Musikkritik
Bob Dylan, der Sturm im Wasserglas

Zu Bob Dylan hat­te ich bekannt­lich 2010 mei­ne Affi­ni­tät bekun­det.

Nun ist es so, dass Bob Dylans Stil sich über die Jah­re gewan­delt hat, was noch nichts Schlech­tes sein muss. Gegen und kurz nach dem Ende der 1970er Jah­re waren es die Abkehr vom Folk­rock und die Hin­wen­dung zu christ­li­chen Bal­la­den und Coun­try­schei­ße, die die spä­te­ren Wer­ke für mich unin­ter­es­sant machten.

Seit 1988 befin­det sich Bob Dylan auf der „nie­mals enden­den Tour­nee“ und hat sei­nen Stil seit­dem nur wenig geän­dert. Auf­fal­lend aller­dings: Sei­ne Stim­me hat sich gewan­delt, klingt jetzt, je höher er zu sin­gen oder in sei­nem immer noch typi­schen Duk­tus zu erzäh­len ver­sucht, rau und krat­zig wie die von Joe Cocker oder einem drei­ßig Jah­re älte­ren Rod Ste­wart, den ich übri­gens gesang­lich ziem­lich bemer­kens­wert fin­de. Wäh­rend­des­sen hat er (der Herr Dylan) immer noch Zeit, neue Musikal­ben auf­zu­neh­men, neu­er­dings – fünf­zig Jah­re nach dem Debüt­al­bum – also „Tem­pest“, zu Deutsch „Sturm“ oder „Wir­bel­wind“. Wer sich von die­sem Titel ein ener­gie­ge­la­de­nes Feu­er­werk der Rock­mu­sik ver­spricht, ist doof.

Erlaubt mir, den Mythos „eines sei­ner besten Alben“ (Neil McCor­mick) zu entzaubern.

Zunächst das Offen­sicht­li­che: „Tem­pest“ ist kein zwei­tes „Blon­de on Blon­de“. Es ist nicht mal ein zwei­tes „Blood on the Tracks“. Im Wesent­li­chen ist es ein lang­wei­li­ges Blues­rock-/Coun­try-Album eines alten Man­nes, der sein Geld damit ver­dient, sich zu wie­der­ho­len. Das ist nicht so harsch gemeint, wie es geschrie­ben wur­de. Musi­ka­lisch domi­nie­ren aber Blues (klas­sisch in „Ear­ly Roman Kings“, das jeder Gitar­ren­schü­ler nach einer Woche nach­spie­len könn­te) und der scheuß­li­che Coun­try, der die „nie­mals enden­de Tour­nee“ ja seit vie­len Jah­ren domi­niert, was viel­leicht auch den bescheu­er­ten Hut erklärt, den Bob Dylan seit einer Wei­le zu tra­gen pflegt.

Dass aus­ge­rech­net das vier­zehn­mi­nü­ti­ge Titel­stück trotz sei­ner Län­ge ein beson­ders belang­lo­ses Musik­stück ist, in dem Bob Dylan zu einer Schla­ger­me­lo­die (Schla­ger!) eine fik­ti­ve Ver­si­on des Unter­gangs der Tita­nic, ver­wo­ben mit Figu­ren und Ereig­nis­sen aus der eben­falls belang­lo­sen Kino­schnul­ze (etwa mit einem Maler namens Leo), zum Besten gibt, ist ein biss­chen scha­de, denn dane­ben wir­ken die wirk­lich guten Momen­te auf „Tem­pest“ kür­zer als sie es eigent­lich sind. Zu nen­nen wären da etwa das bei­na­he fet­zi­ge Blues­rock­stück „Nar­row Way“, das ener­gie­ge­la­de­ne „Pay in Blood“, das erstaun­lich kopf­nick­bar ist, und das rhyth­mi­sche „Tin Angel“, das sei­nen Bal­la­den aus den Sech­zi­gern nahe kommt.

Wer nun gehofft hat­te, dass wenig­stens die Tex­te, seit jeher ein prä­gen­der Bestand­teil sei­ner Musik, von Ver­fall ver­schont wor­den sind, der soll­te „Duques­ne Whist­le“ bes­ser überspringen:

I can hear a sweet voice ste­adi­ly calling
Must be the mother of our lord

So ganz ohne Reli­giö­si­tät (und in ande­ren Lie­dern viel Lie­bes­schmalz) geht’s eben nicht, seit Bob Dylan erweckt wur­de, was bes­ser nie­mals hät­te pas­sie­ren sol­len. Eigent­lich, so hat er zu Pro­to­koll gege­ben (in einem Inter­view für den ame­ri­ka­ni­schen „Rol­ling Stone“), woll­te er ein reli­giö­ses Album machen. Aber dazu habe es ihm am Ende an aus­rei­chen­dem Mate­ri­al gefehlt, und so sei nun die­ses her­aus­ge­kom­men. Ver­mut­lich haben wir da noch mal Glück gehabt.

Man ver­ste­he mich nicht falsch: „Tem­pest“ ist gut dafür, was es zu sein ver­sucht. Bob Dylan muss nie­man­dem mehr etwas beweisen.
Ande­rer­seits erschließt sich mir der eigent­li­che Wert eines Albums wie „Tem­pest“ nicht. Die Ziel­grup­pe: Christ­li­che US-ame­ri­ka­ni­sche Kon­ser­va­ti­ve? Men­schen, die es schät­zen, zu hören, wie Bob Dylan auf jedem neu­en Musik­al­bum sei­nen hart erar­bei­te­ten Ruf als groß­ar­ti­ger Lyri­ker noch wei­ter zerstört?

Mir gefällt „Tem­pest“ als Doku­ment – nicht mehr, nicht weni­ger. Mei­ne gele­gent­lich geäu­ßer­te Behaup­tung, alle Stu­dio­al­ben ab „New Mor­ning“ müs­se man weder zumin­dest ein­mal gehört haben noch besit­zen, bewahr­hei­tet sich indes erneut.

Eines sei­ner besten Alben ist „Tem­pest“ jeden­falls nicht. Dafür hängt die Mess­lat­te zu hoch.

Aber das macht nichts.

Senfecke:

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