(Ihr gewidmet.)
… Als er erwachte, hatte sich seine Welt verändert. Mühsam öffnete er seine tränennassen Augen und blickte sich um. Aber es war doch alles wie immer?
Nein, etwas war anders. Durch seinen Kater schien langsam die Erinnerung. Er hatte wieder einmal versagt. Dabei schien zum ersten Mal in seinem Leben alles so perfekt!
Vor Jahren noch, als er Suchender war, sich längst noch nicht angekommen wähnte, lernte er sie kennen. Sie wirkte zart, gar zerbrechlich. Sie war auf eine geheimnisvolle Art verschlossen, beinahe abweisend, und dennoch zog sie ihn magisch an. Schon damals hatte er sich in sie verliebt. Die Chance jedoch, die sie ihm gewährte, vergab er in jugendlichem Überschwang.
Er war sich bewusst gewesen, dass es nicht leicht werden würde, ihre Liebe zu gewinnen; dennoch hatte es ihm einen Schlag versetzt, als sie ihm zu verstehen gab, dass diese Liebe unmöglich eine Chance haben würde. Dass sie ihn nicht wollte, konnte er kaum glauben; zumal er in den folgenden Monaten betrübt, aber hilflos sehen musste, dass sie schnell Ersatz fand. Trotz alledem konnte und wollte er sie nicht vergessen, auch wenn er ihr gegenüber in der folgenden Zeit seinem Missmut und seiner Enttäuschung – oder war es bloße Eifersucht? – deutlich Ausdruck verliehen hatte. Er hatte nichts zu verlieren, er hatte sie schon verloren, bevor er sie jemals gewonnen hatte. Womöglich für immer.
Über sechs Jahre waren seitdem vergangen, in denen er sie fast aus den Augen verloren, nie aber vergessen hatte. Viel hatte sich geändert; nicht nur bei ihm, auch bei ihr. Dass er sie wiedersehen würde, kam unerwartet, aber es stand unter einem anderen Stern. Sie beide waren nicht mehr auf der Suche, sie fühlten sich längst schon gefangen in der Leere, in der sie nunmehr steckten. Was passieren würde, war ihnen vorher nicht klar. Er hatte Angst gehabt, sich wieder auf etwas einzulassen, was ihn überfordern würde. Er hatte sie zu oft, zu lange verletzt; das wollte er nicht wieder riskieren. Und doch war es schon wieder passiert: Er hatte sich aufs Neue in sie verliebt. Sie war noch immer so scheu und zerbrechlich wie damals, doch diesmal war ein Ende nicht abzusehen.
Zum ersten Mal wusste er, wo er war und was er wollte; nach all den Jahren stand für ihn endlich fest, wofür er lebte. Hätte er, in irgendeinem Dialog nach seinem Leben gefragt, einen Zeitpunkt angeben sollen, an dem er glücklich war, er hätte ohne Zweifel jede Minute herausnehmen können, die er mit ihr verbrachte, und er hätte seine Wahl nicht bereut. Die Aussicht auf ein Leben mit ihr gab ihm wieder neuen Lebensmut. In jeder freie Minute, in der sie nicht miteinander sprachen, setzte er alles daran, sie bald wiedersehen zu können. Würde jemals ein Lexikonhersteller einen Artikel über „Paar, glückliches“ bebildern wollen, so dachte er im Stillen, so würde ihrer beider Konterfei bald dort zu sehen sein.
Doch über all dem Glück prangten noch immer die Ereignisse aus der Zeit, bevor sie sich getroffen hatten. So fest er sie auch zu halten versuchte, so nahe sie sich auch waren, so unheilbar klafften doch die alten Wunden, die er einst aufriss, in ihrem Herzen.
Er hatte ihr versprochen, sich nicht nur wegen längst vergangener und vergebener Fehler an ihr rächen zu wollen. Er wollte sie nicht verletzen; das hatte er zu lange getan. Für ihn war sie kein Spiel, sie war längst sein Leben. Nun aber hatte sie den Spieß umgedreht. Sachte, doch bestimmt zog sie die Mauer zwischen ihnen wieder hoch, ließ ihn verzweifelt, doch letztlich erfolglos versuchen, eine Tür hineinzustemmen. Wähnte er sich soeben noch im Glücksrausch, so fiel er nun in ein nicht enden wollendes Loch. Sieben Worte allein ließen seine Träume zerplatzen; das Luftschloss, in dem er mit ihr leben wollte, stürzte über ihm zusammen. All the homes that we were building, we never lived in, could be better, should be better lessons in love.
Das hatte er, dessen war er sich bewusst, allein sich selbst zuzuschreiben. Diese eine, womöglich letzte Chance hatte er sich schon Jahre zuvor zerstört; und selbst, wenn es noch eine geben sollte, würde auch sie an den Worten zerschellen, die er noch in seinem alten Leben – in dem ohne sie – unbedacht ausgesprochen hatte. Es war sinnlos. Mit dem Stift auf seinem Schreibtisch krakelte er, ohne zu wissen, was er tat, einige Zeilen in sein Notizbuch:
Zerbrochene Träume
Ein Leben aus Glas
Jahre aus Rauch
Vertan, verpasst
Zukunftsglück
Aus und vorbei
Die große Liebe
Verpufft im Nichts
Er legte den Stift zur Seite. Vor ihm stand ihr Bild; sollte es nur noch ein Relikt bleiben? Er fühlte sich wieder leer und sonderbar allein. Diese Schrammen würden ihm für den Rest seines Lebens bleiben. „Den Rest meines Lebens“ dachte er und lächelte gequält. So konnte es nicht weitergehen. Etwas musste geschehen. …
Und? Stand der Dinge?
Tot.
Mist.
Weshalb?
Von wegen Scherben und so.
Bringen Glück.