Bei „Boris“ denkt mancher vielleicht an Russland, manch anderer an Tennis. Die japanische Formation, die sich ebenfalls Boris nennt, hat mit „Noise“ allerdings eines der bemerkenswertesten Musikalben des Jahres 2014 veröffentlicht. Auf dem Coverbild seht ihr einen Stuhl. Setzt euch erst mal hin!
Nun ist ein neues Boris-Album keine Überraschung, immerhin erscheint ein solches seit der Bandgründung 1996 beinahe jährlich. Abnutzungserscheinungen aber sind den drei Musikern fremd, sie bleiben kreativ. Was wird gespielt? „Drone Metal“ und „Progressive Rock“ stehen im Internet als Etiketten dran, und Etiketten sind, wie der geneigte Leser weiß, nur Feigenblätter.
Laut Presse ist’s mit Genres auch nicht getan:
[Noise] verstärkt Boris‘ endloses Streben nach musikalischen Extremen und lässt zugleich aggressiven, intensiven Rock in neue Gebiete vordringen. Die Band vermengt hier meisterhaft Sludge-Rock, Blasen bildenden Crustpunk, schimmernden Shoegaze, episch donnernden Doom, psychedelische Melodien und so ziemlich alles, was sie je gemacht haben.
Dabei beginnt „Melody“ noch behutsam mit leiser Gitarre und Synthesizer, wenig später aber bricht der rock los, es gibt Elektronik und Indie und ordentlich Bass:
Boris preschen nach vorn. Mit Progressive Rock, wie man ihn sich vorstellt, hat das nicht viel zu tun, und das ist nicht schlimm. Im folgenden „Vanilla“ winken die guten alten Mars Volta aus der Mottenkiste und bringen eine Ladung Metal mit. Wer es lieber behäbig und rhythmisch mag, der kommt in „Ghost of Romance“ und in „Heavy Rain“, dessen Anfang ich irgendwoher – Red Hot Chili Peppers? – zu kennen glaube.
Was kann da noch kommen? Japanischer Gitarrenpop! „Taiyo no baka“. Ich verstehe kein Wort. Verhallter Gesang aus allen Richtungen, dazu treibende Gitarre und ein Die Ärzte würdiger Surfrock-Refrain. Eiderdaus.
Andere Bands würden mit so etwas ein Album beginnen oder beenden, Boris sind aber nicht andere Bands. Wenn ihr eine Band wärt und hinter einem dreieinhalbminütigen Poprocklied noch Platz auf dem Album hättet, was würdet ihr noch in die tracklist aufnehmen wollen?
Richtig: Einen „Longtrack“. Ein langes Stück eben. „Angel“, 18:41 Minuten lang, ist allein ein überzeugender Grund, „Noise“ wertzuschätzen. Behäbiger Postrock, Shoegaze, sucht euch was aus. Der Musikfreund sitzt mit Kopfhörern und geschlossenen Augen davor und nickt mit dem Beat. Vergleiche? dear john letter fallen mir ein, auch Godspeed You! Black Emperor und Mogwai. Gesang ist Nebensache.
Moment, war nicht von Drone Metal die Rede? Der kommt im Anschluss: „Quicksilver“, noch mal 9:50 Minuten lang, lebt sechseinhalb Minuten lang vom Hämmern des Schlagzeugs und dem Kreischen von Sänger und Gitarre; die dann allmählich ausklingt und drones weicht. Sunn O))) seien nahe, heißt es, aber auf so etwas ist bei Boris kein Verlass. Genres? Konstanten? Wofür?
Wo der arme Saturn-Mitarbeiter dieses Album einsortieren wird, ist also wahrscheinlich allein dem Zufall überlassen. Schneller werdet ihr woanders fündig: „Noise“ könnt ihr streamen oder kaufen; wenn ihr Bandcamp.com aus irgendwelchen Gründen meiden wollt, gibt’s das Album auch auf Amazon.de. Gefällt mir.
Senfecke:
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