Vor über zehn Jahren, als ich selbst noch nicht so ein abgeklärter alter Sack war wie heute, konnte ich es nicht immer verhindern, mit der jeweils aktuellen Jugendsprache konfrontiert zu werden. In den Kreisen, in denen ich mich damals bewegte, war gerade ein türkisches Lehnwort im Kommen: „tschüüsch“, eigentlich wohl „çüş“ geschrieben (aber wer kann schon Türkisch schreiben?), hieß so viel wie „huch!“, „echt wahr?“ oder – leider viel zu oft – „erzähle uns mehr darüber!“.
Warum ich das ausgerechnet heute erzähle? Nun, der Langenscheidt-Verlag, zuverlässiger Garant für Stuss, hat wieder „ein Voting“, so die Website (aus Archivgründen archivierte Version), „am Start“, mithilfe dessen bis zum 16. November das „Jugendwort des Jahres 2018“ ermittelt werden soll. Dabei reden die gar nicht so. Zu den dreißig Endwörtern, die also nun zur Wahl stehen, zählt auch „sheeeesh“, ein anscheinend aus anglophonen Gebieten (Berlin?) reimportiertes „çüş“ mit altbekannter Bedeutung. Auch andere Wörter aus dem gleichen Kulturkreis haben es in die Kandidatenliste geschafft, etwa „lan“ („krass“; früher war das noch selbst ein Jugendwort, heute ist es eine Übersetzung) und „Kocum“ („mein Bester, bester Freund“). Geschichte wiederholt sich meist als Farce.
Der Rest der Liste setzt sich aus zum Teil sogar noch älteren Begriffen, Humbug und Schenkelklopfern zusammen. Ein Auszug gefällig?
AF, as fuck (Betonung, wie besonders etwas ist, Beispiel: Die neue Staffel ist sick as fuck!)
Ich bin auch schon sick as fuck, fühle mich aber spontan seltsamerweise um Jahrzehnte gealtert und nicht mehr besonders jugendlich. Lügen-Langenscheidt! In dieselbe Kategorie fällt im Übrigen auch dies:
rant (Ausraster, Beispiel: Der ist gerade voll am Ranten!)
Ich rante ja seit 2005 ins Internet hinein und nenne es schon fast so lange auch so. Ich war schon jugendlich, bevor es cool war!
Axelfasching (Achselhaare)
Wegen der lustigen Clownsnasen oder wie?
breiern (brechen und trotzdem weiter feiern)
Nicht in die Endausscheidung (haha, „ausscheiden“ [haha, „Scheide“]) geschafft hat es jedoch das Kofferwort für „feiern und dabei kotzen“.
chinning (Doppelkinn-Challenge, bei der man Selfies mit Doppelkinn postet)
Ehrenmann/Ehrenfrau (Gentleman, Lady, jemand, der etwas Besonderes für dich tut)
Apropos Historie: Die Toten Hosen haben bereits vor über dreißig Jahren ein bemerkenswert unschlimmes Lied dieses Namens aufgenommen, was an manchem liegen könnte – vielleicht daran, dass dieses Wort mit beinahe dieser Bedeutung schon damals im Wörterbuch der alten Menschen stand? Auf YouTube gibt es jedenfalls ein Video namens „SO wirst auch du ein EHRENMANN – Mein BOOSTER aus der Dose!“. – Wenn die Langenscheidt-„Jury“ jetzt aber bereits seit vor meiner Geburt fast genau so verwendete Wörter als Kandidaten für das „Jugendwort des Jahres“ annimmt, dann erstaunt es mich sehr, dass „Eis (Lebensmittel zur Erfrischung)“ es trotz der sommerlichen Temperaturen der letzten Wochen noch nicht zum Jugendwort geschafft hat.
einwrapen (in eine Decke einrollen wie ein Wrap)
Wie der versierte Leser weiß, müsste dieses Wort selbstverständlich „einwrappen“ geschrieben werden – „einwrapen“ spräche man anders aus und verletzte nebenbei Wortbildungsregeln. Andererseits: „Axelfasching“ …
glucose-haltig (süß)
Ja, Mensch, diese Jugendlichen. Ein grandioses Wortspiel, das! Nicht im Rennen sind hingegen „gluten-haltig“ (getreidig) und „reich-haltig“ (in Vielzahl vorhanden). Na, vielleicht nächstes Jahr.
Ich küss dein Auge (Ich hab dich gern oder ein sehr starkes Danke)
Zu meiner Zeit haben wir stattdessen „Küsschen aufs Nüsschen“ gesagt, aber zu meiner Zeit hat auch noch kein betagter „Lauch“ (noch ein Kandidat, Bedeutung: „Trottel“) nach unserer Kultur gegriffen.
lmgtfy (let me google that for you, Ausdruck, wenn jemand eine unnötige Frage stellt, die auch Google beantworten kann)
An Jugendwörtern mag ich ja am meisten, wie einfach sie von den Lippen gehen.
verbuggt (voller Fehler, falsch gestrickt, Beispiel: Du bist so verbuggt, du nervst!)
Auch diese Wortfindung gefällt mir sehr. Mehr noch: Aufgrund ihrer haben wir endlich ein Wort, um Computerfehler zu benennen. Hat jemand die Telefonnummer von Grace Hopper? Allerdings ist zu empfehlen, für die Suche nach diesen Fehlern nicht zu viel Zeit aufzuwenden, denn sonst droht ein weiterer Neologismus:
Screenitus (Gefühl, wenn man zu lange auf den Bildschirm gestarrt hat)
Au Backe.
Die ersten fünf Preise beim „Voting“ sind übrigens je ein Skateboard mit trendig-coolem Langenscheidt-Logo. Deutschland solle nicht in die 1930er Jahre zurückfallen, warnen die Medien; vor den 1990ern aber warnen sie nicht.
Schade eigentlich.
„Ich küss dein Auge (Ich hab dich gern oder ein sehr starkes Danke)“
musste an Hannibal Lector denken
Die Augenküsserei kommt wohl auch aus dem Türkischen. Wollte nicht Erdogan die Augen vom Mesut …
Seit Erdogans Statement ist das auf Twitter richtig populär.
Das ist ja widerlich.
….oohhhh…wat en Scheiss…………