Das Autorenduo Holger Bleich und Ragni Serina Zlotos widmet zwei Doppelseiten in der neuen Ausgabe des Technikmagazins c’t verschiedenen Möglichkeiten, die eigene Webpräsenz (und nicht etwa „Internetpräsenz“) mit so genannten „sozialen Netzwerken“ wie Google+ und Facebook sowie mit dem Mikroblogsystem Twitter zu verknüpfen.
Dabei kommt außer diversen jeweils hauseigenen Plugins, etwa dem Facebook-Plugin für WordPress, das mal eben den eigenen Kommentarbereich auf den Server eines Drittanbieters verlagert, auch der grandiose Dienst ifttt vor. Dass die beiden Autoren noch am Anfang ihres Artikels die Nachteile eines Facebook-Auftritts (nämlich das Abtreten der meisten Rechte an diesem Auftritt) betonen und also, ausgerechnet Sascha Lobo zitierend, dazu raten, lieber auf eine eigene Domain zu setzen, ist ihnen zugute zu halten, um so weniger jedoch verstehe ich, wieso sie bei ifttt als „großen Nachteil“ benennen, dass der Dienst auf die jeweiligen Konten (Twitter, Facebook, …) Schreibzugriff benötigt, während sie sich über die Nachteile einer direkten Facebook-Integration ausschweigen.
Besonders auffällig allerdings waren diese Sätze:
Sicherlich wird es eine Weile dauern, bis sich Ihre Verzahnung mit sozialen Medien positiv auswirkt. Eines ist jedoch sicher: Wer nicht mitmacht, der bekommt aus diesen Kanälen selten positive Aufmerksamkeit.
In anderen Worten: Wer bewusst darauf verzichtet, seine Beiträge automatisiert in irgendeines der unzähligen „sozialen Netzwerke“ zu schmieren, der handelt fahrlässig und wird deswegen kaum Leser erhalten.
So weit die Theorie.
Diese Theorie wäre zutreffend, wären die im Artikel genannten Dienste Facebook, Twitter und Google+ vom Rest des Webs abgeschottete Inseln, auf denen man nur wahrnimmt, was innerhalb ihrer Grenzen geschieht. (Sympathische Menschen würden nun sagen: Ja, auf Facebook ist das doch genau so.) Allerdings funktionieren soziale Medien eben nicht deshalb mehr oder weniger gut, weil Computerprogramme dort Dinge veröffentlichen, sondern deshalb, weil Menschen es tun.
Ich habe, seit ich ein „Weblog“ (beziehungsweise eben diese Seite hier) betreibe, noch nie einen neuen Artikel automatisch getwittert oder gefacebookt oder gegoogleplust. Eine Ausnahme mache ich, wenn ich etwas zu einer aktuellen Diskussion auf Twitter geschrieben habe, dann füge ich gelegentlich manuell einen Verweis zu dem entsprechenden Beitrag an einen Tweet an. Beiträge, die ich selbst für besonders erwähnenswert halte, kopiere ich manchmal auch in mein Diaspora-Profil (zurzeit wird hier oben rechts darauf verlinkt) und erfreue mich an den drei oder vier Kommentaren, die ich dort in der Regel erhalte, aber zu einem Ansturm an Besuchern führt das schon deshalb nicht, weil ich selten die Adresse zum Originalartikel dort hinterlasse. Welchen Mehrwert hätte das?
Und obwohl ich weder Facebook noch Google+ mit relevanten Inhalten befülle, obwohl ich nicht automatisiert twittere oder sonstwie das menschliche Miteinander dort mithilfe seelenloser Algorithmen störe, die nur der plumpen Eigenwerbung dienen, finden immer wieder Besucher von dort meine Artikel. Meine dieswöchige Verweisstatistik, also die Statistik der Webseiten, von denen aus am häufigsten Besucher auf meine Webpräsenz gelangen, wird nicht selten von Twitter angeführt:
Woran das liegt? Nun, aller Wahrscheinlichkeit nach daran, dass „soziale Netzwerke“ auf dem Prinzip des Teilens basieren. Wenn jemandem aus irgendwelchen Gründen gefällt, was ich schreibe, dann steht es ihm frei, hierauf in einem „sozialen Netzwerk“ seiner Wahl zu verweisen. Auf diese Weise werden mir sogar Besucher von facebook.com und plus.google.com beschert, obwohl ich die nun wirklich nicht eingeladen habe.
Aber auch, wer nicht auf Facebook oder dergleichen über einen Verweis hierher stolpert und sich dabei hoffentlich keine Blessuren zuzieht, ist in der Lage, in den Weiten des Webs ausgerechnet meine Texte zu finden. Die Technik, die dies ermöglicht, ist älter als Facebook, Google und Twitter. Sie heißt Suchmaschine.
Holger Bleich und Ragni Serina Zlotos scheinen die Benutzer von Facebook, Google+ und Twitter für so beschränkt zu halten, dass für jene in ihrer Vorstellung „das Internet“ nur noch aus diesen drei Portalen und dem Mailprogramm (beziehungsweise eben Google Mail oder Facebooks Mailsystem) bestehe; dass sie sich einer Existenz anderer Webseiten gar nicht mehr bewusst seien, weil sich ihr digitales Leben allein dort abspiele. Tatsächlich aber ist das, was ich publiziere, problemlos auch per DuckDuckGo, Bing, Blekko und Google zu finden, wenn es nur dem Gesuchten nahe kommt.
Wenn etwa jemand wissen möchte, was das Programm ilividsetupv1.exe (immer noch unangefochten an der Spitze der hiesigen Suchbegriffe) genau macht, dann kann er entweder auf seiner Facebook-Pinnwand danach fragen, woraufhin irgendjemand in der Suchmaschine seiner Wahl danach suchen und vielleicht meinen Beitrag dazu finden wird, oder dies selbst tun. Das Ergebnis ist das gleiche: Webseiten aus dem „restlichen Internet“ finden in Form eines Verweises ihren Weg in die gerade im Trend liegenden „sozialen Netzwerke“, ohne dass es dazu aktiver Unterstützung des Autors („Urheber“ ist ja dieser Tage eher ein Schimpfwort) bedarf.
Wer also von der Facebook-Klientel gelesen werden möchte, der muss nicht seine Webpräsenz mit kilobyteweise Javascript zu einer Werbeplattform für irgendwelche großen Portale machen. Es gilt die gleiche Regel wie für diejenigen, die auf technische SEO (Suchmaschinenoptimierung) setzen und darüber den Inhalt vergessen: Leser erwarten vorrangig inhaltlichen Mehrwert. Eine tolle bunte Kommentarfunktion und eine Ein-Klick-Lösung, um das Gefallen ausdrücken zu können, ohne „Danke!“ schreiben zu müssen (das scheint ja eine aussterbende Tradition zu sein), sind bestenfalls zweitrangig. Ich habe noch keine Website besucht, weil ich ihre Kommentarfunktion so toll fand – und wer mir nichts zu sagen hat, der wird mich nie wieder sehen.
Aber vielleicht habe ich das mit dem Web auch einfach nur falsch verstanden.
ERSTER! ROFL!
Gefällt mir.
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Kein Facebook Open Graph? http://sgaul.de/2012/06/21/optimiert-fur-internet-explorer-und-facebook/
Nein, wieso?
Dass jemand, der das Web erfunden hat, nicht der Erfinder des Internets ist, leuchtet mir ein. Wie eine Webpräsenz keine Internetpräsenz sein kann/soll/ist verschließt sich mir jedoch. Bei einer Implikation muss man auch die Richtung beachten.
„Internetpräsenz“ ist zwar richtig, aber falsch. Ich bin im Internet unter anderem mit einer Webpräsenz präsent.
Fein.