Piratenpartei
War­um ich die Pira­ten­par­tei nicht in den Bun­des­tag wäh­len werde

Ich bin libe­ral. Ich war es immer und ich wer­de es wohl immer sein.

An Poli­tik haben mich in Kin­der­ta­gen ein­zig die Hoch­rech­nun­gen inter­es­siert. Ich fand die bun­ten Bal­ken im Fern­se­hen immer sehr inter­es­sant, obwohl ich kei­ne Ahnung hat­te, was sie bedeu­te­ten. Die Poli­tik änder­te sich ja nicht, Hel­mut Kohl mit sei­ner CDU war immer da und ging ein­fach nicht weg.

Als ich mich zum ersten Mal poli­tisch ein­stu­fen muss­te, wähl­te ich aus Über­zeu­gung die F.D.P., die damals noch zumin­dest den Anschein wahr­te, frei­heit­lich-demo­kra­tisch zu agie­ren. Frei­heit und Demo­kra­tie sind bis heu­te zwei Stütz­pfei­ler mei­nes poli­ti­schen Han­delns. Wäh­rend mei­ner Selbst­fin­dungs­pha­se – kurz nach Ein­tre­ten mei­ner Mün­dig­keit als Wäh­ler also – wähl­te ich, abge­se­hen von der CDU, wohl so ziem­lich jede grö­ße­re und/oder bekann­te­re Par­tei. Ich gebe zu: Auch die PDS – oder wie auch immer sie damals gera­de hieß – war schon darunter.

Dann kam das Internet.

Das böse Inter­net, das letzt­end­lich das Mit­tel zur Erlan­gung kom­pro­miss­lo­ser Frei­heit und Demo­kra­tie, unge­ach­tet natio­na­ler Ein­schrän­kun­gen der­sel­ben, ist, begei­ster­te mich nicht nur, weil man dort so toll Musik und Fil­me klau­en konn­te, son­dern eben auch und vor allem als Instru­ment, sei­ner Mei­nung unge­fil­tert Gehör ver­schaf­fen zu können.

Wie vie­le Men­schen kam auch ich im Jahr 2009 wäh­rend der „Zensursula“-Debatte zur Pira­ten­par­tei, die sich damals als ein­zi­ge Par­tei klar und vehe­ment gegen die geplan­ten Inter­net­sper­run­gen zur Wehr setz­te. Die Idea­le der Par­tei über­zeug­ten mich dabei so sehr, dass ich zum ersten Mal in mei­nem Leben mehr als nur Wäh­ler einer Par­tei wur­de: Ich wur­de Mit­glied und brach­te mich, so gut es ging, ein. Die Pira­ten­par­tei stand damals für Frei­heit, Demo­kra­tie, Trans­pa­renz und digi­ta­le Bür­ger­rech­te. Seit­dem hat sich viel getan.

Dass sich so ein Par­tei­pro­gramm auch mal erwei­tern lässt, ist ja noch nicht ver­werf­lich. Ich war stets „Kern­pi­rat“, habe die für mei­ne poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen irrele­van­ten Inhal­te also stets gedul­det, aber igno­riert. Sie wider­spra­chen ihnen ja nicht.

Ich habe das Pech, in einem Bereich Deutsch­lands zu woh­nen, des­sen loka­ler Pira­ten-Kreis­ver­band nicht unbe­dingt mit Grö­ße glänzt. So wur­de ich irgend­wann – wohl auch man­gels Bewer­bern – zum Bei­sit­zer in des­sen Vor­stand gewählt. (Ein Vor­stand in der Pira­ten­par­tei – das muss ich für Außen­ste­hen­de kurz erklä­ren – hat ledig­lich ver­wal­ten­de Funk­tio­nen, jedoch kein grö­ße­res Stimm­ge­wicht als jedes ande­re Mit­glied.) Wie x‑beliebig die Vor­stän­de in der Pira­ten­par­tei eigent­lich zusam­men­ge­setzt wer­den, sieht man nicht erst an der Per­so­na­lie Julia Schramm oder an Bernd Schlö­mer, der im Vor­feld des letz­ten Bun­des­par­tei­ta­ges unge­fragt die Pira­ten­par­tei als „sozi­al­li­be­ra­le Par­tei“ defi­nier­te: Eine spä­te­re Neu­wahl im Kreis­vor­stand erhob einen mir unbe­kann­ten Jür­gen A. (Name bewusst gekürzt) eben­falls als Bei­sit­zer in sel­bi­gen. Die­ser Jür­gen A. wur­de am Tag der Wahl zum ersten Mal gese­hen und war fort­an nicht mehr auf­zu­fin­den; nomi­nell ist er bis heu­te Mit­glied des Kreis­vor­stan­des, weil ihn noch nie­mand errei­chen konn­te. Zyni­sche Beob­ach­ter könn­ten zusam­men­fas­sen: Es wird Vor­stand, wer gera­de da ist und nicht schnell genug „Nein!“ schreit. (Fai­rer­wei­se möch­te ich hin­zu­fü­gen, dass das sicher­lich nicht in jeder Glie­de­rung der Par­tei so ist.)

Apro­pos „sozi­al­li­be­ral“: Lan­ge Zeit war unklar, wo sich die Pira­ten poli­tisch eigent­lich ein­ord­nen. Pro­gres­siv woll­ten wir sein, raus aus dem Sche­ma „links oder rechts oder bür­ger­li­che Mit­te“. Das hat anschei­nend nicht nur die Medi­en über­for­dert. Die alte Weis­heit, gehört wür­den stets die, die am lau­te­sten brül­len, hat sich bewahr­hei­tet; flugs kamen Eso­te­ri­ker, ehe­ma­li­ge NPD-Mit­glie­der und Anti­fa-Sym­pa­thi­san­ten in die Par­tei und ver­such­ten sich gegen­sei­tig zu über­tö­nen. Das führ­te zu bizar­ren Ergeb­nis­sen wie etwa dem der Umfra­ge, wie man die Pira­ten­par­tei am ein­fach­sten zusam­men­fas­sen könn­te: Sie sei radi­kal, links, links­li­be­ral und vor allem gegen Rechts. Dass das mal eben den Grund­prin­zi­pi­en zuwi­der­läuft, auf denen die Par­tei auf­ge­baut ist, scheint nie­man­den wirk­lich zu stö­ren. Außen­ste­hen­den, die das lesen und Wahl­pro­gram­me für Alt­pa­pier hal­ten, den Unter­schied zwi­schen der Pira­ten- und der Links­par­tei zu erklä­ren war noch nie so schwie­rig wie heute.

Das zeig­te sich auch wie­der auf besag­tem Bun­des­par­tei­tag in Bochum. Ein Antrag, der gesell­schaft­li­che Inklu­si­on befür­wor­te­te und somit eigent­lich von jedem Lin­ken hät­te gou­tiert wer­den kön­nen (und ent­spre­chend mit über 2/3 der Stim­men – 2/3 der Stim­men waren gemäß der gül­ti­gen Wahl­ord­nung not­wen­dig – ange­nom­men wur­de), ent­hielt in einem Neben­satz den Begriff der Wah­rung der natio­na­len Iden­ti­tät. Wahl­lei­ter Ste­phan Urbach fiel das – nach­dem der Antrag ange­nom­men wor­den war – auf, und er eil­te zum Mikro­fon, um sich über die­se For­mu­lie­rung (offen­bar war er nie in Frank­reich) auf­zu­re­gen und sich für die Ände­rung in „kul­tu­rel­le Iden­ti­tät“ aus­zu­spre­chen. Auch in einem zwei­ten Wahl­gang wur­de der Antrag jedoch bestä­tigt. Ste­phan Urbach unter­schrieb sei­ne Aus­tritts­er­klä­rung. Als der Antrag im drit­ten Wahl­gang mit der Hälf­te der Stim­men (sie­he noch­mals die 2/3‑Regelung, um die Absur­di­tät voll­stän­dig begrei­fen zu kön­nen) end­lich abge­lehnt wur­de, bedank­te er sich, dass „end­lich rich­tig abge­stimmt wur­de“ (was sehr viel über sein Demo­kra­tie­ver­ständ­nis aus­sagt), und zer­riss sei­ne Aus­tritts­er­klä­rung. Wie gesagt: Wer am lau­te­sten brüllt, der wird gehört.

Womit wir auch beim ande­ren gro­ßen Pro­blem der Pira­ten­par­tei wären: Dem Per­so­nen­kult. Für den kann sie nicht ein­mal etwas.
Die Pira­ten­par­tei setzt sich seit ihrer Grün­dung für The­men statt Köp­fe ein. Einem Pira­ten ist es egal, wer gera­de Spit­zen­kan­di­dat ist, denn so etwas kennt die Pira­ten­par­tei nicht.

Das über­for­dert aber die Pres­se, die gern kon­kre­te und vor allem weni­ge Ansprech­part­ner haben möchte.

Im Lan­des­ver­band Nie­der­sach­sen wur­den 30 Mit­glie­der der Pira­ten­par­tei auf die Liste zur Land­tags­wahl 2013 gewählt. Auf Platz 1 und 2 ste­hen ein Mann und eine Frau. Wie gut für die Pres­se, denn so hat sie gleich zwei Leu­te, die sie „Spit­zen­kan­di­da­ten“ nen­nen kann – wären es zwei Män­ner, der auf dem zwei­ten Platz wür­de sie nicht die Boh­ne jucken. Die Pres­se folgt hier klas­si­schen Mustern, sie behan­delt die Pira­ten­par­tei wie jede ande­re Par­tei auch und ist nicht bereit, sich mit ihren Beson­der­hei­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen. Sie spricht nach wie vor (ver­ein­zelt) von Dele­gier­ten, von Spit­zen­kan­di­da­ten und von son­sti­gem Blöd­sinn, der in einer basis­de­mo­kra­ti­schen Par­tei schlicht kei­ne Rol­le spielt.

Wir sind ein­mal ange­tre­ten, um die Welt um uns her­um mit pro­gres­si­ver Poli­tik zu ändern. Nun ertap­pe ich uns immer wie­der dabei, wie wir uns der alten, star­ren Welt anpas­sen. Unse­re „Spit­zen­kan­di­da­ten“ haben mit die­sem Wort kein Pro­blem, sie wider­spre­chen höch­stens noch halb­her­zig. Den Ansprü­chen der Pres­se wol­le man ja genü­gen, sonst kom­me sie nicht mehr zu unse­ren Par­tei­ta­gen, das wäre ja furcht­bar, denn das wür­de uns total dar­an hin­dern, Poli­tik zu machen.

Auf so etwas wie die Ver­harm­lo­sung von Gewalt durch Mit­glie­der der Pira­ten­par­tei möch­te ich an die­ser Stel­le nicht wei­ter ein­ge­hen, das wür­de ver­mut­lich zu weit füh­ren. Nur noch so viel: Die Bun­des­par­tei steht momen­tan poli­tisch für nichts, was ich per­sön­lich mit gutem Gewis­sen mit­tra­gen kann. Leu­te wie Ste­phan Urbach, der sich eben­falls in den Bun­des­tag wünscht, kann und wer­de ich nicht mit mei­ner Stim­me unter­stüt­zen. Um es mit Ste­phan Urbach zu sagen: Das ist nicht mehr mei­ne Partei.

War­um ich – wie auch er – trotz­dem noch Pirat bin?

Erstens: Weil zumin­dest auf Lan­des­ebe­ne – der Lan­des­ver­band Nie­der­sach­sen lei­stet immer noch eine wirk­lich beacht­li­che Arbeit – noch nicht alles ver­lo­ren ist und ich die Pira­ten­par­tei hier vor­erst auch wei­ter­hin wäh­len und nach Mög­lich­keit unter­stüt­zen wer­de. 2013 wer­den wir wis­sen, ob das ein Feh­ler war.

Zwei­tens: Weil, Mit­glieds­aus­weis hin oder her, das, was die Pira­ten­par­tei einst aus­mach­te, nach wie vor das ist, wofür ich mich poli­tisch ein­set­zen möch­te und wer­de. Ob mit hüb­schen Bänd­chen am Arm, wenn mal wie­der abge­stimmt wer­den soll, oder ohne sie. So bedau­er­lich, weil hin­der­lich das manch­mal auch ist: Es gibt momen­tan kei­ne ernst zu neh­men­de poli­ti­sche Alter­na­ti­ve für uns neti­zens.

Ob ich kon­se­quent sein wer­de, wird sich zei­gen. Damit hät­te ich vie­len von euch so genann­ten Pira­ten da drau­ßen aber etwas voraus.

Und, ja, die Kom­men­ta­re hier sind absicht­lich deak­ti­viert. Heult euch woan­ders aus.


(Ange­regt von @lev3renz, der aller­dings einer ganz ande­ren Par­tei angehörte.)

Senfecke:

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