Ich erhielt heute einen Anruf und eigentlich ist die Piratenpartei schuld.
Regelmäßige Leser meiner Publikationen haben möglicherweise bereits mitbekommen, dass ich zwar wenige Ideale konsequent vertrete, zu diesen Idealen aber auch der Schutz persönlicher Daten selbst auf Kosten vermeintlichen Komforts zählt. Dass die pseudonyme Nutzung des Internets in Deutschland an dem Punkt erlaubt zu sein endet, an dem man die Frechheit besitzt, seine Meinung öffentlich kundtun zu wollen, ist mir insofern ein Dorn im Auge; ich kann es derzeit niemandem ruhigen Gewissens empfehlen, in Deutschland eines dieser neumodischen „Blogs“ zu eröffnen. Deutschland ist digitales Fledermausland. Da hilft es auch nur wenig, dass gerade wieder die deutschsprachige Alphabloggeria auf der re:publica mit sich selbst darüber redet, wie prima das Geblogge doch sei, weil ihre Maskottchen ganz gut davon leben können, mit ihresgleichen eigentlich nur über sich selbst zu reden.
Dass ein moralischer Widerling letztes Jahr mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Ziel, mir Schaden zuzufügen, missachten zu müssen meinte und sich anschließend auf die Argumentation zurückzog, mein Name sei doch leicht herauszufinden, er stehe ja im Impressum (was in der Sache richtig war, aber im Umkehrschluss eben nicht bedeutet, dass meine Konten in sozialen Medien direkt mit dem hiesigen Impressum zusammenhängen), hat in mir den Entschluss reifen lassen, hier entweder einen Elias zu pullen – er möge mir diese Phrase nachsehen – und alternative Publikationswege zu evaluieren oder meinen Taufnamen in der Öffentlichkeit etwas weniger offensiv vor mir herzutragen. Meine Familie kann ja nichts nur wenig dafür, was ich hier so anstelle – warum also sollte ihr Name untrennbar damit verbunden werden? (Die Definition von Hacken, man mag sie schon mal gelesen haben, ist der kreative Umgang mit dem System. Ich mag solche Herausforderungen.)
Schnell bot sich – nach dem Vorbild von padeluun, zu dessen gelegentlich zitatwürdigen Bemerkungen die Feststellung gehört, er „finde es gut, wenn Menschen hinter ihren Werken unsichtbar“ würden – die Nutzung eines Pseudonyms an. Nun gehöre ich zu denjenigen Menschen, die erst in den späten Neunzigern über ein solches Pseudonym nachdenken wollten, es dann aber wenige Jahre später – aus manchem Wortbaukasten wächst man schnell heraus – durch einen Schnellschuss ersetzt haben, der sich dann verselbstständigt hat und den zu ändern es jetzt zu spät ist. Um beim konkreten Fall (mir) zu bleiben: Manchmal werde ich gefragt, warum ich mich auf Twitter und auch als Verfasser von so Beiträgen tux0r nenne und Menschen, die nicht meine Eltern sind, mich sogar im echten Leben oft so oder so ähnlich nennen, obwohl ich doch gar nichts mit Linux zu tun haben wolle. Das habe Gründe, erwidere ich dann und denke mir manchmal welche aus, manchmal aber auch nicht. Dass die Grenzen zwischen mir als Privatperson und der Kunstfigur tux0r nicht immer klar zu ziehen sind, ist mir sowohl bekannt als auch eigentlich ganz recht.
Damit ein Pseudonym allerdings rechtssicher genutzt werden kann, muss man, wie ich in einem Leitmedium las, im Wesentlichen einer Behörde beweisen, dass man es nicht nur im engsten Bekanntenkreis nutzt, sondern sich unter diesem Pseudonym, nun ja, einen Namen gemacht hat.
Die Regeln, ab wann man behördlich als Künstler anerkannt wird, sind dabei erstaunlich weit auslegbar:
Als Künstler gelten Musiker, Darsteller, bildende Künstler, aber auch Schriftsteller, Journalisten und Personen, die anderweitig publizistisch tätig sind.
Das weiter oben schon genannte Twitter, von einigen meiner Leser aktiv gemieden, ist hier trotzdem das bedeutsame Stichwort: Mein seit April 2008 (weil er noch frei war) dort geführter Nutzer- und Anzeigename ist schon aufgrund der Anzahl an veröffentlichten Tweets und inzwischen auch deren Aufrufzahlen das Medium, in dem ich vorrangig als Künstler und Autor tätig bin. Dass ich nebenbei noch diese Textwände hier aufbaue, die sich mitunter mit dem politischen Tagesgeschehen befassen, lässt mich (je nachdem, wen man fragt) außerdem ein Journalist sein. Dass besagte Textwände mindestens einmal in einem Buch verfußnotiert worden sind, hebt meine Internetidentität auch behördlich auf eine relevante Stufe.
Hinreichend viele Belege, die meine Tätigkeit als Künstler, Journalist und Autor unter diesem hinreichend seltenen Pseudonym zweifelsfrei nachweisen können, darunter auch Links auf englischsprachige Portale, habe ich in einem nicht mal zwei volle A4-Seiten umfassenden Brief – so richtig auf Papier – an die örtliche Meldebehörde geschickt und dann erst mal abgewartet. Ist ja Pandemie, da spaziert man nicht einfach in Mordor Behörden rein.
Weil nach über einem Monat noch keine Antwort, nicht mal ablehnend, eingetroffen war, griff ich schweren Herzens (Telefonieren und ich, wir werden keine Freunde mehr) zu der mir nur schemenhaft bekannten Telefon-app und versuchte herauszufinden, woran das wohl liege. Das könne man mir nicht sagen, hieß es, für mein Anliegen sei die Chefin zuständig. Ah, ich bin Chefinnensache! – Die Chefin war allerdings nicht ohne Weiteres zu erreichen, sie sei „eine viel beschäftigte Frau“. Noch immer bin ich mir nicht ganz sicher, wie das anschließende Lachen gemeint war.
Etwas später rief mich die Chefin dann selbst an, suchte nach meinem Schriftstück, quittierte meinen Hinweis darauf, dass ich behördenfreundlich den Totholzweg genommen hatte, mit der ungläubig betonten Frage „auf Papier‽“ und bat mich stattdessen um eine E‑Mail. Das kam mir nicht ungelegen, denn in dem Zeitraum zwischen dem Briefausdruck und dem Telefonat hatten meine Tweets es von einer fünf- zu einer sechsstelligen monatlichen Aufrufzahl geschafft. Schaden konnte das ja nicht. Es kam am nächsten Tag zu einem Folgeanruf, der mein Telefonverhalten möglicherweise noch für eine Weile verändert lassen wird: Ob ich der Künstler sei, wollte man wissen, woraufhin ich fachlich angemessen antwortete: ja, ich sei der „Künstler, Autor und Journalist“, und worum es denn gehe. Ich erwäge das als Standardbegrüßung am Telefon zu etablieren, was nicht besonders nachteilig ist, denn ungefähr zwei Gruppen von Menschen kennen meine Nummer: Solche, bei deren Kontaktversuchen ich ohnehin nicht auf dem grünen Hörersymbol rumdrücke, und solche, die darauf mit dem gebotenen Humor reagieren dürften.
Heute jedenfalls erhielt ich – ich hatte keineswegs vor nächster Woche damit gerechnet – schon wieder einen Anruf, dessen Inhalt neben ein wenig lockerem Austausch die zwei wesentlichen Informationen enthielt, dass Behördencomputer „TUXOR“ vermutlich für die korrekte Schreibweise von „tux0r“ halten, was im vorliegenden Fall ja kaum mehr ist als Kosmetik und noch nicht abschließend bejaht oder verneint werden konnte, und ich schon im Juli einen Termin wahrnehmen können werde, um die (dann wie auch immer lautende) Eintragung in die Ausweisdokumente vornehmen zu lassen.
Völlig unabhängig von den Implikationen für mein Impressum und den durchaus vorstellbaren witzigen Situationen, in denen ich gefragt werden könnte, wie ich denn „wirklich heiße“, was ja leider durchaus gelegentlich vorkommt: Ich bin jetzt ein anerkannter Künstler und die immer mal wieder drohende Pflicht zur Nutzung des Realnamens in noch mehr Situationen als bisher schreckt mich nicht mehr im Geringsten.
Ich wünschte, das hätte auch ohne Hack funktioniert.
Ich habe noch Hoffnungen: http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2442/244238.html
Ich nicht. Die Antragsteller sind halt die falschen.
Da ist leider einiges dran. Wie dämlich ist es eigentlich, wenn solche Bestrebungen nicht aus inhaltlichen Gründen sondern aufgrund von Argumentum ad personam abgelehnt werden?
Parlamentarische Demokratie ist nun mal keine Demokratie.
Full ACK!