bescheuert wäre:
Das Pfeifen, Buhen und Schimpfen von schätzungsweise 600 Menschen ist an diesem Nachmittag zu hören. Klassisches Montagspublikum. Immer noch ist das in Dresden der wöchentliche Versammlungstermin des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses. Gewöhnlich trifft man sich erst am Abend, aber für Heiko Maas wurden schon ein paar Stunden früher sämtliche Kräfte vor der Sporthalle gebündelt.
Dazu gehören unter anderem sächsische AfD-Verbände und Mitglieder der Identitären Bewegung. Bei solchen Anlässen trifft (sic! A.d.V.) man längst ungeniert als Koalition auf und teilt sich das Publikum.
Der Kreis zur oben erwähnten Bildunterschrift bleibt geschlossen: Heiko Maas fährt irgendwohin, um sein von Experten, vernünftigen Medien und Russen als Zensurgesetz verstandenes Zensurgesetz zu erklären, und trifft vor allem auf gebündelte Kräfte („rechte Aktivisten”) aus dem Pegida-Umfeld, die dieses Zensurgesetz bedenklich finden. Das kann man jetzt wahlweise als objektive Berichterstattung werten oder als Suggestion, dass, was „rechte Aktivisten” kritisierten, gar nicht so schlecht sein könne, denn es treffe ja die Richtigen. Letztere Wertung liegt aufdringlich nahe, denn der Artikel geht so weiter:
Heiko Maas ist ein Feindbild der Protestler, mehr denn je, seit er gegen Hasskommentare im Netz vorgehen will. Nicht wenige in der Menge dürften damit gemeint sein, hier versammeln sich auch stadtbekannte Krawallmacher und Fremdenfeinde, für die der SPD-Politiker ein „Zensurminister” ist.
Die aufgestellte Gleichung: Wortwahl „Zensurminister” = stadtbekannter Fremdenfeind. Zwar geht diese Gleichung nicht auf, aber Doreen Reinhard ist ja auch Autorin und nicht Mathematikerin. Wenigstens die Gleichsetzung „Internetnutzer = Neonazis” bleibt dem Leser erspart:
Nicht alle Protestler sind tatsächlich auch im Internet unterwegs. Margitta, knapp 70, früher Ingenieurin, heute Rentnerin und Pegida-Anhängerin, schaltet eher selten den Computer an. Auf ihrem Plakat steht „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf”. (…) Auf vielen Plakaten ist „Stasi 2.0” zu lesen.
#NichtAlleProtestler! Was das Zitieren des Rentnerinnenplakats, dessen Beschriftung unbekannten Ursprungs nicht unbedingt für den Drang zu einem Vierten Reich steht, im gegebenen Kontext zu bedeuten hat, bedürfte der Spekulation, ich nehme aber an, es ist eine Art Warnung für Leser, die immer noch die Identität von „NetzDG”-Zweiflern und gedankenlosen Pöblern für falsch halten.
An diesem Punkt ist der Leser, plakatbewusst oder nicht, jedenfalls schon auf den eingestimmt, der kommen wird, nämlich Heiko Maas, der sich einen Weg durch Menschen bahnen muss, die jede staatliche Zensur so was von verdient haben, denn das sind alles Rechte. Und siehe da:
Als Heiko Maas ankommt, ist das weithin zu hören. Ein Pfeifkonzert begleitet seine Limousine auf den letzten Metern zur Sporthalle, auch Rufe wie „dreckiger Stasi-Loser” und „Sauhund aus dem Saarland”.
Also „Saarländer” ist wirklich gemein!
Es ist also Zeit für die „ZEIT”, dem wilden Treiben die blanke Vernunft des so Gescholtenen entgegenzustellen, denn ein Kontrast wirkt besser, wenn er nicht viel Abstand lässt:
Heiko Maas schockieren die Proteste vor der Tür nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass er so etwas bei einem Besuch in Sachsen erlebt. „Leute, die Berufe ausüben wie ich, müssen so etwas aushalten.”
Die Lichtgestalt, die nach eigenem Verständnis einzig für ihren Beruf und nicht etwa für die inhaltlich ekelhaften Gesetze, die sie den Bürgern auf den Kopf kacken will, mit Widerspruch konfrontiert wird, schwebt also zur Tür herein, wo „etwa 600 Menschen, die meisten Studenten”, die geballte intellektuelle Elite des Landes eben, „ruhig und konzentriert” darauf warten, dass sie ihnen erklärt, warum sie sich nicht so anstellen sollen. Wer ahnt, von welcher Argumentation auszugehen ist?
Richtig:
„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. (…) Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt. (…)”
Ich finde ja, Politikerköpfe dürften kein rechtsfreier Raum sein, das durchregulierte Internet hingegen ist so weit von einem „rechtsfreien Raum” entfernt wie Hannover von einem schönen Ambiente, wurde doch mit dem grandios grauenvollen „Leistungsschutzrecht” (installiert von CDU/CSU und SPD) schon so manches medienkritische Webprojekt zu einer Gefahr für den Betreiber, während es in Papierform wohl als eine Art von Journalismus zählte. Erleben, was verschwindet! Ein Justizminister, der behauptet, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ende beim Strafrecht, bekleidet jedoch vermutlich (wenig überraschend) den falschen Posten und sollte vielleicht stattdessen Möbel verkaufen, denn selbstverständlich ist dem Strafrecht die Meinungsfreiheit nicht fremd, was dem jeweils zuständigen Juristen mitunter auch erst das Bundesverfassungsgericht erklären muss.
Die Veranstaltung selbst nimmt in Doreen Reinhards Artikel einen vergleichsweise kleinen Teil in Form einer „Besucher so”-„Maas so”-Beschreibung ein, als ginge es mehr um das Geschehen außerhalb als um politische Inhalte, was natürlich eine abwegige Vermutung ist. Gegen Ende des Artikels lässt sie sogar gemäßige Kritiker zu Wort kommen:
Und schließlich tun sich unter den Studenten noch ganz andere Dimensionen auf. Ein Theologe findet, dass man auch philosophisch weiter ausholen sollte: „Man müsste ja noch klären: Was genau ist denn eigentlich wahr? Und was ist das Gegenteil von Wahrheit?” Der Justizminister muss bei dieser Frage mit dem Kopf schütteln. Er verweist aufs Strafrecht. Philosophie ist nicht sein Spezialgebiet.
Eigentlich hätte man den Rest des Artikels auch weglassen können.
Senfecke:
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