Auf einem Bus – Buswerbung muss man sich ja auch erst mal leisten können – sah ich heute Werbung für die #kulturgesichter053. Was ich von gedruckten Hashtags halte, sollte hinlänglich bekannt sein.
In einem nicht hinreichend gut gesicherten Browser enthält die referenzierte Eigenwerbewebsite auch einen von diesen albernen Schiebetexten, die ich für endlich überwunden hielt, aber leider war der beauftragte Websitehipster zu faul, sich einen zweiten Text auszudenken:
Zu lesen war auf diesem Bus jedenfalls neben dem bescheuerten Hashtag, dass es ohne die Aktivitäten der „Kulturgesichter”, also irgendwie kulturrelevante Personen aus der Region, „still” werde. Der Hintergrund für diese vermeintliche Drohung ist natürlich die Finanzierung der Kulturbranche in der momentanen politisch-wirtschaftlichen Situation. Das zu transportierende Argument, so nehme ich an, scheint es zu sein, dass der Gedanke, es könnte still sein, dem Publikum der Werbung solches Unwohlsein bereitet, dass es gewillt ist, alles ihm Mögliche zur Branchenrettung zu unternehmen; dasselbe Publikum scheint gemeint zu sein, das mich auch ungläubigen Blickes zu fragen pflegt, warum ich keinen Fernseher habe, denn sie, die Blicker und Frager, würden es gar nicht aushalten, wenn nicht dauernd irgendwas berauscht und berieselt.
Ich aber schon.
Sicherlich: Ich schätze es, einen Teil meiner Freizeit hin und wieder mit einem guten Musikalbum und/oder einem mindestens ebenso guten Glas Whisky zu verbringen, und ein wenig Zerstreuung halte ich auch nicht für das Schlechteste, das mir mitunter passieren kann. Dennoch halte ich das Streben danach, fortwährend mit Geräuschen behelligt zu werden, für ein seltsames. Waren die nie in Berlin? – Meine erste Übernachtung in Berlin, es war, wenn ich mich nicht irre, in Friedrichshain, verleitete mich einst zu der Aussage gegenüber dem Gastgeber, es sei zwar nicht schlimm. dass eine Stadt sich darüber freue, diejenige Stadt zu sein, „die niemals schläft”, allein: ich möchte schon manchmal schlafen. Ganztägiges Stadtwesen, wo immer man hinhört, ist dabei oft nicht hilfreich.
Die Menschen haben verlernt, im oft hektischen Alltag die Ruhe zu schätzen, weil sie sie kaum noch kennen, weil dauernd überall irgendwas hupt, klingelt, rauscht; jemand quatscht, jemand schreibt, jemand ruft an, und natürlich ist ein lautloses (oder gar nicht erst mitgeführtes) Mobiltelefon keine Option. Man könnte ja etwas verpassen. (Dann aber liest, schaut oder hört man die Nachrichten und würde doch lieber gern etwas verpassen – jedoch nie lange genug.)
Wenn jedenfalls eine ausblutende Kulturindustrie zur Folge hat, dass es dort, wo ich wohne, mehr Zeiten und Orte der Ruhe gibt, dann fällt es mir nur anfangs ziemlich schwer, das Anliegen der solcherart Flehenden nicht als gutes Zeichen zu begreifen; weil sie’s ja dann doch wieder anders meinen.
Und weil man mir eben nicht mal das gönnen kann.
+1
Ist ein schwieriges Thema!
Einerseits brauchen wir ja die Kultur. Wir wollen gerne gute Musik hören. Ist sicher Geschmackssache, was jeder einzelne darunter versteht, aber wenn die Kulturschaffenden weiterhin so gnadenlos ausgeblutet werden, wirds in Zukunft wohl immer mehr von dieser Musik auf Schulbandniveau geben. Weil gute Musik einfach wahnsinnig viel Zeit kostet. Ein Musiker braucht sehr viel Zeit, um sich auf ein gehobenes Niveau zu entwickeln. Und auch dann braucht ein gutes Album immer noch viel Zeit um ein gutes zu werden…
Wobei ich aber auch diese Aktion eher für Schulbandniveau halte. Ganz schön platt.
…und in Berlin zu wohnen, könnte ich mir auch nicht mehr vorstellen. Jetzt wohne ich zwar in der Nähe und kann das permanente Rauschen immer noch hören, aber es ist deutlich ruhiger hier! Wie’s aussieht, habe ich auch ein gesteigertes Ruhebedürfnis.