Zu den eigenartigsten Marotten der Menschen gehört die angestrengte Höflichkeit, das Dreschen von Phrasen als Placebo für tatsächliches Interesse an jeglicher Zwischenmenschlichkeit. So ist es etwa selbstverständlich, sich zur Begrüßung gegenseitig die Hand zu geben, ein Relikt aus Urzeiten, um dem Gegenüber zu zeigen, dass man zumindest in der gegebenen Hand keine Keule trägt, mithilfe derer man im Falle unliebsamer Gesprächsverläufe dem jeweiligen Gesprächspartner andernfalls eines auf die Nuss geben könnte. Eine ähnlich absonderliche Eigenart ist es, am Telefon wie sonst nur im Militär als Begrüßungsfloskel statt „Hallo“ seinen Nachnamen zu verwenden; mit dem Siegeszug der Mobiltelefone und somit der direkten Zuordnung von der Nummer zu einer mehr oder weniger eindeutigen Person ist immerhin selbige im Schwinden begriffen.
Und dann wäre dann noch das mit dem Grüßen.
Wann immer man in Gegenwart gemeinsamer Bekannter telefoniert, wann immer man einen Besuch bei solchen ankündigt, die aufgebürdete Bitte ist stets die gleiche: „Grüß mal schön!“, manchmal auch einfach „Grüß mal!“, wohl um zu suggerieren, dass ein unschöner Gruß vollkommen genügt, was das Grüßen emotional wesentlich vereinfachen sollte. Das Resultat ist meist, dass der um solches Gebetene in sein Gespräch ein unbeteiligt klingendes „ach so, schön‘ Gruß übrigens von [Name des Auftraggebers]“ einfließen lässt, worauf meist ein ebensolches „Gruß zurück!“ als Erwiderung folgt, was den Gesprächsfluss ins Stocken bringt, dem Boten eine weitere Pflicht auferlegt und niemandem einen tatsächlichen Mehrwert verschafft, nicht einmal dem ursprünglich Grüßenden.
Ich erläutere das mal am Beispiel meiner eigenen Person: Wenn ich jemandem einen Gruß zukommen lassen möchte, dann nehme ich Kontakt mit ihm auf. Ist mir das nicht möglich, dann hat dies in aller Regel zwei mögliche Ursachen:
1. Ich kenne die Kontaktdaten nicht.
In dem Fall werde ich sie auch mit einem netten Gruß nicht erhalten, sondern, indem ich die Person, die mit der gewünschten Kontaktperson zu verkehren beabsichtigt, darum bitte, sie mir zukommen zu lassen, sofern selbige Kontaktperson keine Einwände erhebt. Andernfalls trifft zu:
2. Die Kontaktperson erhebt Einwände.
Falls jemand aus Gründen versucht, jeden Kontakt mit mir zu vermeiden, so wäre ein Gruß nicht unbedingt angebracht. Er würde die Stimmung wahrscheinlich nicht zu heben imstande zu sein. Eine Ausnahme stellt es dar, wenn ich in der Laune bin, besagten Jemand bewusst zu provozieren, wie es eben so meine Art ist, und ihn genau deshalb wissen zu lassen, dass ich ihn gern grüßen würde. Dies ist der einzige für mich verständliche Anlass, das Grüßen über einen Mittelsmann durchzuführen. Welchen Anlass aber haben die anderen Menschen?
Dass man das eben so macht, ist ein Grund, der mir nicht zusagt. Vor nicht allzu langer Zeit hat man grundsätzlich mit jedem Gesprächspartner einen Segenswunsch für den seinerzeit gegenwärtigen Diktator ausgetauscht, den – also den Wunsch – man ebenfalls als Gruß verwendete und konsequent bezeichnete. Das machte man eben so. Und auch, wenn ich meinen ganzen „Optimismus“ zusammennehme und davon ausgehe, dass merkwürdige Riten allein nicht dazu führen werden, dass wir in Bälde jedem unserer Gesprächspartner einen Gruß an unseren dann aktuellen Kanzler mit auf den Weg geben müssen, um nicht schwer an den andernfalls zu erleidenden Folgen tragen zu müssen, so halte ich es doch für angemessen, gelegentlich Dinge, die man eben so macht, kritisch zu hinterfragen.
Und grußlos zu verschwinden.
Vom Militär hast Du also auch keine Ahnung: Dort begrüßt man sich mit „Guten Morgen/Tag/Abend“ und der Anrede „Herr/Frau“ gefolgt vom Dienstgrad.
Ich war nie beim Bund. Ich kenne dies nur aus Filmen.
Mit war nicht bekannt, dass Soldaten beim Appell einzeln freundlich angesprochen werden. So weit mir bekannt ist, sind gebrüllte Nachnamen dort üblich.
Offensichtlich nicht.
Vorgesetzte sind selbstverständlich höflich auf die vorbezeichnete Weise anzusprechen. Gebrüllte Nachnamen führten unweigerlich zur Wochenenddsonderschicht z. B. als Streife. Beim Appell wird grundsätzlich vom Vorgesetzten der gesamte Zug etc. angesprochen, bzw. andersherum. Es liegt auf der Hand, dass alles andere zu lange dauern würde.
Es hätte geholfen, vor Verfassen dieses Beitrages die diesbezügliche ZDv zu lesen.
ZDv?
ZDv.
Ah, natürlich.
Nicht wahr…
Was ist ein ZDv?
Befrage eine Suchmaschine Deiner Wahl. Aber ich helfe Dir: Zentrale Dienstvorschrift. Davon gibt es mehrere. In Deutschland ist selbst der Gruß der Bundeswehr geregelt.
Danke. Klingt nach belustigendem Material, ich werde es eines Tages sezieren.
Du wirst Deinen Spaß haben (z. B. bei: Nachts ist mit Dunkelheit zu rechnen). Ich hatte allerdings wenig Spaß. Im Gegenteil.
Äh, fast so: Ab einer Wassertiefe von 1,20 m nimmt der Soldat selbständig Schwimmbewegungen auf. Die Grußpflicht entfällt hierbei. Ebenfalls sehr bekannt sind folgende „Zitate“: Bei Erreichen des Baumwipfels hat der Soldat die Kletterbewegungen selbständig einzustellen. oder Bei Einbruch der Nacht ist mit Dunkelheit zu rechnen.
Für’s Grüßen ist übrigens die ZDv 3/2 zu den Vorschriften des Formaldiensts einschlägig. Jedenfalls meiner Erinnerung nach. Ich staune über mich selbst.
Ich ärgere mich gerade über meine Invalidität. Ich hätte beim Bund wohl Spaß gehabt.
Ja sicher, wenn Dir Knast und keine Kohle nichts ausgemacht hätten.
Keine Kohle hab ich jetzt ja bereits. Der öffentliche Dienst kostet Opfer.
Es gab zu meiner Zeit tatsächlich jemanden, der hat jeden Befehl verweigert. Erst gab es kein Geld (Wochenenddienst brachte nichts, denn dabei hatte er die Befehle wieder verweigert), dann kam er in den Knast, dann zerrte man ihn vor ein Zivilgericht. Dann wurde er vorzeitig entlassen. Schlau gemacht.
Warum geht er dann zum Bund?
Also freiwillig, wie heute, war der Dienst damals nicht. Ich hatte damals als Wachhabender teilweise Einsicht in die Personalakten. Der Typ war völlig von der Rolle.
Zivildienst wollte er auch nicht? Weise.
Zivildienst ging damals auch nicht so einfach. Man musste verweigern, und nur wenige wurden anerkannt. Zieh‘ Dir mal den Film Neue Vahr Süd rein. Der beschreibt die Sachlage ziemlich genau. Außerdem ist er äußerst amüsant. Beschreibt er doch die Ausbilder, wie sie damals tatsächlich waren (und heute noch sind?).
Ah. Ja, die Großelterngeneration …
Ich weiß…macht mich auch fertig.
In dreißig Jahren, wenn ich so alt bin wie du jetzt, werde ich dies sehr bedauern!
Rechnen kannst Du also auch nicht.
Ich wollte dir schmeicheln.
Spannend, dieses hier zu lesen. Hilft bei der Meinungsbildung.
Werd dann mal mitnehmen: Ich bin toll. Alle anderen nicht.
Gemerkt und damit nicht wählbar. Hoffentlich ist .tux nicht für die Piratenpartei das Musterbeispiel.
Ich bin unwählbar, weil ich das Ausrichten eines Grußes für begrenzt sinnvoll halte? Ah!
Bitte wähle niemals die Piraten, du bist mir unsympathisch.
Im Übrigen: Wer bist du?