Zu vorgerückter und bierseliger Stunde überraschte mich ein Chatfenster mit der Frage, wer mich denn später mal pflegen solle, denn immerhin habe ich sowohl keine Kinder als auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Diese Frage hat mich überrascht, denn der Fragesteller, selbst Elternteil, offenbarte damit in aller Deutlichkeit sein eigenes Verständnis von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Implikationen der Fortpflanzung.
Nicht von der Hand zu weisen ist es, dass Kinder ab dem Moment ihrer Zeugung wenig mehr gewinnbringenden Nutzen mit sich führen als den der sofortigen und meist langjährigen Befriedigung der elterlichen Bedürfnisse. Diese sind mannigfaltiger, aber durchweg egozentrischer Natur: Man brauche ja jemanden, der sich im Alter um Pflege, Erbe und/oder Genpool kümmere, beziehungsweise finde Kinder außerdem ganz süß. (Dass es aus gutem Grund Menschen gibt, die die Pflege beruflich betreiben, woraus man folgern könnte, dass sie ihre Arbeit gar nicht mal so schlecht machen, taucht argumentativ hierbei erstaunlich selten auf.) Wenn dieses Alter dann allerdings vorüber ist, bleibt mit jedem Kind jemand zurück, der nicht nur als Waise durchs Leben schreiten soll, sondern überdies selbst eines Tages vermutlich pflegebedürftig sein wird, woran ausschließlich seine Eltern die Schuld tragen, denn – einem Haustier nicht unähnlich – sie wollten ein eigenes Lebewesen großziehen; und nach ihnen die Sintflut. Ich selbst rate hier zu einer Schildkröte, denn Schildkröten werden ebenfalls vielleicht das Leben ihrer Besitzer überdauern, sind aber weniger kostenintensiv und werden später wahrscheinlich keiner zusätzlichen menschlichen Pflege bedürfen.
Wie ich das Problem meiner späteren Pflegebedürftigkeit denn stattdessen zu lösen gedenke, schloss das Chatfenster fragend an, und obwohl die Feststellung, dass meine Lebensweise sowieso kein allzu hohes Alter in Aussicht stellt, als Antwort genügen sollte, ist die Antwort komplizierter.
Meiner rein rationalen Ansicht nach ist es die Aufgabe der Eltern, rechtzeitig Vorkehrungen dafür zu treffen, dass das eigene Kind, der bloße Erfüllungsgehilfe eigener (wenngleich sicher feuchter) Träume, sobald es auf dessen Ableben zugeht, nicht selbst für seine Pflege gesorgt haben muss. Das sind sie meiner rein rationalen Ansicht nach dem Kind dafür schuldig, nicht nur sein Leben in einer zusehends menschenfeindlicheren Gesellschaft auf einem überfüllten Planeten beschlossen, sondern von ihm auch (im Bestfall) die erhoffte menschliche Altersvorsorge bekommen zu haben. Ich weiß, dass die meisten Eltern sich gar keine Gedanken darüber machen wollen, denn sonst hätten sie wahrscheinlich gar keine Kinder. Sollten hier Eltern noch nicht hinreichend alter Kinder mitlesen, bitte ich sie daher an dieser Stelle darum, diese Situation im Sinne ihres Nachwuchses zu verbessern. Da aber die ratio beim Thema „Penis wo rein, Kind wo raus“ oft versagt, versuche ich meinen Standpunkt mal aus einem Blickwinkel heraus zu erklären, den nach Corona endlich viele verstehen dürften: Die Inzidenzzahl von Pflegebedürftigen geht mit steigender Zahl von Kindern eher hoch als runter.
Dass dieses Wachstum kein Zufall, sondern gewollt ist, lässt sich daran erkennen, dass die politische Lösung eigentlich gar keine komplizierte ist: Man belohne kinderarme bis ‑lose Menschen mit Steuererleichterungen, Prämien oder was man zum Beispiel potenziellen Käufern von Elektroautos heute so alles verspricht, statt sie mit Kindergeld und Kinderlosensteuern sanft dazu zu drängen, das Problem von Generation zu Generation zu intensivieren. Das Abflachen der Kurve wird anschließend kaum lange dauern.
Um zur Ursprungsfrage zurückzukommen: Ich weiß nicht, wer mich später mal pflegen wird, sofern mein rechtzeitiges Ableben wider Erwarten doch nicht eintrifft. Derjenige möge zumindest wissen, was er tut. Ich werde diese Zeit zwar schamvoll, aber mit dem ruhigen Gewissen verbringen, dass ich mein Bestes dazu beigetragen habe, zu verhindern, dass es einem meiner Nachfahren ebenso ergehen wird wie mir. Keines meiner Kinder soll sich einmal fragen und fragen lassen müssen, wer es im Alter pflegen solle, nur weil ich der irrigen Ansicht verfallen bin, dass ein Kind eigentlich ein ganz passables Vehikel zur Überbrückung meiner Lebensmitte sei, denn es wird, so’s bleibt, wie’s ist, keines meiner Kinder jemals geben.
Es gibt von wohl jeder Tierart einmal ein letztes Exemplar. Warum nicht mal vom Menschen?
Immer diese Antinatalisten (der Verfasser dieser Zeile sieht sich auch als ein solcher A‑Mensch).
Emil Cioran – mein Philosoph-To-Go der letzten Wochen – schrieb auch zu diesem Thema interessante Beiträge. Dazu empfehle ich das Buch „Le mauvais démiurge“.
Menschen, die alle paar Wochen ihren Lieblingsphilosophen wechseln, irritieren mich.
Deiner Aussage würde ich zustimmen. Allerdings liegt meinerseits vermutlich ein ungewolltes Triggern eines Missverständnisses vor. „Philosoph-To-Go“ möchte ich in meinem Fall nicht als „Lieblingsphilosophen“ verstanden wissen, sondern eher als einen Philosophen, dessen Texte im erwähnten Kontext (der Zeit („der letzten Wochen“)) intensiver gelesen wurden und daher als erstes/jüngstes Repository zum Zitieren oder Referenzieren verwendet werden würden.
Ach so! Nun gut, dann sei meine Antwort vergessen.
Komische Idee länger zu sterben, mehr ist Pflege meist nicht. Davon ab kenne ich niemanden der seine Eltern „pflegt“ aber viele die eine oft unmenschliche Pflege-Industrie zwangsernähren.
Eine hat alles getan damit ihr Vater nicht stirbt, obwohl der imo längst abgeschlossen hatte. Hat das unvermeidliche etwas hinausgezögert und die Reserven aufgezehrt. Ist das Pflege oder nicht loslassen können?