Wie die meisten vermeintlich normalen Menschen nutze auch ich gelegentlich Officepakete, denn zwar schreibe ich selten Briefe, wohl aber bin ich aktiver Nutzer von Tabellenkalkulation. Während meiner im Wesentlichen seit 1996 laufenden Vergleichstests in dieser Kategorie habe ich zweierlei Erkenntnisse gewonnen: dass die Platzhirsche selten die besten Lösungen anbieten und dass es nahezu immer ein Programm in Officepaketen gibt, das besser ist als der fürchterliche Rest, weshalb ich es sehr bedaure, dass man etwa Microsoft Excel (das andererseits seit der „Version“ 2007 grauenvoll zu bedienen ist) nicht mehr separat erwerben kann. Dürfte ich ein Officepaket selbst schnüren, ich wählte WordPerfect als Textverarbeitung, PlanMaker als Tabellenkalkulation und ein Präsentationsprogramm braucht niemand, der einen anständigen Beruf gelernt hat.
Da ich ein solches Paket aber nicht bekomme und auch nicht zusammenstellen kann, ohne mindestens zwei doch recht sportlich bepreiste Softwarekollektionen erwerben zu müssen, bleibt mir nur das kleinste Übel: Wohl setze ich PlanMaker als meine Tabellenkalkulation ein, für formatierte Textdokumente aber gehe ich, wie so oft, einen eher ungewöhnlichen Weg. Zwar bin ich Informatiker, aber LaTeX ist es nicht mehr. LaTeX ist als Textsatzsystem nicht zum Schreiben da und wer LaTeX nutzt, ohne dessen Textsatzfunktionen wirklich sinnvoll einzusetzen, möchte damit ausschließlich visuell beeindrucken, stellt sich selbst dadurch aber als jemand dar, dem Blenden bereits als Qualität gilt.
Ich bekam vor ein paar Tagen das Leid geklagt, dass man damit kämpfe, PDF-Dateien aus in Word erstellten Dokumenten mit bunten Bildchen („Screenshots“) drin zu erstellen. Diese PDF-Dateien sollten eine „Hilfe“ sein. Meine Entgegnung, dass bunte Bildchen ebenso wie bunter Text nicht in eine Textverarbeitung, sondern höchstens auf eine Website und auch das eher ungern, gehören, verpackte ich in einen Screenshot:
Das Bild zeigt WordTsar, einen modernen Nachbau von WordStar. WordStar, die Älteren mögen sich erinnern, war eine weit verbreitete Textverarbeitungssoftware, die schnell an Marktanteil verloren hatte, als WordPerfect, das unter anderem Pfeiltasten unterstützte, Marktreife erlangt hatte, bald aber von Microsoft Word, dessen Hersteller einfach sehr viel Geld für Vermarktung und Vertrieb zur Verfügung hatte und hat, weitgehend verdrängt wurde. WordStar bedient man anstelle von F‑Tasten und inkohärenten Tastenkombinationen im Wesentlichen über eine „diamantförmige“ Navigation (Strg+E/S/D/X) sowie viele weitere Strg-Kombinationen; die Menüführung (später unter anderem so ähnlich in GNU nano und joe zu finden) macht die Befehle zumindest leicht auffind‑, wenn schon nicht immer sofort merkbar. Hinreichend viele Autoren, darunter Robert J. Sawyer und George R. R. Martin, verwendeten zumindest vor nicht langer Zeit noch immer WordStar, obwohl es zusehends schwieriger wird, dieses Programm auf neuen Systemen zum Laufen zu bekommen. Das ist insbesondere ärgerlich, weil bis heute WordStar unter einer proprietären Lizenz steht und der derzeitige Besitzer an der kostenfreien Freigabe des seit 1994 nicht mehr aktualisierten Programms offensichtlich noch immer kein Interesse hat.
Gerald Brandt, noch so’n Autor, hat daher WordTsar (ich habe schon schlechtere Wortspiele gehört, teilweise sogar von mir) als freie Software entwickelt. Zwar ist die Reihe an noch nicht implementierten Funktionen recht lang und die einzigen wirklich gut unterstützten Dateiformate – das wird wohl als nächstes feature angegangen – sind .WS (WordStar‑7.0D-Dateien) und .RTF (kennt man wahrscheinlich vor allem von WordPad), aber der Entwickler macht das ja eher nebenbei und die bisherigen Funktionsupdates waren durchaus oft recht voll an angenehmen Überraschungen. Wie man auf dem Bild sieht, ist auch alles, was man für Briefe und so weiter braucht, schon da: Man kann Text schreiben, Text formatieren (mit offensichtlicher Kennzeichnung der Formatierung – das kriegt so sonst nur WordPerfect wenigstens ähnlich gut hin) und Text laden, speichern und – momentan nur über den Umweg der Druckvorschau – drucken.
Hätte ich nicht hinreichend viele andere Projekte, ich versuchte mich selbst daran, einige der noch fehlenden Funktionen von WordTsar fertigzustellen. So aber möchte ich zumindest auf die Software hingewiesen haben. Sie ist eigentlich mehr als gut genug für die meisten „Ich brauche formatierten Text“-Anliegen. Jetzt müsste sie nur noch fertig werden. Aber welches Programm ist das schon?
Nachtrag vom 9. August: Gerald Brandt wies mich in den Kommentaren darauf hin, dass Drucken sehr wohl funktioniert, wenn man die Druckvorschau (^O‑p) statt des Druckbefehls (^K‑p) verwendet. Das war mir selbst noch nicht aufgefallen, es ist jedoch wissenswert.
Danke für den Beitrag. Es ist tatsächlich extrem ernüchternd, wenn man realisiert, was für Ideen schon von der Bühne verschwunden sind, nur weil irgendein dämlicher „Zufall“ (gepaart mit einem Haufen $$$ (aka Marketing)) die Windrichtung vorschreiben wollte.
Unabhängig davon möchte ich ankündigen, dass ich – mit entsprechender Quellenangabe (Verweis auf „tux0r“) – den Teilsatz hier und da zitieren werde: „und ein Präsentationsprogramm braucht niemand, der einen anständigen Beruf gelernt hat.“.
Klar, gerne. (Beides.)
Hi! Thanks for the write-up! Just a couple of comments: Printing does work, and there is also preliminary loading of DOCX files.
Ahoy Gerald,
thank you for showing up! Maybe I am just too inexperienced to understand how printing is supposed to work, because ^K‑p is „not implemented yet“, neither is selecting a printer, at least in the current alpha version.
I know about the DOCX loading, but RTF support – I know, we both hate that – is notably more mature as of now as far as I can see.
RTF is more mature, for sure. I’d prefer to dump it, since it’s a pain to get right.
^KP isn’t currently implemented, but print preview ^OP works, and you can print from there. I’ll update the text so it’s more clear.
Oh, awesome. I had not tried that. I’ll update my blog post accordingly!