In den späten 1990-er Jahren – das „World Wide Web” war noch nicht ganz so furchtbar wie heute, was wohl auch damit zu tun hatte, dass es mit AOL, CompuServe u.a. starke kommerzielle Konkurrenz hatte – las ich einmal im Kindermagazin „Micky Maus” eine begeisternde Werbung für den „Online-Auftritt” des Heftes, das damals natürlich noch über CompuServe abrufbar war. Als ich am vergangenen Wochenende wieder einmal in den Neuerscheinungen am Zeitschriftenkiosk blätterte, fühlte ich mich in diese Zeit zurückversetzt, denn ich sah Ungewohntes:
Das Fachblatt „POPCORN” – die Website des Magazins datiert gegenwärtig offenbar noch von 2015 – will „fit fürs Internet!” machen. Das verspricht doch eine Menge Spaß.
Es sind aber leider nur drei Seiten, zusammengefasst unter der Überschrift „Klick dich schlau! – Internet von A‑Z”, es werden also 26 Stichworte über „das Internet” kurz erklärt. Eins sei vorweg verraten: Es kommt ausschließlich das Web zur Sprache, den Rest „des Internets” hält man bei „POPCORN” offensichtlich für nicht bedeutsam. Dass der Anreißertext „Newbie oder Pro – völlig egal!” lautet, ist allerdings nicht übertrieben; newbies finden das Schlauklicken (wo klickt man in einer Zeitschrift eigentlich hin?) sicherlich lehrreich und pros höchst amüsant.
Aber keine Sorge, werte newbies, es muss euch nicht peinlich sein, denn was ihr seid, erklärt man bei „POPCORN” unter „N”:
„Du Noob” oder „Was ein Newbie”! – Könnte als Beleidigung benutzt werden, ist aber meistens nur eine Feststellung. (Das glaube ich gern. A.d.V.) Denn unter „Newbie” oder „Noob” wird im Web ein Neuling bezeichnet!
Fein, fein – dass „Web” und „Internet” irgendwas miteinander zu tun haben, vermag der unbekannte Verfasser gerade noch zu wissen, aber den Unterschied leider nicht. In dieser durchdigitalisierten Welt ist das aber auch manchmal schwierig, die Internetsprache hält ja Einzug in alle Lebensbereiche. Zum Beispiel das Szenewort „Quelle”:
Im Internet bezeichnet man Seiten, aus denen man Informationen bekommt, als Quelle.
Ulkig, wie diese Jugend heute redet. Noch so ein kompliziertes Wort ist übrigens „Jubiläum”:
Olé. olé, olé! Auch das Internet feiert Feste – und es hatte 2015 allen Grund dazu: Da wurde die erste Website „info.cern.ch” am 13. November 25 Jahre alt! Kaum zu glauben: Früher gab’s nur Schriften auf einer Website und keinerlei Fotos oder Animationen…
Kaum zu glauben. Warum erfindet denn irgendwer ein System zum Austausch von Nachrichten, bei dem man nicht mal Schmink- oder Katzenvideos sehen kann? Laaaaame!
„Lame” erklärt „POPCORN” leider nicht. Leet ist, was nicht lame ist. Was allerdings offensichtlich leet ist: Werbeblocker.
(…) Das Programm (sic! A.d.V.) „Adblock” blockiert die blöden Popups (…). „Adblock” gibt’s bei www.chip.de zum Runterladen! Installieren, öffnen – und zack: werbefrei…!
Es ist natürlich möglich, auf einem Portal wie chip.de, das vor potenziell trojanerbefallener Werbung selbst nur so strotzt und dessen Downloads gelegentlich eigens mit Malware angereichert werden, einen Werbeblocker herunterzuladen. Es ist natürlich nur auch keine besonders gute Idee.
Tut man es doch, erkältet sich vielleicht noch der Computer („V” wie „Virus”):
So wie unser Körper sich einen Virus einfangen kann, kann das unser Computer auch. (…) Das Ziel eines Virus ist es (…), bestimmte Dateien oder gar die komplette Festplatte zu zerstören. (Genau, nur dafür sind Viren da. A.d.V.) (…) Ladet möglichst keine Programme von dubiosen Websites herunter.
Ja, wie denn nun?
Man könnte meinen, der Autor der Internetanleitung leide unter Realitätsverlust; wenn nicht gar unter Realitäts-Verlust („R”):
(…) Internetsüchtige verlieren das „echte” Leben völlig aus den Augen und leben nur noch in einer „virtuellen Welt”! Tipp: Begrenzt eure Internetzeit auf 1–2 Stunden am Tag – am besten mit einem Wecker, der euch sagt, wann Schluss ist!
Diese 1–2 Stunden kann man dann mit „Whatsapp” („W”) auf dem „Smarthphone” (sic! Seite 19), mit „Zocken” („Z”), „Challenges” („C”) auf „YouTube” („Y”), „Facebook” („F”) oder „Streamen” („S”) verbringen. Auf YouTube gibt es immerhin spannende Dinge sehen, zum Beispiel – „Witzig!” – das allererste Video, auf dem der Gründer von YouTube im Zoo vor dem Elefantengehege zu sehen ist. Roffel!
Ob es auch was zu „X” gibt? Aber natürlich, die essenziell wichtige „X‑Taste”:
Smileys und Abkürzungen mit dem Buchstaben „x” sind im Web voll trendy. Beispiele: „xoxo” oder auch der Smiley :x – beides soll Küsse(n) signalisieren!
Zu meiner Zeit wurden Küsse ja noch durch :* ausgedrückt. :x stand für etwas anderes – „meine Lippen sind versiegelt”, „ich sag’ nix dazu”. Es tut mir wirklich ein bisschen leid, dass der unbekannte Autor es auf diese Weise erfahren muss, aber die Sekretärin hat auf Ihre Liebesschwüre also gar nicht mit einem Kuss reagiert.
Ebenfalls in dieser Ausgabe der „POPCORN” zu sehen: Die „Blondine” und „hübsche Düsseldorferin” (ebd.) „Dagi Bee” gibt ein doppelseitiges Interview ohne Worte, indem sie dumme Fragen (etwa „Magenknurren! Hunger! Schokolade!”) mit mindestens ebenso dummen („witzigen”) Grimassen beantwortet.
Mir fällt dazu übrigens auch eine witzige Grimasse ein. Leider hat mein Wecker gerade geklingelt.