Heute fand ich in der Post wieder einmal ein neues Musikalbum, dessen bisherige Kritiken mir ausreichend zugesagt hatten, wenngleich Blindkauf (bzw. eben Taubkauf) von Musikalben nach einem ziemlichen Reinfall vor nicht allzu langer Zeit nicht mehr zu meinem bevorzugten Konsumverhalten zu zählen ist. Es erwartete mich in dem gepolsterten Umschlag das kürzlich erschienene Album „Bateless Edge“ von Frogg Café.
Den Babyblauen Seiten, dem allgemein anerkannten deutschen Rezensionsportal für gute Musik, war „Bateless Edge“ den Tipp des Monats August 2010 wert, was angesichts der vorherigen Tipps des Monats (Big Big Train, Diablo Swing Orchestra, Indukti, …) eine um so größere Ehre ist. Und tatsächlich hat man so etwas lange nicht mehr gehört, und aus den normalerweise eher für seichten Neoprog empfänglichen Ju Es Äi schon mal gar nicht:
Nach Jahren des Daseins als zappaesker „Geheimtipp“, der seine Liveenergie nicht auf Tonträger zu bannen vermag, ist, wenn man der Fachpresse glauben darf (derzeit durchschnittlich 13 von 15 Punkten auf den Babyblauen Seiten, 5 von 5 Sternen auf Progarchives.com, immerhin noch 7 von 10 Punkten auf den Dutch Progressive Rock Pages), „Bateless Edge“ der große Wurf geworden, auf den ebendiese Fachpresse gewartet hat. Wer eines der Vorgängeralben kennt, der hat immerhin den Gesang von Nick Lieto womöglich noch im Ohr, der eigentlich auch der einzig nennenswerte Kritikpunkt bleibt; auch auf „Bateless Edge“ bleibt er, wie ich finde, zu zaghaft. Mehr Einsatz, der Herr!
Ansonsten hat das Sextett kräftig am Stilrad gedreht. Vorbei ist’s mit mäandernden Jazzsequenzen und dem von Rezensenten auch schon mal zu Recht „unspektakulär“ bezeichneten Kansas-Gedächtnisprog, jetzt hauen sie mal richtig auf die Kacke. Genreschubladen gefällig? Von RIO/Avant („Belgian Boogie Board“) über luftigen Retroprog („Under Wuhu Son“) bis hin zu Jazzrock („Terra Sancta“, auf der Silbe „Jazz“ zu betonen), nur eben in umgekehrter Stückreihenfolge, spielen sich die Musiker querbeet durch die Progressive-Rock-Geschichte, ohne anstrengend lärmig wie etwa The Mars Volta oder allzu angestaubt wie etwa Transatlantic zu klingen. Gerade erstgenanntes Stück ist für mich persönlich der Höhepunkt des Albums, nicht unbedingt primär, weil es ein Instrumentalstück ist und Nick Lieto sich also auf seine Instrumente (Trompete, Flügelhorn, Klavier, Keyboards) beschränkt, sondern weil es die deutlichsten Akzente setzt. Hatte ich bis zum Beginn dieses Stückes noch, leicht entrückt, rhythmisch die Gliedmaßen in Zucken versetzt, so fiel ich bei „Belgian Boogie Board“ beinahe vom Sofa.
Nein, nicht etwa, weil es „Lärm“ der unangenehmen Form wäre. Vielmehr steht die avantgardistische Komposition im Kontrast zu den eher schwelgerischen Klängen der vorangehenden Stücke. So wenig es sich aber auch in die Titelfolge einfügen will, so passend ist es aber an dieser Stelle, direkt nach dem wohl zugänglichsten, beinahe unauffälligen Gesangsstück „From the Fence“, platziert. Vergleichbar ist es als Einzelstück wie auch im Kontext des Albums nur schwerlich, Parallelen zu etwa Univers Zero, wie sie bisweilen gezogen werden, wirken arg konstruiert. Das Konzept eines Progressive-Rock-Albums, das wirklich Wert auf das Wort „Progressive“ legt, rundet „Belgian Boogie Board“ jedenfalls perfekt ab. Sicher waren Henry Cow immer vertrackter, Caravan immer sanfter, Kansas immer elegischer als das, was dem Hörer hier im Frogg Café kredenzt wird. Sicher ist avantgardistischer Jazzrock keine spektakuläre neue Erfindung. Frogg Café machen aber auf „Bateless Edge“ alles genau richtig. Sie erfinden das Rad nicht neu, das erwartet auch niemand. Sie konstruieren hingegen aus dem, was die Handwerker vorangegangener Generationen zurückgelassen haben, ein eigenes Rad, das so noch nie da gewesen ist. Und es macht verdammt viel Spaß, mit ihm zu fahren, auch, wenn es eine Steigung zu überwinden gibt. Die grünen Wiesen im Tal hinter der Steigung sind es allemal wert.
(Und da ich gerade – fragt mich bitte nicht nach dem Grund – die „Deluxe Edition“ von Bushidos aktuellem Machwerk betrachte, deren 2., eben die „Deluxe-“, CD aus Instrumental‑, also raplosen Versionen der Stücke von der 1. CD besteht, möchte ich doch mal positiv hervorheben, dass offenbar also auch die Plattenfirma, die unter Bushido leiden muss, es als „Luxus“ empfindet, wenn er mal für die Dauer einer kompletten Platte die Fresse hält. Schade, dass die Auflage begrenzt ist.)