Das hatte ich nun davon, dass mir nach nur wenigen Jahren des Hierwohnens zufällig aufgefallen war, dass sich direkt um die Ecke meines Wohngebäudes außer einem freundlichen Fußballkiosk, wo man Bier kaufen kann, außerdem eine Trinkhalle, wo man es trinken kann, befindet, wovon ich überrascht anderen Menschen erzählte: „Ich möchte“, paraphrasiere ich einen ansonsten meist angenehmen Menschen, „Fußball gucken und du kommst mit“. Also kam ich mit.
Es spielte der lokale Zweitligist gegen einen anderen Zweitligisten. Fußball, wie regelmäßige Leser meiner Verlautbarungen wissen, ist mir egaler als vieles andere und an ihm stört mich im Wesentlichen das Gleiche wie an zeitgenössischen Weltreligionen: Es ist das Bodenpersonal, das mir jeden wenigstens potenziellen Spaß raubt. Dass ich die „Fankultur“ mitsamt ihren lächerlichen Gesängen mit Nonsenstexten und Antimelodien, dieser großen Freude daran, ganzjährig den eigenen Freundeskreis auszuräuchern („Pyro“), sowie dem angesichts der Vereinstransfers mit nichts mehr sinnvoll begründbaren Lokalpatriotismus („ich wohne hier, also ist die Mannschaft, deren Heimstadion hier ist, automatisch auch meine Lieblingsmannschaft“ ist schon ein bisschen knapp) für bestenfalls albern halte, vervollständigt meine Bewertung diesbezüglich. Müsste ich Sportgucken irgendwie interessant finden, ich interessierte mich doch vor allem für die Geschicke derjenigen Teilnehmer, deren Leistung mich überzeugt. Die hiesige Mannschaft, das sei zwecks Einordnung beigefügt, ist nicht dieser Teilnehmer.
Die Stadt, in der ich zu wohnen das (doch, doch, es ist ja nicht Berlin) Vergnügen habe, ist auf ihre Fußballmannschaft stolzer als es sinnvoll wäre. Noch vor wenigen Jahren erschienen in Supermarktregalen gar Bierdosen, auf denen der bisher letzte Meisterschaftstitel der Herrenmannschaft in den 1960ern schriftlich frenetisch abgefeiert wurde. Hurra, vor langer Zeit waren „wir“ mal gut! Schon aufgrund meiner Hoffnung darauf, ich hätte als Anwohner einen entspannteren Abend, wenn die andere Mannschaft gewinnt, beschäftigte ich mich oberflächlich mit ihr, ihrer Geschichte und ihrer Fankultur. Wie sich herausstellte, traf der lokale Zweitligist keineswegs auf eine Erfolgsmannschaft mit lautstarker Anhängerkultur, sondern vielmehr auf – in jeder Hinsicht – Mittelmaß, zudem ist die andere Stadt weit weg und ich bin dort bislang, trotz der schönen Innenstadt, recht selten gewesen. Das waren gute Voraussetzungen für das, was ich aus dem Abend zu machen versuchte (nämlich: das Beste).
Obwohl der ansonsten meist angenehme Mensch, den ich begleitete, schon beim Betreten des erschreckend vollen Gucketablissements allen Anwesenden erzählte, dass ich ja gar keinen Fußball möge, bekam ich nicht direkt auf die Fresse, sondern ein Bier. Das war ziemlich willkommen, denn in besagtem Etablissement tummelten sich vorrangig Herren, die augenscheinlich schon zum Frühstück mit dem Biertrinken begonnen hatten. Die Kombination aus einem wirklich langweiligen Hobby anderer Leute und einem Raum voller Betrunkener ist auch für mich nur schwer ohne Mindestbetäubung zu ertragen. Ich saß also da, trank einige Biere (keineswegs genug, um mich dem sprachlichen Niveau derer anzupassen, die schon länger da waren) und verfolgte das schleppende Spiel. Als die von allen anderen Anwesenden bevorzugte Mannschaft in der zweiten Halbzeit erst knapp, dann deutlich zurücklag, nachdem ich eulenspiegelnd gewitzelt hatte, 2:0 „gehe da auch noch“, kam ich nicht umhin, diese Situation – ausgerechnet ich hatte ausgerechnet zynisch einen korrekten Fußballtipp abgegeben – lachend wahrzunehmen. Das zweite Tor sah überdies selbst für mich bemerkenswert gelungen aus. Ich mag Laie sein und nicht an Fußball interessiert, aber ich fand Gefallen an dieser durchschnittlichen Mannschaft, und das nicht einmal nur deshalb, weil sie für erfreuliche Stille in der Trinkhalle gesorgt hatte, in der ich jetzt weit weniger unzufrieden saß.
Beim Gehen scherzte ich, die Frage, wie es mir denn trotz meiner Abneigung gefallen habe, beantwortend, es sei so interessant gewesen, dass ich gleich morgen Mitglied des gegnerischen Vereins werden wolle, denn der habe mich wirklich überzeugt. Auch weiterhin verprügelte mich niemand, stattdessen bekam ich noch ein Bier spendiert und nicht mal Hausverbot. So war das nicht gedacht.
Und die Moral von der Geschicht: Gibt solche und solche und solche.
Die Geschichte erinnert mich an irgendeine WM oder EM oder irgendsonen anderen irrelevanten Firlefanz von vor Jahren, wo ich mit meinen Dartkumpelz am Dart spielen war und die unbedingt diesen Firlefanz live nebenbei im Fernsehen kucken mussten.
Beim 1:0 für .de ich so nebenbei: „könnte noch ein unentschieden werden“. Dezent belustigte Blicke.
Beim 2:0 ich so „könnte noch ein…“ Dezent mitleidige Blicke.
Beim 2:2 war die Luft dann irgendwie raus…