Zu meinen zahlreichen anstrengenden Eigenschaften – einige meiner Leser sind vermutlich kaum überrascht – zählt meine Introversion (meinten Sie: Introvertiertheit?), die sich unter anderem darin äußert, dass es mir mental missfällt, mich in soziale Situationen insbesondere mit Beteiligung Fremder einzubringen. Die Wissenschaft ist der Ansicht, das sei möglicherweise genetisch bedingt und damit nicht dauerhaft kurierbar. Als Politiker wäre ich eine Niete, aber zum Glück bin ich ansonsten ein großartiger Typ voller Charme, Esprit und gutem Aussehen. Ich würde das gern belegen, aber darauf habe ich keine Lust.
Andere haben mit der Selbstpräsentation weniger Schwierigkeiten, fotografieren ihren eigenen Körper unbekleidet und speichern das Ergebnis dann nicht etwa dort, wo sie allein über dessen Verbreitung entscheiden können, sondern auf einem Computer anderer Leute („Cloud“). Mit dieser Aufgabe der Hoheit über intime Details geht es nicht selten einher, dass auch andere Leute unter Zuhilfenahme des Computers anderer Leute („Cloud“) die vermeintlich „privaten“ Aufnahmen zu Gesicht bekommen. Das muss nicht jeden stören (zum Beispiel meine nicht absichtlich veröffentlichten Aufnahmen, selbstverständlich nicht in irgendwelchen fremden Datenbanken referenziert, sehen zu müssen wäre den Betrachtern vermutlich unangenehmer als mir), aber manche eben doch, wie über einen aktuellen Fall etwa „Bloomberg“ berichtet (englischsprachig):
„Wenn mein emotionales Unterstützungstier und ein paar Freunde, die ich damals kannte, nicht gewesen wären, würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen“, sagt Claus. „Ich hatte die Pillen in der Hand, um mich umzubringen.“
(Übersetzung aus dem Internet, ich bin heute effizient gestimmt.)
In dem vergleichsweise langen Text berichtet Jeff Stone ausführlich darüber, wie eine junge Frau, deren Nacktaufnahmen mittels simplen Phishings einen von ihr nicht beabsichtigten Empfänger erreicht hatten, diesen zu überführen half, jedoch geht er nicht weiter auf die Feststellung ein, dass diese Aufnahmen in einem „privaten“ Appbereich namens „My Eyes Only“ – „Nur für meine Augen bestimmt“ – gespeichert waren, was ich schade finde. In dieser Situation „selber schuld!“ zu emittieren ist mein Stil nicht, ein guter Anlass für eine Empfehlung zur künftigen Vermeidung ähnlicher Fälle ist sie aber doch.
Das Unternehmen Snap Inc. erklärt seine „My Eyes Only“-Funktion so, dass die im „Privaten Bereich“ (Großschreibung wie im Original, ich lese es also – wohl zu Recht – als Eigenname, nicht als Beschreibung der Funktionsweise) enthaltenen Bilder „nur mit einem Passcode“ zugänglich sei. In der Tat dienten die Bilder, erfahren wir weiter, nicht etwa der visuellen Befriedigung vergangener, gegenwärtiger und/oder zukünftiger Partner, sondern der Psyche der Abgebildeten selbst, weshalb die von mir andernfalls zu erwartende Frage, was man denn wohl hinsichtlich des Kopierschutzes erwarte, wenn man Fotos von sich anderen Leuten absichtlich zugänglich mache, ausnahmsweise erfreulich hinfällig ist. Mit unter Zuhilfenahme der Dienste des Unternehmens Snap Inc. gespeicherten Daten verhält es sich allerdings so, dass sie beim Speichern das Gerät in Kopie verlassen, was daran zu erkennen ist, dass man sie auch auf anderen Geräten zu Gesicht bekommt. Das ist möglicherweise komfortabel, aber offensichtlich mit erheblichen Nachteilen verbunden. Selbst unter der Annahme, dass die Beschäftigten des Unternehmens Snap Inc. nicht in der Lage sind, alles Versandte als Kopie zu behalten, ist die Autorisierung zur Freigabe als ungenügend zu bezeichnen.
Mit Standards wie OpenPGP wäre es für technisch aufgeschlossene Menschen ein Leichtes, den Kreis derer, die eigene Daten entschlüsseln können, einigermaßen präzise zu definieren, aber diese jungen Leute wollen ja immer alle nur noch wischen und nicht mehr wissen. Stattdessen bleibt als Lektion wohl auch diesmal nur festzuhalten: Wer Daten hat, die er niemanden außer sich selbst wissen lassen möchte, der sollte sie niemandem außer sich selbst anvertrauen. Selbst heutige Mobilgeräte bieten in der Regel hinreichend viel lokalen Speicher, um eben nicht alles in eine „Cloud“ reintun zu müssen.
Einen „Passcode“ versehentlich auszuplaudern führt nicht zu Selbstmordgedanken, wenn der „Passcode“ ins Leere führt. Datenschutz kann Leben retten, denn Körper sind Privatsache, wenn der Geist dem nicht entgegensteht. Es reicht ja, wenn sein größter Kritiker man selbst ist.
Mein größter Kritiker und ich sind uns übrigens einig: Ein Smartphone ohne Vornkamera würde ich kaufen. Der Markt sollte das mal regeln.
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Ja!